Der Weg zu allgemeiner Anerkennung und zu persönlichem Ansehen ist in der Chirurgie wenig beschwerlich, wenn er markiert ist z. B. von der Einführung neuer Operationsverfahren oder von bewunderten individuellen operativen Fähigkeiten. Weitaus mühsamer ist es jedoch, gleiches Ansehen zu erringen, durch die, im Grunde genommen, als gleichwertig anzusehende Leistung, als Wegbereiter für sein Fach zu wirken, Bahnbrecher zu sein für den mutigen Einsatz neuer, ungewohnter Verfahrensweisen oder Techniken, besonders wenn diese an einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit nicht als erstrebenswertes Ziel gelten oder mit unwillkommenen Anstrengungen verbunden sind. Nur wenigen namhaften Herzchirurgen wurde die Anerkennung zuteil, durch ihre Arbeit anerkannte Wegbereiter für den Fortschritt ihres Fachgebiets gewesen zu sein.

Anthony Richard Curzon Dobell (Abb. 1) wurde am 12.05.1927 in Montreal, Kanada, im Royal Victoria Hospital geboren, in der Klinik, in der er mehr als 30 Jahre später die Herzchirurgie etablieren und zu großen Erfolgen führen sollte. Anthony war das einzige Kind seiner Eltern. Der Vater, Francis Dobell, führte eine erfolgreiche Anwaltskanzlei in Montreal. Die Mutter, Sybil Octavia Robertson, 8. Kind einer großen Familie aus Montreal, war als stimulierende Persönlichkeit und als Künstlerin mit den verschiedensten Interessen bekannt. Nach dem plötzlichen und unerwarteten Tod des Vaters im Jahr 1941 war der 12-jährige Tony der freizügigen Erziehung seiner Mutter überlassen, unter der er sich jedoch nach eigenen Worten gut entwickelte: „I think, I flourished under this self education!“ In dieser vertrauten Umgebung hat er dann auch, mit Ausnahme seiner späteren herzchirurgischen Ausbildung in Philadelphia, sein gesamtes Leben in demselben Bereich Montreals, dem Atwater Market District, einem im Südwesten gelegenen Stadtviertel, verbracht. Dies hatte allerdings einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Als Kind konnte er von dort alle seine Schulen, als junger Mann die McGill University und später im Beruf seine Klinik, das Royal Victoria Hospital, jeweils von zu Hause aus leicht zu Fuß erreichen.

Abb. 1
figure 1

Anthony Dobell (12.05.1925–17.06.2015). (Aus [1], mit freundlicher Genehmigung The Society of Thoracic Surgeons, © 2015 The Society of Thoracic Surgeons Terms and Conditions)

Nach der Selwyn High School in Montreal erlangte Anthony an der Bishop’s College School 1949 zunächst den Bachelor of Science (B.Sc.) und entschied sich für ein Studium der Medizin an der School of Medicine at the McGill University of Montreal, das er 1951 mit einem M.D., C.M., dem „Medicinae Doctorem et Chirurgiae Magistrum“ abschloss, der in dieser Form nur von der McGill University vergeben wird. Außer seinen hervorragenden akademischen Leistungen sind aus dieser Zeit seine sportlichen Aktivitäten und Erfolge hervorzuheben. Seine größten Talente lagen dabei im Nationalsport Kanadas, dem Eishockey. Nachdem er bereits zuvor von 1943 bis 1945 im Jugendbereich der berühmten McGill Redmen mehrere Meisterschaften gewonnen hatte, wurde er von 1948 bis 1950 zum Torwart („Goalie“) der 1. Universitätsliga Kanadas berufen und erhielt während dieser Zeit auch ein Angebot als Goalie für die Eishockey-Nationalmannschaft. Daneben war er erfolgreiches Mitglied der Ski-Mannschaft der McGill-Universität. Wohl in diesem Umfeld lernte er Cynthia Powell kennen, geboren 1927 in Montreal, ebenfalls McGill-Studentin, hervorragende Ski-Rennläuferin und Mitglied des McGill-Teams, das 1950 an den Ski-Weltmeisterschaften in Lake Placid teilnahm. Cynthia war die Tochter eines Industriellen, der zunächst langjähriger Senator und 1957–1964 auch der 10. Chancellor der McGill-Universität wurde. Im Sommer 1951 wurde Cynthia Powell Anthony Dobells Frau, mit der er mehr als 50 Jahre zusammenlebte, bis zu ihrem plötzlichen Tod 2006 während eines Aufenthalts in Chicago. Cynthia und Antony hatten bereits früh vier Kinder.

Noch während seiner Studienzeit an der Medical School in Montreal ermöglichte ein Sponsor Anthony einen Studienaufenthalt am „Jefferson Medical College“ in Philadelphia, wo er erstmals Kontakt zu John Gibbon hatte, der dort die Simon D. Gross-Professorship in Surgery innehatte. Dieser frühere Kontakt erleichterte ihm nach dem Examen seine Bewerbung um eine Residency in General and Thoracic Surgery ebendort, die er am 01.07.1952 antreten konnte. Das Jefferson University Hospital hatte zum damaligen Zeitpunkt zwar einen Schwerpunkt für Thorax-, insbesondere für Lungenchirurgie, andererseits fand unter John Gibbon auch Herzchirurgie statt, wenngleich nur in dem umschriebenen Rahmen der bis dahin möglichen Eingriffe am geschlossenen Herzen. Im Labor waren jedoch John Gibbon und seine Frau Marjorie, unterstützt von Ingenieuren der Fa. IBM, intensiv mit der Entwicklung einer Herz-Lungen-Maschine befasst, mit der es möglich sein sollte, auch Operationen am offenen Herzen durchführen zu können. Die kardiologische Diagnostik beim Menschen erfolgte damals nahezu ausschließlich mit klinischen Mitteln. Vereinzelt wurden von thoraxchirurgischen Fellows auch intrakardiale Oxymetrieen über transvenös eingeführte urologische Katheter mit der aufwendigen Van-Slyke-Technik durchgeführt und waren daher auch meist nur in unkomplizierten Fällen stimmig.

Anthony Dobell verbrachte die ganzen vier Jahre seiner Residency im Jefferson Hospital in Philadelphia. Er lebte mit seiner Frau Cynthia und seiner sich vergrößernden jungen Familie zwar in New Jersey, konnte jedoch die Klinik in Philadelphia mit dem Bus in einer halben Stunde erreichen. Aus dieser ersten Zeit ist ihm ein beeindruckendes Erlebnis sein ganzes Leben in Erinnerung geblieben. Schon bald nach ihrer Ankunft erhielten der junge Resident und seine Frau vom Direktor der renommierten Pathologie in Jefferson eine Einladung zu einem Dinner, zu dem außerdem der Leiter der Medizinischen Fakultät, Autor mehrerer renommierter Lehrbücher, sowie die Chefs der Ophthalmologie und der Physiologie geladen waren. Die Erklärung kam schnell: Sie alle waren ehemalige McGill Graduates. Sie hießen ihren jungen Landsmann in Philadelphia willkommen und boten ihm, falls nötig, ihre Hilfe und Unterstützung an: „McGill companionship!“

Das erste Jahr verbrachte Dobell in der Thoraxchirurgie, dem Bereich, den John Gibbon und dessen Frau hervorragend beherrschten, während Anthony lieber im klinisch operativen Bereich tätig gewesen wäre. Der enge persönliche Kontakt zu Gibbon führte zu einem zweiten Jahr im Labor, wo die Residents überwiegend an der sich stetig entwickelnden Herz-Lungen-Maschine eingesetzt waren, da es zu dieser Zeit in der ganzen Klinik weder Anästhesisten noch ausgebildete Pumpentechniker für diese Aufgabe gab. Später sollten jedoch die bei dieser Tätigkeit gewonnenen technischen Fähigkeiten und Erfahrungen über die Physiologie des Lungen- und Körperkreislaufs für Dobell von unschätzbarem Wert sein. Bevorzugte Residents bekamen auch die Aufgabe zugeteilt, bei den Hunden experimentell die Vorhof- und Ventrikelseptumdefekte herzustellen, die dann wenige Zeit später von den wenigen „nominellen Herzchirurgen“ wieder zu verschließen versucht wurden. Zu ihnen gehörte auch John Young Templeton, der eigentlich im Jefferson Hospital die „General Surgery“ vertrat und der als einer der angesehensten Allgemeinchirurgen Philadelphias bzw. des ganzen Ostens Pennsylvaniens galt. Templeton nahm Anthony in dessen drittem und viertem Residency-Jahr unter seine Fittiche und bildete ihn während dieser Zeit zu einem technisch fähigen Chirurgen aus. So kam es zu einer späteren Äußerung Anthony Dobells: „I didnt learn any heart surgery in Jefferson. However, the people who mostly influenced me in surgery were my friends at Jefferson: Dr. Gibbon, who taught me knowledge, John Templeton, who taught me operative care and skill, and George J. Willauer, who taught us how to look after people. He was a humanist having the uncanny notion when the time was right to operate, and when to stop.“ Diese anhaltenden Beziehungen, insbesondere zu John Gibbon, formten Anthony Dobell ein Leben lang: „Jefferson education!“

Am 01.07.1956, nach Abschluss seiner vierjährigen Residency am Jefferson Hospital, war Anthony wieder in Montreal. Den Anfang wollte er am Montreal General Hospital wagen. Der Chairman für das chirurgische Department hatte jedoch keinerlei Interesse für Herzchirurgie an seiner Klinik. Auch Arbeit im Labor war nicht erwünscht: „Surgeons don’t work in the lab, they work in the OR. That is ridiculous.“ Etwas weiter unten in der Straße befand sich die zweitgrößte Klinik Montreals, das „Royal Victoria Hospital (RVH)“. Hier bestand Interesse an einer Herzchirurgie, und auch der Gedanke an wissenschaftlicher Laborarbeit stieß auf Gegenliebe. Anthonys Einstellung erfolgte zunächst nur als „teaching fellow for surgery“, strukturell und finanziell an der unteren Grenze des Erträglichen. Dennoch entwickelte sich der für die Klinik neue Bereich der Herzchirurgie rasch und für alle Beteiligten zufriedenstellend. Unerwartetes Interesse und Unterstützung kamen auch durch ein Angebot zur Kooperation mit dem „Montreal Children’s Hospital“. Dessen Chairman David Murphy betrieb an seinem Department of Surgery bei Kindern bereits die Chirurgie angeborener Herzfehler am geschlossenen Herzen. Das Angebot lautete: „I’ll teach you how to do closed heart surgery, and you get us into the inside of the heart.“ Gelegenheit, auf diesem Gebiet selbst noch mehr Erfahrung und Expertise mit den aktuellen Verfahren zu gewinnen, ergab sich dadurch, dass, nach der unerwarteten Beendigung eigener Operationen mit der Herz-Lungen-Maschine durch John Gibbon in Philadelphia, nun John Templeton dieser Bereich zugewiesen worden war. Noch aus früheren Tagen schätzte dieser die Zusammenarbeit mit Gibbons ehemaligem Assistenten Dobell und ließ ihn daher bei komplexen Eingriffen von Montreal nach Philadelphia einfliegen, um sich selbst durch dessen Gegenwart das Gefühl größerer Sicherheit zu verschaffen. Anthony wiederum konnte die bei diesen Operationen gewonnenen neuen Erfahrungen zum eigenen Nutzen wieder zurück nach Montreal nehmen.

Diese Situation brachte es mit sich, dass Anthony Dobell zur gleichen Zeit sowohl an drei Kliniken in Montreal sowie gelegentlich auch in Philadelphia klinische und experimentelle Operationen am offenen Herzen durchführte. Zusätzlich arbeitete er aber auch noch allgemeinchirurgisch, um seine in Kanada nicht vollständig anerkannte US-amerikanische Lizenz für Chirurgie durch das „Royal College of Physicians and Surgeons of Canada“ für sein Heimatland zu vervollständigen. In Montreal arbeitete er aber auch, noch immer auf seiner Stelle als „teaching fellow for surgery“ sitzend, mit Arthur Vineberg, einem Pionier der Koronarchirurgie am Royal Victoria Hospital. Er assistierte ihm bei den Versuchen, durch eine intramyokardiale Implantation der A. thoracica interna direkt in das durch eine koronare Herzkrankheit geschädigte Myokard dieses besser durchbluten zu lassen. Gleichzeitig führte er aber an derselben Klinik auch zusammen mit Dr. Harry Scott, einem an der offenen Herzchirurgie interessierten Chirurgen in seiner „eigenen“ Klinik, dem Montreal Childrenʼs Hospital, nachts in denselben OP-Räumen experimentelle Operationen mit der Herz-Lungen-Maschine an Hunden durch. Die Tiere wurden hierfür auf der Tierfarm außerhalb des Hauses narkotisiert, mit dem Privatwagen in die Klinik gefahren, dort im regulären OP der Klinik am Herzen operiert und noch in derselben Nacht von den Operateuren wieder auf die Tierfarm zurückgefahren. Tagsüber konnte Anthony dann im Childrenʼs Hospital mit Harry Scott bei Kindern die gängigen Operationen am geschlossenen Herzen trainieren, wozu er während seiner Zeit am Jefferson College in Philadelphia nur wenig Gelegenheit gehabt hatte.

Die Ergebnisse dieses Vorgehens waren anfangs nur wenig erfolgreich, besserten sich jedoch deutlich durch die Verwendung der inzwischen an der Mayo Clinic weiterentwickelten Mayo-Gibbon-II-Herz-Lungen-Maschine und die Operation im hypothermen Kreislaufstillstand. Die erste erfolgreiche Operation eines angeborenen Herzfehlers am offenen Herzen bei einem Kind führten Anthony Dobell und Harry Scott am 30.06.1960 am Montreal General Hospital bei einem 15-jährigen Mädchen durch. Es sollte die erste einer rasch länger werdenden Serie von derartigen Herzoperationen in Kanada sein. Auch das Spektrum der Eingriffe wurde bald erweitert und reichte vom Herzklappenersatz beim Erwachsenen bis zum komplexen angeborenen Herzfehler im Kindesalter. Die erfolgreiche OP-Gruppe mit Mitgliedern aus allen drei herzchirurgisch tätigen Kliniken in Montreal machte auch vor der Beschäftigung mit der Herztransplantation nicht halt Dieser Eingriff wurde in Kanada erstmals am 03.11.1968 am Royal Victoria Hospital durchgeführt.

Die wissenschaftlichen Verdienste Anthony Dobells hatten bereits ein Jahr zuvor zu seiner Ernennung als Full Professor of the McGill University at Montreal geführt. Seine stillen, aber effektiven administrativen Fähigkeiten, die sich an seiner Team-bildenden Führerschaft dreier an sich selbstständiger herzchirurgischer Einheiten in drei verschiedenen Kliniken gezeigt hatten, führten dann auch dazu, dass er noch im selben Jahr zum Director of the Pediatric Cardiovascular Surgery Division of the Montreal Children’s Hospital und 1974 zum Surgeon-in-Chief der beiden Herzkliniken für Erwachsene in Form der neuen McGill Division of Cardiovascular and Thoracic Surgery bestallt wurde. Diese Position hatte er von 1974 bis zu seiner formalen Emeritierung 1992 inne. Von der Universität wurde ihm gleichzeitig die Aufgabe eines Chairman of the Specialty Committee of the Royal College of Physicians and Surgeons übertragen. Die Zusammenlegung all dieser Ämter auf eine Persönlichkeit wie Anthony Dobell ermöglichte es diesem, eine umfassende Revision des gesamten thoraxchirurgischen Ausbildungsprogramms für Kanada zu erstellen. Diese machte ihn zum Wegbereiter einer neuen Auffassung von Thorax- und Herzchirurgie in seinem Heimatland Kanada, geschickterweise gerade in den Jahren des Aufbruchs in das „goldene Zeitalter der Herzchirurgie“. Nach der Abspaltung der Gefäßchirurgie wurde die kanadische Ausbildung zum Herzchirurgen mit 2 Jahren Allgemeinchirurgie, einem Jahr Laborarbeit und 3 Jahren klinischer Herz-Thoraxchirurgie von der American Society of Surgery vorübergehend nicht mehr anerkannt, bis sie diese etwas später in vergleichbarer Form wieder selbst übernahm.

Neben seiner umfangreichen klinischen Arbeit und seinen Aufgaben im akademisch-administrativen Bereich war Anthony Dobell ein begeisterter und faszinierender akademischer Lehrer, der stets daran interessiert war, sein erworbenes Wissen an die Studenten und die Postgraduates der McGill University weiterzugeben. Diese didaktischen Fähigkeiten und den meisterhaften Umgang mit der Sprache hatte er gemein mit John Gibbon, seinem früheren Lehrer. Von Natur aus war Anthony sein ganzes Leben lang ein ausgesprochener Familienmensch. Die vier Kinder mit seiner Frau Cynthia, Karen, Curzon, Julie und Sarah, waren sein ganzer Stolz. Die Familie führte gemeinsam ein aktives sportliches Leben mit Skifahren, Segeln und Tennis in den Ferien und an nahezu allen Wochenenden in ihrem Haus in den Laurentinischen Bergen nordwestlich des Sankt-Lorenz-Stroms in erreichbarer Nähe von Montreal. Hier hatte Tony selbst schon in seiner Jugend mit seinen Eltern seine freie Zeit verbracht. Eine seiner Töchter, Julie, trat in seine medizinischen Fußstapfen und ist Anästhesiologin in Utah. Cynthia, mit der er mehr als 50 Jahre zusammengelebt hatte, verstarb 2006 akut bei einem Aufenthalt in Chicago. 2009 heiratete Anthony mit über 80 Jahren seine zweite Frau, Marion Doheny, eine ehemalige Freundin von Cynthia.

Eine der nachhaltigsten Einrichtungen im akademischen Leben der McGill-Universität, an deren Einrichtung und Entwicklung Anthony Dobell maßgeblich beteiligt war, ist die „Stikeman Visiting Professorship in Cardiovascular Surgery“. Grundlage ist eine Stiftung einer der angesehensten und wohlhabendsten Familien Montreals, der Familie Stikeman, die über mehrere Generationen hinweg eine Anwaltsfirma für Wirtschafts- und Steuerrecht in Montreal und im ganzen Osten Kanadas innehatte. Richard Alan Stikeman war der Vizepräsident dieses Familienunternehmens und erkrankte 1964 mit 41 Jahren an einem zunächst ungeklärten Lungenleiden. Bei einem explorativen Eingriff an der linken Lunge durch Darrell („Dag“) Munro, den Surgeon-in-Chief of the Royal Edward Chest Hospital, das der McGill University assoziiert war, entdeckte dieser ein diffuses, malignes Pleuramesotheliom und versuchte, dieses durch eine linksseitige Pneumonektomie zu entfernen. Erstaunlicherweise überlebte Stikeman den Eingriff gut und konnte noch fast ein Jahr lang sein früheres Leben wiederaufnehmen. Munro traf seinen Patienten und Freund fast täglich zu einem Feierabend-Whisky, da sie bereits seit Jahren enge Nachbarn in Montreal waren. Dennoch erlag Richard Stikeman im August 1965 seinem Leiden. Bereits kurze Zeit danach schlugen Richards Frau Shirley und sein Bruder Heward Dag Munro vor, zu seinem Gedenken der Klinik ein Vermächtnis zukommen zu lassen. So wurde im Dezember 1965 auf Anregung von Munro und Dobell als Vertreter der McGill University der Endowment Fund for Surgical Advancement ins Leben gerufen. Ziel dieser Stiftung war die Einrichtung einer „Stikeman Visiting Professorship“ in der Form, dass jedes Jahr ein namhafter Herzchirurg, aus welchem Land der Erde auch immer, für eine Woche an die McGill-Universität eingeladen werden konnte, um Vorlesungen zu seinem Spezialgebiet zu halten oder entsprechende Seminare zu leiten. Bekannte Visiting Professors waren z. B. Donald Ross und Sir Magdi Yacoub aus London, Norman Shumway aus Stanford, Alain Carpentier aus Paris oder Denton Cooley aus Houston. Im Laufe der Jahre wurde die Stikeman-Visiting-Professor auch zu einem umfangreichen und beliebten Treffen der Alumni der McGill University, die von Anthony Dobell, dem jahrelangen Präsidenten der Stiftung, als „the glue which holds the McGill division together“ bezeichnet wurden.

Am 05.06.1992, zum Abschluss der 25. Stikeman Professorship, gab Anthony Dobell seinen formalen Rücktritt als Surgeon in-Chief des Children’s Hospitals bekannt. Ein Jahr später wurde er zum Professor Emeritus of Surgery at the McGill University ernannt. Er blieb allerdings noch einige Jahre im Staff des Royal Victoria Hospitals aktiv, bis 1997 die drei großen Kliniken zum McGill University Health Center zusammengeschlossen wurden und er nun von sich aus beschloss, offiziell in den Ruhestand zu treten.

Akademische Aufgaben, wie z. B. die Präsidentschaft der angesehenen US-amerikanischen Society of Thoracic Surgeons 1981–1982, als erster Kanadier in diesem Amt, nahm Anthony Dobell stets erfolgreich wahr. 1977 wurde ihm die höchste kanadische Auszeichnung, „The Order of Canada“, verliehen, und 2012 etablierte die McGill Faculty of Medicine als Stiftungsprofessur für Pädiatrische Forschung den „Anthony Dobell Chair in Pediatric Surgery“, der erstmals an Christo Tchervenkov, Dobells Nachfolger am McGill University Health Center, vergeben wurde.

Seine Gedanken über das Wesen der Chirurgie hat Anthony Dobell in seiner bekannten und viel zitierten Abschiedsrede vom Amt des Präsidenten der Society of Thoracic Surgeons unter dem Titel „The Human Touch“ im Januar 1982 formuliert:

„Surgery is not primarily a business or a technology, nor is it pure science, nor pure art. It is the care of one human being by another; a relationship involving to some extent technology, science, art and business; a relationship involving invasion and manipulation of one individual body by another—a relationship requiring the human touch.“

Am 17.06.2015 verstarb Anthony Dobell im Alter von 88 Jahren, sechs Wochen nach der Rückkehr von einer Reise nach Finnland, zu Hause in Montreal.