Vieles im Leben wird dadurch bestimmt, zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein, aber auch bereit und wagemutig genug, entschlossen Gelegenheiten zu ergreifen, wenn sie sich bieten. Wohl selten hat dieser Sinnspruch auf einen Herzchirurgen mehr zugetroffen als auf Albert Starr und seinen späteren Partner Miles Lowell Edwards, was die Entwicklung einer ersten funktionsfähigen künstlichen Herzklappe betrifft.

Albert Starr wurde am 1. Juni 1926 in Brooklyn, New York, als Sohn von Immigranten aus der Ukraine und aus England geboren (Abb. 1). Sein Vater betrieb einen Großhandel mit wertvollen Pelzen; die Mutter war eine in Oxford ausgebildete Pianistin. Die Primary und die High School absolvierte Albert an New Yorker Public Schools, einem System, das es ihm zu dieser Zeit ermöglichte, diesen Abschnitt der schulischen Erziehung bereits mit 16 Jahren erfolgreich abzuschließen. So konnte er seine weitere Ausbildung am Columbia College, ebenfalls in New York, vergleichsweise frühzeitig beginnen. Nach einem dem damaligen Zeitgeist entsprechenden Interesse an Atomphysik (1942!) wandte er sich dann aber bald, angeregt durch einen ehemaligen Lehrer aus der Zeit der High School, letztlich doch der Biologie zu. Seine finanzielle Situation konnte er sich während dieser Zeit als Pianist in einer Jazzband aufbessern. Erneut angeregt durch stimulierende Lehrer, fand er im College seinen Weg zur Medizin „… then medicine became my music …“. 1946, im jugendlichen Alter von 19 Jahren, konnte er bereits seinen Abschluss als Bachelor of Arts (BA) machen und schrieb sich in unmittelbarem Anschluss aus „naheliegenden“ Gründen am „Columbia College of Physicians and Surgeons“ zum Studium der Medizin ein. Während der Kriegsjahre beinhaltete das Kalenderjahr statt zwei Semestern drei Trimester. So beendete er schon im Jahr 1949 im Alter von 23 Jahren sein Studium mit dem zugehörigen Titel eines Medical Doctor, MD. Inzwischen war auch der II. Weltkrieg beendet, sodass ihn dieser zumindest zeitlich nicht mehr betraf.

Abb. 1
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Albert Starr. (Mit freundl. Genehmigung von © Edwards Lifesciences LLC, Irvine, CA, USA. Alle Rechte vorbehalten)

Da während seiner Studienzeit viele gute Chirurgen in der Army und weniger an den Universitäten gewesen waren, fühlte sich der junge „Dr. Albert (‚Al‘) Starr“ auf diesem Gebiet eher etwas schwach und wollte dies durch eine anschließende Internship in Chirurgie aufbessern. Als einer der Jahrgangsbesten ging er davon aus, auch diesen Teil seiner Ausbildung an einer der „Ivy League Universities“ an der Ostküste fortsetzen zu können. Daher bewarb er sich am Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston und eigentlich nur als „zweite Wahl“ an der gerade wieder aufstrebenden Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland. Nach dem Bestehen beider Aufnahme-Interviews kam als Erstes eine Zusage von Hopkins. Die Antwort des MGH stand noch aus. Allerdings erhielt Albert schon kurze Zeit später noch einen Anruf aus Baltimore. Alfred Blalock, der Chef der Chirurgie, war persönlich am Apparat und stellte in seinem sonoren Südstaaten-Dialekt fest: „Starr, nobody refuses an internship at Hopkins. What’s wrong with you?“ Al antwortete: „Well, Dr. Blalock, I was hoping to go to MGH.“ Darauf Blalock: „Well, you have to tell me now whether you want the internship or not“, – darauf Al, kurz entschlossen: „Sure, I do, Sir.“ Es sollte sein Schaden nicht werden!

Obwohl Alfred Blalock, als er den 23-jährigen Albert Starr zum ersten Mal sah, dem „young boy“ kaum glauben konnte, dass er sein Medizinstudium wirklich bereits abgeschlossen hatte, setzte er ihn neben allgemeinchirurgischen Pflichtaufgaben auch häufig bei seinen eigenen Herzoperationen ein, wie z. B. Ductusligaturen, Isthmuskorrekturen u. a., noch bevor dieser seine erste Leistenhernie selbst operiert hatte. Gegen Ende seiner Internship im Frühjahr 1951 wurde ihm aber von Denton Cooley, damals Blalocks Chief Resident, mitgeteilt, dass er aus Mangel an Weiterbildungsplätzen in Baltimore nicht als Resident würde übernommen werden können. Allerdings vermittelte Blalock während eines Gesprächs mit Al in dessen Beisein durch ein dreiminütiges Telefongespräch mit seinem Freund, dem Chef des New York Presbyterian Hospital, einer der größten Kliniken New Yorks, die von Al gewünschte Stelle. Dieser Vorgang hinterließ bei Albert Starr einen Eindruck, den er sein Leben lang nicht vergessen sollte.

Zurück in seiner Heimatstadt New York, im angesehenen Bellevue Hospital der Columbia-Gruppe, konnte Starr sich auch erstmals neben der Chirurgie einem gewissen Sozialleben widmen. Durch seinen Chef Frank Berry erhielt er Zugang zu einer Seite der New Yorker Society, zu der er bis dahin als ehemaliger „Brooklyn boy“ keine Verbindung gehabt hatte. Aber bereits einige Monate später begann der Korea-Krieg, und Al erhielt seinen Stellungsbefehl. Seinem ursprünglichen Wunsch, in eine „Auffangklinik“ in Europa eingeteilt zu werden, kam Frank Berry, der gleichzeitig Verteidigungssekretär für die Chirurgie war, nicht entgegen: „What a great opportunity, Starr, that’s great. During the war, the place of a surgeon is the combat zone!“ So fand sich Starr nur wenige Wochen später in einem „Mobile Army Surgical Hospital“ (MASH) in Nordkorea inmitten der Frontlinie wieder. Nach einem kurzen Training in Abdominalchirurgie durch einen älteren Allgemeinchirurgen aus dem Mittelwesten, der mit Bauchschüssen vertraut war, fand sich der junge Chirurg mit dem Ivy-League-Hintergrund in der Verantwortung für ein großes Feldlazarett: „I did a thousand laparotomies in one year. I had calluses on my hands from operating. So, life after Korea was a bonus, as far as I was concerned.“

Nach 18 Monaten in Korea konnte Starr im Herbst 1952 seine Residency in verschiedenen Kliniken des Presbyterian-Komplexes in New York fortsetzen und 1957 im Alter von 31 Jahren seine Ausbildung abschließen. Gleichzeitig hatte er dabei sein Interesse an der Herzchirurgie wiederentdeckt, wo inzwischen versucht wurde, diese mithilfe der Herz-Lungen-Maschine am offenen Herzen durchzuführen. An einem späten Nachmittag im Mai 1957 war Starr im Presbyterian Hospital gerade dabei, einen seiner ersten Vorhofseptumdefekte zu operieren. Wegen eines geplanten Rendezvous am Abend war er dabei wohl etwas schneller zugange als sonst. Gast bei dieser Operation war ein Dr. Conkin, Chef der Thoraxchirurgie der Oregon Health Sciences University of Portland, welcher die Eröffnung eines herzchirurgischen Programms in Portland plante, um nicht weiterhin alle Kinder mit angeborenen Herzfehlern zur Operation an die Mayo-Klinik schicken zu müssen. Frage: „You can do this kind of surgery?“ Antwort: „Sure. This is what I’ve been trained for!“ So kam es zu einer Einladung für Starr zu einem Besuch in Portland am anderen Ende des Kontinents – einer anderen Welt! Zu dem für 9:00 Uhr vereinbarten Vorstellungsgespräch, Albert Starr im blauen Dreiteiler, erschien der vorübergehende Leiter des Department of Surgery gegen 9:30 Uhr, gerade zurück von einem „little early morning fishing“, mitten in der Woche. Niemandem, eigentlich auch Albert Starr nicht, war es letztlich wirklich klar, warum er drei Monate später, am 1. August 1957, die Stelle eines geplanten, zukünftigen „Chief of the Division of Cardiac Surgery“ an dem gerade ein Jahr zuvor neu eröffneten Hospital of the University of Oregon, Medical School, Portland antrat. Zudem war seine Stelle organisatorisch vorübergehend noch der „Crippled Children’s Division“ der Kinderklinik zugeordnet, da er seinen eigenen Bereich im Department of Surgery erst noch selbst aufbauen und strukturieren musste bzw. durfte. Mit einer Subvention von 10.000 Dollar der Oregon Heart Association begann er, ein Team aus Assistenten der Thoraxchirurgie zusammenzustellen und diese in einem von ihm selbst eingerichteten Tierlabor der Klinik für Operationen am offenen Herzen auszubilden. Bereits im April 1958 führte er dann tatsächlich mit diesem Team die erste derartige Operation in Portland durch. Es handelte sich um den erfolgreichen Verschluss eines Ventrikelseptumdefekts bei einem fünfjährigen Mädchen. Ihr Bild schmückte am nächsten Tag die Titelseite von Portlands Lokalzeitung – in Oregon hatte das Zeitalter der offenen Herzchirurgie begonnen.

Etwa vier Wochen später tauchte bei Albert Starr unerwarteter Besuch auf: ein Mensch, dem es bestimmt war, ihren beiden weiteren Leben eine gemeinsame Richtung zu geben. Dieser Mensch war Lowell Edwards. Miles Lowell Edwards wurde am 18. Januar 1898 in Newburg, Oregon geboren (Abb. 2). Er entstammte einer Familie von Pionieren und Unternehmern. So hatte sich sein Vater Clarence 1904 für seine Farm in unmittelbarer Nähe der kleinen Stadt Newburg einen elektrischen Generator zugelegt, den er mit einer Dampfmaschine betrieb, um mithilfe einiger Lampen seine Farm und einige der Straßen von Newburg zu beleuchten. Nur ein Jahr später konnte er die ganze, inzwischen vergrößerte Anlage mit reichlich Profit an die Stadt verkaufen.

Abb. 2
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Miles Lowell Edwards. (Mit freundl. Genehmigung von © Edwards Lifesciences LLC, Irvine, CA, USA. Alle Rechte vorbehalten)

Clarences Sohn Lowell absolvierte in New York ein Ingenieurstudium, das er 1924 erfolgreich abschloss, und anschließend in seine Heimat Oregon zurückkehrte. Hier begann er eine erfolgreiche Karriere mit der Konstruktion von hydraulischen Pumpen, zunächst für die Landwirtschaft, später in größerem Umfang für die Wasserindustrie Oregons. Aus Interesse und zum eigenen Zeitvertreib unterhielt er jedoch in seinem Wohnort Portland weiterhin eine kleinere Mechanik-Firma, „Edwards Developmental Laboratory“. Seine Frau Margarete berichtete, dass Lowell, schon lange im Besitz eigener Fabriken, immer eine eigene Werkstatt in seinem jeweiligen Wohnhaus einrichtete, sodass er jederzeit, und sei es mitten in der Nacht, einer plötzlichen Idee folgend, diese sofort mit eigenen Händen als Prototyp herstellen konnte: „I guess inventors are a queer breed“.

1942 hatten die Ingenieure der Boeing Aircraft Company ein größeres Problem mit ihrem neuen, im II. Weltkrieg einzusetzenden Bomber B52. Sobald die Maschinen einen schnellen Anstieg auf über 20.000 Fuß unternehmen wollten, verloren sie rasch an Leistung. Aus den Pumpen der Motoren verdampfte infolge des niedrigen Luftdrucks in diesen Höhen das heiße Öl. Boeings Ingenieure hatten von Edwards Zentrifugalpumpe gehört, die selbst kochendes Wasser verlustfrei bewegte. Angetrieben von seinem Willen, seinem Land in der Not zu helfen, gelang es Edwards, eine Variation seiner Zentrifugalpumpe zu konstruieren, die das heiße Öl unbeschadet in die Ölleitungen der Motoren transportierte und so das Problem löste. Bis 1945 wurde diese Pumpe in nahezu alle US-Militärflugzeuge eingebaut. Von dieser Zeit an war der erst 47 Jahre alte Lowell Edwards für den Rest seines Lebens finanziell unabhängig.

Mitte Mai 1958 trafen Lowell Edwards und Albert Starr dann ein erstes Mal aufeinander. Al konnte ihn durch sein Office-Fenster kommen sehen. Einem älteren Cadillac-Cabrio entstieg ein grauhaariger, etwas fragil wirkender älterer Mann mit leichtem Parkinson-Zittern, in lockeren Hosen, einem Freizeithemd und einem nicht mehr ganz neuen Sportjackett. Nach einer kurzen, freundlichen Begrüßung kam Edwards schnell zur Sache. Unter Anwendung seiner Kenntnisse über Hydraulik und Pumpentechnik hatte er sich aus Interesse, nach einer eigenen frühkindlichen Erfahrung mit rheumatischem Fieber, mit dem Herzen und dem Kreislauf beschäftigt und war zu der Erkenntnis gekommen: „The heart is just a pump. We could develop an artificial heart because it is not too complicated, but I can’t do it by myself. I need a doctor to help me.“ Nach den Neuigkeiten, die er vor Kurzem in der Zeitung gelesen hatte, sei Starr die richtige Person, an die er sich wenden könne. Trotz des Altersunterschieds von 30 Jahren fanden die beiden Männer bereits bei diesem ersten Besuch Kontakt zueinander, der ihr ganzes weiteres Leben erhalten bleiben sollte. Starr fand jedoch, dass es für ein Konzept für ein ganzes Herz noch zu früh sei, ermutigte Edwards aber, sich mit ihm zusammen, zunächst an die Entwicklung einer künstlichen Herzklappe zu machen, für die in der Herzchirurgie ein umfangreicher Bedarf bestünde. Da für die Aortenklappe durch Charles Hufnagel, Dwight Harken und einige andere bereits Bestrebungen in dieser Richtung im Gang waren, es aber andererseits zahlreiche Patienten gab, die sich durch eine meist rheumatisch zerstörte Mitralklappe in einer schweren und letzten Endes meist tödlich verlaufenden Herzinsuffizienz befanden, fiel die Entscheidung für den Versuch, eine künstliche Mitralklappe zu entwickeln: „Why don’t we start on the mitral? That looks like it might be the toughest one!“ Albert Starr erinnert sich: „We shook hands. In the West that was it.“

Streng genommen musste für die geplante künstliche Herzklappe nichts prinzipiell Neues erfunden werden, sondern lediglich die geeignete Kombination aus bereits Vorhandenem: taugliche Materialien für die einzelnen Bestandteile, ein Mechanismus für die Segelbewegungen, eine sichere Art der Fixierung des Klappenrings und einiges mehr. Der anfängliche Plan war eine Zweisegelklappe mit Stahlring und Segeln aus einem der neuartigen Kunststoffe. Da Lowell Edwards in der glücklichen Lage war, sich nicht mehr mit kommerziellen Aufträgen beschäftigen zu müssen, standen meist in den mindestens wöchentlich stattfindenden Brainstorming-Sitzungen die gerade noch diskutierten Modellvorstellungen als fertige Prototypen zur Verfügung. Die meisten davon waren von Edwards in seinem Entwicklungslabor eigenhändig hergestellt worden. So konnte Albert Starr ab 1958 in seinem Tierlabor ein aktuelles, aber noch immer veränderbares Modell einsetzen und testen, was in einem größeren organisatorischen Rahmen so kaum möglich gewesen wäre. Die Implantation zeigte sich dabei als eher wenig kompliziert, sodass die akuten Ergebnisse meist erfolgreich waren, und die Hunde die Operationen in der Regel mit guter kardialer Funktion überlebten. Die biologischen Probleme erwiesen sich dagegen als bedeutsamer. Unglücklicherweise verstarben fast alle Tiere in den ersten postoperativen Tagen akut durch thrombotische Okklusionen der Öffnungsfläche der Klappensegel. Darüber hinaus entwickelte das Material der Segel rasch eine zu große Steifigkeit, was die Beweglichkeit stark einschränkte. Nach diversen, erfolglosen Verbesserungsversuchen musste deshalb die Vorstellung des Segel-Designs aufgegeben und ein vollständig neues Konzept in Angriff genommen werden.

Auf der anderen Seite des Kontinents, am National Heart Institute in Bethesda, Maryland, arbeitete zu dieser Zeit eine junge Ärztin, Nina Starr Braunwald, die Ehefrau des später weltbekannten Kardiologen Eugene Braunwald. Sie war gerade dabei, sich von Andrew Morrow, dem Chief of the Surgical Branch of the NIH, zur ersten Herzchirurgin der USA ausbilden zu lassen. Wissenschaftlich beschäftigte sie sich, wie Albert Starr in Portland (zu dem jedoch keinerlei verwandtschaftliche oder engere wissenschaftliche Beziehungen bestanden), gleichfalls mit der Entwicklung einer künstlichen Mitralklappe. Nach zahlreichen Versuchen im Tierlabor gelang es ihr dann am 11. März 1960, d. h. fünf Monate vor Albert Starr, bei einer 44-jährigen Frau eine von ihr selbst entworfene künstliche Mitralklappe, allerdings mit flachen Flügeln aus Polyurethan und künstlichen Segelfäden, die Braunwald-Morrow-Klappe, zunächst erfolgreich zu implantieren. Die Patientin verstarb jedoch vier Monate später an den Folgen eines Vorhofflimmerns. Daraufhin hatte Nina Starr Braunwald, zusammen mit ihrem ebenfalls noch jungen Kollegen Dr. Cutter begonnen, eine mechanische Kugel-Klappe, die spätere Braunwald-Cutter-Klappe zu entwickeln, die dann, allerdings erst in den 1970er-Jahren, mit einigen Tausend Exemplaren erfolgreich eingesetzt wurde.

Bereits einige Jahre zuvor, im September 1952 hatte Charles Hufnagel von der Georgetown University, Washington versucht, insuffiziente Aortenklappen durch ein künstliches Teil zu ersetzen. Es bestand aus einem bauchigen Acryl-Tubus, in den eine kleine Silikonkugel eingeschlossen war, die beim diastolischen Blutrückfluss in der Aorta die Röhre nach rückwärts verschloss. Dieses Teil musste, da es noch keine Herz-Lungen-Maschine gab, in die vorübergehend abgeklemmte, eröffnete deszendierende Aorta implantiert werden. Wegen diverser Mängel wurde jedoch die Verwendung dieses Teils als Ersatz für eine defekte Klappe nach einiger Zeit eingestellt. Die Grundidee mit der Kugel in einem Käfig wurde aber nun, einige Jahre später, für Starr und Edwards das neue Konzept für ihre zunächst ungewöhnlich erscheinende Idee der „ball-in-cage valve“, später auch „Kugelklappe“ genannt. Auf einen mit Dacron überzogenen Klappenring aus Metall wurde ein kleiner Fangkäfig mit zwei Drahtbogen aus Edelstahl aufgesetzt. In diesem offenen Käfig befand sich eine bewegliche Kugel aus Acryl, die zur Verminderung des Geräuschs aufeinanderschlagender Teile mit Silikon beschichtet war (z. B. Abb. 3). Diese neue Konzeption einer Herzklappe erforderte die Neukonstruktion von Ring, Kugel, Käfig sowie eine Auswahl neu zu verwendender Materialien und Herstellungsweisen. Bereits drei Wochen nach der gemeinsam entwickelten Vorstellung lieferte Lowell Edwards ein erstes implantierbares Modell! Nach einigen Veränderungen am Klappenring und an den Bügeln des Käfigs zeigten sich bald deutliche Fortschritte mit einem Überleben von 80 % der Tiere über mehrere Monate.

Abb. 3
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Starr-Edwards „ball-cage valve“. (Mit freundl. Genehmigung von © Edwards Lifesciences LLC, Irvine, CA, USA. Alle Rechte vorbehalten)

Im Sommer 1960 sah Herbert Griswold, Chef der Abteilung für Kardiologie, bei einem seiner seltenen Besuche im chirurgischen Tierlabor, erstmals die frei laufenden, munteren, lebendigen Hunde mit der neuen, künstlichen Mitralklappe. Mit großem Erstaunen wandte er sich an Starr: „You know, we have patients in the hospital. I think you should consider operating on them!“ Starr, der bezüglich einer Implantation beim Menschen noch zögerte, besprach sich mit John Englebert Dumphy, dem über den Stand der Tierversuche ebenso wenig informierten Chairman of the Department of Surgery an der Portland-Klinik, und bekam die Antwort: „Oh yeah, I would do it!“ Jetzt waren Albert Starr und Lowell Edwards, der noch nie im Leben bei einer Herzoperation zugegen gewesen war, in der Wirklichkeit des Lebens angekommen. Es gab keinen vorausgegangenen Fall, an dem man sich orientieren konnte; die Food and Drug Administration fühlte sich nicht zuständig für in den Körper zu implantierendes Fremdmaterial, ein offizielles Einwilligungsformular für medizinische Eingriffe gab es zu dieser Zeit ebenfalls noch nicht, für Haftungsfragen und Herstellerrechte wäre eigentlich eine (noch zu gründende) Firma zuständig gewesen, aber die ersten Patienten lagen schon in der Klinik. Für Lowell Edwards, den erfahrenen Wirtschaftsingenieur, war ein derartiges Vorgehen nichts Neues. Durch seinen Anwalt ließ er eine neue Firma gründen, die „Edwards Laboratories“, an der er Albert Starr selbstverständlich zu beteiligen gedachte. Dieser lehnte seinen Anteil vorausschauend wegen eines möglichen „conflict of interest“ ab, wollte dafür aber der neuen Kugelklappe die Bezeichnung „Starr-Edwards“ anstatt der alphabetischen „Edwards-Starr“ zukommen lassen. Das der Klappe zugrunde liegende Patent betraf insgesamt lediglich nur den speziellen, beschichteten Klappenring, da das Kugel-Prinzip ja zuvor bereits bei anderen Klappen Verwendung gefunden hatte. Unterstützt von Starr entwarf derselbe Wirtschaftsanwalt den bis dahin in der Medizin nicht eingeführten schriftlichen „informed consent“ für ein derartiges medizinisches Vorgehen. Alle diese Auflagen waren eine Woche vor dem geplanten ersten Eingriff erledigt. „The secret of getting ahead is getting started“.

Am 25. August 1960 wurde in Portland, Oregon, von Albert Starr und dem von ihm vor Ort ausgebildeten Team die erste von ihm und Lowell Edwards entwickelte und hergestellte „ball-cage-valve“ in Mitralposition implantiert (Abb. 3). Empfängerin war eine 33-jährige farbige Frau, die bereits zweimal an ihrer durch ein rheumatisches Fieber zerstörten Mitralklappe voroperiert worden war. Sie hatte die letzten Monate zuvor mit einer schweren Herzinsuffizienz unter einem Sauerstoffzelt in der Medizinischen Klinik verbracht. Wegen der größeren Verhältnisse beim Menschen sei laut Starr die Operation selbst einfacher als im Tierversuch gewesen und daher schneller verlaufen. Am frühen Nachmittag erwachte die Frau mit einem stabilen Kreislauf aus der Narkose. Kurze Zeit später wurde sie von Howard Phelps, „Chief of the Department of Internal Medicine“, untersucht, der unbedingt den „opening snap“ und den „closing sound“ der künstlichen Herzklappe als Erster hatte hören wollen. Die pathologischen Herzgeräusche waren verschwunden. Phelps beglückwünschte Albert Starr: „Nice job, Al“ – und verschwand! Am Abend wurde wegen einer geringen Luftnot der Patientin eine Röntgenaufnahme des Thorax im Sitzen im Bett angefertigt, bei deren Durchführung sie an einer ausgeprägten Luftembolie des Herzens in den Armen von Albert Starr akut verstarb. Dennoch hatte diese Operation gezeigt, dass mit der Kugelklappe der richtige Weg eingeschlagen war. Bereits vier Wochen später, am 21. September 1960, zeigte sich dies beim zweiten Patienten, einem 52-jährigen Trucker mit einer schweren Mitralinsuffizienz nach zwei vorausgegangenen Kommissurotomien seiner ehemaligen Mitralstenose. Die Operation wurde auf die gleiche Art durchgeführt. Philip Amundsen erholte sich rasch und konnte sechs Wochen nach der Operation unter Antikoagulation nach Hause entlassen werden. Er verstarb zehn Jahre später durch einen Sturz von der Leiter beim Streichen seines Hauses. Die Klappe erwies sich bei der Obduktion als völlig unangegriffen und voll funktionsfähig.

Bis Anfang 1961 waren acht Klappen in Mitralposition implantiert, darunter sechs überlebende Patienten in gutem Allgemeinzustand. Nun drängte es Dumphy, den Allgemeinchirurgen, diese Ergebnisse baldmöglichst an die Öffentlichkeit zu bringen. Er veranlasste Starr zu einem Vortrag vor der „American Surgical Association“ im März 1961 in Florida. Michael de Bakey war der „eingeladene“ sichere erste Diskutant und erledigte seinen Auftrag kollegial. Später, nach der Sitzung, meinte er allerdings zu dem jungen Starr: „… if this application for research would have come into my committee at the NIH, I would have turned it down.“ Andererseits wird die diesem Vortrag zugehörige Veröffentlichung von Albert Starr und Lowell Edwards heute zu den 100 wichtigsten Publikationen in der Herzmedizin gerechnet.

Angesichts der großen Zahl betroffener Patienten ging die weitere Entwicklung nun erwartungsgemäß sehr rasch. Während anfangs die von den Edwards Laboratories hergestellte Klappe von Starr nur an einige erfahrene, bereits zuvor kooperative Zentren zum Einsatz weitergegeben wurde, waren aufgrund der guten Erfahrungen binnen kurzem zahlreiche Kliniken auf der ganzen Welt in der Lage, mit diesem Verfahren Leben zu retten. Über nahezu eineinhalb Jahrzehnte wurde die Starr-Edwards-Klappe in jedem Jahr mehr als 50.000-mal implantiert, bis einige andere alternative mechanische Klappen, und ab Anfang der 1970er-Jahre die biologischen Herzklappen von Alain Carpentier häufiger eingesetzt wurden. Erst im Jahr 2007 wurde die Produktion dieser Kugelklappe endgültig eingestellt.

Da im Gegensatz zu Patienten mit angeborenen Herzfehlern der Transport von Patienten mit schweren Defekten der Herzklappen über weitere Strecken wesentlich gefährlicher sein kann, kamen weniger die Patienten selbst zur Operation nach Portland, als deren Chirurgen aus aller Welt dorthin, um sich die Operationstechnik bei Albert Starr anzueignen. Neben der Herzklappenchirurgie nahm die Klinik in Oregon auch intensiv an den Entwicklungen in der koronaren Bypass-Chirurgie und an der Chirurgie angeborener Herzfehler am offenen Herzen teil. Der Anteil der Herzpatienten an der University of Oregon Medical School war bis 1964 so groß geworden, dass die Entscheidung anstand, diese zu einem größeren Herzzentrum auszubauen, oder die Medical School mit allen anderen Disziplinen als eine universitäre Einrichtung beizubehalten. Auch Albert Starr selbst hatte sich inzwischen unter Berücksichtigung des von ihm selbst geschaffenen Umfelds entschieden, vorliegende Berufungen renommierter amerikanischer Universitäten nicht anzunehmen, sondern in Portland zu bleiben. Seine Frau Victoria und die beiden Kinder Vicky und David waren, wie er selbst, inzwischen mit dem an sich eher entlegenen Oregon so verbunden, dass sie ihn in dieser Absicht bestärkten. Daher kam ihm der Vorschlag des Dean der Medical School der Universität von Oregon sehr entgegen, die inzwischen große herzchirurgische Klinik einschließlich des wissenschaftlichen Labors und unter Mitnahme des von ihm ausgebildeten wissenschaftlichen und klinischen Personals in das Providence St. Vincent Medical Center, Portland zu verlagern. Es handelte sich dabei um die größte Klinik Oregons und das Zentrum eines den ganzen Staat umfassenden Versorgungszentrums, des „Oregon Health & Science Hospital System“. Albert Starr selbst blieb dabei Mitglied der Universität und Professor an der Medical School und operierte weiter an beiden Kliniken. Mit den Möglichkeiten, die sich ihm durch diese Konstellation boten, konnte er sich an allen Entwicklungen der Herzchirurgie in deren fruchtbaren Jahren von 1965 bis 1999, dem Jahr seiner formalen Emeritierung, ausgiebig beteiligen. Diese reichten vom ersten Dreifach-Klappenersatz über die koronare Bypass-Chirurgie (1968) bis zur ersten Herztransplantation in Oregon im Jahr 1985. Im selben Jahr wurde Albert Starr auch zum ersten „Director of the Heart and Vascular Institute of the Providence Health System“ ernannt. Diese überregionale verantwortliche Aufgabe nahm er bis 2010 wahr.

Lowell Edwards wandte sich weiterhin der Entwicklung diverser medizintechnischer Geräte und Erzeugnisse zu, von Herzklappen verschiedenster Bauart über Herzschrittmacher sowie unterschiedlichsten diagnostischen und therapeutischen Herzkathetern. Sein anfangs bescheidenes Edwards Laboratory ging nach seinem frühen Verkauf bereits für 10 Mio. Dollar, später durch Fusionen und Inklusion von mehreren gleichartigen Einrichtungen letztlich in der heutigen „Edwards Life Science Corporation“ in Irvine, Kalifornien, auf. Diese hat heute einen Jahresumsatz von mehr als vier Milliarden Dollar. 1963 wurde der Ingenieur Miles Lowell Edwards von der American Medical Association mit dem Distinguished Service Award ausgezeichnet: „A man of honour and courage, whose inventive genius brought about the development of artificial heart valves, and whose long devotion to human welfare in the science of medicine has given life and hope to victims of heart disease throughout the world.“ Der für die Geschichte der Medizin wohl bedeutendste „Fachmann für Hydraulik und Pumpen“ verstarb 1982 im Alter von 84 Jahren in seiner Heimat Oregon.

Sein 25 Jahre jüngerer Freund und Partner Albert Starr wagte 2011, im Alter von 85 Jahren, noch einmal einen Neuanfang. Seit Jahren bereits im Emeritus-Status, kehrte er als Senior-Professor und Full-Time-Berater an seinen Ursprung, die „Oregon Health & Science University (OHSU)“ zurück. Dies sollte sich, wie so oft in seinem Leben, als Vorteil für alle Beteiligten erweisen. Im folgenden Jahr 2012 stellten nämlich der Mitbegründer und Chairman der Sportartikel-Firma Nike, Phil Knight und seine Frau Penny, im Rahmen einer Stiftung die Summe von 125 Mio. Dollar zur Verfügung, um ein „Institute for Cardiovascular Research and Care at OHSU“ zu gründen. Ziel des Instituts ist es, Kliniker und Grundlagenforscher in einer gemeinsamen Einrichtung zusammenzuführen, um auf kardiovaskulärem Gebiet translational erforschtes neues Wissen unmittelbar zur klinischen Anwendung zu bringen. Seit 2013 ist Albert Starr der Chairman des „OHSU Knight Cardiovascular Institute“.

Im Februar 2016 feierte ein ehemaliger Patient von Albert Starr, der 82-jährige Glenn Baker, ein Jubiläum, das wohl bisher von keinem anderen Menschen erreicht wurde: 50 Jahre zuvor, am 9. Februar 1966, war dem damals jungen Mann im Alter von 32 Jahren eine der ersten Starr-Edwards-Klappen implantiert worden. Diese Klappe war nach mehr als einem halben Jahrhundert noch voll funktionsfähig!