Liebe Leserinnen und Leser,

beim Schreiben dieser Zeilen blicke ich eigentlich in guter Stimmung auf wieder reichlich sonnige Sommertage im bayerischen Alpenvorland zurück. Aber, die Stimmung wird getrübt, betrachtet man nur aktuelle Satellitenaufnahmen mit Wärmebildtechnik, die Regionen mit aktiven oder kürzlich aktiven Waldbränden in Europa zeigen. Bereits am 4. April dieses Jahres erschien passend dazu der 3. und letzte Teil des aktuellen Berichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, 6. Sachstandsbericht) [1]. Die deutsche Übersetzung ist bereits teilweise auf der Homepage der deutschen IPCC-Koordinierungsstelle abrufbar [2]. Der Bericht wurde wie vorhergehende in internationaler Zusammenarbeit vieler Hundert Wissenschaftler auf der Basis bestmöglicher Evidenz erstellt. Zu diesem Erscheinungsdatum ließ der schon einige Zeit zurückliegende Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine dieses global wohl dringlichste Problem unserer Spezies „homo sapiens“ in den Hintergrund treten. Ganz im Gegenteil, drohende Engpässe in der Energieversorgung und wohl zu Recht befürchtete mögliche soziale Verwerfungen bei weiteren Preissteigerungen verführen, alle aufgezeigten Risiken zu missachten und die zweifellos dringlichen Maßnahmen zur Reduzierung oder besser zur völligen Vermeidung weiterer Emission von Treibhausgasen, CO2 im Wesentlichen, deutlich zu verzögern. Dennoch sind die unbestechlichen Zahlen noch ernster, als die uns allen klar vor Augen liegenden Bilder zurückliegender Extremwetterereignisse und aktueller Trockenheit, auch im ansonsten klimatisch verwöhnten Mitteleuropa. Der atmosphärische CO2-Gehalt erreichte im August 2022 einen Wert von 413,8 ppm. Für das vorindustrielle Zeitalter ließen sich aus Eisbohrkernen 280 ppm ermitteln. Der Anstieg der letzten 20 Jahre war trotz zahlreicher Klimakonferenzen der steilste in der Menschheitsgeschichte. Dies bedeutet letztlich, dass ein Klimaziel von max. 1,5 °C globaler Erwärmung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits unrealistisch ist. Die wissenschaftliche Darstellung dieser Tatsache war Thema des ersten Teils des IPCC Report (Arbeitsgruppe I: naturwissenschaftliche Grundlagen). Da die Erstellung dieses Berichts jeweils ca. 7 Jahre erfordert, dürfte es sich wohl um die letzte Warnung gehandelt haben, bevor wir uns definitiv auf einen Weg in Richtung möglicherweise unbewohnbarer Planet begeben. Die Darstellung der drastischen Folgen einer Überschreitung des oben genannten Klimaziels war Hauptthematik des 2. Teils (Arbeitsgruppe II: Anpassung und Verwundbarkeit).

Der aktuelle IPCC Report dürfte die letzte Warnung sein, bevor wir uns gen unbewohnbarer Planet begeben

Nun ist Wissenschaft in ihrer Grundausrichtung positiv. So zeigt der 3. Teil dieses Berichts durchaus mögliche Lösungswege (Arbeitsgruppe III: Minderung des Klimawandels). Es gilt aber, wenn nicht jetzt, dann nie. Das vorhandene Zeitfenster beginnt sich zu schließen. Bekanntermaßen sind die theoretischen Voraussetzungen für eine dekarbonisierte Energieerzeugung geschaffen. Wir verfügen über genügend Wissen und Instrumente, um die Erderwärmung gemäß dem Pariser Klimaabkommen von 2015 zu begrenzen. Dazu zählen neben Wind- und Wasserkraft, Geothermie und Fotovoltaik auch Solarthermie. Gerade letztere Technik, basierend auf spiegelgestützter Hochtemperaturerwärmung geeigneter Trägerflüssigkeiten durch Sonnenlicht, erlaubt im Vergleich zur Fotovoltaik auch die Stromerzeugung in sonnenlosen Phasen. Ein Transport von Gleichstrom unter hoher Spannung ist mit niedrigen Energieverlusten über mehrere Tausend Kilometer möglich [3]. Auch existieren verschiedene theoretische Verfahren zum Entzug von bereits emittiertem CO2 aus der Atmosphäre, am natürlichsten über Bestandsschutz und Aufforstung von Wäldern. Zahlreiche Gesetze und Regulierungen am freien Markt haben sich bereits als effektiv erwiesen. Würden diese global angewandt, wären Emissionen deutlich absenkbar. Weltweit ist zudem zweifelsfrei ausreichend Kapital vorhanden, um die erforderlichen Investitionen zu tätigen.

„Plague, famine and war“ (Seuchen, Hunger und Krieg) waren über die Jahrhunderte die großen Geiseln der Menschheit. Ihre weitgehende Eliminierung war durch zahlreiche Fortschritte in Natur‑, Sozial- und Geisteswissenschaften eigentlich in greifbarer Nähe. Noch besteht die Möglichkeit zu verhindern, dass der drohende Klimawandel alle erreichten Fortschritte wieder zunichtemacht. Erforderlich ist aber eine strikte internationale Kooperation nicht nur der mit dieser Thematik befassten Ingenieur/innen und Wissenschaftler/innen, sondern ebenso der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger/innen. Letztlich sind auch ein persönliches Umdenken und Umsteuern von uns allen unvermeidlich. Im Klartext, Einschränkungen in den gewohnten Lebensweisen von uns Bewohnern entwickelter Länder sind ebenfalls eine Conditio sine qua non.

Trotz allem bin ich persönlich optimistisch und möchte meine eingangs geschilderte positive Grundstimmung rechtfertigen. Mein Optimismus und Glauben in den Fortschritt werden nicht zuletzt auch gestützt durch einen Rückblick auf die kontinuierlich fortschreitenden Verbesserungen der Möglichkeiten zu Prophylaxe, Diagnostik und Therapie in unserem Fachgebiet der Herz-Kreislauf-Medizin. Hier erscheint das hochgesteckte Ziel „niemand soll vorzeitig am Herzen sterben“ in der Tat, wenn wohl nicht völlig so doch näherungsweise erreichbar. Deutlich wird dies auch beim Studium des gelungenen historischen Artikels zu Leben und gemeinsamem Wirken des Arztes Albert Starr (geb. 1926) und des Ingenieures Miles Lowell Edwards (geb. 1898) in dieser Ausgabe. Vergleichen Sie nur den damaligen Stand der Therapie von Herzklappenerkrankungen mit Ihrer jetzigen täglichen Routine. Die erste Implantation einer Starr-Edwards „ball-cage-valve“ erfolgte im August 1960, kein Menschenalter von heute entfernt. Die weitere rasante Fortentwicklung über moderne Kippdeckelprothesen, Bioprothesen und endovaskulär implantierbare Klappen ist Ihnen bekannt. Sie war stets vorangetrieben durch visionären Erfindergeist, gepaart mit interdisziplinärer Kooperation, Ausdauer und evidenzbasierter klinischer Erprobung. Glauben wir also daran, dass das, was in der Medizin gelang und gelingt, auch bezüglich des Klima- und Umweltschutzes möglich sein wird.

Ich habe mir heute den Exkurs in eine fachfremde Thematik erlaubt, da dies das letzte Editorial aus meiner Feder in der Funktion eines stellvertretenden Schriftleiters sein wird. Die Position wird ab dem kommenden Jahr ein noch chirurgisch aktiver Kollege/eine noch chirurgisch aktive Kollegin übernehmen. Ich habe das Amt gerne wahrgenommen, gebe es aber genauso gerne in jüngere Hände. Ich werde der Zeitschrift für Herz‑, Thorax- und Gefäßchirurgie dennoch weiterhin eng verbunden bleiben.

Nun wünsche ich Ihnen, werte Leserinnen und Leser, Zukunftsoptimismus sowie wie immer viel Freude und Erkenntnisgewinn beim Studium dieser Ausgabe der Zeitschrift für Herz‑, Thorax- und Gefäßchirurgie.

Ihr

Prof. Dr. Armin Welz