FormalPara Originalpublikation

Mullan CW, Mori M, Bin Mahmood SU, Yousef S, Mangi AA, Elefteriades JA, Geirsson A (2020) Incidence and characteristics of hospitalization for proximal aortic surgery for acute syndromes and for aneurysms in the USA from 2005 to 2014. Eur J Cardiothorac Surg 58(3):583–589. https://doi.org/10.1093/ejcts/ezaa067.

FormalPara Hintergrund.

Das Aortenaneurysma stellt einen Risikofaktor für das akute Aortensyndrom (thorakale Aortendissektion oder -ruptur) dar, [1] weshalb das Ziel der prophylaktischen Aortenoperation eine Reduktion von akuten Aortensyndromen ist. Diese amerikanische Arbeit [2] beschreibt die zahlenmäßige Entwicklung von elektiven Aneurysmaoperationen und akuten Eingriffen an der proximalen Aorta über einen Zeitraum von 10 Jahren.

FormalPara Methoden.

Für diese retrospektive Studie bediente man sich am „National Inpatient Sample“ (NIS), wobei es sich um eine repräsentative Patientenkohorte aller Hospitalisierungen in den USA handelt. Es wurden somit alle Patienten analysiert, die elektiv prophylaktisch („thorakales Aortenaneurysma“) oder akut („akutes Aortensyndrom“: Aortendissektion oder -ruptur) in den Jahren 2005–2014 an der proximalen Aorta operiert wurden. Thorakale endovaskuläre Interventionen wurden ausgeschlossen.

FormalPara Ergebnisse.

Insgesamt wurden 38.442 akute und 74.953 elektive Patienten erhoben. Sowohl die elektiven (1,75 auf 3,19/100.000 Einwohner, p < 0,001) als auch akuten Eingriffe (0,93 auf 1,63/100.000 Einwohner, p = 0,001) haben im untersuchten Zeitraum zugenommen. Die afroamerikanische Bevölkerung war in der elektiven Kohorte im Verlauf besser, jedoch auch 2015 noch immer unterrepräsentiert. Zusätzlich wurden – als einzige Subgruppe – weißhäutige Patienten häufiger elektiv als akut operiert (84,1 vs. 68,7 %, p < 0,001).

FormalPara Schlussfolgerung.

Im analysierten Zeitraum haben die elektiven Eingriffe an der proximalen Aorta zwar zugenommen, diese Bemühungen haben jedoch nicht zum Rückgang von Akutoperationen geführt. Neben den soziodemografischen Unterschieden unterstreichen die Autoren, dass die aktuellen Leitlinien zur prophylaktischen Therapie von Aortenaneurysmen unzureichend und weitere Studien zur Behandlung der thorakalen Aorta dringend notwendig sind.

Kommentar

Die Aussagekraft der Studie ist von hoher Relevanz, wobei jedoch zu beachten ist, dass anhand der NIS-Daten nicht zwischen präoperativen Komorbiditäten und postoperativen Komplikationen unterschieden werden kann. Auch spezifische herzchirurgische Daten stehen leider nicht zur Verfügung, was die größte Schwäche dieser Arbeit darstellt. Trotzdem präsentiert die Studie eindeutig Ergebnisse der kontinuierlichen Verbesserung der Aortenchirurgie in den USA: Obwohl das Patientenalter (59,6 vs. 60,5 Jahre, p < 0,001) und die Komorbiditäten zugenommen haben, konnten Spitalsmortalität, Aufenthaltsdauer und Behandlungskosten gleichzeitig reduziert werden.

Der uneingeschränkte Zugang zur elektiven herzchirurgischen Versorgung ist offenbar noch immer der weißen Bevölkerung in den USA vorbehalten. Zwar hat der Anteil an elektiven afroamerikanischen Patienten von 2005 bis 2014 zugenommen (3,6 vs. 5,1 %; p < 0,001), jedoch entspricht dies längst nicht dem afroamerikanischen Bevölkerungsanteil (ca. 13 %; [4]). Dieses Problem betrifft auch die anderen Minderheiten: Hispanics, Asians oder Pacific Islanders und Native Americans. Beim akuten Aortensyndrom scheint die Versorgung hingegen ausgeglichen zu sein. Immerhin sind sich die amerikanischen Kollegen ihrer ethnischen Probleme bewusst, während europäische herzchirurgische Studien diese Problematik eigentlich nicht thematisieren [3].

In den Leitlinien für den elektiven Aortenersatz hingegen kämpfen die Amerikaner mit dem gleichen Problem wie wir Europäer [1]: der Indikationsstellung. Eine rezente Arbeit zeigte, dass 87 % aller Patienten mit Typ-A-Dissektion präoperativ einen Aortendiameter < 45 mm und somit keine klare Indikation zum prophylaktischen Aortenersatz hatten [3]. Im klinischen Alltag fällt es (noch?) schwer, eine Aorta unter 45 mm routinemäßig zu ersetzen, obwohl dies für einige Patienten sicher von Vorteil wäre. Die aktuellen Strategien haben jedenfalls keinen Einfluss auf die Inzidenz des akuten Aortensyndroms, sodass neue Risikoparameter wie der indexierte Aortendiameter mit Berücksichtigung der Körpergröße (Aortic Height Index) [5] diskutiert werden müssen. Im Rahmen der Anpassung der Leitlinien ist auch zu berücksichtigen, dass das Risiko für einen elektiven Aorteneingriff in den vergangenen 10 Jahren ebenfalls reduziert wurde (4,0 vs. 2,5 %; p < 0,001), und ein moderates Risiko von 7 % pro Jahr, eine Aortendissektion Typ A zu erleiden [5], heute deutlich über dem des elektiven proximalen Aortenersatzes liegt.

Fazit für die Praxis

  • Die thorakalen Aortenaneurysmen sowie die akuten Aortensyndrome haben in den letzten 10 Jahren zugenommen.

  • Die Aortendiameter vor einer Typ-A-Dissektion liegen oft unter den internationalen Grenzwerten für einen prophylaktischen Aortenersatz.

  • Sozioökonomische Aspekte beeinflussen den Zugang zu Diagnose und Therapie von Aortenaneurysmen.

  • Die Aortenchirurgie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verbessert, benötigt aber noch bessere Risikoparameter (z. B. Aortic Height Index).