Liebe Leserinnen und liebe Leser,

einige von Ihnen mögen sich noch an die groteske Situation erinnern:

Im Rahmen einer internationalen Jahrestagung einer medizinischen Fachgesellschaft wird aus einem Hybrid-OP eine TAVI live in das größte Auditorium der Veranstaltung übertragen. Der Operateur beendet den Eingriff, stellt sich vor den Kathetertisch, auf dem der Patient noch liegt, und beantwortet Fragen aus dem Publikum. Im Hintergrund sieht man währenddessen, unbemerkt vom Operateur, dass das Team um den Anästhesisten den soeben operierten Patienten mit einer Herzdruckmassage reanimiert.

Der Ausgang der Behandlung ist mir nicht bekannt; auch bei mir selber stellte ich einen gewissen Voyeurismus fest, indem ich von dem Drama gefesselt war und das Outcome des Patienten in den Hintergrund rutschte.

Um zu vermeiden, dass solche Szenen in öffentlichen Medien die zweifelslos vorhandene Sensationsgier in der breiten Masse an Zuschauern befriedigen können, hat sich die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie in einem Positionspapier deutlich gegen Live-Übertragungen von Operationen vor einem Laienpublikum, insbesondere im Fernsehen, ausgesprochen. Dieses Positionspapier ist in dieser aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Herz‑, Thorax- und Gefäßchirurgie nachzulesen. Anlass für dieses Positionspapier war kürzlich das Herantreten von Fernsehsendern an herzchirurgische Kliniken in Deutschland mit dem Wunsch, Herzoperationen live übertragen zu dürfen. Lockmittel ist dabei sicherlich, dass der Bekanntheitsgrad der Klinik erhöht wird; aber man male sich aus, was passieren würde, wenn eine lebensbedrohliche Komplikation live gesendet würde – vor Laien und der aufmerksamen Regenbogenpresse …! Die eindeutige Konsequenz, auch im Positionspapier: keine Live-Übertragungen von Operationen vor einem Laienpublikum!

Die Frage, die bleibt, lautet: Sollten Live-Operationen im Rahmen von Fachtagungen für ein ärztliches Publikum gezeigt werden? Das Positionspapier lehnt diese Praxis nicht ab, obwohl nicht ausgeschlossen werden kann, dass unter bestimmten Bedingungen der Patient durch die Live-Übertragung zusätzlich gefährdet wird. In den Annals of Thoracic Surgery erschien 2008 ein bemerkenswertes gemeinsames Positionspapier der amerikanischen herzchirurgischen Fachgesellschaften AATS und STS, welches genau diese Frage diskutierte [1]. Es wird berichtet, dass die Ethics Committees beider Fachgesellschaften empfehlen, im Rahmen der jeweiligen Jahrestagungen auf die Übertragung von Live-Operationen zu verzichten. In den Fachgesellschaften wird daraufhin diskutiert, wie die Verpflichtung zur Weiterbildung gegen eine mögliche Patientengefährdung im Rahmen von Live-Operationen gewichtet werden sollten. Dabei wird unterschieden zwischen 1.) Beobachtung von Live-Operationen (in Deutschland oft nicht möglich, in den USA durch OP-Kuppeln üblich, s. auch Grey’s Anatomy); 2.) Übertragungen von Live-Operationen; 3.) Übertragung von aufgezeichneten Operationen (auch als „life in a box“ bezeichnet). Alle Methoden werden ausschließlich für ein medizinisches Fachpersonal erörtert. Nach ausführlicher Diskussion von Für und Wider kommt das gemeinsame Komitee aus STS und AATS unter anderen zu folgenden Empfehlungen: a) Beobachtung von Live-Operationen zu Weiterbildungszwecken ist eine akzeptierte Methode; b) aufgezeichnete Übertragungen sind Live-Übertragungen zu bevorzugen; c) nationale und internationale kardiochirurgische Fachgesellschaften sollten erwägen („consider“), Live-Übertragungen auf ihren Jahrestagungen vor einem großen Publikum zu verbieten; d) Chirurgen sollten sich grundsätzlich nicht an Live-Übertragungen von Operationen in der Öffentlichkeit beteiligen.

Sie merken, das Thema ist komplex, und ich rate Ihnen zur Lektüre des Positionspapieres. Meinungsbildung ist auch Teil des Auftrages unserer Zeitschrift, zumindest aber die Anregung von kontroversen Gedanken und Diskussionen. Meine persönliche Meinung, die ich mir als Verfasser des Editorials erlaube kundzutun, ist eindeutig: „Live in a box“, am besten nachbearbeitet unter didaktischen Gesichtspunkten, ist der Live-Übertragung von Operationen vorzuziehen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie sich das übertragene Live-Operieren vor einem kritischen Publikum anfühlt, und kann alle in dem amerikanischen Positionspapier angeführten Argumente gegen die Übertragung von Live-Operationen nachvollziehen.

Ihnen, lieben Leserinnen und Lesern, wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Herz‑, Thorax- und Gefäßchirurgie!

Herzlichst,

Ihr

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Klaus Kallenbach