Abraham Rudolph ist wohl der herausragende pädiatrische Kardiologe unserer Zeit. Es wird gesagt, dass niemand mehr zu unserem Wissen über die Pathophysiologie angeborener Herzfehler beigetragen hat als er.

Abraham Morris Rudolph (Abb. 1) wurde am 3. Februar 1924 als viertes von fünf Kindern eines aus Vilnius, Litauen, ausgewanderten Vaters und einer südafrikanischen Mutter in Johannesburg, Südafrika, geboren. Die Begeisterung seines älteren Bruders für das Studium der Medizin brachte auch ihn, ebenso wie seinen jüngeren Bruder, dazu, sich hierfür zu entscheiden. 1946 schloss er als erster Student der University Witwatersrand, Johannesburg, mit der Bestnote in jedem einzelnen Fach ab. Da er noch zu jung war, eine Weiterbildungsstelle bekommen zu können, nahm er für 6 Monate eine Hilfsassistentenstelle in der Anatomie an. Während dieser Zeit lernte er Rohna Sax, eine seiner Studentinnen kennen, die drei Jahre später für 57 gemeinsame Jahre seine Frau werden sollte. Mithilfe eines Stipendiums konnte er zuvor neun Monate in England verbringen, wo es ihm gelang, während dieser relativ kurzen Zeit die Membership des Royal College of Physicians sowohl in London als auch in Edinburgh zu erlangen.

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Abraham M Rudolph. (Zeichnung von Sascha Cherniajev)

1951, drei Wochen nach seiner Rückkehr nach Südafrika, war er verheiratet, begann eine Ausbildung in Pädiatrie und wurde ein Jahr später Vater einer Tochter. Sowohl die gemeinsame Ablehnung der Politik der Apartheid als auch der Mangel an Möglichkeiten zu einer qualifizierten weiteren Ausbildung brachten die junge Familie noch 1951 dazu, zunächst eine unbezahlte Stelle an der Harvard Medical School in Boston in der Hämatologie anzunehmen. Unmittelbar nach der Ankunft in Boston konnte „Abe“, wie er ein Leben lang genannt wurde, jedoch das Angebot des dortigen, ihm bis dahin völlig unbekannten Pädiaters Alexander Nadas annehmen, der mit den Mitteln von 3000 $ aus einem neuen Forschungs-Grant einen jungen Pädiater suchte, der mit ihm zusammen einen Bereich pädiatrische Kardiologie aufbauen sollte. Diese 3000 $ dürften wohl die die beste Investition in die Kinderkardiologie aller Zeiten gewesen sein!

In kurzer Zeit erlernte Abe in Harvard von den Internisten die Technik der Herzkatheterisierung und wandte sie dann bei Kindern an, was damals jedoch erst ab dem 5. Lebensjahr zulässig war. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Tätigkeit im Tierlabor eignete er sich dann auch noch die Fähigkeit zur Katheterisierung sehr kleiner Gefäße an. Während eines Sabbaticals seines Chefs Alexander Nadas führte Abe diese erlernte Technik zur Untersuchung von Säuglingen in der Klinik ein, was anschließend bemerkenswerterweise nicht nur toleriert, sondern auch bald für Frühgeborene weiterentwickelt wurde. Ab 1955 war Abraham Rudolph als neuer Leiter des pädiatrischen Herzkatheterlabors bereits ein gesuchter Mann, um diese Techniken auch an Kollegen aus dem Ausland weiterzugeben.

Nach 9 Jahren Tätigkeit in Harvard, wohin ihm inzwischen sein Johannesburger Freund Julien Hoffmann gefolgt war, wurde Abraham Rudolph 1960 zum Direktor des Albert Einstein College in New York berufen. Zusammen mit seinem jüngeren Kollegen Michael Heymann, ebenfalls aus Südafrika kommend, begann er 1964 erste tierexperimentelle Untersuchungen über den fetalen Pulmonalkreislauf an schwangeren, chronisch instrumentierten Schafen und deren Feten. Diese Untersuchungen führten zu einem neuen, grundlegenden Verständnis der fetalen pulmonalen Zirkulation und der Bedeutung eines persistierenden Ductus arteriosus beim Frühgeborenen mit Atemnotsyndrom.

Zwischenzeitlich war die Reputation Rudolphs und seiner Gruppe so gewachsen, dass er im Sommer 1966 als Professor für Pädiatrie an die University of California, San Francisco (UCSF), berufen wurde. Abe war dabei jedoch lediglich die Vorhut einer „südafrikanischen Invasion“, da sehr bald Julien Hoffmann, Michael Heymann und Norman Silverman nachfolgen sollten. So konnte eine große Serie von Studien fortgesetzt werden, die sich im fetalen Herzen mit möglichen pathologischen Entwicklungen bei zahlreichen „angeborenen“ Herzfehlern befassten. Nach den In-vitro-Entdeckungen der prinzipiellen Möglichkeiten einer Ductus-Manipulation, z. B. Verschluss durch Salizylate, (Thalme, Schweden) bzw. Hemmung des Spontanverschlusses durch Prostaglandine, (Coceani und Olley, Toronto), gelang es der UCSF-Gruppe, dies an lebenden Schafen prä- und postnatal erfolgreich in vivo einzusetzen. Die Übertragung dieser Methoden der Ductus-Manipulation auf Früh- und Neugeborene nahm ihren Weg von Kalifornien aus rasch über die ganze Welt und ist als einer der großen Meilensteine in der pädiatrischen Kardiologie anzusehen.

In den folgenden Jahren veröffentlichte Rudolph mehr als 300 wissenschaftliche Arbeiten in den höchstrangigen kardiologischen, pädiatrischen und neonatologischen Journalen sowie zahlreiche eingeladene Beiträge in entsprechenden Fachbüchern. Sein Hauptwerk stellt jedoch zweifellos eine einzigartige Besonderheit dar. 1974 erschien die Erstauflage unter dem Titel Congenital Diseases of the Heart: Clinical-Physiological Considerations. Es ist ein 646 Seiten starkes, sog. Ein-Mann-Buch, geschrieben in der Ich-Form und enthält außer einigen schematischen Zeichnungen keinerlei andere Abbildungen oder unmittelbar textbezogene Referenzen. Dafür ist neben der Pathophysiologie und Klinik nahezu jeden wichtigen Herzfehlers aber z. B. beschrieben, wie es dazu kam, dass Michael Heymanns Angelschnur zum ersten Führungsdraht bei der Katheterisierung eines fetalen Schafs verwendet wurde.

Eine weitere Aufgabe war die Edition von Rudolph’s Pediatrics, einem über 2000 Seiten starken Standardlehrbuch der Kinderheilkunde, das er zusammen mit Julien Hoffmann und seinem Sohn Colin, ebenfalls einem Pädiater, bis zur 20. Auflage 1996 herausgab.

Auch der Übernahme organisatorischer Führungsaufgaben konnte er sich auf Dauer nicht entziehen. So wurde er u. a. Chairman des Dept. of Pediatrics der UCSF, Präsident der American Society of Pediatrics und Präsident der American Heart Association. 1999 wurde er mit dem John Howland Award geehrt, der höchsten Auszeichnung für Pädiatrie in den USA.

Einen eigentlichen Ruhestand kannte Abraham Rudolph auch nach dem Ausscheiden aus seinem letzten Amt 1994 nicht. Reisen, privat und zu eingeladenen Vorträgen, führten ihn weiterhin in die ganze Welt. Er lebt auch nach dem Tod seiner Frau Rohna 2006 in seinem Haus in Sonoma County – nur einen Steinwurf weit entfernt von einem der feinsten Weingüter Kaliforniens.