Hintergrund

Die funktionelle Mitralklappeninsuffizienz („functional mitral regurgitation“, FMR) wurde sehr lange Zeit nicht nur in ihrer Bedeutung unterschätzt, sondern wurde und wird auch nicht immer richtig erkannt und klassifiziert. Die korrekte Diagnose ist jedoch nicht nur für Therapieentscheidungen und für die Wahl der Rekonstruktionsstrategie Voraussetzung, sondern auch entscheidend für die Erstellung einer Prognose. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es sich im Gegensatz zu den degenerativen Erkrankungen (einschließlich der entzündlichen Klappenerkrankungen sowie der angeborenen Klappenfehler und Bindegewebserkrankungen) nicht um eine Erkrankung der Mitralklappe per se handelt. Man sollte daher besser von primärer und sekundärer Mitralklappeninsuffizienz (MI) sprechen. Die sekundäre MI wurde bisher vorwiegend als auf einer ventrikulären Erkrankung basierend gesehen, nämlich entweder auf einer ischämischen Kardiomyopathie („ischemic cardiomyopathy“, ICMP) oder einer dilatativen Kardiomyopathie („dilated cardiomyopathy“, DCMP; [13]). In den letzten Jahren hat sich aber auch die Diagnose einer sekundären atrialen MI bei Dilatation des linken Vorhofs, meist im Rahmen von chronischem Vorhofflimmern, durchgesetzt [3].

Dies ist von ausschlaggebender Bedeutung, weil sich dadurch die häufig anzutreffende schwere MI trotz normaler Ventrikelfunktion und -geometrie sowie normaler Beweglichkeit der Klappensegel pathophysiologisch richtig einordnen lässt. Entsprechend den Schwierigkeiten der ätiologischen Klassifizierung und pathogenetischen Zuordnung der unterschiedlichen sekundären MI-Typen blieb über lange Zeit auch die wissenschaftliche Bearbeitung der FMR unbefriedigend.

Datenlage

Die im Folgenden besprochenen randomisierten und nicht randomisierten Studien haben in den letzten Jahren entscheidend zum Verständnis der sekundären MI, ihrer Prognose und der Behandlungsmöglichkeiten beigetragen.

Cardiothoracic Surgery Network Trial.

In der randomisierten Studie des Cardiothoracic Surgery Network Trial (CTSNet Trial, [1, 5]) wurde bei Patienten mit schwerer ischämischer MI der Mitralklappenersatz mit der Mitralklappenrekonstruktion durch restriktive Anuloplastie verglichen. Es zeigte sich kein Unterschied in den klinischen Outcome-Parametern, jedoch fand sich eine signifikant höhere Rate von MI-Rezidiven nach restriktiver Anuloplastie. In der Studie nicht weiter diskutiert, aber aus den Grafiken klar abzuleiten, ist jedoch, dass in der Rekonstruktionsgruppe Patienten ohne MI-Rezidiv wesentlich seltener verstarben als in der Klappenersatzgruppe (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Kumulatives Versagen von Mitralklappenrekonstruktion oder -ersatz. FU Follow-up, MI Mitralklappeninsuffizienz ≥2°, MK Mitralklappe. (Aus Goldstein et al. [5])

Daraus könnte gefolgert werden, dass Patienten mit anhaltend gutem Rekonstruktionsergebnis eine deutlich bessere Prognose haben als Patienten mit schlechtem Rekonstruktionsergebnis oder nach Mitralklappenersatz. Dies würde für eine bessere Patientenselektion zu Rekonstruktion bzw. Klappenersatz sprechen. Da als Rekonstruktionstechnik nur die restriktive Anuloplastie Anwendung fand, erlaubt diese Studie keine Aussage über fortgeschrittenere Rekonstruktionstechniken (s. Abschn. „Fortgeschrittene chirurgische Rekonstruktionstechniken“). Rund 30 % der Patienten hatten bereits 30 Tage nach der Operation ein mindestens mittelgradiges MI-Rezidiv, sodass grundsätzlich die Frage nach der Qualität der Rekonstruktionen gestellt werden muss. Drei Viertel der Patienten erhielten eine simultane Bypass-Operation, sodass das Gesamtergebnis auch von der Effizienz der Bypass-Versorgung abhing. Dazu gibt es in dieser Studie keine Angaben. Daher darf dieser CTSNet Trial nicht generell als Nachweis der Qualität beider Operationsmethoden bei der FMR herangezogen werden, sondern ausschließlich für das selektierte Patientengut, nämlich ischämische MI und mit simultan durchgeführter Bypass-Operation in 75 % der Fälle.

Multicentre Study of Percutaneous Mitral Valve Repair with the MitraClip® (Abbott Laboratories, Abbott Structural Heart, 3200 Lakeside Drive, Santa Clara, CA 95054) Device in Patients With Severe Secondary Mitral Regurgitation.

Die Percutaneous Repair or Medical Treatment for Secondary Mitral Regurgitation Studie (MITRA FR, [12]) untersuchte in einem „randomized controlled trial“ (RCT) Patienten mit schwerer sekundärer MI ohne nähere Spezifizierung der Ätiologie, die nicht für eine chirurgische Mitralklappenrekonstruktion geeignet waren. Es wurde die optimale medikamentöse Therapie gegen die interventionelle Mitralklappenrekonstruktion mithilfe des Mitraclip® verglichen. In den klinischen Outcome-Parametern konnte kein Unterschied gefunden werden (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

MITRA-FR: Überleben nach perkutaner „Edge-to-edge“-Plastik oder optimaler medikamentöser Therapie. PR perkutane Rekonstruktion, KT konservative Therapie. (Aus Obadia et al. [12])

Cardiovascular Outcomes Assessment of the MitraClip Percutaneous Therapy for Heart Failure Patients With Functional Mitral Regurgitation.

Im Transcatheter Mitral-Valve Repair in Patients with Heart Failure Trial (COAPT, [14]) wurden 614 Patienten in einem ähnlichen Setting behandelt und untersucht. Auch in dieser Studie wurde keine Unterscheidung hinsichtlich der Ätiologie der sekundären MI getroffen. Die Ergebnisse zeigten im Gegensatz zu MITRA-FR einen signifikanten Unterschied in allen klinischen Outcome-Parametern zugunsten der Device Gruppe (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

COAPT: Freiheit von Rehospitalisation (a), Freiheit von Device-bedingten Komplikationen (b), Rate aller Todesfälle nach perkutaner Edge-to-edge-Plastik oder optimaler medikamentöser Therapie (c). (Aus Stone et al. [14])

Weitere Analysen.

Zahlreiche Analysen der offensichtlich widersprüchlichen Ergebnisse beider Studien MITRA-FR und COAPT wurden inzwischen publiziert [2], deren Aufzählung und Metaanalyse nicht Aufgabe dieses Beitrags ist und sein kann. Dennoch sind wichtige Schlussfolgerungen zu ziehen: COAPT hat gezeigt, dass Maßnahmen zur Reduktion der sekundären MI geeignet sind, Rehospitalisationsrate und Überleben dieser Patienten zu verbessern. Das Stadium der Erkrankung ist entscheidend für das Behandlungsergebnis [6].

In einer Metaanalyse chirurgischer Studien zur Mitralklappenrekonstruktion bei FMR konnte gezeigt werden, dass die Ergänzung einer restriktiven Anuloplastie durch eine subvalvuläre Rekonstruktion mit deutlich besseren Ergebnissen hinsichtlich des Auftretens eines MI-Rezidivs verbunden ist (Abb. 4; [7]).

Abb. 4
figure 4

Metaanalyse chirurgischer Studien: isolierte restriktive Anuloplastie (Gruppe B) vs. Anuloplastie mit subanulärer Rekonstruktion (Gruppe A). Wiederauftreten von Mitralklappeninsuffizienz ≥2° signifikant häufiger in Gruppe B („odds ratio“ 0,27; 95 %-Konfidenzintervall 0,19–0,38; p = 0,0001). (Aus Harmel et al. [7])

Studienergebnisse belegen das bessere Outcome nach restriktiver Anuloplastie und subanulärer Rekonstruktion

Zuletzt wurde eine weitere wichtige chirurgische Studie publiziert [8]: In einer nichtrandomisierten Untersuchung wurde die Wirksamkeit einer die restriktive Anuloplastie ergänzenden subanulären Rekonstruktion in Form des „papillary muscle realignment“ im Vergleich zur alleinigen Anuloplastie untersucht. Beide Behandlungsgruppen waren gleich groß und unterschieden sich nicht signifikant in den Ausgansparametern. Nach 24 Monaten zeigten sich signifikante Unterschiede in allen wichtigen klinischen Outcome-Parametern, einschließlich dem Überleben (Abb. 5 und 6).

Abb. 5
figure 5

Überleben nach isolierter Anuloplastie oder Anuloplastie plus subanulärer Rekonstruktion. (Aus Harmel et al. [8])

Abb. 6
figure 6

Freiheit von Mitralklappeninsuffizienzrezidiv >2° nach isolierter Anuloplastie oder Anuloplastie plus subanulärer Rekonstruktion. (Aus Harmel et al. [8])

Schlussfolgerungen.

Nach Betrachtung dieser wenigen, aber sicherlich wichtigsten Studien zum Thema Behandlung der FMR ist zusammenfassend festzuhalten: Nur ausnahmsweise wird die Ätiologie der Erkrankung angegeben, d. h. die Patientenselektion erfolgte ohne Rücksichtnahme darauf, ob die MI sekundär zu einer ICMP, einer DCMP oder einer linksatrialen Dilatation bestand. Dementsprechend mussten begleitende Revaskularisationseingriffe in meist nicht näher angegebener Häufigkeit erfolgen, und es ist auch wenig über begleitendes Vorhofflimmern bekannt.

Dennoch konnte mit COAPT in einer randomisierten Studie erstmals klar ein Vorteil für die Rekonstruktion der Mitralklappe bei Patienten mit Herzinsuffizienz nachgewiesen werden. Beim Vergleich der chirurgischen Rekonstruktion mit den interventionellen Studien finden sich nach der Operation bessere Ergebnisse hinsichtlich des Überlebens nach 12 und 24 Monaten als nach Intervention. Obwohl die Patienten in diesen Studien nicht sicher vergleichbar sein mögen, kann daraus zumindest abgeleitet werden, dass diese durch die Operation, die in den meisten Fällen minimalinvasiv totalendoskopisch durchgeführt wurde, keinem erhöhten Risiko ausgesetzt waren.

Werden zur restriktiven Anuloplastie ergänzend subanuläre Rekonstruktionstechniken angewandt, steigt das Operationsrisiko nicht, und die Ergebnisse sprechen in allen Studien für eine besseres Outcome hinsichtlich Mortalität, MI-Rezidiv und Rehospitalisation.

Fortgeschrittene chirurgische Rekonstruktionstechniken

Aufgrund der Pathophysiologie sind folgende zwei Ansatzpunkte erforderlich:

Die generalisierte Ventrikeldilatation (DCMP) oder die lokalisierte Ventrikeldilatation (ICMP) führt zu einer Papillarmuskelverlagerung, die das „tethering“ der Mitralklappensegel bewirkt: Die Mitralklappensegel werden nach apikal und posterior gezogen („to tether“: anbinden). Des Weiteren kommt es durch die Ventrikeldilatation und/oder die Vorhoferweiterung zu einer Mitralklappenanulusdilatation.

Daher kann die ursprüngliche Anulusdimension mithilfe einer geeigneten Anuloplastie wiederhergestellt werden. Dies ist bei der atrialen sekundären MI ausreichend. Besteht auch ein Tethering durch eine Ventrikeldilatation wird versucht, die Koaptation beider Mitralklappensegel mithilfe einer „undersized“ Anuloplastie wiederherzustellen. Wie sich gezeigt hat, ist dies nicht mit befriedigenden Langzeitergebnissen verbunden, da keine ausreichende Koaptationshöhe der Segel erreicht wird und der Dilatationsprozess des Ventrikels nicht immer aufgehalten werden kann. Eine Möglichkeit, diese Situation zu verbessern, besteht in einer Patch-Augmentation des hinteren Segels, d. h., dass die Höhe des hinteren Segels über seine ganze Länge oder nur im posteromedialen Anteil vergrößert wird, sodass eine ausreichende Koaptationsfläche mit dem vorderen Segel entsteht [15]. Diese Methode hat sich in kleinen Studien sehr gut bewährt, ist jedoch aufwendig, da lange Nahtreihen anzulegen sind. Zudem haben Patienten mit FMR häufig sehr zarte Segel (es handelt sich ja nicht um eine valvuläre Erkrankung), sodass die Fixation des Patch im Segel nicht immer einfach bzw. sicher ist. Auch handelt es sich, wie bei der restriktiven Anuloplastie, um eine unphysiologische, palliative Maßnahme. Daher ist es sinnvoll, das Tethering durch die Papillarmuskeldislokation mit subvalvulären Techniken direkt zu behandeln. Einerseits existieren Papillarmuskel approximierende Techniken, andererseits die Papillarmuskelrelokation.

Das einfache „papillary muscle realignment“ eignet sich für den endoskopischen Zugang

Zur Approximation der Papillarmuskeln ist die „Papillary muscle sling“-Technik geeignet [9]. Eine kleinkalibrige (5 mm) Polytetrafluorethylen(PTFE)-Gefäßprothese wird zwischen Ventrikelwand und Papillarmuskeln um diese herumgeführt, zusammengezogen und in sich vernäht. Die Distanz der Papillarmuskel wird beliebig verkleinert und damit der Zug an den Mitralklappensegeln vermindert. Bei der „Papillary muscle sandwich“-Technik [10] werden beide Papillarmuskel zwischen Teflonfilz-Patches aneinandergenäht. Auch diese Techniken sind relativ komplex und kaum in minimalinvasiver Ausführung möglich. Mithilfe eines „ring plus string“ werden die Papillarmuskeln über geeignete, an den Papillarmuskeln inserierte und durch den vorderen Mitralklappenanulus nach außen gestochene Nähte am gefüllten, schlagenden Herzen unter transösophagealer Echokardiographie(TEE)-Kontrolle anuluswärts gezogen und in dieser Position fixiert [11]. Die Ringanuloplastie ist auch hier Basis dieser Technik.

Die von Girdauskas et al. publizierte Technik des „papillary muscle realignment“ [4] hat den großen Vorteil der Einfachheit, da die Nähte, mit denen die Papillarmuskeln anuluswärts gezogen werden, noch am kardioplegierten Herzen geknotet werden und zudem die Technik sehr gut für den endoskopischen Zugang geeignet ist (Zusatzmaterial online: „Papillarmuskelrelokation“). In Abb. 7 ist das Vorgehen bei der Papillarmuskelrelokation gezeigt. Am hinteren und am vorderen Papillarmuskel wird jeweils ein mit Teflonfilz unterlegter 3‑0-e-PTFE-Faden als U‑Naht angebracht, ungeknüpft durch den hinteren Anulus und später durch den Anuloplastiering geführt. Nach Fixation des Rings wird der Ventrikel mit Kochsalzlösung gefüllt, die Relokationsnähte werden so weit angezogen, bis die Koaptationslinie beider Mitralklappensegel deutlich atrialwärts verlagert ist und dann geknotet.

Abb. 7
figure 7

Intraoperatives Bild einer Papillarmuskelrelokation. (Zusatzmaterial online: „Papillarmuskelrelokation“)

Resümee

Die Frage nach dem Stellenwert der Chirurgie bei FMR im Zeitalter der interventionellen Edge-to-edge-Verfahren ist also positiv zu beantworten. Voraussetzung für die erfolgreiche chirurgische Behandlung ist zunächst die präzise Diagnostik hinsichtlich pathologisch-anatomischer und pathophysiologischer Charakteristika der sekundären MI, die Hinweise auf die anzuwendende Technik und die Rezidivwahrscheinlichkeit bei alleiniger Anuloplastie gibt. Weitere Voraussetzung ist eine fortgeschrittene chirurgische Technik. Am besten sollte die Möglichkeit zur minimalinvasiven Operation mit endoskopischer Bildgebung gegeben sein. Diese Vorgaben machen die Behandlung der FMR in einem „heart valve center“ unabdingbar.

Allerdings existieren derzeit – und möglicherweise auch künftig – keine randomisierten Studien zu diesem Thema. Diese erfordern einen enormen organisatorischen und finanziellen Aufwand, der nur von der Industrie oder von staatlichen Institutionen getragen werden kann. Da ein finanzieller Gewinn durch die chirurgische Behandlung der FMR für die Industrie nur in geringem Maß zu erwarten ist, wird es wahrscheinlich schwierig werden, Sponsoren zu finden.

Fazit für die Praxis

  • Es gibt keinen Grund zu chirurgischer Resignation. Die in den letzten Jahren publizierten chirurgischen und interventionellen Daten zeigen deutlich, dass es für jede infrage kommende Technik – chirurgisch und interventionell – gute Indikationen mit befriedigenden Erfolgsaussichten gibt.

  • Das Konzept „one size fits all“ ist für die Behandlung der funktionellen Mitralinsuffizienz (FMR) genauso inakzeptabel wie für andere herzchirurgische/kardiologische Fragestellungen.

  • Im Herz-Team, das ohne finanzielle oder sonstige Zwänge arbeitet, kann mit großer Wahrscheinlichkeit die für den individuellen Patienten optimale Therapie gefunden werden.