Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe der Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie beschäftigen sich gleich 2 Beiträge mit einem komplizierten, aber relevanten Problem in der Herzchirurgie: die perioperative Gerinnungshemmung. Schwere Kost! Herr Albes aus Bernau beschreibt in einer sehr pointierten Übersicht „Gerinnungsmanagement in der Herzchirurgie – aktuelle Strategien“ die Möglichkeiten und Grenzen derzeitiger Therapieempfehlungen. Er geht dabei auch auf die Problematik der heparininduzierten Thrombozytopenie Typ II ein: Nach vorheriger Heparinexposition entstehen immunvermittelt Antikörper gegen Thrombozyten, die in Verbindung mit einer erneuten Heparinexposition Komplexe bilden, die dann vermehrt abgebaut werden oder sogar agglomerieren: Thrombozytopenie und arterielle Gefäßverschlüsse können die Folge sein. Herr Eichler aus Dortmund geht in seinem Beitrag „Heparininduzierte Thrombozytopenie“ noch detaillierter auf diese klinisch relevante Problematik ein. Vieles dabei ist noch unklar, insbesondere, warum Patienten mit identischen Laborbefunden unterschiedliche klinische Symptome ausbilden. Die genaue Prävalenz ist unklar. Allerdings entwickeln bis zu 50% aller Patienten nach herzchirurgischen Eingriffen HIT-Antikörper, deren Vorhandensein sich allerdings nur bei einem geringen Teil der Betroffenen als floride HIT-II manifestiert. Herr Eichler zitiert 2 Arbeiten von Koster et al. und Schenk et al., wonach Patienten nach Implantation von „assist devices“ bis zu 8  % mit klinischer HIT diagnostiziert wurden – ein großes Problem für eine spätere Herztransplantation. Der Anteil derer, die mit der Diagnose HIT-II zur elektiven Herzoperation vorgestellt werden, ist bedeutend geringer, aber in beiden Fällen stellt sich das gleiche Problem: Wie „fährt“ man die Antikoagulation bei vorliegender HIT-II im Rahmen einer Herzoperation unter Nutzung der Herz-Lungen-Maschine (HLM)? Hier ist die Labordiagnostik entscheidend: Ein ELISA-Suchtest weist das Vorliegen der Antikörper nach. Es gibt viele positive Ergebnisse ohne klinisches Korrelat einer HIT-II, die man aber natürlich nicht ignorieren darf. Entscheidend ist der funktionelle heparininduzierte Plättchenaggregationstest (HIPA), der tatsächlich nachweist, ob die Antikörper zur Aggregation der Thrombozyten führen. Ist dieser Test positiv, verbietet sich die alleinige Form der Heparinexposition; bei negativem Befund ist die intraoperative Antikoagulation mit Heparin das empfohlene Verfahren.

Perioperative Gerinnungshemmung ist ein relevantes Problem in der Herzchirurgie

Aber wie fährt man nun die HLM bei positivem HIPA-Test? Beide Autoren listen die derzeit verfügbaren Ersatzmedikamente auf, die ausnahmslos Probleme in Anwendung und Steuerbarkeit zeigen: Hirudin (Refludan®), lange Zeit bei HIT-II eingesetzt, ist in Europa nicht mehr auf dem Markt; Bivalirudin mit kurzer Halbwertszeit ist bei Kardiotechnikern gefürchtet, da Totwasserareale im Reservoir zur frühzeitigen Koagelbildung führen können; Danaparoid und auch Argatroban stellen, aufgrund der schlechten Steuerbarkeit nur eine Therapieoption der 2. Wahl dar. Persönlich erinnere ich den tragischen Fall eines Patienten mit Assist device und HIT-II, der unter Argatroban herztransplantiert wurde und letztendlich an einer unstillbaren diffusen Blutung verstarb.

Ein schon länger bekanntes Verfahren sollte aber unbedingt als gangbare Option erwähnt werden: die Antikoagulation während der HLM mit Heparin unter Schutz mit einem Prostaglandinderivat (Iloprost oder Epoprostenol), einem potenten Thrombozytenaggregationshemmer [1, 2, 3]. Iloprost verhindert die Agglutination der Plättchen auch unter Heparin bei HIT-II, führt aber wegen der gefäßerweiternden Wirkung zu einem relevanten Blutdruckabfall, sodass höhere Dosierungen von z. B. Arterenol unter der HLM notwendig sind. Die Antagonisierung des Heparins erfolgt wie üblich mit Protamin; postoperativ muss dann auf die oben erwähnten Ausweichmedikamente wie z. B. Argatroban zur Antikoagulation gewechselt werden, was aber in diesem Setting wesentlich unkomplizierter als unter HLM ist. Dieses Vorgehen ist im Rahmen des letzten Herbsttreffens der Kardioanästhesisten der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI) ausführlich diskutiert worden und wird von vielen Kliniken als Konzept präferiert. Hier ist die Klink schneller als die Wissenschaft: Zu diesem Vorgehen fehlen prospektive Studien; in den aktuellen Leitlinien von 2012 wird das Iloprostverfahren daher nur kurz erwähnt [4].

Liebe Leserinnen und Leser, Sie sehen, dass diese schwere Kost relevant für unser Fach ist und dass die sorgfältige Aufarbeitung, also aufwendiges Kauen derselben notwendig ist, um die verschiedenen Facetten zu verstehen und damit arbeiten zu können. Bitte lesen Sie beide Publikationen aufmerksam; ich kann sie wärmstens empfehlen. Möge diese Einführung in das Thema beim Verdauen des Gelesenen helfen!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Klaus Kallenbach