Zusammenfassung
Eine 70-jährige Patientin wird wegen akuter einseitiger Erblindung des rechten Auges vorgestellt. Bei unauffälligem C‑reaktivem Protein (CRP) und Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) wird ein nichtarteriitischer embolischer Verschluss angenommen. Die weitere Anamnese ergibt jedoch den Verdacht auf eine Großgefäßvaskulitis, welcher durch die folgende bildgebende Diagnostik bestätigt wird. Dieser seltene Fall einer Großgefäßvaskulitis bei normwertigen Entzündungsparametern betont die Bedeutung von Anamnese und gezielter Diagnostik.
Abstract
A 70-year-old female patient presented with unilateral blindness of the right eye. As C‑reactive protein (CRP) and the erythrocyte sedimentation rate (ESR) were inconspicuous, a nonarteritic embolic occlusion was assumed; however, after detailed anamnesis large vessel vasculitis (LVV) appeared more likely, which was confirmed by the subsequent imaging diagnostics. This rare case of LVV without an increase in one of the inflammatory parameters CRP or ESR highlights the importance of the medical history and targeted diagnostic procedures.
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Anamnese
Eine 70-jährige Patientin wird wegen akut aufgetretener Erblindung des rechten Auges in der Notaufnahme vorgestellt und in der Klinik für Augenheilkunde aufgenommen. Der einseitigen Erblindung vorausgegangen waren Schmerzen von Schulter und Nacken, beginnend 2 Monate vor Aufnahme, zudem Kieferschmerzen bei längerem Kauen. Vier Wochen zuvor war eine plötzliche, passagere Diplopie aufgetreten. Die Akutdiagnostik im heimatnahen Krankenhaus ergab seinerzeit bei unauffälliger kranialer Computertomographie (cCT), unauffälliger nativer kranialer Magnetresonanztomographie (cMRT) und fehlenden laborchemischen Entzündungszeichen (s. Tab. 1) den Verdacht einer transitorisch ischämischen Attacke. Zwei Tage vor akuter Aufnahme bestand eine Amaurosis fugax des rechten Auges. Eine Allgemeinsymptomatik lag zu keiner Zeit vor.
An relevanten Nebenerkrankungen bestand eine arterielle Hypertonie. Kardiovaskuläre Ereignisse in der Vorgeschichte wurden nicht berichtet.
Diagnostik
Bei Aufnahme beträgt die Sehschärfe rechts Handbewegungen, bei Entlassung nulla lux. Die Fundoskopie beschreibt eine ödematöse, blasse Papille, eine Tortuositas der Gefäße, eine Ischämiebande der inferioren Hälfte und einen Hemizentralarterienverschluss. CRP und BSG sind bei Aufnahme und im Verlauf normal (Tab. 1). CCT mit Angiographie an Tag 1 ohne Vaskulitis-typische Veränderungen. Die cMRT mit Kontrastmittel (KM) an Tag 3 weist eine Vaskulitis mit Manifestation in den Aa. temporales superficiales nach (Abb. 1). Die rechtsseitige A. temporalis superficialis sowie der Ramus frontalis der kontralateralen Arterie sind verschlossen. Die [18F]-FDG-PET/CT vom selben Tag ergibt Stoffwechselsteigerungen insbesondere in der A. vertebralis beidseits (Abb. 2) sowie geringer in der A. carotis interna, in der Bauchaorta und in den Beinarterien, gut vereinbar mit Riesenzellarteriitis. Eine Temporalisbiopsie wurde von der Patientin abgelehnt.
Diagnose
Großgefäßvaskulitis (Synonym: Riesenzellarteriitis [RZA]) mit Beteiligung supraaortaler Arterien und anteriorer ischämischer Optikusneuropathie (AION) bei normwertigen systemischen Entzündungsparametern (CRP/BSG).
Therapie und Verlauf
Zunächst erfolgte eine Bolusgabe von Methylprednisolon 1000 mg i.v. an Tag 1 bis 3, gefolgt von Prednisolon (PDN) p.o. (Beginn mit 60 mg/Tag). Eine Verbesserung des Visus am rechten Auge trat nicht ein. Das linke Auge war weder zu Beginn noch im Verlauf betroffen. Eine steroidsparende Therapie (Methotrexat bzw. Tocilizumab) wurde empfohlen, von der Patientin jedoch abgelehnt. Die Reduktion von PDN wurde entsprechend den bekannten Behandlungsempfehlungen durchgeführt [4]. Weitere Manifestationen einer Großgefäßvaskulitis sind bisher nicht aufgetreten.
Differenzialdiagnostisch fanden sich keine Hinweise für eine infektiös bedingte Vaskulitis, eine andere entzündlich rheumatische Systemerkrankung, eine hereditäre Angiopathie oder eine IgG-4-assoziierte Erkrankung.
Diskussion
Der vorliegende Fall beschreibt die zunächst uncharakteristisch und vieldeutig wirkende Manifestation einer seltenen entzündlichen Erkrankung. Dies hat Auswirkungen auf die Latenz von Beschwerdebeginn bis Diagnosestellung und damit wesentliche Konsequenzen auf Morbidität und Prognose. Es stellt sich die Frage, wie eine verzögerte Diagnosestellung bei Großgefäßvaskulitis in entsprechenden Konstellationen verhindert werden kann.
Die Großgefäßvaskulitis präsentiert sich zumeist mit suggestiver Leitsymptomatik und einer Erhöhung der systemischen Entzündungsparameter CRP und BSG. Diese sind in Verbindung mit der klinischen Symptomatik und der Bildgebung auch zur Fallklassifikation sowie der Definition von Remission und deren Verlaufskontrolle geeignet [4].
Isoliert normwertige CRP- oder BSG-Resultate werden in ca. 5–22 % der Fälle gemessen [5,6,7,8,9]. Dass sowohl CRP als auch BSG wie in diesem Fall normal gemessen werden, gilt als sehr selten (< 3 %).
Die sorgfältige Wertung der anamnestischen Angaben und eine nach Verfügbarkeit und Sensitivität bzw. Spezifität gestaffelte Diagnostik (klinische Untersuchung, farbkodierte Duplexsonographie [FKDS] der Kopf‑/Halsarterien und der A. axillaris, hochauflösende MRT der Aorta bzw. der Kopf‑/Halsarterien, [18F]-FDG-PET) erscheinen am ehesten geeignet, die Frühdiagnostik der Großgefäßvaskulitis zu verbessern [1, 2].
Wertvoll waren in diesem Fall eine rheumatologische Systemanamnese mit gezielter Abfrage der Leitsymptome einer Großgefäßvaskulitis sowie die strukturierte Bildgebung. Eine Strukturierung der Diagnostik durch Flussschemata hilft, die klinische Wahrscheinlichkeit einer Großgefäßvaskulitis einzuschätzen (s. Abb. 3).
Unklar ist noch, ob die laborchemische Erstdiagnostik und Verlaufskontrolle bei Großgefäßvaskulitis mit anderen Akute-Phase-Proteinen wie Komplementfaktoren oder Pentraxin‑3 [3, 10] optimiert werden können. Die Kontrolle der Bildgebung sollte unter Berücksichtigung der betroffenen Gefäßabschnitte in Frequenz und Methodenauswahl an die konkrete Situation angepasst werden. [18F]-FDG-PET-Untersuchungen zur Verlaufskontrolle sind in diesem Kontext nur in Subpopulationen der Betroffenen indiziert [11].
Fazit für die Praxis
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Normwertige Entzündungsparameter schließen eine Großgefäßvaskulitis nicht aus und können daher zur deutlichen Diagnoseverzögerung führen.
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Eine gezielte Anamnese zu Leitsymptomen einer Großgefäßvaskulitis sollte bei Verdachtsmomenten erfolgen.
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Diagnosesicherung gelingt über objektivierbare Befunde wie FKDS, CTA, hochauflösende MRT/cMRT-Angiographie, [18F]-FDG-PET.
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Eine Strukturierung der Diagnostik durch Flussschemata hilft, die klinische Wahrscheinlichkeit einer Großgefäßvaskulitis einzuschätzen
Literatur
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