Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags …

  • kennen Sie die Charakteristika der Immunglobulin-A-Vaskulitis (IgAV),

  • können Sie die IgAV von Differenzialdiagnosen abgrenzen,

  • wissen Sie, bei welcher Befundkonstellation eine Nierenbiopsie indiziert ist,

  • verwenden Sie die erhobenen Befunde zur Steuerung der Therapien.

Definition

Die Immunglobulin-A-Vaskulitis (IgAV), früher als Purpura Schönlein-Henoch (PSH) bezeichnet, ist eine immunkomplexvermittelte Vaskulitis, die sich durch Ig(Immunglobulin)A1-dominante Immunablagerungen in den kleinen Gefäßen auszeichnet und sich häufig an der Haut, dem Gastrointestinaltrakt, den Gelenken und den Nieren manifestiert [1].

Epidemiologie

Die IgAV ist die häufigste systemische Vaskulitis im Kindesalter mit einer geschätzten jährlichen Inzidenz von 3–27,2/100.000 [2, 3]. Je nach Kohorte treten bis zu 90 % aller IgAV bei Kindern auf, meist zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr. Bei Erwachsenen wird entsprechend eine deutlich niedrigere jährliche Inzidenz von 0,8–2,2/100.000 beschrieben [3]. In den meisten Kohorten werden etwas mehr männliche als weibliche Patienten beschrieben (1,5:1).

Der Verlauf der Erkrankung, insbesondere der renalen Beteiligung, ist häufig bei Erwachsenen komplizierter als bei Kindern, bei denen eine Ausheilung die Regel ist, und führt häufiger zur Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz [3, 4].

Merke

Die IgAV ist bei Erwachsenen seltener als bei Kindern, verläuft dann allerdings häufig komplizierter.

Pathogenese

Die Pathogenese der IgAV ist wie bei den meisten entzündlich rheumatischen Erkrankungen nicht abschließend geklärt. Charakteristisch ist die Bildung und Ablagerung von IgA1-Immunkomplexen. Dabei weist das im Serum zirkulierende IgA1 eine verminderte Glykosylierung (insbesondere Galaktosylierung) auf und wird daher als galaktosedefizientes IgA1 (Gd-IgA1) bezeichnet. Durch seine spezifischen biochemischen Eigenschaften neigt das Gd-IgA1 zur vermehrten Ablagerung im Gewebe und Bindung an Matrixkomponenten, zur Bildung von Immunkomplexen (unter Beteiligung des löslichen IgA-Rezeptors) und spielt darüber hinaus möglicherweise als Autoantigen eine Rolle für die Bildung von Anti-Gd-IgA1-IgG-Autoantikörpern, die die Immunkomplexbildung weiter verstärken. Gd-IgA1 konnte bei IgAV-Patienten in der Niere und der Haut nachgewiesen werden. Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) legen eine genetische Prädisposition nahe, die das Auftreten und den Verlauf der Erkrankung beeinflussen kann. Insbesondere fanden sich Polymorphismen in HLA-Klasse-II-Genen (u. a. HLA-DQ und HLA-DRB1) sowie in Genen, die für immunologische Mediatoren wie Interleukine (IL) (u. a. IL-18) oder für Regulatoren der Endothelfunktion („endothelial nitric oxide synthase“ [eNOS]) kodieren, die ins Komplementsystem oder die Barrierefunktion des Darms involviert sind [5].

Assoziationen

Die IgAV tritt insbesondere bei Kindern gehäuft im Herbst und Winter und nach Infektion im Respirations- oder Gastrointestinaltrakt auf. Diverse Pathogene werden als Trigger diskutiert, darunter Streptokokken, Staphylococcus aureus, Parvoviren, Helicobacter pylori, Hepatitisviren und zuletzt auch SARS-CoV‑2 [6]. Pharmakovigilanzanalysen geben auch Hinweise auf Medikamenten-assoziierte IgAV v. a. in Zusammenhang mit TNF(Tumornekrosefaktor)-α-Inhibitoren, unter anderem in der Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen [7], sowie mit Antibiotika und Impfungen [8]. Zudem wird eine Assoziation mit malignen Erkrankungen, v. a. soliden Tumoren beschrieben. Hiernach sollte insbesondere bei Auftreten einer IgAV im Erwachsenenalter mit prolongiertem oder refraktärem Verlauf gesucht werden [9, 10].

Merke

Als Trigger einer IgAV werden insbesondere Infektionen und Medikamente diskutiert.

Klassifikation

Zur Klassifikation der IgAV wurden verschiedene Klassifikationskriterien vorgeschlagen. Die ersten und vermutlich bekanntesten hierunter sind die ACR(American College of Rheumatology)-Klassifikationskriterien aus dem Jahr 1990. Bei Nachweis von ≥ 2 der Kriterien kann eine IgAV mit einer Sensitivität und Spezifität von je etwa 87 % von anderen Vaskulitiden unterschieden werden (Tab. 1; [11]).

Tab. 1 Klassifikationskriterien der Immunglobulin-A-Vaskulitis (IgAV) von ACR (American College of Rheumatology) (1990) und EULAR (European League against Rheumatism)/PRINTO (Paediatric Rheumatology International Trials Organization)/PRES (Paediatric Rheumatology European Society) (2010)

In der Definition der Chapel Hill Consensus Conference (CHCC) von 2012 wird die IgAV als Vaskulitis mit IgA1-dominanten Immunablagerungen in den kleinen Gefäßen definiert, die sich häufig an der Haut, dem Gastrointestinaltrakt, den Gelenken und den Nieren manifestiert [1].

Durch eine Initiative der EULAR (European League against Rheumatism), der PRINTO (Paediatric Rheumatology International Trials Organization) und der PRES (Paediatric Rheumatology European Society) wurden 2010 neue Klassifikationskriterien für die IgAV im Kindesalter publiziert [12]. Diese Kriterien konnten sich auch in einer Erwachsenenkohorte mit einer Sensitivität von 99,2 % und einer Spezifität von 86 % bewähren und scheinen damit auch für Erwachsene besser geeignet als die älteren ACR-Kriterien [13]. Es sei betont, dass Klassifikationskriterien dazu dienen, Patientenpopulationen für Studien zu definieren und um verschiedene Vaskulitisformen voneinander zu differenzieren. Für eine Diagnosestellung im engeren Sinne sind die Kriterien nicht geeignet, wobei sie natürlich hierfür auch oft im Alltag Anwendung finden.

Klinische Manifestation der Immunglobulin-A-Vaskulitis

Die klassische Trias der IgAV umfasst eine palpable Purpura ohne Vorliegen einer Thrombozytopenie oder Koagulopathie, Arthralgien/Arthritiden und abdominelle Schmerzen. Diese Trias ist – besonders im Kindesalter – so typisch, dass die Diagnose in der Regel rein klinisch gestellt werden kann.

Haut

Die palpable Purpura findet sich initial in ca. 75 % der Fälle, im weiteren Verlauf in bis zu 100 %. Sie tritt insbesondere im Bereich der unteren Extremitäten auf, bei Erwachsenen gelegentlich auch zusätzlich an den oberen Extremitäten und am Körperstamm (Abb. 1). Histologisch zeigt sich eine leukozytoklastische Vaskulitis, die jedoch nicht immer mit nachweisbaren IgA-Ablagerungen einhergehen muss.

Abb. 1
figure 1

Palpable Purpura der unteren Extremitäten einer jungen Frau mit einer Immunglobulin-A-Vaskulitis (IgAV). a Übersicht beider Beine mit Pflaster nach Haut-PE (Probeexzision). b Detailaufnahme. Bildnachweis: Eigenes Foto mit Genehmigung der Patientin.

Gelenke

Arthralgien mit oder ohne Nachweis einer Arthritis sind in ca. 84 % der Fälle beschrieben. Klassisch ist ein akuter Beginn mit meist oligoartikulärem Befall großer Gelenke der unteren Extremität.

Gastrointestinaltrakt

Bei mehr als der Hälfte der Patienten treten im Verlauf der Erkrankung kolikartige abdominelle Schmerzen auf, die mit Übelkeit und Erbrechen einhergehen können. Bei 50 % der Patientin kann okkultes Blut im Stuhl nachgewiesen werden. Schwere Verläufe mit gastrointestinalen Hämorrhagien, Ischämien bis Nekrosen, Invaginationen und Perforationen treten auf, sind allerdings glücklicherweise selten.

Nieren

Renale Manifestationen im Rahmen einer IgAV finden sich bei Kindern in 20–50 % der Fälle, bei Erwachsenen deutlich häufiger (76 %) [14]. Urinanalytisch zeigen sich meist ein nephritisches Sediment mit glomerulärer Hämaturie und eine milde Proteinurie (< 1 g/24 h bzw. 1000 mg/g Kreatinin). Während die Nierenbeteiligung bei Kindern milder verläuft und meist ohne spezifische Therapie komplett ausheilt, sind bei Erwachsenen rezidivierende Verläufe (20 %) und ein erhöhtes Risiko einer terminalen Niereninsuffizienz (11 %) beschrieben [15]. Prognostisch ungünstige Faktoren sind insbesondere eine Proteinurie > 1 g/24 h, eine eingeschränkte glomeruläre Filtrationsrate (GFR), eine arterielle Hypertonie und das Ausmaß an interstitieller Fibrose und Sklerose der Glomeruli in der Histologie bei Erstdiagnose.

Die Nierenbeteiligung im Rahmen einer IgAV (IgAV-Nephritis; IgAV-N) ist histologisch nicht von einer IgA-Nephropathie (IgA-N) zu unterscheiden, verläuft jedoch häufig aggressiver und nicht selten als rapid progressive Glomerulonephritis (RPGN) oder als nephrotisches Syndrom. Inwieweit es sich hierbei um zwei unterschiedliche Erkrankungen oder um eine unterschiedliche Ausprägung eines Krankheitsspektrums handelt, wird weiterhin kontrovers diskutiert [16].

Weitere Manifestationen

In seltenen Fällen können auch weitere Organsysteme betroffen sein. Eine entsprechende Symptomatik sollte jedoch immer zunächst an andere Vaskulitiden oder Differenzialdiagnosen denken lassen. Kardiopulmonale Manifestationen wie alveoläre Hämorrhagien, Myokarditis und Arrhythmien können auftreten, sind jedoch sehr selten im Rahmen einer IgAV. Hier sollten insbesondere ANCA(antineutrophile zytoplasmatische Antikörper)-assoziierte Vaskulitiden und eine antiglomeruläre Basalmembran-Erkrankung (Anti-GBM-Erkrankung, Goodpasture-Syndrom) ausgeschlossen werden. Beschrieben sind auch urologische Manifestationen, insbesondere des Skrotums, die wie eine Hodentorsion imponieren können. Differenzialdiagnostisch wäre dann aus dem Formenkreis der Vaskulitiden insbesondere an eine Polyarteriitis nodosa (PAN) zu denken. In wenigen Fallberichten wird auch eine mögliche, passagere Beteiligung des zentralen oder peripheren Nervensystems beschrieben. Auch in diesem Fall sollte unbedingt eine Differenzialdiagnostik zu anderen Vaskulitiden erfolgen. Eine Augenbeteiligung (Uveitis, Keratitis) spricht ebenso eher für eine andere Erkrankung wie ein Behçet-Syndrom oder eine ANCA-assoziierte Vaskulitis.

Merke

Bei Vorliegen einer typischen Trias (palpable Purpura, Arthralgien/Arthritiden, abdominelle Schmerzen) kann die Diagnose einer IgAV – besonders im Kindesalter – in der Regel rein klinisch gestellt werden.

Diagnostik und Differenzialdiagnostik

Die Diagnose einer IgAV beruht auf der charakteristischen klinischen Manifestation (s. oben). Insbesondere bei inkompletter oder untypischer Symptomatik kann die Diagnosestellung jedoch deutlich erschwert sein, und es ist eine weiterführende serologische und histopathologische Diagnostik zur Abgrenzung gegenüber Differenzialdiagnosen erforderlich.

Cave

Insbesondere bei inkompletter oder untypischer Symptomatik ist eine weiterführende Diagnostik zur Abgrenzung gegenüber Differenzialdiagnosen erforderlich.

Labordiagnostik

Die Labordiagnostik umfasst ein Differenzialblutbild, CRP (C-reaktives Protein), BSG (Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit), GOT (Glutamat-Oxalacetat-Transaminase), GPT (Glutamat-Pyruvat-Transaminase), GGT (Gamma-Glutamyl-Transpeptidase), AP (alkalische Phosphatase), LDH (Laktatdehydrogenase), Albumin, Kreatinin und eGFR (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate) sowie eine Urinanalyse (Urinstatus, Urinsediment, Albumin-Kreatinin-Ratio im Spoturin). Da diese Befunde unspezifisch sind, dienen sie lediglich der Evaluation von möglichen Organmanifestationen oder Begleiterkrankungen bzw. anderen Differenzialdiagnosen.

Bei unklarer Symptomkonstellationen mit Vorliegen einer Purpura können eine normwertige oder erhöhte Thrombozytenzahl und eine unauffällige Gerinnungsdiagnostik die Diagnose einer IgAV unterstützen und eine Koagulopathie ausschließen. Eine Anämie sollte an eine gastrointestinale Manifestation denken lassen. Die akute Phase-Proteine sind häufig normwertig. Obwohl erhöhte Entzündungsparameter nach bakteriellen Triggern auftreten können, sollte dies immer an andere Differenzialdiagnosen denken lassen.

Im Serum finden sich in bis zu 70 % der Fälle erhöhte IgA-Level, die mit einer renalen Manifestation assoziiert zu sein scheinen [17]. Als Biomarker für die Erkrankung ist dieser eher unspezifische Marker jedoch nicht etabliert. Auch eine direkte Messung des Gd-IgA1 ist bisher trotz zahlreicher experimenteller Arbeiten zu diesem Thema in der klinischen Anwendung nicht etabliert.

Bei schweren Verläufen, insbesondere dem Vorliegen eines akuten Nierenversagens bzw. einer RPGN, sollte eine Abklärung hinsichtlich anderer entzündlich rheumatischer Autoimmunerkrankungen erfolgen. Primär umfasst diese die Bestimmung von PR(Proteinase)3- und MPO(Myeloperoxidase)-ANCA, Kryoglobulinen und Komplementfaktoren C3 und C4. Eine Komplementverminderung kann auch im Rahmen einer IgAV in ca. 15 % der Fälle auftreten [18]. Je nach klinischer Manifestation sind ggf. auch antinukleäre Antikörper (ANA) und extrahierbare nukleäre Antigene (ENA), Rheumafaktoren und Anti-CCP(zyklisches citrulliniertes Peptid)-Antikörper sowie Antikörper gegen glomeruläre Basalmembran (Anti-GBM-Antikörper) zu bestimmen. Bei gastrointestinaler Symptomatik wird eine Untersuchung auf okkultes Blut im Stuhl empfohlen. Eine infektiologische Diagnostik ist nur bei Verdacht auf einen entsprechenden Trigger oder in den seltenen Fällen einer immunsuppressiven Therapie erforderlich. Hier sollte v. a. der Ausschluss einer Hepatitis-B- und -C-Virusinfektion erfolgen.

Bildgebende Diagnostik

Der Stellenwert der bildgebenden Diagnostik liegt im Ausschluss von Komplikationen, insbesondere bei ausgeprägter abdomineller Symptomatik. Je nach Fragestellung und Schweregrad kommen die Sonographie, konventionell radiographische Verfahren, CT(Computertomographie)- und MRT(Magnetresonanztomographie)-Diagnostik und die Endoskopie zum Einsatz. Im Rahmen einer gastrointestinalen Beteiligung finden sich CT-graphisch beispielsweise eine Darmwandverdickung, dilatierte Darmschlingen sowie intramurale oder submukosale Hämatome [19].

Biopsie

Bei Kindern mit typischer klinischer Präsentation ist eine histologische Sicherung der Diagnose nicht notwendig. Bei untypischer oder inkompletter Präsentation sowie moderater bis schwerer Nierenbeteiligung sollte eine Biopsie angestrebt werden. In der Hautbiopsie zeigt sich histopathologisch eine unspezifische leukozytoklastische Vaskulitis, in der direkten Immunfluoreszenz können die pathognomonischen IgA-Ablagerungen nachgewiesen werden (Abb. 2). Allerdings gelingt dieser Nachweis nicht in allen Fällen und sollte bei typischer Präsentation nicht an der Diagnose zweifeln lassen.

Abb. 2
figure 2

a PAS(„periodic acid–Schiff reaction“)-Histologie einer Nierenbiopsie mit den typischen glomerulären Veränderungen: Pfeilspitzen: mesangiale Matrixvermehrung und Hyperzellularität, Sternchen: endokapilläre Hyperzellularität. b Die immunhistochemische Ig(Immunglobulin)A-Färbung zeigt eine deutliche Positivität (rot) in den Mesangiumfeldern. Bildnachweis: Prof. T. Wiech, Nephropathologie, UKE.

Eine Nierenbiopsie ist bei einer Einschränkung der Nierenfunktion und/oder einer signifikanten, persistierenden Proteinurie spätestens ab > 1 g/Tag indiziert [20]. In der Histopathologie zeigen sich eine Verbreiterung der Mesangialfelder mit Mesangiumzellproliferation sowie die charakteristischen mesangialen IgA-Ablagerungen. Je nach Aktivitätsgrad lassen sich häufig eine Vermehrung von Entzündungszellen in den glomerulären Kapillaren (endokapilläre Hyperzellularität) und bei schweren Fällen auch glomeruläre Nekrosen mit Halbmondbildung nachweisen.

Merke

Eine Nierenbiopsie ist bei einer Einschränkung der Nierenfunktion und/oder einer signifikanten, persistierenden Proteinurie indiziert.

Management/Therapie

Das Management der IgA-Vaskulitis ist – insbesondere bei Kindern – vor dem Hintergrund des häufig selbstlimitierenden Verlaufs meist primär symptomorientiert und supportiv. Der Therapiealgorithmus orientiert sich an der Organmanifestation und der Schwere der Erkrankung (Abb. 3). Eine prophylaktische Therapie mit Glukokortikoiden ist nicht indiziert, da es keine Evidenz für eine Vermeidung renaler oder gastrointestinaler Manifestationen gibt.

Abb. 3
figure 3

Management der Immunglobulin-A-Vaskulitis (IgAV) unter Berücksichtigung der Organmanifestation und der Schwere der Erkrankung. RAS Renin-Angiotensin-System, eGFR errechnete glomeruläre Filtrationsrate, RPGN rapid progressive Glomerulonephritis, RR Blutdruck, CYC Cyclophosphamid, AZA Azathioprin, MMF Mycophenolat-Mofetil, RTX Rituximab, CyA Cyclosporin A, CVR kardiovaskuläre Risikofaktoren, SGLT „sodium-glucose cotransporter“, RCT randomisiert kontrollierte Studie

Merke

Im Management der IgAV ist – insbesondere bei Kindern– meist eine symptomorientierte und supportive Therapie ausreichend.

Supportive Therapie

Die supportive Therapie umfasst in jedem Fall ein Flüssigkeitsmanagement und eine adäquate analgetische Therapie. Hierbei sollte insbesondere bei renaler oder gastrointestinaler Manifestation nach Möglichkeit auf nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) verzichtet werden. Alternativ können Paracetamol oder Metamizol angewendet werden. Die Mehrzahl der Fälle kann auf diese Weise in einem ambulanten Setting behandelt werden. Eine stationäre Aufnahme kann bei schweren Verläufen indiziert sein, insbesondere bei schwerer renaler oder gastrointestinaler Beteiligung, neuropsychiatrischen Auffälligkeiten, Notwendigkeit einer intravenösen Flüssigkeitssubstitution oder immobilisierenden Schmerzen.

Therapie der Hautmanifestationen und der des Bewegungsapparates

In den meisten Fällen ist eine bedarfsorientierte Therapie mit Analgetika ausreichend. Die Hautmanifestation der IgAV ist bei Kindern und Erwachsenen meist selbstlimitierend mit einer Resolution der Symptomatik innerhalb von etwa 2 bis 4 Wochen. Der Einsatz von Glukokortikoiden wird kontrovers diskutiert, obwohl er in der Praxis sicher häufig durchgeführt wird. Bei schweren Manifestationen wie Hautnekrosen und immobilisierenden Arthralgien/Arthritiden sollte eine Glukokortikoidtherapie aber sicher erwogen werden. In den Empfehlungen der SHARE-Initiative gibt es hierzu aber keine eigenständige Dosierungsempfehlung, nach Expertenmeinung kann die Dosierung analog zu anderen schweren Manifestationen der IgAV mit 1–2 mg/kgKG (Körpergewicht) (maximal 60 mg/Tag) gewählt werden. Der Einsatz weiterer Immunsuppressiva ist in der Regel nicht nötig. Bei (führend) kutaner Manifestation ist die Mitbehandlung durch Kolleg:innen der Dermatologie zur Festlegung der Lokaltherapie und ggf. anderer Therapieregime sinnvoll. Hier wäre – je nach Erfahrung mit den Substanzen– u. a. Dapson oder Colchicin empfohlen. In der Literatur wird für Colchicin bei isolierter kutaner Vaskulitis eine Dosierung von 0,5 mg 2‑mal täglich beschrieben, der Stellenwert dieser Therapie wird in einer laufenden Studie evaluiert (COLCHIVAS).

Therapie der gastrointestinalen Manifestation

Bei den häufig milden Verläufen ist eine symptomatische Therapie mit bedarfsorientierter analgetischer Therapie bei abdominellen Schmerzen und einem Flüssigkeitsmanagement ausreichend. Schwere Verläufe mit Hämorrhagie, Ischämie, Perforation oder Invagination erfordern ein interdisziplinäres Management gemeinsam mit Gastroenterolog:innen und/oder Chirurg:innen zur Evaluation von interventionellen und chirurgischen Therapieoptionen. In diesen Fällen sollte auch eine Glukokortikoid- oder auch Immunsuppressionstherapie analog zu schweren renalen Manifestationen erwogen werden, wenngleich die Evidenz bei unzureichender Datenlage und kontroversen Studienergebnissen auch hierfür gering ist.

Therapie der Immunglobulin-A-Vaskulitis-assoziierten Nephritis

Die Therapie der renalen Manifestation im Rahmen einer IgAV sollte in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit einem (Kinder‑)Nephrologen erfolgen. Das Management orientiert sich an den Empfehlungen der KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) [20] und den pädiatrischen Empfehlungen der SHARE-Initiative [21], an den Empfehlungen zu ANCA-assoziierten Vaskulitiden und zur IgA-Nephropathie (IgA-N). Initial erfolgt eine Evaluation der Erkrankungsschwere und des Risikos für einen progressiven Verlauf anhand der Proteinurie, der glomerulären Filtrationsrate (eGFR) und des Blutdrucks. Diese Parameter sollten – auch bei initial unauffälligen Befunden – im Verlauf engmaschig kontrolliert werden, da eine renale Beteiligung auch noch im Verlauf manifest werden kann bzw. sich auch bei initial milder renaler Beteiligung ein rasch progressiver Verlauf entwickeln kann. Während bei milden Urinauffälligkeiten (milde Mikrohämaturie, Proteinurie < 0,5 g/g) mit normaler Nierenfunktion in der Regel auf eine Nierenbiopsie verzichtet werden kann, sollte (zumindest bei Erwachsenen) bei höhergradiger Proteinurie (> 0,5 g/g) oder Verdacht auf einen rapid progressiven Verlauf immer eine Nierenbiopsie zur Diagnosesicherung und prognostischen Einschätzung angestrebt werden.

Merke

Die Therapie der IgAV‑N richtet sich nach der Erkrankungsschwere und dem Risiko eines progressiven Verlaufs, die anhand der Proteinurie, der glomerulären Filtrationsrate (eGFR) und des Blutdrucks evaluiert werden.

Supportive Therapie der IgAV-assoziierten Nephritis

Ein wichtiges Standbein der Therapie der chronischen Verläufe der IgAV‑N ist in Analogie zur IgA-Nephropathie ohne Vaskulitis die optimierte supportive Therapie.

Zusätzlich zur oben beschriebenen allgemeinen supportiven Therapie sollte bei chronischer Nierenbeteiligung besonders auf eine Optimierung des Blutdrucks mit Zielblutdruckwerten < 125/75 mm Hg geachtet werden. Primär sollten hier ACE(Angiotensin-Converting-Enzyme)-Hemmer oder AT1-Blocker angewendet werden und – aufgrund ihrer blutdruckunabhängigen nephroprotektiven Wirkung – immer schrittweise auf die maximal zugelassene (bzw. maximal tolerable) Dosierung gesteigert werden. Da bei allen chronischen Nierenerkrankungen das kardiovaskuläre Risiko deutlich erhöht ist, ist des Weiteren eine Evaluierung und Optimierung kardiovaskulärer Risikofaktoren und des Lebensstils entscheidend. Dazu gehört neben absoluter Nikotinkarenz und Anstreben eines Normalgewichts insbesondere die risikoadaptierte, d. h. hier v. a. nierenfunktionsadaptierte, Einstellung des LDL(Low-Density-Lipoprotein)-Cholesterins nach aktuellen Guidelines (ESC Guideline 2019). Je nach Grad der Nierenfunktionseinschränkung gelten hier LDL-Cholesterin-Zielwerte von < 70 mg/dl (eGFR 30–60) oder sogar < 55 mg/dL (eGFR < 30). Eine milde Nephritis (Proteinurie < 0,5 g/Tag, geringe Mikrohämaturie, normwertige eGFR) sollte anhand der oben genannten Parameter engmaschig verlaufskontrolliert werden. Eine RAS(Renin-Angiotensin-System)-Blockade mit einem ACE-Hemmer oder einem AT1-Blocker kann auch in diesem Stadium erwogen werden. Bei einer Proteinurie > 0,5 g/Tag wird eine RAS-Blockade in jedem Fall empfohlen. In allen stabilen Stadien mit nachweisbarer Nierenfunktionseinschränkung und/oder signifikanter Proteinurie sollte auch die Gabe von SGLT(„sodium-glucose cotransporter“)-2-Inhibitoren erfolgen, die in aktuellen Studien eine signifikante Verbesserung des Nierenüberlebens bei Patient:innen mit chronischen Nierenerkrankungen sowie auch bei der IgA‑N (ohne Vaskulitis) gezeigt haben [22, 23, 24].

Induktionstherapie

Eine Nierenbiopsie ist bei einer zunehmenden Einschränkung der Nierenfunktion und/oder einer signifikanten, persistierenden Proteinurie zur Diagnosesicherung, Prognoseabschätzung und zum Ausschluss konkurrierender Diagnosen indiziert. Die initiale Induktionstherapie richtet sich nach der Schwere der Nierenbeteiligung. Da keine hochqualitativen, randomisiert kontrollierten klinischen Studien zur Induktionstherapie der IgAV‑N verfügbar sind, empfehlen die KDIGO Guidelines, wie unten weiter ausgeführt, eine Therapie in Analogie zu anderen Erkrankungen. Im Folgenden werden die Guideline-Empfehlungen wiedergegeben und durch die gängige Praxis bzw. Expertenmeinung der Autor:innen ergänzt.

  • In Fällen mit einer rasch zunehmenden Nierenfunktionseinschränkung (rapid progressive Glomerulonephritis [RPGN]) und einem hohen Prozentsatz an glomerulären Nekrosen (> 25 % Halbmonde) in der Nierenbiopsie ist die unverzügliche Einleitung einer hochpotenten immunsuppressiven Induktionstherapie analog zur ANCA-assoziierten Vaskulitis notwendig. Hier kommt insbesondere eine intravenöse Glukokortikoidstoßtherapie gefolgt von oralen Glukokortikoiden (Startdosis 1 mg/kg, Tapering über 6 Monate) in Kombination mit Cyclophosphamid (CYC) i.v. in Betracht. Dieses Vorgehen wird auch von der KDIGO-Leitlinie 2021 vorgeschlagen.

  • Beim klinischen Bild eines nephrotischen Syndroms (Ödeme, Hypalbuminämie, Proteinurie > 3,5 g/g Kreatinin) und erhaltener eGFR kann zunächst ein Therapieversuch mit Prednisolon-Monotherapie p.o. erfolgen. Bei Nichtansprechen nach 4 bis 8 Wochen kann dann eine Eskalation mit Gabe von Cyclophosphamid i.v. erwogen werden. Hierzu finden sich keine Empfehlungen in den Guidelines. Es handelt sich daher um die Expertenmeinung der Autor:innen.

  • In Abwesenheit von Anzeichen für einen RPGN-Verlauf oder ein nephrotisches Syndrom wird zunächst eine 3‑ bis 6‑monatige Optimierung der supportiven Therapie empfohlen (v. a. RAS-Blockade, optimales RR-Management, SGLT2i-Therapie). Bei einer Proteinurie von > 1 g/g Kreatinin, die trotz 3‑ bis 6‑monatiger optimaler supportiver Therapie persistiert, kann ebenfalls eine orale Gabe von Glukokortikoiden (Startdosis 1 mg/kg, Tapering über 6 Monate) erwogen werden. Diese Therapie erfolgt in Analogie zur IgA-Nephropathie ohne Vaskulitis (KDIGO Guidelines 2021). Hier muss immer eine ausführliche Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Dies gilt insbesondere bei höhergradig chronisch eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR < 30–50), die meist durch Immunsuppression nicht wesentlich verbessert werden kann und unter der deutlich erhöhte Nebenwirkungsraten zu erwarten sind.

Bei Kontraindikationen gegen oben genannte Therapien oder einer ungünstigen Risiko-Nutzen-Abwägung einer länger dauernden, hoch dosierten Glukokortikoidtherapie, kommen Rituximab (RTX) [25], Azathioprin [26] oder Mycophenolat-Mofetil (MMF) [27] in Betracht sowie in Ausnahmefällen Ciclosporin A (CyA), das aufgrund der bekannten Nephrotoxizität bei Nierenbeteiligung eher zurückhaltend eingesetzt werden sollte.

Erhaltungstherapie

Der Stellenwert einer Erhaltungstherapie ist bei IgAV unklar. In Analogie zur ANCA-assoziierten Vaskulitis kann bei initial schweren organ- bzw. lebensbedrohlichen Verläufen eine Erhaltungstherapie mit Azathioprin über 12 bis 24 Monate durchgeführt werden.

Prognose der Immunglobulin-A-Vaskulitis-assoziierten Nephritis

Die Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz im Langzeitverlauf (5 bis 25 Jahre) der IgAV-assoziierten Nephritis wird in verschiedenen retrospektiven Kohortenanalysen mit 11–27 % angegeben [15, 28, 29]. Eine höhergradige Einschränkung der Nierenfunktion (GFR < 50 ml/min oder Verdopplung des Serumkreatinins) kommt bei einem weiteren Viertel der Patient:innen im Verlauf vor [15, 28].

Prädiktoren für eine Progression der Niereninsuffizienz sind, neben einer bestehenden Nierenfunktionseinschränkung und einer Hypertonie bei Diagnosestellung sowie chronisch irreversiblen Veränderungen in der Nierenhistologie v. a. eine persistierend hohe Proteinurie im Follow-up [15, 28, 29]. Eine vollständige renale Remission scheint unter den in diesen retrospektiven Analysen uneinheitlich verwendeten Therapieregimen nur bei 20–40 % erreichbar zu sein. Rezidive der extrarenalen Manifestationen (v. a. Haut) scheinen häufig zu sein (40–50 %), sind jedoch glücklicherweise meist nicht von einer erneuten renalen Beteiligung begleitet [15, 29].

Fazit für die Praxis

  • Die Immunglobulin-A-Vaskulitis (IgAV) manifestiert sich häufig mit einer palpablen Purpura, Arthralgien oder Arthritiden, Glomerulonephritis und abdominellen Schmerzen und kann anhand der charakteristischen Klinik diagnostiziert werden.

  • Bei inkompletter oder atypischer klinischer Präsentation sind eine klinische, serologische, apparative und ggf. histologische Diagnostik zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung wichtig.

  • Eine Nierenbiopsie ist bei zunehmender Einschränkung der Nierenfunktion und/oder signifikanter, persistierender Proteinurie zur Diagnosesicherung, Prognoseabschätzung und zum Ausschluss konkurrierender Diagnosen indiziert.

  • Der Verlauf ist insbesondere bei Kindern meist unkompliziert und selbstlimitierend, eine symptomorientierte supportive Therapie ist meist ausreichend.

  • Bei Organ- oder lebensbedrohlichen Manifestationen ist eine immunsuppressive Therapie analog zu ANCA(antineutrophile zytoplasmatische Antikörper)-assoziierten Vaskulitiden und der Ig(Immunglobulin)A-Nephropathie indiziert.