Der Zeitpunkt der fachspezifischen Erstversorgung ist weichenstellend für den weiteren Krankheitsverlauf entzündlich rheumatischer Erkrankungen: Die frühe Diagnosestellung und Therapieeinleitung sowie die Weiterbehandlung nach dem Treat-to-Target-Prinzip zur Remissionserreichung sind wesentliche prognostische Faktoren. Bei verzögerter Therapieeinleitung kann trotz des Einsatzes innovativer Medikamente meist nur noch die Progression der Erkrankung aufgehalten oder verlangsamt, die entstandenen Schäden können jedoch nicht mehr rückgängig gemacht werden [12, 19]. Zugleich stehen der Frühversorgung regional erhebliche Kapazitätsengpässe mit langen Wartezeiten auf den rheumatologischen Erstabklärungstermin entgegen, die v. a. durch Facharztmangel, bürokratische Hürden und hohe Fehlzuweisungsquoten begünstigt werden [2, 12, 25]. Eine kurzfristige Lösung dieser Kapazitätsauslastung durch einen deutlichen Anstieg an rheumatologischen Vollzeitstellen ist nicht zu erwarten [2, 25]. Daher haben rheumatologische Zentren in vielen Regionen Deutschlands den Prozess durch eigene Frühversorgungskonzepte optimiert und fortwährend weiterentwickelt [2]. Wesentliche Bausteine solcher Versorgungsmodelle sind einerseits die gezielte Umstrukturierung der Kapazitäten, Zugangswege und Versorgungsprozesse hin zur schnelleren und effizienteren Erstversorgung Neuerkrankter v. a. mithilfe sog. Früh- und Screeningsprechstunden [2]. Zusätzlich können neue Kapazitäten in rheumatologischen Zentren durch stärkere Einbindung von nichtärztlichem Personal (Delegation) [7] sowie durch Nutzung digitaler Tools [23] in der Patientenversorgung erschaffen werden.

Eine Kooperation etablierter Zentren führte zu dem Konsens, dass entsprechende Versorgungsmodelle unabhängig vom gewählten Konzept v. a. dann erfolgreich sind, wenn sie bei der Auswahl und Umsetzung der individuellen Bausteine die lokalen Besonderheiten berücksichtigen [2]. Die daraus resultierende Pluralität an Frühversorgungskonzepten spiegelt die heterogene Versorgungslandschaft in Deutschland wider. Im Dialog mit neuen Zentren zeigt sich, dass dem gemeinsamen Ziel einer flächendeckenden Frühversorgung einerseits oft Unsicherheit entgegensteht, welches Konzept lokal geeignet sein könnte, und andererseits interne und externe Herausforderungen die Implementierung erschweren. Daher geben nachfolgend 4 Standorte mit bereits evaluierten Frühversorgungsmodellen einen transparenten Einblick in ihre jeweiligen Ausgangssituationen und Entwicklungsetappen, um den Erfahrungsaustausch und den gemeinsamen Dialog zur Verbesserung der Frühversorgung bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen weiter zu fördern. Die wichtigsten Charakteristika und Kennzahlen der 4 Modelle sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Übersicht der wichtigsten Charakteristika der Standorte und ihrer Frühversorgungskonzepte

Entwicklungsetappen der Frühversorgung an 4 etablierten Standorten

Erster Standort: MVZ MED|BAYERN OST Altötting  · Burghausen und InnKlinikum Altötting und Mühldorf

Entwicklungsetappen einer Telefontriage zur Frühversorgung an einer nichtuniversitären, überregionalen Schwerpunkteinrichtung

PD Dr. med. M. Feuchtenberger, Dr. med. A. Nigg

Standortsituation

Die ambulante Versorgung fußt auf 2 KV(Kassenärztliche Vereinigung)-Zulassungen (Versorgungsumfang 3,0) innerhalb des MVZ MED|BAYERN OST (Trägerschaft InnKlinikum). Im Jahr 2021 wurden durchschnittlich pro Quartal 3000 PatientInnen ambulant betreut. Der Anteil an Neuvorstellungen betrug ca. 20 %. Das Einzugsgebiet umfasst etwa 300.000 Einwohner in einer überwiegend ländlich geprägten Region im Südosten Bayerns ohne weitere ambulante oder stationäre Einrichtungen mit Schwerpunkt Rheumatologie in den versorgten Landkreisen. Im ambulanten Bereich der Rheumatologie arbeiten 14 medizinische Fachangestellte (davon 5 mit der Zusatzqualifikation „rheumatologische Fachassistenz“), 3 Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Rheumatologie und 1 Ärztin in Weiterbildung. Die Sektion Rheumatologie kann auf bis zu 8 Betten für stationär behandlungspflichtige Fälle zugreifen und ist innerhalb der Medizinischen Klinik II angesiedelt. Das InnKlinikum Altötting und Mühldorf verfügt an 4 Standorten in den Landkreisen Altötting und Mühldorf (Oberbayern) über insgesamt 870 Betten und ist akademisches Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Rheumatologische Schwerpunktpraxis (im Verlauf MVZ MED|BAYERN OST) und die Sektion wurden im Jahr 2011 neu gegründet. Es besteht die volle Weiterbildungsbefugnis seitens der Bayerischen Landesärztekammer für den Schwerpunkt Rheumatologie.

Projektziel

Zu Beginn erfolgte das Einbestellen von PatientInnen für kurze Zeit in der Reihenfolge des Eingangs der Terminanfragen. Es wurde schnell klar, dass ein derart unselektiertes Vorgehen für eine leitliniengerechte Versorgung nicht geeignet ist. Es bedurfte somit eines Instruments zur Identifikation von anfragenden PatientInnen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer entzündlich rheumatischen Erkrankung. Hierdurch sollte bei PatientInnen mit einer entzündlich rheumatischen Erkrankung eine frühe fachärztliche Diagnostik und therapeutische Intervention sichergestellt werden. Das Ziel war von Anfang an, eine sowohl praxisintern als auch bei den Zuweisern Ressourcen schonende Abschätzung der Dringlichkeit einer rheumatologischen Vorstellung vorzunehmen.

Evolutionsschritte

Erste Phase (2012).

Es wurden zunächst 3 Terminkategorien mit unterschiedlicher Dringlichkeit und damit Wartezeit auf den rheumatologischen Facharzttermin definiert: Notfalltermin, Früharthritis- und Elektivsprechstunde. Für die Zuordnung wurde eine Telefontriage mit folgenden Kriterien etabliert:

  • Notfalltermin:

    • Anfrage nach einem dringlichen Termin durch zuweisende Praxis oder Klinik aufgrund hoher Dringlichkeit gemäß Einschätzung der zuweisenden Einrichtung,

  • Früharthritissprechstunde:

    • entzündlich rheumatische Erkrankung bekannt (Katalog an Diagnosen) oder

    • Beschwerden ≤ 12 Monate oder

    • Laborwerte mit Auffälligkeiten (CRP [C-reaktives Protein], Blutsenkung, Rheumafaktor, ACPA [Antikörper gegen zyklische citrullinierte Peptide], ANCA [antineutrophile zytoplasmatische Antikörper] oder ANA [antinukleäre Antikörper] positiv),

  • Elektivsprechstunde:

    • keine Zuordnung zur Notfall- oder Früharthritissprechstunde gemäß oben genannten Kriterien.

Die Qualität der Priorisierung wurde fortlaufend evaluiert. Voraussetzung war die komplette Abwicklung der Dokumentation in digitaler Form und die Verwendung von EMIL® (Vorgänger von RheMIT Plus®; ITC-Service, Marburg, Deutschland). In einer ersten Auswertung aus den Jahren 2015 und 2016 mit 1782 Erstvorstellungen konnte bei 718 Patienten (40,3 %) eine entzündlich rheumatische Erkrankung diagnostiziert werden (s. Tab. 1). Diese verteilten sich wie folgt auf die Terminkategorien: 26,2 % in der Elektivsprechstunde, 49,2 % in der Früharthritissprechstunde (p < 0,001) und 56,6 % in der Notfallsprechstunde (p < 0,001). Allein auf Basis der Telefontriage konnten 61,2 % der PatientInnen der richtigen diagnostischen Kategorie (entzündlich vs. nichtentzündlich) zugeordnet werden. Die Hinzunahme des CRP im Rahmen der Terminzuteilung führte zu einer Erhöhung auf 67,1 %. Die Terminkategorie korrelierte mit der Einleitung einer spezifischen Therapie sowohl im Hinblick auf Glukokortikoide als auch eine Basistherapie (DMARD [„disease-modifying anti-rheumatic drug“]) mit signifikant höheren Anteilen in der Früharthritissprechstunde und Notfallsprechstunde verglichen mit der Elektivsprechstunde (jeweils p < 0,001) [5].

Zweite Phase (ca. 2016).

Im weiteren Verlauf zeigte sich, dass insbesondere die Frage, ob bereits eine entzündlich rheumatische Systemerkrankung bekannt sei, sehr viel Zeit in Anspruch nahm und häufig am Telefon nicht abschließend geklärt werden konnte. Auch die Frage nach auffälligen Laborwerten wie ANA, Rheumafaktor, ACPA oder ANCA offenbarte sich als nicht praktikabel und hatte einen hohen Zeitbedarf bei unseren MFAs (medizinische Fachangestellte), aber auch den zuweisenden Einrichtungen (Befundanforderung etc.) administrativer Art zur Folge. Zudem blieben die Telefonkontaktzeiten relativ hoch, was wiederum die telefonische Erreichbarkeit der Abteilung stark einschränkte.

Im nächsten Schritt wurde deshalb für die Vergabe eines Termins in der Früharthritissprechstunde auf die Beschwerdedauer und den Nachweis von Entzündungswerten (CRP und BSG [Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit]) fokussiert. Zudem wurde die Beschwerdedauer für einen Termin in der Früharthritissprechstunde auf ≤ 6 Monate reduziert. Dieses Vorgehen führte zwar zu einer Reduktion der Telefonzeiten, die Klärung des Aspekts erhöhter Entzündungsparameter erwies sich aber weiterhin als zeitintensiv und umständlich: Zum Teil lagen keine aktuellen Werte vor oder CRP/BSG wurden unter bereits laufender Therapie mit Glukokortikoiden bestimmt.

Dritte Phase (ab ca. 2017).

Die ausschließliche Fokussierung auf die Beschwerdedauer (Früharthritissprechstunde ≤ 6 Monate) ohne Berücksichtigung von Vorbefunden im Rahmen der Telefontriage bei Patienten ohne vorherige rheumatologische Abklärung führte zu der angestrebten Ressourcenschonung und Priorisierung ohne spürbaren Verlust an Vorhersagekraft verglichen mit dem kombinierten Modell inklusive Laborbefunden. Die Daten befinden sich derzeit in der Auswertung und sind für eine Publikation vorgesehen.

Vor- und Nachteile

Unsere Telefontriage eliminiert letztlich die zeitliche Belastung auf Arztebene durch konsequentes Delegieren der Terminvergabe und die Vorgabe von Entscheidungskriterien an entsprechend qualifizierte, nichtärztliche Mitarbeiter. Die Definition klarer, einfacher Entscheidungskriterien trägt entscheidend zur standardisierten und strukturierten Durchführung der Telefontriage auf MFA-Ebene bei. Die dadurch erreichte Reduzierung der Telefonkontaktzeit wirkt sich wiederum günstig auf die telefonische Erreichbarkeit und die Personalressourcen aus.

Die Terminkontingente werden fortlaufend entsprechend den angestrebten Wartezeiten angepasst. Dies bedeutet konkret, dass im Falle einer inadäquat langen Wartezeit z. B. für Notfalltermine (> 1 bis 2 Wochen) oder die Früharthritissprechstunde (> 8 Wochen) Terminkapazitäten aus der Elektivsprechstunde zugunsten der jeweils anderen Bereiche abgezweigt werden. Auf diese Weise wird sich perspektivisch die Wartezeit für die Elektivsprechstunde weiter erhöhen. Die Anpassung der Terminkontingente erfolgt alle 3 bis 6 Monate auf Basis fortlaufender Datenbankabfragen (EMIL® bzw. ab 01.12.2021 RheMIT Plus®).

Bei allen Vorstellungen erfolgen unabhängig von der Terminkategorie eine abschließende Einschätzung (Facharztstandard) mit individuellem Arztbrief und ggf. auch Einleitung einer spezifischen Therapie bereits im Rahmen des Erstkontakts. Zudem werden alle anfragenden PatientInnen gesichtet.

Unsere Terminpriorisierung wurde vorab u. a. in Qualitätszirkeln mit den Zuweisern abgestimmt und auf unserer Homepage an die Zuweiser kommuniziert. Als primärer Ansprechpartner in der Region müssen wir die Perspektive der zuweisenden Einrichtung einnehmen und dafür sorgen, dass auch dort die knappen Ressourcen geschont werden: Sofern aus Sicht der zuweisenden Einrichtung ein dringlicher Termin erforderlich ist, wird nach kurzer Anfrage ohne Umschweife oder weiteres Hinterfragen ein Notfalltermin unsererseits durch die MFA vergeben. In allen anderen Fällen ist die zuweisende Einrichtung – abgesehen von der Ausstellung einer Überweisung – nicht involviert. Aus unserer Sicht widerspricht es der Versorgungsrealität, wenn die zuweisende Einrichtung mehr Zeitbedarf für die Vereinbarung und Vorbereitung des fachärztlichen Termins in Form von Telefonaten, Faxen, Befundsammlung und -übermittlung etc. benötigt, als die eigentliche Vorstellung des Patienten am Ende in Anspruch nimmt. Dies würde eine weitere Hürde im Zugang zur rheumatologischen Versorgung bedeuten. Wesentlicher Nachteil ist hierbei allerdings der weiterhin zu hohe Anteil nichtentzündlicher Patienten in der Notfallsprechstunde von beispielsweise 45 % im Quartal III 2021. Auch über die Jahre hinweg zeigt sich hier keine Besserung im Hinblick auf die Quote entzündlich rheumatischer Patienten.

Ein weiterer Nachteil ist der Restanteil von PatientInnen mit Erstdiagnose einer entzündlich rheumatischen Systemerkrankung in Höhe von 14 % im Quartal III 2021 in der Elektivsprechstunde und einer Wartezeit von ca. 5 Monaten. Insgesamt hat der Anteil entzündlicher Diagnosen in der Elektivsprechstunde über die Jahre seit Gründung der Rheumatologie 2011 abgenommen: Konnte im Zeitraum 2015/2016 noch bei 26,2 % der PatientInnen in der Elektivsprechstunde eine entzündlich rheumatische Erkrankung diagnostiziert werden, so waren es im Quartal III 2021 nur noch 14 %. Dies erklärt sich aus Sicht der Autoren durch den hohen Nachholbedarf in der Abklärung bis dato unerkannter PatientInnen, aber langer Beschwerdedauer mangels einer fachärztlich rheumatologischen Versorgung vor dem Start unserer Einrichtung. Diese Beobachtung belegt aber auch, dass für jede Region entsprechend der lokalen Versorgungssituation und dem Versorgungsauftrag einer rheumatologischen Einrichtung eigene Konzepte entwickelt und diese über die Zeit angepasst werden müssen. Dies wiederum erfordert eine fortlaufende Evaluation eines solchen Zugangskonzepts.

Zweiter Standort: Rheumazentrum des Immanuel Krankenhauses Berlin

Verbesserte Früherkennung von rheumatischen Erkrankungen: monozentrische Erfahrungen einer offenen fachärztlich rheumatologischen Sprechstunde

Dr. med. A. Voigt, Dr. med. E. Seipelt, Prof. Dr. med. A. Krause

Standortbesonderheiten

Das Immanuel Krankenhaus Berlin am Standort Berlin Buch ist Teil der rheumatologischen Versorgung in Berlin und Brandenburg. In unserer Ambulanz werden ca. 4000 Patienten pro Quartal behandelt. Es handelt sich um eine sog. Dispensaire-Ambulanz nach § 311 SGB (Sozialgesetzbuch) V, eine organisatorisch einem medizinischen Versorgungszentrum vergleichbare Einrichtung.

In unserer Abteilung arbeiten 9 Fachärzte für Rheumatologie in Teilzeit und 7 rheumatologische Fachassistentinnen (Voll- und Teilzeit). Wir verfügen am Standort über 80 stationäre akut-rheumatologische Betten, sodass wir akut und schwer kranke Patienten auch zeitnah stationär versorgen können.

Ausgangssituation

Eine Frühdiagnostik und entsprechende Therapieeinstellung akuter rheumatischer Erkrankungen waren in der Vergangenheit aufgrund des rigiden Bestellsystems kaum möglich. Bis 2015 erfolgte die Anmeldung von Patienten, die nach Auffassung der behandelnden Ärzte einen dringenden Untersuchungstermin brauchten, entweder per Faxformular oder telefonisch. Damit war ein relativ hoher Zeitaufwand zur Sichtung der Befunde und Rücksprache mit den Überweisern oder Patienten verbunden, der zudem nicht honoriert wurde. Der ausgemachte, oft mittelfristige Termin wurde häufig von den Patienten nicht wahrgenommen. Letztlich war der Anteil von Patienten mit akuten entzündlich rheumatischen Erkrankungen gering. Die Früherkennung und leitliniengerechte Therapieeinstellung innerhalb des „window of opportunity“ war somit nicht gewährleistet.

Wir etablierten deshalb 2015 eine offene rheumatologische Akutsprechstunde an unserem Haus.

Methode

Die offene Sprechstunde ist ein ausschließlich frühdiagnostisches Angebot. Im Rahmen einer kurzen Anamnese und symptomorientierten rheumatologischen Untersuchung wird begutachtet, ob eine entzündlich rheumatische Systemerkrankung vorliegt. Wenn ja, erfolgen direkt weitere diagnostische und therapeutische Schritte.

Die Patienten können sich jeden Dienstag von 7.30 Uhr bis 8.30 Uhr ohne vorherige Anmeldung mit einem Überweisungsschein in unserer Ambulanz vorstellen. Vorherige Anrufe von Überweisern oder Patienten sind nicht erforderlich und nicht gewünscht, da das Angebot mit möglichst wenig zusätzlichem/vorherigem Aufwand verbunden sein soll.

Seitens der vorbehandelnden Ärzte anderer Fachgruppen soll der Verdacht auf eine entzündlich rheumatische Erkrankung vorliegen, Voraussetzung ist daher ein Überweisungsschein.

Darüber hinaus ist der Zugang zu der offenen Sprechstunde bewusst niedrigschwellig gewählt. Patienten sollten ein akutes Krankheitsbild aufweisen und bisher noch nicht von einem Rheumatologen untersucht worden sein. Zudem soll eines der 6 unten genannten, auf eine rheumatische Erkrankung hinweisenden Kriterien erfüllt sein:

  1. 1.

    Erhöhung des C‑reaktiven Proteins,

  2. 2.

    positiver Rheumafaktor (RF), Antikörper gegen zyklische citrullinierte Peptide (ACPA) oder antinukleäre Antikörper (ANA),

  3. 3.

    Gelenkschmerzen oder Rückenschmerzen seit mehr als 3 Monaten,

  4. 4.

    Gelenkschwellungen,

  5. 5.

    unklares Fieber,

  6. 6.

    akute Myalgien mit oder ohne Kopfschmerzen unklare Ursache.

Die Kriterien wurden auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen einer Gruppe von 6 Rheumatologen konsentiert.

Ein bis 2 Rheumatologen absolvieren 1‑mal wöchentlich mit 2 rheumatologischen Fachassistentinnen die Akutsprechstunde. Die Patienten erhalten im Rahmen der Anmeldung einen Anamnesebogen und ein Informationsschreiben zum Ablauf und Charakter der Konsultation. Idealerweise führt die Fachassistentin ein Erstgespräch und sichtet die mitgebrachten Befunde. Im Anschluss finden das ärztliche Gespräch und eine orientierende Untersuchung statt. Nach dem ca. 10-minütigen Kontakt resultiert die ärztliche Einschätzung, ob eine rheumatische Erkrankung vorliegt, und es werden ggf. weitere Maßnahmen eingeleitet oder geplant. Parallel erfolgt die Dokumentation in der elektronischen Ambulanzakte. Alle Patienten erhalten einen Arztbrief mit Einschätzungen und Empfehlungen mit.

Auswertung

Ausgewertet wurde der Zeitraum von Juli 2015 bis Juli 2020 (s. Tab. 1). Insgesamt wurden in dem Zeitraum 3164 Patienten behandelt. Über 54 % der vorgestellten Patienten waren weiblich. Unsere Klinik befindet sich im Nordosten Berlins ganz in der Nähe zu Brandenburg, weshalb die Patienten etwa zur Hälfte aus Brandenburg, vereinzelt auch aus anderen Bundesländern stammen. Die Corona-Pandemie hatte wenig Einfluss auf die Patientenanzahl. Durchschnittlich sehen wir in jeder Sprechstunde 10 bis 20 Patienten. Grundsätzlich ist die Anzahl der Patienten im Beobachtungszeitraum stabil geblieben, allerdings ergibt sich ein leichter Trend zur Steigerung des Patientenaufkommens. Der ärztliche Zeitaufwand beträgt im direkten Kontakt ca. 10 min/Patient. Es ergibt sich allerdings eine Nachbearbeitungszeit (Abschlussberichtserstellung, z. B. Sichtung von Laborbefunden, Eingang von Röntgenbefunden usw.) von ca. 3–4 h pro Woche.

Die Hauptüberweiser waren Allgemeinmediziner und Internisten sowie Orthopäden. Andere Fachgruppen (Augenärzte, Gynäkologen, Dermatologen etc.) schickten seltener Patienten. Laborergebnisse lagen in ca. 60 % beim Erstgespräch vor, in 66 % der Fälle wurde Labor ergänzt oder erstbestimmt. Eine unmittelbare Diagnostik (Sonographie, Röntgen) war nur gelegentlich erforderlich.

Bei knapp der Hälfte (48,7 %) der Patienten konnte direkt in der Sprechstunde eine entzündlich rheumatische Systemerkrankung diagnostiziert werden. Am häufigsten litten die Patienten unter einer rheumatoiden Arthritis (seronegativ und seropositiv), Polymyalgia rheumatica mit und ohne begleitende Riesenzellarteriitis, Spondyloarthritis und Arthritis urica. Insgesamt umfasste das Diagnosespektrum 65 verschiedene Erkrankungen.

In 12 % waren zwar immunologische Parameter (Autoantikörper oder HLA-B27) positiv und damit formal die Zugangskriterien erfüllt, jedoch lag zum Untersuchungszeitpunkt keine rheumatische Krankheit vor.

Trotz der bekannten Zugangskriterien war der Anteil der nichtentzündlichen Erkrankungen relativ hoch. Es wurden v. a. Fibromyalgiesyndrom, chronische Schmerzerkrankungen oder Polyarthrosen diagnostiziert.

Die Latenz zwischen dem Auftreten der Symptome und der Erstvorstellung konnte für die entzündlichen Rheumakrankheiten deutlich reduziert werden. Als Beispiel seien hier die rheumatoide Arthritis und die Polymyalgia rheumatica genannt, bei denen der Zeitraum der Symptomdauer 8 bis 12 Wochen bzw. 10 Wochen betrug.

Gegen Ende des oben genannten Auswertezeitraums entstand der Eindruck, dass die Zugangskriterien bei den Zuweisern in Vergessenheit geraten waren. Zunehmend wurden Patienten vorgestellt, die die Zugangskriterien nicht erfüllten. Entsprechend nahm der Anteil der Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen ab.

Daraufhin wurden die Zugangskriterien wie folgt modifiziert, zudem wurden erstmalig explizit Ausschlusskriterien entworfen. Die überweisenden Kollegen wurden per Brief informiert. Die Auswertung dieser Maßnahme steht aus.

Neue Zugangskriterien sind:

  1. 1.

    mindestens 1 geschwollenes Gelenk,

  2. 2.

    neu aufgetretene Kopfschmerzen, muskuläre Kauschmerzen (die keine andere Ursache haben),

  3. 3.

    unklar erhöhte Entzündungswerte, unklares Fieber,

  4. 4.

    positiver Rheumafaktor, ACPA, ANA mit positivem ENA (extrahierbares nukleäres Antigen) oder ANCA.

Folgende Patienten sind für diese Sprechstunde ungeeignet:

  1. 1.

    mit schon vordiagnostizierter rheumatischer Erkrankung/Zweitmeinung,

  2. 2.

    chronische Schmerzen oder Verdacht auf ein Fibromyalgiesyndrom,

  3. 3.

    Beschwerden länger als 1 Jahr.

Vor- und Nachteile

Vorteile.

Durch die offene rheumatologische Sprechstunde ist es möglich, Patienten einer raschen fachspezifischen Diagnostik zuzuführen und somit die Dauer rheumatischer Beschwerden zu verkürzen und zeitnah eine effektive Therapie einzuleiten.

Die einfachen Zugangskriterien ermöglichen es, mehr Patienten in kurzer Zeit (rasch und effektiv) und früh im Krankheitsverlauf diagnostizieren und behandeln zu können. Der Anteil entzündlich rheumatischer Erkrankungen liegt bei knapp 50 % und somit höher als in vielen vergleichbaren Frühsprechstunden. Die gewählten sehr einfachen Zugangskriterien haben sich also bewährt. Der zeitliche (keine Vorarbeit), wirtschaftliche und personelle (z. B. keine Telefonate) Aufwand ist vergleichsweise gering.

Für die beteiligten Rheumatologen stellt die Akutsprechstunde eine anspruchsvolle klinische und organisatorische Herausforderung dar. Entgegen den ursprünglichen Befürchtungen wurde die Kapazität der Sprechstunde nie überlastet, was aber auch der besonderen Struktur des Ambulanzzentrums mit immer gewährleisteten Vertretungsregelungen geschuldet ist. Auch wurde dieses besondere Sprechstundenangebot nicht bewusst für einen von Patienten erwünschten Arztwechsel oder eine Zweitmeinung genutzt.

Die positiven Erfahrungen mit der offenen Sprechstunde zeigen, dass es mit einfachen Auswahlkriterien möglich ist, ein breites Spektrum von entzündlich rheumatischen Systemerkrankungen über die Früharthritis hinaus zu diagnostizieren und frühzeitig zu behandeln.

Die Einleitung der Akutsprechstunde hat die elektiven Sprechstunden nicht zusätzlich belastet, da wir hierfür vorher nicht genutzte Zeiten in Anspruch nehmen.

Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Gewährleistung der Weiterbehandlung der Patienten mit einer neu festgestellten rheumatischen Erkrankung. Die enge Zusammenarbeit mit einer rheumatologischen Akutklinik, wo unklare oder schwer beeinträchtigende Erkrankungen umgehend behandelt werden können, hat sich dabei ebenso bewährt wie die Bildung eines Netzwerkes mit ambulanten Rheumatologen.

Nachteile.

Die Durchführung dieser Sprechstundenform erfordert erfahrene, stressresistente und entschlussfreudige KollegInnen. Nicht jeder Arzt ist dem plötzlichen Andrang einer unbekannten Anzahl von Patienten gewachsen.

Die schlechte Steuerbarkeit des Patientenaufkommens ist eine Herausforderung für das medizinische Personal einerseits, aber andererseits auch für die Patienten, da die Wartezeit unter Umständen lang sein kann. Auch das kurze Zeitfenster des Arzt-Patienten-Kontaktes führt unter Umständen zu Unverständnis bei den Patienten. Dies ist v. a. bei fehlgeleiteten Patienten der Fall mit z. T. schon langem Leidensweg und falschen Erwartungen an die Sprechstunde.

Es sollten pro Sprechstunde möglichst 2 Rheumatologen zur Verfügung stehen, um auf das wechselnde Patientenaufkommen reagieren zu können, weshalb unser Modell für eine Einzelpraxis ungeeignet ist.

In der 6‑jährigen Laufzeit der Sprechstunde konnte bei etwa 150 Patienten während der Erstvorstellung noch keine sichere Diagnose gestellt werden. Die Einplanung und Durchführung einer weiteren Konsultation nach ergänzenden Untersuchungen war mit einem zusätzlichen Zeitaufwand verbunden.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend sind wir der Überzeugung, dem Ziel einer frühzeitigen spezialisierten Diagnostik und Behandlung rheumatischer Erkrankungen mit der niedrigschwelligen offenen Sprechstunde ein deutliches Stück näher gekommen zu sein. Sowohl die Patienten als auch die überweisenden Kollegen nehmen das Angebot sehr positiv auf. Eine Einrichtung solcher Behandlungsstrukturen in dieser oder ähnlicher Form könnte zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in der Rheumatologie beitragen [22].

Dritter Standort: Poliklinik und Funktionsbereich für Rheumatologie Universitätsklinikum Düsseldorf

PD Dr. med. O. Sander, Univ.-Prof. Dr. med. M. Schneider

Standortcharakteristika

Die Rheumatologie des Universitätsklinikums Düsseldorf ist für rheumatologische Fragestellungen der einzige stationäre Versorger der Landeshauptstadt und wesentlich an der sekundären und tertiären Versorgung im Ballungsgebiet „Rhein-Ruhr“ mit rund 10 Mio. Einwohnern beteiligt, was einen Versorgungsbedarf von alleine 190.000 Patienten mit rheumatoider Arthritis bedeutet [18]. Die stationäre Rheumatologie ist im Zentrum für konservative Medizin integriert, was die maximale Versorgung von Systemerkrankungen ermöglicht. Dennoch sind seit jeher die Ressourcen für ambulante und stationäre Versorgung sehr beschränkt. Da die Rheumatologie lange Zeit der einzige universitäre Anbieter für eine rheumatologische Versorgung war und innerhalb eines überschaubaren Einzugsgebietes 10 Mio. Menschen leben, musste neben der universitären Spezialversorgung die rheumatologische Grundversorgung auf den direkten Einzugsbereich (15 km Radius) von etwa 1 Mio. Menschen beschränkt werden. Die Kapazität für Neuvorstellungen (von Patienten, die noch nicht beim Rheumatologen waren) beträgt 15 Patienten/Woche, für Zweitmeinungen 3 bis 5/Woche. Die Behandlungsnachfrage von weiteren Neupatienten übersteigt die verfügbare Kapazität dauerhaft um etwa das Vierfache.

Ausgangssituation vor 05/2011

Die Verbesserung der Frühversorgung war schon immer ein wichtiges Ziel der Rheumatologie am Universitätsklinikum Düsseldorf – auch aus wissenschaftlichen Gründen [8, 20]. Eine Vorselektion bestand lange durch selektierte Faxanfragen mit zusätzlicher Kapazität für die frühe Arthritis.

Das Versorgungskonzept für Düsseldorf – insbesondere für die Früherkennung – wurde mit der Stadt Düsseldorf in einer Gesundheitskonferenz 2004 erarbeitet, mehr Angebote für die ambulante Versorgung der Bürger der Stadt wurden geplant [4]. Ein geplantes Konzept zur integrierten Versorgung scheiterte damals. Mit dem Rheuma-Check wurde 2007 ein weiteres Instrument zur Früherkennung online gestellt [13]. Parallel wurden Versorgungskonzepte in der AG Rheuma mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Rheinland und Westfalen-Lippe erarbeitet.

In den Jahren 2007 und 2009 wurde in mobilen Screeningeinheiten (Rheuma-Truck) die regionale Bevölkerung untersucht [6, 14], um auf Früharthritis aufmerksam zu machen. Durch die Aktion wurden verschiedene Betriebe auf das Thema „Rheuma“ aufmerksam, und es konnten in den folgenden Jahren regelmäßig Screening- und Informationskampagnen an verschiedensten Standorten – z. B. von RWE – durchgeführt werden. Ein positiver Nebeneffekt dieser Aktionen war die Integration von Studierenden, die gelebte Erfahrung in der Rheumatologie machen durften.

Daraus leitete sich das im Mai 2011 gestartete „Run-in-Konzept“ der Erstvorstellung von Patienten mit Verdacht auf eine entzündlich rheumatische Erkrankung aus dem Großraum Düsseldorf ab.

Erste Etappe von 05/2011 bis 04/2017: „Run-in-Sprechstunde“

Die PatientInnen konnten sich ohne Voranmeldung an einem Wochentag zwischen 10 und 12.00 Uhr mit einer Überweisung zum Rheumatologen in unserer Rheumaambulanz vorstellen. Am gleichen Tag erfolgte eine rheumatologische Untersuchung durch einen erfahrenen Facharzt mit direkter Beurteilung, ob der Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung bestätigt werden kann, weiter abgeklärt werden muss oder nicht wahrscheinlich ist. Eine ganzheitlich internistisch universitäre Abklärung der PatientInnen wurde organisatorisch und aus Kapazitätsgründen nicht vorgesehen.

Vorteile.

Dieses Vorgehen bedeutete einen deutlich geringen administrativen Vorbereitungsaufwand durch Wegfall von Faxanfragen und Terminvereinbarungen. Leerlauf durch nicht erscheinende PatientInnen entfiel. Zudem wurde bei jeder Vorstellung nur die zur Abklärung notwendige Zeit genutzt, bei einer Fingerpolyarthrose wenige Minuten, bei komplexeren Erkrankungen deutlich länger. Aufgrund der sehr kurzen Wartezeit auf den Termin war die Zufriedenheit seitens der PatientInnen sehr hoch.

Das Ziel, die Zeit vom Erstsymptom bis zur Diagnosestellung zu verkürzen, konnte für viele PatientInnen mit rheumatoider Arthritis erreicht werden, bei zwei Dritteln lag sie unter 3 Monaten.

Probleme.

Die Zahl der Untersuchungen schwankte von Woche zu Woche, wobei diese Schwankungen relativ verhalten waren. Die Rate an PatientInnen mit tatsächlich entzündlich rheumatischer Erkrankung lag und liegt weiter bei unter einem Viertel der Vorstellungen. Die Kapazitäten für Folgetermine von Patienten mit gesicherter Diagnose müssen geschaffen werden. Die räumliche Abgrenzung des Angebotes ist PatientInnen, die nicht aus dem Einzugsgebiet kommen, schwer vermittelbar.

Schlussfolgerung.

Die „Run-in-Sprechstunde“ wurde als bestmögliche Lösung unter den gegebenen Umständen beibehalten [15].

Zweite Etappe ab 04/2017: D-KUR – Düsseldorfer Kampagne gegen unentdecktes Rheuma

Ab dem Sommersemester 2017 wird D‑KUR als Wahlpflichtfach für Studierende nach Erwerb von Grundkompetenzen zum Bewegungsapparat [17] angeboten. Sie können selbstständig entzündlich rheumatische Erkrankungen in der „Run-in-Sprechstunde“ erkennen oder ausschließen („Service Learning“). Anschließend erfolgt die fachärztliche Supervision. Es wird evaluiert, inwiefern sich eine Früherkennung durch Ausbildung und Anleitung delegieren lässt und die Übernahme ärztlicher Leistungen als vorletzten Schritt der Kompetenzentwicklung ermöglicht („forschendes Lernen“) [16].

Vorteile.

Die Studierenden erlangten in D‑KUR durch die Anwendung ihres im Studium erworbenen Know-hows neue eigene Lernerfolge, die in der Re-Evaluation 6 Monate nach der Tätigkeit einen nachhaltigen Kompetenzgewinn bei allen Teilnehmern zeigte. Die Sensitivität der Studierenden für entzündlich rheumatische Erkrankungen (zum Goldstandard erfahrener Facharzt) stieg von 75 auf 93 %, die Spezifität stieg von 60 auf 90 %. Die negative Prädiktion der Studierenden stieg von 0,88 auf 1,0. Die Zufriedenheit der Patienten mit der studentischen Untersuchung ist groß. Durch Einbeziehung der Studierenden und Lehrenden konnte die Kapazität für Erstuntersuchungen um mindestens 30 % gesteigert werden. Zudem konnte hierdurch ein größerer Raumbedarf für die Ambulanz geltend gemacht werden.

Probleme.

Durch die studentische Untersuchung verlängert sich die Verweildauer der Patienten in der Ambulanz. Die Umsetzung der nötigen Hygienekonzepte während der COVID-19-Pandemie sind durch die Studierenden aufwendiger. Die COVID-19-Pandemie machte zudem eine Unterbrechung des „Run-in“ und eine erneute Terminierung notwendig, um Patienten vorab über die Hygieneregeln aufzuklären und übervolle Wartebereiche zu vermeiden.

Schlussfolgerung.

Die „Run-in-Sprechstunde“ wurde als bestmögliche Lösung unter den gegebenen Umständen beibehalten, musste im Rahmen der Anpassungen an die COVID-19-Pandemie aber im Mai 2020 einer (passageren) Terminierung weichen. D‑KUR verbindet studentisches Lernen mit Optimierung der Versorgung. Insbesondere die Prädiktion für einen Ausschluss entzündlich rheumatischer Erkrankungen und die Sensitivität für entzündlich rheumatische Erkrankungen war sehr hoch, die Spezifität der studentischen Beurteilung konnte durch eine Optimierung der Vorbereitung in einen sehr guten Bereich gehoben werden. Ein Lerneffekt der Zuweisenden durch die schnelle Diagnoserückmeldung ist auch nach 10 Jahren ausgeblieben, die Rate der Zuweisungen ohne Vorliegen einer entzündlich rheumatischen Erkrankung konnte nicht gesenkt werden, sie stieg sogar noch in der COVID-19-Pandemie, da offensichtlich die hausärztliche Vorselektion noch weiter beschränkt worden war. Unter „regulären Bedingungen“ werden weiter zwei Drittel der Patienten mit RA innerhalb der ersten 12 Wochen ihrer Symptomatik diagnostiziert, während des Lockdowns verringerte sich der Anteil dieser Patienten vorübergehend. Weiterhin findet ein Drittel der Patienten auch 10 Jahre nach Einführung des Angebotes nicht innerhalb von 3 Monaten nach erstem Symptom den Weg in die Versorgung.

Ausblick: Service-Angebot

Das neue Curriculum für die Ausbildung zum Arzt sieht den Schwerpunkt im Unterricht am Patienten und den Gewinn an Kompetenzen. Dieses ist durch D‑KUR beispielhaft möglich. Um Angebote für Lehre und Früherkennung zu steigern, könnte D‑KUR das „Screening“ auf entzündlich rheumatische Erkrankungen auch für andere Rheumatologen der Region „Rhein-Ruhr“ mit übernehmen.

Acknowledgement.

Das Modellprojekt wurde finanziell durch die Bürgeruniversität der Heinrich-Heine-Universität unterstützt.

Vierter Standort: Sektion Rheumatologie der Medizinischen Klinik V, Universitätsklinikum Heidelberg

Dr. med. K. Benesova, Prof. Dr. med. H.-M. Lorenz, O. Hansen

Standortcharakteristika

Das Universitätsklinikum Heidelberg stellt den wichtigsten rheumatologischen Versorger im Ballungsgebiet „Metropolregion Rhein-Neckar“ dar. Die Sektion Rheumatologie ist zusammen mit der Hämato‑/Onkologie in einem Institut mit dem Vorteil der gemeinsamen Nutzung administrativer und diagnostischer Strukturen integriert. Innerhalb dieses Gesamtgefüges ist jedoch die Verfügbarkeit an Personal, Räumlichkeiten und stationären Betten für die rheumatologische Versorgung starr festgelegt, sodass eine Ausweitung der Kapazitäten nur durch eine gezielte Reorganisation der bestehenden Ressourcen und Zugangswege gelingen kann. Eine Kapazitätsausweitung wird zusätzlich durch Obergrenzen innerhalb der Hochschulambulanzpauschale sowie hohe Prüfquoten bei stationären Behandlungen erschwert. So übersteigt die Behandlungsnachfrage von Neupatienten die verfügbare Kapazität dauerhaft um etwa das Doppelte: Weitere vornehmlich rein ambulant arbeitende rheumatologische Versorger im Einzugsgebiet sind ebenfalls voll ausgelastet bzw. auch ländliche Regionen ohne wohnortnahe Versorgungsmöglichkeiten vorhanden.

Ausgangssituation vor 02/2016

Den Ausgangspunkt für die Regulierung der Neupatientenversorgung bildeten Wartezeiten von mindestens 6 Monaten auf die fachrheumatologische Erstabklärung in der gesamten Rhein-Neckar-Region. Die Vergabe des nächsten freien Termins in der Hochschulambulanz erfolgte durch das Leitstellenpersonal in der Reihenfolge der Anmeldung ohne jegliche Überprüfung der Indikation, Dringlichkeit und Vorbehandlung. Alle Neuvorstellungstermine waren pauschal mit 60 min inklusive Diagnostik veranschlagt.

Vorteile.

Für das ärztliche Personal entstand nur ein geringer administrativer Aufwand. Dank der großzügig geplanten Dauer des Arzt-Patienten-Kontakts konnte der Arzt detailliert auf jeden Patienten eingehen und entsprechend die notwendige Diagnostik vor Ort veranlassen.

Probleme.

Einerseits wurde durch die lange Wartezeit von etwa 6 Monaten das „window of opportunity“ [12] nach Erstmanifestation regelhaft verpasst. Bei schwerwiegenden Krankheitsverläufen war zusätzliches Engagement des Zuweisers kritisch für eine frühere Terminvergabe zur Schadensabwendung. Andererseits offenbarte sich beim Termin eine hohe Fehlbelegungsrate durch Fehlzuweisungen und Ärztehopping. Zur Frustration beim ärztlichen Personal trug zudem eine signifikante Nichterscheinungsquote bei.

Schlussfolgerung.

Die Ausgangssituation war durch ineffiziente Nutzung der vorhandenen Kapazität in organisatorischer und medizinischer Hinsicht gekennzeichnet.

Erste Etappe von 02/2016 bis 01/2018: Kurzsprechstunde

Ab 02/2016 wurde zur Verringerung der Wartezeiten ein festes Zeitkontingent (6 h/Woche) für Neuvorstellungen im verkürzten Zeitrahmen von 30 min reserviert und ohne Präselektion in der Reihenfolge der Anmeldung terminiert. Die Kurzsprechstunde hatte eine Gatekeeper-Funktion für die Belegung der regulären Sprechstundenkapazitäten mit Neupatienten inne: In kurzer fachärztlicher Begutachtung wurde anhand fragebogengestützter Anamnese, fokussierter Untersuchung und mitgebrachter Vorbefunde eine erste Triage in entzündlich rheumatische vs. nichtentzündliche Verdachtsdiagnose vorgenommen. Im Vorfeld des Termins wurde die Durchführung geeigneter Diagnostik den Zuweisern überlassen. Das Ergebnis der Begutachtung wurde beim Termin knapp kommuniziert und als Kurzbefund dem Patienten mitgegeben: Beim bestätigten Verdacht auf ein entzündlich rheumatisches Geschehen wurden ergänzende Diagnostik und eine geeignete Therapie empfohlen bzw. oft im Rahmen eines kurzfristigen 30–60 min Folgetermins oder stationärer Behandlung veranlasst. Die weitere Behandlung erfolgte dann in der regulären Sprechstunde. Bei nichtentzündlicher Verdachtsdiagnose wurden Patienten mit dem Kurzbefund an den Zuweiser zurückverwiesen. Evaluationsdaten aus dieser Etappe sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Vorteile.

Das reservierte Zeitkontingent und der verkürzte Arzt-Patienten-Kontakt reduzierten die Wartezeit auf eine Erstabklärung auf wenige Wochen (initial ca. 3 Wochen) und ermöglichten einen höheren Patientendurchsatz, sodass das „window of opportunity“ oft genutzt werden konnte. Durch das kurze Planungsintervall fiel die fehlende Präselektion nach Dringlichkeit weniger ins Gewicht, und die Nichterscheinungsquote sank deutlich. Für den begutachtenden Facharzt war die Kurzsprechstunde infolge der ausgelagerten Diagnostik und der Kurzmitteilung mit nur geringem Vor- und Nachbereitungsaufwand verbunden.

Probleme.

Die häufig lückenhaften Vorbefunde erschwerten die ärztliche Begutachtung, wobei relevante diagnostische Maßnahmen von Zuweisern im Vorfeld regelhaft nicht veranlasst oder erkannt wurden. Die ausstehende Diagnostik zögerte einerseits die Diagnosestellung und Therapieeinleitung hinaus. Andererseits beförderte sie in der ohnehin kurzen Begutachtungsdauer das Risiko für eine falsch negative Einschätzung des Rheumatologen bei komplexer oder atypischer Symptompräsentation und bei Sprach- oder kognitiven Barrieren. Es bestand unverändert eine hohe Fehlzuweisungs- und Zweitmeinungsrate fort, und die Vorlage vieler Vorbefunde sprengte in solchen Fällen häufig den Zeitrahmen der Kurzsprechstunde. Nachteilig wirkte sich auch die knappe mündliche und schriftliche Kommunikation der Empfehlungen aus: Die daraus resultierende Verunsicherung der Patienten führte oft zur Non-Adhärenz, sodass häufig erst nach ausführlichem Gespräch beim Folgetermin die bereits empfohlene Therapie tatsächlich begonnen wurde. Zeitaufwendig beim Folgetermin war auch das nachträgliche Eindenken in die Vor- und Kurzbefunde für den Informationstransfer in einen ausführlichen Arztbrief. Eine naheliegende, aber nicht quantifizierbare Folge der knappen Kommunikation könnten Zweitmeinungsgesuche verunsicherter Patienten bei externen rheumatologischen Versorgern sein.

Schlussfolgerung.

Das Modellprojekt Kurzsprechstunde konnte die Wartezeit auf die Erstabklärung signifikant verkürzen. Das „window of opportunity“ wurde allerdings durch ausstehende Diagnostik sowie Non-Adhärenz infolge von zu knapper Kommunikation häufig gefährdet. Die zur Diagnostikkomplettierung notwendigen Folgetermine im kurzfristigen Intervall brauchten die zuvor durch die Kurzsprechstunde eingesparte Kapazität wieder auf.

Zweite Etappe ab 02/2018: Vorscreening und Screeningsprechstunde

Zentrales Steuerungselement dieser Etappe ist die aktenbasierte Präselektion durch einen Facharzt, sog. Vorscreening, das eine effizientere Belegung und Durchführung der Sprechstundentermine ermöglichen soll. Neupatienten erhalten bei ihrer Behandlungsanfrage einen mehrseitigen Fragebogen, der in Laiensprache rheumatologische Leitsymptome und relevante Anamneseangaben abfragt. Der vollständig ausgefüllte Fragebogen und evtl. rheumatologische Vorbefunde sind Voraussetzung für die Anfragenbearbeitung. Andere Vorbefunde können ergänzend eingereicht werden und die fachärztliche Einschätzung des Symptombilds und der Dringlichkeit erleichtern. Der begutachtende Rheumatologe entscheidet bei der Unterlagensichtung, ob und, wenn ja, in welcher Versorgungsform (ambulant vs. stationär) und Sprechstundentyp (Screening- oder reguläre Sprechstunde) ein Erstvorstellungstermin gewährt wird. Das Ergebnis der Begutachtung wird transparent auf einem standardisierten Bescheid festgehalten und dem Patienten zugesandt. Der Bescheid informiert zusätzlich darüber, welche individuell auf den Patienten zugeschnittene Diagnostik bis zum Termin von Zuweiser zu veranlassen bzw. welche Befunde zusätzlich mitzubringen sind (z. B. externe Arztbriefe, Bildgebung auf CD). Sofern die Eingangskriterien (Wohnort im Einzugsgebiet, Volljährigkeit, fehlende rheumatologische Versorgung, entzündlich rheumatische Verdachtsdiagnose) erfüllt sind, werden Patienten ohne rheumatologische Vordiagnose und ohne Hinweise auf schwerwiegende/komplexe Krankheitsbilder (ca. drei Viertel der Neupatienten) zur Erstabklärung in der Screeningsprechstunde, dem Nachfolgemodell der Kurzsprechstunde, einbestellt. Die Priorisierung bei der Terminvergabe orientiert sich an definierten Red Flags. Bei bereits gesicherter entzündlich rheumatischer Erkrankung oder voraussichtlichem Diagnostikaufwand erhalten Patienten hingegen einen Termin von meist 60 min in der regulären Sprechstunde. Aus Kapazitätsgründen wurden Zweitmeinungen in der Ambulanz auf schwerwiegende, seltene oder komplexe Krankheitsbilder sowie das Weiterbehandlungsgesuch des externen Rheumatologen beschränkt. Bei Organ- oder vital gefährdenden Krankheitsbildern, schweren Komorbiditäten oder bei massiver Schmerzsymptomatik erfolgt die Erstabklärung oft primär im stationären Setting. Bei Nichterfüllung der Eingangskriterien erfolgt eine Ablehnung des Termingesuchs mit Verweis auf eine wohnortnahe bzw. bisherige rheumatologische Versorgungsmöglichkeit oder eine geeignete nichtrheumatologische Fachdisziplin, die die weitere Symptomabklärung und Behandlung übernehmen soll.

Vorteile.

Die Vorteile aus der vorherigen Etappe wurden ausgebaut, indem die Screeningsprechstunde durch Präselektion gezielt mit geeignetem Patientenkollektiv (v. a. Verdachtsdiagnosen rheumatoide Arthritis [RA]/Spondyloarthritis [SpA]) mit extern umsetzbarem Diagnostikaufwand belegt wird und zeitintensive Zweitmeinungen ausgeschlossen werden. Offensichtliche Fehlzuweisungen können zudem bereits im Vorfeld ohne Verbrauch von Sprechstundenkapazität an andere Fachdisziplinen verwiesen werden. Die optimierte Terminvorbereitung ermöglicht dem Facharzt im Patientenkontakt eine bessere Beurteilung des Krankheitsbildes ohne die Notwendigkeit kurzfristiger Folgetermine sowie einen Zeitgewinn für ausführlichere mündliche und schriftliche Kommunikation. Hierdurch wird die Sprechstundenkapazität effizienter genutzt, die Adhärenz gefördert und die Weiterbehandlung bei Folgeterminen erleichtert. Priorisierung nach Dringlichkeit ermöglicht über alle Sprechstundenformen hinweg nicht nur die Nutzung des „window of opportunity“ bei frühzeitiger Erstvorstellung, sondern auch eine rasche Versorgung schwerwiegender Krankheitsbilder. Die auf diesem Weg erreichte höhere Remissionsrate kann u. a. eine Reduktion des langfristigen Betreuungsaufwands einzelner Patienten bringen. Die Erscheinungsquote ist bei dringenden Terminen bei nahezu 100 %, bei elektiven Terminen im akzeptablen Bereich, wobei hier die bereits geleistete Vorarbeit (Fragebogen‑, Befundvorlage) ein zusätzlicher Motivationsfaktor sein kann.

Probleme.

Das Vorscreening bedeutet einen erheblichen Zeitaufwand (ca. 3–5 h/Woche) für den begutachtenden Facharzt, die für die unmittelbare Patientenversorgung fehlen. Falsch negative Einschätzungen anhand der Akten sind im Vorscreening möglich. In der Screeningsprechstunde fehlen durch die Delegation der Diagnostik an die Zuweiser immer wieder relevante Befunde. Die gestiegene Rate an Patienten mit bestätigter entzündlich rheumatischer Erkrankung aus der Screeningsprechstunde beweist zwar den Nutzen des Vorscreenings für die regionale Versorgung, stellt aber den Standort gleichzeitig im Hinblick auf die zunehmende Zahl an Bestandspatienten in der Ambulanz vor das immense Problem, die Weiterbetreuung entsprechend der Treat-to-Target-Strategie für alle Patienten zu sichern. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass bislang nur eine Minderheit der Patienten tatsächlich innerhalb des „window of opportunity“ von den Zuweisern identifiziert und zur rheumatologischen Abklärung geschickt wird, sodass die meisten Patienten einen langfristig hohen Betreuungsbedarf haben, der nicht von niedergelassenen Rheumatologen in der Region mitkompensiert wird.

Schlussfolgerung.

Die Versorgungseffizienz konnte durch das Vorscreening und differenzierte Sprechstundenbelegung deutlich gesteigert werden, wie die Daten der wissenschaftlichen Auswertung im Rahmen der SCREENED-Studie zeigen [1]. Infolge des erhöhten Durchsatzes an „richtigen“ Neupatienten mit langfristigem rheumatologischem Betreuungsbedarf sind erhebliche Kapazitätsengpässe in der ambulanten Weiterbetreuung aufgetreten, die künftig weitere Regulierungsschritte zur Versorgungoptimierung erforderlich machen.

Ausblick: Vorbereitung der dritten Etappe ab 2022

Die gesammelten Erfahrungen und identifizierten Probleme der vorherigen Etappen werden derzeit in der Nachfolgestudie SCREENED 2.0 aufgegriffen. Die Kernfrage hierbei ist, inwieweit – aufbauend auf den bestehenden Abläufen in der Hochschulambulanz – durch Delegation an die rheumatologische Fachassistenz einerseits die Ressource Arzt in der Erstabklärung eingespart und andererseits durch die interprofessionelle Zusammenarbeit ein Mehrwert für alle Beteiligten geschaffen werden kann. Der Standort erkennt zwar die Möglichkeiten der Digitalisierung und deren Nutzen als Lösungsansatz zur Entlastung der Kapazitätsengpässe, kann sie jedoch aufgrund der starren universitären EDV-Strukturen bislang kaum implementieren.

Acknowledgement.

Das Modellprojekt wird finanziell durch Rheuma-Liga Baden-Württemberg e. V. und Novartis Pharma GmbH unterstützt. Die Analyse der Entwicklungsetappen am Standort Heidelberg war Bestandteil der freien wissenschaftlichen Arbeit von Dr. Benesova zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Health Business Administration (MHBA)“ am Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Diskussion

Der gemeinsame Ausgangspunkt der hier dargestellten Versorgungskonzepte ist eine optimierte rheumatologische Erstversorgung ohne Ausweitung der bestehenden rheumatologischen Kapazität. Eine solche ist unter den derzeitigen Finanzierungsstrukturen der Weiterbildung, sich daraus ableitendem mangelndem Angebot an Weiterbildungsstellen und der anstehenden Pensionierungswelle auch in Zukunft nicht zu erwarten. Die negativen Folgen nicht nur für das individuelle Schicksal, sondern auch erhebliche direkte, indirekte und intangible Folgekosten bleiben bisher gesundheitspolitisch ohne Konsequenz. In diesem Versorgungsspannungsfeld ist es die Motivation und moralische Verpflichtung der beteiligten Zentren, bei neu erkrankten Patienten mit ihren Frühversorgungskonzepten auf regionaler Ebene die gravierenden Folgen einer verspäteten Diagnosestellung und Therapieeinleitung aufgrund der Versorgungsdefizite abzuwenden oder zumindest abzufedern.

Die vorgestellten Konzepte stellen individuelle Lösungsansätze dar, die – wie in den einzelnen Beiträgen sowie der Vorpublikation [2] dargelegt – nachweislich eine Verbesserung der regionalen Versorgung schaffen. Angesichts der Komplexität und Vielfältigkeit rheumatologischer Symptome und Krankheitsbilder kann dies nur von einem Facharzt für Rheumatologie mit guter internistischer Weiterbildung geleistet werden. Alle Konzepte konnten für neu erkrankte Patienten eine Wartezeitverkürzung und Steigerung der Behandlungszahlen ohne relevante Ausweitung der Ressourcen und Gesamtkapazitäten erreichen. Um diese Ziele zu erreichen, wurden an den Zentren unterschiedliche Versorgungsinstrumente implementiert und im Verlauf der letzten Jahre immer besser auf die Strukturen und Prozesse vor Ort feinabgestimmt. Der „Werdegang“ der einzelnen Konzepte und die dabei gewonnenen Erkenntnisse stehen im Fokus dieser Arbeit.

Trotz der Veröffentlichung ihrer Versorgungskennzahlen sehen die Autoren ausdrücklich davon ab, die Performance der Konzepte direkt miteinander zu vergleichen. Die Gründe hierfür sind erstens die bislang fehlende Definition von Qualitätsindikatoren in der Frühversorgung und zweitens die in diesem Kontext noch andauernde Evaluation relevanter langfristiger Outcomekriterien wie Biologika- und Remissionsraten in den jeweiligen Patientenkollektiven der Zentren. Drittens war die Mangelversorgung zwar der gemeinsame Ausgangspunkt, die jeweilige Ausgangssituation der einzelnen Versorger beispielsweise hinsichtlich Rechtsform, Personalstärke, vorhandener Kapazitäten, Räumlichkeiten und Diagnostik sowie alternativer Versorgungsmöglichkeiten im Einzugsgebiet unterscheidet sich teils aber deutlich. Die Autoren gehen aufgrund der strukturellen Unterschiede davon aus, dass ein gut funktionierendes Modell von einem Standort an einem anderen Zentrum nicht die gleichen Erfolge bringen oder gar an anderen lokalen Gegebenheiten scheitern könne, weswegen sie – wie schon in der Vorpublikation [2] – nicht die Entwicklung eines allgemeingültigen Konzepts anstreben. Ziel der Beschreibung hier ist es vielmehr, die Zentren ohne Frühsprechstunden zur Etablierung eines solchen Angebots zu motivieren.

Dennoch haben die vorgestellten Konzepte übergeordnete Merkmale gemein, die weiteren Zentren einen erprobten Rahmen für neue Konzepte bieten können und im individuellen Ausmaß implementiert werden sollten. Erste gemeinsame Säule ist der vereinfachte Zugang zur zeitnahen Versorgung durch Frühsprechstunden evtl. in Kombination mit gezielter Zuweisung zur geeigneteren Versorgungsform am Zentrum. Dieser kann, muss aber nicht mit einer Präselektion wie der Telefontriage oder aktenbasiertem Vorscreening verknüpft werden, wie die Erfahrungen zweier Standorte mit „Run-in Sprechstunden“ eindrücklich zeigen. Entgegen dem großen überregionalen Versorgungsprojekt RheumaVOR [2, 21] haben sich die hier dargestellten Konzepte für alle entzündlich rheumatischen Indikationen geöffnet, und dem Engagement der Primärversorger kommt eine geringere Bedeutung bei der Terminzuweisung zu. Weitere Unterscheidungsmerkmale sowie erfolgreich in der Praxis angewandte Ausgestaltungsmöglichkeiten von Früh- und Screeningsprechstunden wurden ausführlich in der Vorpublikation dargestellt [2].

Erste gemeinsame Säule ist der vereinfachte Zugang zur zeitnahen Versorgung durch Frühsprechstunden

Zweitens nutzen oder etablieren aktuell alle 4 Konzepte die Delegation an nichtärztliches Fachpersonal oder Medizinstudierende zur Entlastung der Ressource „Arzt“ [7]. Wegbereitend für die Delegation an nichtärztliches Personal ist die durch die Fachgesellschaft DGRh (Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V.) vorangetriebene Professionalisierung der medizinischen Assistenzberufe durch die Zusatzweiterbildung zur rheumatologischen Fachassistenz (RFA) [11] sowie die 2021 anerkannte Erweiterung des RFA-Curriculums mit RFA Plus [3]. Zwar sind der Delegation juristisch bestimmte Grenzen gesetzt, dennoch sind insbesondere bei standardisierten Tätigkeiten vielfältige Möglichkeiten gegeben, den Arzt durch Delegation zu entlasten [11]. Allerdings ist – bedingt durch den Fachkräftemangel in Pflege- und Assistenzberufen – auch die Verfügbarkeit von RFA oder qualifizierbarem Personal eingeschränkt, wodurch die Implementierung der Delegation erschwert wird. In Anbetracht des Facharztmangels ist die Einbindung der Studierenden daher in doppelter Hinsicht interessant, denn sie kann neben einer Entlastung zusätzlich auch eine langfristige Steigerung von Interesse und Kenntnis des Fachbereichs Rheumatologie generieren – allerdings nur wenn im Anschluss an das Studium auch entsprechende Stellenangebote existieren.

Zweite Säule ist die Delegation an nichtärztliches Fachpersonal oder Medizinstudierende

Eine dritte Säule stellt die Digitalisierung dar, derer sich die 4 Konzepte bislang – anders als beispielsweise RhePort [2] – allenfalls in Ansätzen bedienen. Digitale Lösungsansätze können zweifelsohne eine erhebliche Arbeitserleichterung bringen [23] und sollten von interessierten neuen Zentren auf Anwendbarkeit vor Ort überprüft werden, sie sind jedoch in den (Universitäts‑)Kliniken aufgrund der zentralen EDV-Struktur weiterhin oft nur verzögert, erschwert oder gar nicht zu implementieren.

Dritte Säule ist die Implementierung digitaler Lösungen

Schließlich ist ein vierter Lösungsansatz, der oft mit einer digitalen Lösung Hand in Hand geht, die Kooperation mehrerer Versorger auf überregionaler Ebene mit dem Ziel der optimalen Allokation verfügbarer Kapazitäten. In der Erstabklärung wird die Kooperation beispielsweise von RhePort oder RheumaVOR [2, 21] erfolgreich genutzt. Die Autoren sehen allerdings einen noch stärkeren Bedarf für eine Kooperation mit anderen Versorgern im Einzugsgebiet zur verbesserten Weiterbetreuung von neu diagnostizierten Patienten und Schaffung weiterer Kapazitäten am Frühversorgungszentrum. Der gesteigerte Patientenumsatz und entzündlich rheumatische Diagnosen bei etwa der Hälfte der Erstabklärungen in Frühsprechstunden vergleichbar mit der Versorgungsstudie von Westhoff et al. [24] bedeuten ein erhebliches zusätzliches Patientenaufkommen in der ambulanten Dauerbehandlung des jeweiligen Zentrums. Die Abweichung von D‑KUR gegenüber den anderen 3 Modellen ist am ehesten durch das Fehlen jeglicher Zugangskriterien im Auswertungszeitraum begründet, wodurch eine höhere Fehlbelegungsrate begünstigt wird. Ob die weitere Optimierung der Triage in Altötting-Burghausen bzw. des Vorscreenings in Heidelberg die Rate an entzündlichen Diagnosen darüber hinaus steigern konnte, ist noch Gegenstand der lokalen Evaluationen. Unabhängig vom gewählten Konzept verlagert sich der Kapazitätsengpass in den Zentren durch die größere Anzahl an Neupatienten, die erfolgreich der Behandlung zugeführt werden, in die Weiterversorgung und gefährdet die Umsetzung der Treat-to-Target-Strategie [12, 19]. Zwar ist es ein langfristiges Ziel der Konzepte, die Remission durch eine frühe Diagnosestellung bei einem Großteil der Patienten zu erreichen und damit den Betreuungsaufwand im Verlauf zu reduzieren. Allerdings erreicht ein beträchtlicher Anteil der Patienten die Frühsprechstunden nach wie vor außerhalb des „window of opportunity“ [12], und die Ursachen für diese Verzögerung sind nicht ausschließlich in der Rheumatologie, sondern auch bei Primärversorgern und in der Bevölkerung zu suchen [2, 24]. Daher wird auch langfristig ein hoher Bedarf an Weiterversorgungskapazitäten bleiben, der über Kooperationen entlastet werden könnte. Da die Kapazitätsengpässe jedoch derzeit ein ubiquitäres Problem der rheumatologischen Versorgung darstellen, gelingt es den 4 dargestellten Konzepten nur in Ansätzen, dieses Instrument zu implementieren.

Vierte Säule ist die optimale Allokation verfügbarer Kapazitäten durch Kooperation mehrerer Versorger

Wie insbesondere aus dem letzten Punkt ersichtlich wird, können die vorgestellten Konzepte letztlich die Ausgangsproblematik einer Unterversorgung weder ursächlich noch flächendeckend beheben. Die überregionale Versorgungssituation kann von den Kollegen der Frühversorgungszentren nur indirekt positiv beeinflusst werden: Mit der Offenlegung ihrer Entwicklungsetappen und dem Erfahrungsaustausch wollen die beteiligten Zentren zeigen, dass solche Konzepte in der Praxis sowohl machbar sind als auch Vorteile für Versorger und Patienten bringen können, und so weitere Zentren zur Erstellung eines eigenen Frühversorgungskonzepts motivieren.

Fazit für die Praxis

  • Die heterogenen Versorgungsstrukturen in Deutschland erfordern die Anpassung des Frühversorgungskonzepts an die Besonderheiten des Standortes und führten bei den dargestellten Modellen zu vier sehr unterschiedlichen Lösungsansätzen der Kapazitätsengpässe. An allen vier Standorten konnte die Wartezeit auf die rheumatologische Erstabklärung bei Patienten mit möglichen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen durch die Einführung des jeweiligen Modells deutlich verkürzt werden. Allerdings ist die fortwährende Weiterentwicklung des Konzepts im Hinblick auf identifizierte Probleme und äußere Veränderungen unerlässlich, um die Handlungsfähigkeit der Standorte angesichts der immensen Herausforderungen in der Frühversorgung zu erhalten. Mit der Offenlegung ihrer Entwicklungsetappen setzen die Autoren den gemeinsamen Dialog zur Förderung neuer regionaler Frühversorgungskonzepte und Verbesserung der Früherkennung als einen der wichtigsten Qualitätsstandards [9, 10] in der Versorgung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen in Deutschland fort.

  • Bei allem Respekt vor der Leistung einzelner Zentren, nicht nur der hier berichtenden, bedarf es allerdings zusätzlich grundsätzlicher Änderungen der Strukturierung des Gesundheitssystems, damit die Bevölkerung über alle Erkrankungen hinweg gut versorgt ist. Dabei sollte vor allem auch der demographischen Entwicklung und der zunehmenden Spezialisierung in der Medizin Rechnung getragen werden.