Falldarstellung

Anamnese

Ein 75-jähriger Mann litt seit 10 Jahren an Arthralgien der großen Gelenke. Aufgrund einer Gonarthrose wurde initial eine Knie-Totalendoprothese rechts implantiert, die 8 Jahre später unter dem Verdacht auf Protheseninfektion mehrfach revidiert wurde, ohne dass jemals eine bakterielle Besiedlung nachweisbar war. Seither nahmen die Arthralgien des rechten Hüftgelenkes, beider Kniegelenke und des rechten Ellenbogengelenkes schleichend zu, sodass der Patient nur noch am Rollator auf geringen Gehstrecken mobil war.

Klinische Untersuchung

Klinisch imponierte eine ausgeprägte Bursitis mit Rötung und Streckhemmung des rechten Ellenbogengelenkes (Abb. 1). Weiterhin bot der Patient eine schmerzhaft aufgehobene Innenrotation des rechten Hüftgelenkes und eine massive Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk mit palpablem Erguss.

Abb. 1
figure 1

Ellenbogengelenk rechts mit Bursitis olecrani

Diagnostik

Laborchemisch fielen ein erhöhtes C‑reaktives Protein (CRP) von 153,7 mg/l bei normwertigem Procalcitonin und eine Leukozytose von 10,4 Gpt/l auf. Die Harnsäure war mit 426 µmol/l leicht erhöht. Der Rheumafaktor und die Antikörper gegen zyklisches citrulliniertes Peptid waren negativ. Der Antinukleäre Antikörper(ANA)-Titer lag bei 1:320, das ANA-Profil war negativ.

Röntgenologisch zeigten sich reaktionsarme, erosive Destruktionen des rechten Hüftgelenkes (Abb. 2), rechten Ellenbogengelenkes (Abb. 3), linken Kniegelenkes (Abb. 4) sowie des linken Hand- und Daumensattelgelenkes (Abb. 5).

Abb. 2
figure 2

Röntgen Beckenübersicht, schwere Koxarthrose rechts mit kranial aufgebrauchtem Gelenkspalt und Entrundung des Femurkopfes. Das linke Hüftgelenk ist unauffällig

Abb. 3
figure 3

Röntgen Ellenbogen rechts anterior-posterior, massive osteodestruktive Veränderungen und transparenzgeminderte Weichteilschwellung (Dreiecke) mit vereinzelten Kalkablagerungen (Kreis)

Abb. 4
figure 4

Röntgen Knie links anterior-posterior, schwere osteodestruktive Gonarthrose mit aufgebrauchtem Gelenkspalt, multiplen kleinen Geröllzysten und inhomogenen vermehrten Sklerosezonen

Abb. 5
figure 5

Röntgen Hand links anterior-posterior, ausgedehnte erosive Veränderungen der Carpalia und der Os-metacarpale-I-Basis

Polarisationsmikroskopisch waren keine Kristalle im Ellenbogengelenkpunktat nachweisbar. Mikrobiologische Kulturen mehrerer Gelenkpunktate blieben steril. Aufgrund des hohen Leidensdrucks des Patienten, der nicht beherrschbaren lokalen Entzündung und zur Probengewinnung erfolgte eine operative Bursektomie des rechten Ellenbogengelenks, wobei histologisch zunächst eine unspezifische Entzündungsreaktion beschrieben wurde. In der Alizarinrotfärbung ([21]; Abb. 6) konnten wir schließlich Hydroxylapatitkristalle nachweisen.

Abb. 6
figure 6

Histologie von der Bursektomie Ellenbogengelenk rechts in der Alizarinrotfärbung. Die Hydroxylapatitkristalle sind rot eingefärbt

Diagnose

Wir stellten die Diagnose einer Hydroxylapatitkristallarthropathie als hochentzündliches und destruierendes Krankheitsbild.

Therapie und Verlauf

Der Patient erhielt postoperativ eine Mobilisierung des Ellenbogengelenkes unter Schmerztherapie mit Buprenorphin-Pflaster 15 µg/h alle 7 Tage, Metamizol 500 mg Tabletten 4‑mal täglich und Celecoxib 100 mg 2‑mal täglich. In der ambulanten Kontrolle 25 Tage nach dem Ersteingriff war die Ellenbogenschwellung rechts regredient, jedoch noch deutlich vorhanden. Hinweise für eine postoperative Wundinfektion lagen nicht vor. Eine erneute Punktion ergab weitgehend organisiertes, nicht mehr flüssiges Sekret.

Das CRP war anhaltend zwischen 80 und 100 mg/l erhöht, dies wurde im Zusammenhang mit der Grunderkrankung interpretiert. Die Punktionen beider Kniegelenke und des rechten Hüftgelenkes erbrachten keinen Keimnachweis. Die Indikation zu einer endoprothetischen Versorgung beider Gelenke war aufgrund der massiven Destruktionen gegeben und wurde mit dem Patienten geplant.

Diskussion

Eine Hydroxylapatit-Kristallarthropathie (auch kalzifizierende Tendinitis, Tendinitis calcarea, Peritendinitis calcarea, Periarthropathia calcificans genannt) kann sich mono- oder polyartikulär darstellen [6, 8]. Typisch ist eine akute Omarthritis mit radiologisch darstellbaren periartikulären Kalzifikationen („Milwaukee-Schulter“), in 20–30 % der Fälle auch beidseitig [18]; es kann jedoch nahezu jedes Gelenk betroffen sein [3, 6, 8, 17]. Am zweithäufigsten ist das Hüftgelenk befallen [18], gefolgt von Fallberichten mit isoliertem Befall von Ellenbogen- [9], Knie- [12], Sprung- und Fußgelenk [10]. Die Hände und Handgelenke sind nur bei etwa 2 % der Patienten betroffen, vorwiegend die Sehnen von Flexor carpi ulnaris, Extensor carpi ulnaris und den Fingerextensoren und -flexoren [3, 17]. In der Literatur reicht die Prävalenz, bezogen auf die Milwaukee-Schulter, in der Allgemeinbevölkerung von 2,7–22 %, vermutlich bedingt durch die Heterogenität in den Studienkohorten und die unzureichend standardisierten Diagnosekriterien mittels bildgebender Verfahren [7]. In einer Analyse von 1219 Erwachsenen mit und ohne Schulterschmerzen fanden sich Kalkablagerungen bei 7,8 % der asymptomatischen und 42,5 % der symptomatischen Patienten [14]. Konkrete epidemiologische Daten zu anderen Befallsmustern wie in unserem Fall liegen nicht vor. Frauen sind mit einer Ratio 2:1 bis 5:1 häufiger betroffen als Männer [7, 8, 15]. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 45 Jahren, es werden jedoch auch Fälle im Kindesalter beschrieben [3, 6].

Die Ätiopathogenese ist bisher nicht vollständig verstanden. Diskutiert werden Veränderungen in der Vaskularisierung, Hypoxie und Trauma. Auch Erkrankungen wie Sklerodermie, Niereninsuffizienz (insbesondere bei Dialysepflicht), Hyperparathyreoidismus, Hämochromatose, multiples Myelom und metabolische Störungen wie Diabetes mellitus und Hyperurikämie sind mit dieser Form der Kristallarthropathie assoziiert [3, 6, 7, 17, 19]. Charakteristisch ist die Ablagerung von Hydroxylapatitkristallen im periartikulären Weichteilgewebe, wie z. B. Sehnen [3, 6]. Diese induzieren über die Aktivierung des Inflammasoms die Produktion von Interleukin-1β und führen so zu einer Prostaglandin E2-vermittelten Entzündungsreaktion [1, 5, 16].

Differenzialdiagnostisch kommen Erkrankungen wie die Calciumpyrophosphat(CPPD)-Kristallarthropathie, Arthritis urica, rheumatoide Arthritis, Infektionen, Frakturen, metabolische Störungen und Kollagenosen infrage [3, 6, 17]. Die Diagnostik kann problematisch sein. Makroskopisch stellen sich die Hydroxylapatitkristalle wie auch verwandte CPPD-Kristallablagerungen als kalzifiziertes amorphes Material mit einer „milchigen“ oder „käsigen“ Konsistenz im periartikulären Bindegewebe dar [6]. Mikroskopisch sieht man eine zelluläre Entzündungsreaktion um die kalzifizierten Ablagerungen. Die Diagnose wird mit dem Nachweis von Hydroxylapatitkristallen gestellt. Die Kristalle variieren in ihrer Größe von 100–200 nm und können damit nur elektronenmikroskopisch, in der Röntgenbeugungsanalyse oder mittels Alizarinrotfärbung unter gewöhnlicher Lichtfeldmikroskopie nachgewiesen werden [6]. Es gibt wenige Berichte, dass Hydroxylapatitkristalle auch mittels Arthrosonographie nachweisbar seien, jedoch ist diese Methode noch nicht gut etabliert [3, 14, 16]. Fodor et al. beschreiben 4 arthrosonographische Varianten der Kalzifikationen: 1) bogenförmig mit Schallschatten, 2) verteilt mit oder ohne Schallschatten, 3) Knötchen ohne Schallschatten, 4) Zyste mit schwachen, internen Echos oder Überlagerungen [4]. Angaben zur Sensitivität und Spezifität dieser Merkmale wurden bisher nicht veröffentlicht.

Im Röntgen zeigen sich meist dichte, homogene, amorphe, runde oder ovale Kalkablagerungen im periartikulären Weichteilgewebe, die sich über die Zeit in ihrer Größe und Form verändern können [3, 6]. Kalziumtendinitiden können mitunter ausgeprägte Weichteil- und Knochenveränderungen wie Erosionen und periostale Reaktionen bedingen. Intraartikuläre Hydroxylapatitkristalle lösen eine chronische Synovitis aus, wodurch Enzyme wie aktive Kollagenase und Protease freigesetzt werden und langfristig zur Gelenkdestruktion führen [7]. Diese Verläufe dürfen nicht, wie anamnestisch vermutlich bei unserem Patienten, mit Infektionen oder malignen Erkrankungen verwechselt werden [17].

Die Arthritiden treten meistens akut auf und zeigen wie andere Kristallarthropathien eine Spontanregredienz innerhalb weniger Wochen [3]. In Fallserien werden jedoch auch prolongierte Verläufe mit Tendenz zur Chronifizierung beschrieben, wie es bei unserem Patienten zu beobachten war [7, 17]. Bezogen auf die Omarthritis identifizierte Codman Patienten mit sehr kurzen und mit langwierigen Verläufen und stellte die Hypothese auf, dass die akute und die chronische Form 2 verschiedene Erkrankungen sind [7]. Im Gegensatz dazu steht das zyklische Phasenmodell von Uhthoff und Loehr: 1) präkalzifizierte, 2) kalzifizierte (unterteilt in formierende, anhaltende und resorptive), 3) postkalzifizierte Phase [20]. Sie erklären die variierenden Zeitverläufe durch das unterschiedliche Voranschreiten innerhalb des Zyklus [7]. Beide Hypothesen sind noch nicht an größeren Fallzahlen validiert.

Die Behandlung der Hydroxylapatitkristallarthropathie erfolgt symptomatisch mit nichtsteroidalen Antirheumatika, Wärme- oder Kältetherapie und Ruhigstellung ggf. mit Schienenanlage [3, 6, 11, 17]. Die konservative Therapie sollte mindestens 6 Monate erfolgen, bevor bei prolongierten Verläufen extrakorporale Stoßwellentherapie, Needling (perkutane Kollageninduktion) oder lokale Injektionen mit Anästhetika und/oder Glukokortikoiden angewendet werden [11]. Die Wirksamkeit von Needling und intraartikulären Injektionen konnte in mehreren Studien belegt werden [18]. Eine Studie von del Cura et al. ergab, dass 1 Jahr nach der Intervention 91 % der behandelten 67 Schultern symptomfrei und in 89 % der Fälle auch radiologisch keine Kalzifikationen mehr nachweisbar waren. Andere Behandlungsmethoden wie Iontophorese und Ultraschalltherapie waren nicht effektiver als Physiotherapie oder Placebo [2]. Bei Schulterbefall ist die extrakorporale Stoßwellentherapie in randomisiert kontrollierten Studien effektiv [13], jedoch schmerzhaft, teuer und nicht überall verfügbar [2]. Bei destruktiven Verläufen ist eine Endoprothetik häufig unumgänglich. Eine kausale, spezifische Therapie mittels „disease modifying anti-rheumatic drugs“ (DMARDs) oder Biologika ist bisher nicht durch Studien belegt. Kleinere Fallserien mit insgesamt 7 Patienten berichten von klinischen und laborchemischen Verbesserungen unter einer Therapie mit Anakinra [1, 22].

Unser Fall illustriert einen seltenen, chronischen Verlauf einer Hydroxylapatitkristallarthropathie mit schweren destruktiven Gelenkveränderungen. Neben den häufigeren Kristallarthropathien oder septischen Arthritiden ist es wichtig, auch diese Diagnose in Betracht zu ziehen.

Fazit für die Praxis

  • Die Hydroxylapatitkristallarthropathie verläuft häufig als akute Arthritis mit Spontanregredienz innerhalb weniger Wochen, ein chronisch progredienter Verlauf ist jedoch möglich.

  • Die Diagnose wird elektronenmikroskopisch, mittels Röntgenbeugungsanalyse oder histologisch durch Nachweis von Hydroxylapatitkristallen in der Alizarinrotfärbung gestellt.

  • Eine kausale Therapie existiert bisher nicht.