Treat-to-Target gilt für viele rheumatologische Erkrankungen heute als die gewünschte und angestrebte Therapiestrategie. Warum widmen wir diesem Konzept ein ganzes Heft der Zeitschrift für Rheumatologie, und sollte nicht jede Therapie ein bestimmtes Ziel verfolgen? Bei akuten Erkrankungen ist dieses Ziel zumeist die Heilung. Bei chronischen Erkrankungen, für die bis heute keine Heilung angeboten werden kann, ist das Ziel – ganz allgemein gesprochen – eine weitgehend normale Lebensqualität. Für rheumatische Erkrankungen bedeutet dies v. a.: keine Schmerzen, keine Funktionseinschränkung und eine normale Teilhabe. Nach diesen Zielen haben wir immer irgendwie gestrebt. Heute stehen uns allerdings dafür bessere Möglichkeiten zur Verfügung, die wir gezielt einsetzen und jedem Patienten zukommen lassen wollen. Für eine „precision medicine“ fehlen uns jedoch noch individuelle Prädiktoren.

Behandlungsziele sind: keine Schmerzen, keine Funktionseinschränkung und normale Teilhabe

Wie beim Diabetes mellitus und auch bei der arteriellen Hypertonie haben wir stattdessen kurz- bis mittelfristige Ziele definiert, deren Erreichen nicht nur einen Gewinn für die Gegenwart der Patienten darstellt, sondern auch die lebenslangen Ziele sichern soll. Bestes Beispiel für dieses Konzept ist die Definition von Remission als Ziel durch ACR (American College of Rheumatology)/EULAR (European League Against Rheumatism), die ein Surrogat für radiologische Nichtprogression darstellt und dabei die „0“-Zunahme an Destruktion als Surrogat für erhaltene Funktionalität nimmt. Die so definierten Zielkriterien sind anschließend in prospektiven Studien in ihrer Wertigkeit bestätigt worden. Dabei erreichen bisher allerdings nur 20–30 % der Patienten die sehr anspruchsvollen Boolean-Remissionskriterien, aber 70–80 % der Patienten unter DMARD(„disease modifying antirheumatic drugs“)-Therapie erleiden keine signifikante radiologische Progression. Das heißt, der „Negativ-Prädiktiv-Value“ der Kriterien ist schlecht.

Für die Umsetzung von „treat to remission“ in der Praxis bedeutet dies, dass wir bei mindestens zwei Drittel der Patienten regelhaft die Therapie anpassen müssen, weil das Ziel einer Remission nicht erreicht wurde. Diese Anpassung bleibt selbst bei mehr als 50 % der Patienten mit einer Früharthritis aus, wie wir aus der CAPEA-Studie wissen. Dieses Auslassen bzw. Vermeiden einer Therapieeskalation ist ein Abweichen vom Treat-to-target-Konzept und kann, muss aber nicht in jedem Fall, Konsequenzen für die Betroffenen haben.

Bei mindestens zwei Drittel der Patienten muss regelhaft die Therapie angepasst werden

Wir wissen, dass es v. a. außerhalb von Studien im klinischen Alltag viele Gründe für eine solche Nichtadhärenz gibt. Deswegen erscheint es uns wichtig, noch einmal eine Übersicht über die verschiedenen Aspekte und Player für die Therapiestrategie Treat-to-Target zu geben. Lorenz et al. geben unter dem Titel „Forderung: Erstvorstellung in 6 Wochen“ einen Überblick das pathophysiologische Grundkonzept für das „window of opportunity“ und damit die Sinnhaftigkeit einer frühzeitigen Intervention [5]. In ihrem Beitrag gehen sie auch auf Konzepte zum Erreichen eines frühen Facharztkontaktes ein. Ein Beitrag von Schneider und Burmester beschäftigt sich unter dem Titel „‚Tight control‘ – Forderung nach engmaschiger Kontrolle der rheumatoiden Arthritis“ mit den therapeutischen Zielen und der Notwendigkeit zur kurzzeitigen Überwachung [6]. Dabei wird auch die Bedeutung von partizipativer Entscheidungsfindung, von Hindernissen zur Implementierung von Treat-to-Target und von Strategien zur Überwindung erörtert. Eine zunehmende Bedeutung kommt – wie von Erstling et al. dargestellt – in dem Gesamtkonzept den rheumatologischen Fachassistentinnen zu, an die sich wesentliche Aspekte für Treat-to-Target in der Routine delegieren lassen, was eine kontinuierlich konsequente Umsetzung wahrscheinlicher macht. Auch darüber erfährt diese Fachgruppe eine zunehmende Wertschätzung [3]. Nicht unterschätzt werden darf die Rolle der Betroffenen für die regelhafte Umsetzung von Treat-to-Target. Der Beitrag von Cattelaens et al. stellt dar, welche Möglichkeiten zur Umsetzung und aktiven Teilnahme angeboten und gewünscht werden [1]. Auch in weiterer Form hängt Treat-to-Target von den Betroffenen ab; so beeinflussen Komorbiditäten ganz eindeutig die individuelle Therapie. Dies machen Krüger und Kneitz in ihrem Beitrag am Beispiel von kardiovaskulären Begleiterkrankungen und Infektionen deutlich [4]. Darüber hinaus ist für den schnellen Erstkontakt und für die enge Krankheitskontrolle auch eine adäquate Honorierung der ärztlichen Leistung von großer Bedeutung. Edelmann et al. zeigen am Beispiel von Selektivverträgen den Nutzen dieser besonderen Vereinbarungen für die Umsetzung von Treat-to-Target als qualitätssichernde Maßnahme [2].

Die Ausrichtung dieses Schwerpunktheftes zu Treat-to-Target war primär ein Update zu therapeutischen Zielen und Prognosemarkern bei verschiedenen rheumatischen Systemerkrankungen. Bei der vorbereitenden Diskussion zu diesen Themen haben Redakteure und Autoren festgestellt, dass in der aktuellen Behandlungsrealität die Teile, die zusammen das Konzept Treat-to-Target umfassen, und die beteiligten Player bisher nicht eindeutig genug abgebildet sind. Deswegen haben wir den Schwerpunkt dieses Heftes auf die Präzisierung von Teilaspekten von Treat-to-Target gelegt, um damit eine konsequentere Umsetzung der Strategie in der Praxis voranzutreiben.

figure a

Prof. Dr. M. Schneider

figure b

Prof. Dr.G.-R. Burmester