Anamnese

Wir berichten über eine 14-jährige Patientin aus den 1990er-Jahren mit einer schweren Komplikation eines chronisch infantilen neurokutaneoartikulären Syndroms (CINCA), rheumatoider Polyarthritis, Gelenkzerstörung, Wachstumsverzögerung, chronischer Meningitis mit Hydrozephalus nach intrazerebraler Blutung sowie mentaler Retardierung

Der Anlass der Konsultation waren ausgedehnte, fortschreitende Hautulzerationen. Die Läsionen entstanden innerhalb einer Woche aus erythematösen Makulae mit nachfolgender Entwicklung von Hämatomen, gefolgt von Desquamation der Haut. Der Prozess begann an den Oberschenkeln und breitete sich dann auf die gesamte untere Extremität und beide Hände aus. Eine ambulante konservative lokale Wundbehandlung zeigte keine Wirkung.

Medikation

Azathioprin (1-mal 25 mg), Prednison (1-mal 5 mg), Naproxen (2–0–3), Enalapril (1-mal 25 mg) Morphin-Sulfat (2-mal 1 mg). TNF-α-Blocker oder Anakinra waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfügbar.

Befunde

Dermatologie

Multiple, bizarr konfigurierte, fast vollständig nekrotische Hautulzera mit hellrotem erythematösem Randsaum (Abb. 1). Die maximale Ausdehnung am rechten Oberschenkel betrug 15 × 10 cm und am linken Oberschenkel 10 × 10 cm.

Abb. 1
figure 1

Erstbefund nach lokaler Wundbehandlung: konfluierende Hautulzera der unteren Extremitäten vor Behandlung mit PGE1

Labor

C-reaktives Protein 189 mg/l, Leukozyten 51 G/l, Thrombozyten (865 G/l) Hämoglobin 96 g/l. Gerinnungsparameter im Normbereich (Protein C 66 %, Protein S 168 %, Antithrombin-3 75 %, aktiviertes Protein C 2,55).

Histopathologie

Eine Randzonenbiopsie der Hautulzera zeigte eine unspezifische Vaskulopathie mit spärlichen hyalinen Thromben in isolierten Hautkapillaren. Eine Vaskulitis wurde ausgeschlossen, und fibrinoide Nekrosen oder entzündliche Gefäßwandinfiltrate lagen nicht vor. Immunhistologisch waren keine Ablagerungen von Komplementfaktoren oder Immunglobulinen nachweisbar. Es ergab sich kein Hinweis auf ein Waterhouse-Friderichsen-Syndrom.

Bildgebung

Eine pathologische Fraktur sowie eine Osteomyelitis wurden radiologisch und durch die Skelettszintigraphie ausgeschlossen.

Diagnose

Differenzialdiagnosen nekrotischer Hautulzera umfassen Infektionen wie nekrotische Fasziitis, Sepsis (z. B. Waterhouse-Friderichsen-Syndrom) oder auch Pyoderma gangraenosum, Vaskulitiden (z. B. leukozytoklastische Vaskulitis, mikroskopische Polyangiitis, Morbus Wegener) und Kalziphylaxie. Diese wurden ausgeschlossen. Embolische Ereignisse schienen wegen der Verteilung der Läsionen beidseits, an oberen und unteren Gliedmaßen unwahrscheinlich. Anzeichen einer gestörten Perfusion distal der Läsionen waren nicht nachweisbar. Eine Kryoglobulinämie oder Vaskulitis konnte ausgeschlossen werden. Als seltene Differenzialdiagnose musste die Livedovaskulopathie in Betracht gezogen werden. Auch hierfür gab es histologisch keine Hinweise.

Da die Hautläsionen eine rasche Progression von spontanen Erythemen zu Hautnekrosen zeigten und resistent gegen konservative Behandlung waren, nahmen wir eine Nebenwirkung der multimodalen Pharmakotherapie als Hauptgrund für die Symptomatik an.

Therapie und Verlauf

Die Patientin wurde initial bei klinischem Verdacht auf eine Autoimmunvaskulitis und zur Verhinderung einer Infektion mit Polyglobulin N (20 g), Piperacillin und Gentamycin behandelt. Die Behandlung mit Azathioprin, Prednison und Naproxen wurde fortgesetzt. Trotz lokaler Behandlung mit Hydrokolloidbandagen und Wundtoilette konnte eine Ausbreitung der Nekrosen nicht verhindert werden. Nach Ausschluss der wichtigsten Differenzialdiagnosen wurde als damalige Ultima Ratio eine intravenöse Applikation mit Prostaglandin E1 (PGE1, Alprostadil) in einer Dosierung von 6 μg/kg/24 h über 5 Tage eingeleitet. Danach wurden eine verstärkte Perfusion der Wundränder und eine signifikante Verbesserung der Wundheilung für 3 Wochen beobachtet. Anschließend verlangsamte sich der Heilungsprozess, was eine Wiederholung der Infusionstherapie nötig machte. Im Laufe des folgenden Jahres wurden intermittierend identische Infusionen in Abständen von 4 bis 6 Wochen wiederholt. Unter dieser Behandlung konnte nach 6 Monaten ein unvollständiger (Abb. 2) und nach 1 Jahr ein dauerhafter, reizloser Verschluss der Hautläsionen beobachtet werden (Abb. 3). Etwa 7 Jahre nach der erfolgreichen Therapie ist die Patientin im Rahmen einer Aspirationspneumonie verstorben.

Abb. 2
figure 2

Unvollständige Abheilung nach 6 Monaten intermittierender PGE1-Infusionen

Abb. 3
figure 3

Kompletter und permanenter Verschluss der Hautläsionen nach 1 Jahr intermittierender PGE1-Infusionen

Diskussion

Wir beschreiben einen Fall von CINCA-Syndrom mit der seltenen Komplikation von therapieresistenten Hautulzerationen der oberen und unteren Extremitäten. Diese sind nicht Teil des typischen klinischen Erscheinungsbildes des CINCA-Syndroms; klassische Hautmanifestationen sind makulopapulöse oder urtikarielle, partiell juckende Hauteffloreszenzen ohne Nekrosen [1]. Die unterschiedlichen autoinflammatorischen Erkrankungen führen typischerweise zu einem urtikariellen Hautausschlag, der in der Regel nach 24–48 h entweder narbenlos oder mit einer geringen Hyperpigmentierung abheilt, daraus entstehende Nekrosen sind bisher in der Literatur nicht beschrieben [2, 3]. CINCA/NOMID („neonatal onset multisystem inflammatory disease“) gehört zusammen mit FCAS („familial cold autoinflammatory syndrome“) und MWS („Muckle-Wells-syndrome“) zu den Cryopyrin-assoziierten periodischen Fiebersyndromen (CAPS). Grundlage dieser Erkrankungen ist eine Mutation im CIAS1/NLRP3-Gen, das zu einem veränderten Cryopyrin-Genprodukt mit konsekutiver Aktivierung des Inflammasoms führt [4]. Dadurch ist unter anderem die Produktion von IL-1β über den veränderten „NF-κB-pathway“ gesteigert. Diese erhöhte Produktion von IL-1β kann ähnlich wie bei bestimmten Formen des Pyoderma gangraenosum und seltenen NF-κB1-Mutationen zu einer vermehrten Rekrutierung und Aktivierung von neutrophilen Granulozyten in der Haut führen. Die Folge können hier ausgedehnte Hautulzerationen sein, die sehr gut zur Pathogenese der Ulzera in diesem Fall passen. Als Therapieoption stand damals eine zielgerichtete Therapie mittels IL-1-Blockade (Anakinra, Canakinumab) noch nicht zur Verfügung.

Bei therapierefraktären und sich ausbreitenden Hautulzera wurde als damalige Ultima Ratio die Infusion von PGE1 (Alprostadil) zur Stimulation der Angiogenese und zur optimierten Sauerstoffversorgung der Haut gewählt. Als Arbeitshypothese wurde eine Störung der Angiogenese aufgrund der Langzeitbehandlung mit Glukokortikoiden und NSARs angenommen.

Mit der Anwendung von Glukokortikoiden und NSAR wurden 2 Substanzklassen verwendet, welche die Wundheilung und Angiogenese negativ beeinflussen: Steroide beeinträchtigen die Wundheilung, die Fibroblasten- und Mitoseaktivität sowie die Kollagensynthese [5, 6]. Glukokortikoide hemmen die Angiogenese durch Verminderung der VEGF-Expression [7]. So beobachteten Luo et al. eine verstärkte Expression von VEGF und erhöhte Prostaglandinspiegel an den Rändern von Magengeschwüren im Tiermodell [8]. Die Anwendung von Dexamethason sorgte für eine Heilungsverzögerung mit konsekutiver Abnahme von Prostaglandin E und VEGF. Eine Behandlung mit PGE konnte die hemmende Wirkung von Dexamethason auf die VEGF-Expression abschwächen und die Zahl der Blutgefäße am Ulkusrand und der Ulkusbasis wieder erhöhen [6]. Dies deutet darauf hin, dass PGE2 die Expression von VEGF in mikrovaskulären Endothelzellen stimuliert, was mit früheren Beobachtungen übereinstimmt [8, 9]. PGE2 aktiviert über verschiedene Rezeptoren intrazelluläre Second-Messenger-Systeme. Insbesondere für den EP3-Rezeptor wurde gezeigt, dass er für Hochregulation von VEGF wichtig ist [8, 10]. Umgekehrt konnten experimentelle Daten demonstrieren, dass eine Hemmung der Cyclooxygenasen und damit der Prostaglandinsynthese die Angiogenese und damit die Wundheilung unterdrückt [5].

Dieser Fall wird trotz der langen Vergangenheit seines Auftretens hier vorgestellt, da in den vergangenen Jahren zahlreiche experimentelle Daten Belege erbracht haben, welche die Arbeitshypothese für die Anwendung von Prostaglandin im Rahmen dieses individuellen Heilversuches unterstützen. Darüber hinaus zeigt eine aktuelle Untersuchung, dass die Hemmung der Cyclooxygenase zu einer Verlängerung des Glukokortikoideffektes führt [11]. In diesem Zusammenhang sollte das mögliche Zusammenwirken von unerwünschten Wirkungen von gleichzeitig verordneten nichtsteroidalen Antiphlogistika und Glukokortikoiden, wie sie in der Rheumatologie nicht selten praktiziert wird, gerade vor dem Hintergrund möglicher Wundheilungsstörungen weiter untersucht werden.

Dennoch ist hier anzumerken, dass heutzutage bei den CAPS die IL-1β-Blockade via Anakinra und Canakinumab die effektivsten Therapieoptionen darstellen. Insbesondere die möglicherweise IL-1-vermittelte Rekrutierung und Aktivierung von Neutrophilen in der Haut könnte, ähnlich wie bei bestimmten Arten des Pyoderma gangraenosum oder NF-κB1-Mutationen, die bei der Patientin beobachteten Hautulzera erklären. Demnach wäre heute eine Therapie mit einem IL-1-Blocker (Anakinra, Canakinumab, evtl. Gevokizumab) eine potente Therapieoption, die zum damaligen Zeitpunkt allerdings nicht zur Verfügung stand.

Fazit für die Praxis

  • Die negativen Effekte von NSAR und Glukokortikoiden auf die Wundheilung sind experimentell gut belegt.

  • Die Verlängerung der Wirkung von Glukokortikoiden durch gleichzeitige Gabe von NSAR ist aus dem Tiermodell bekannt.

  • Bei Patienten mit schwer heilenden, nicht anderweitig zu erklärenden Wunden ist neben einem Aggravieren der Nebenwirkungen von Glukokortikoiden und NSAR auch eine gesteigerte Aktivierung von Neutrophilen zu erwägen.

  • Eine Antagonisierung des Effektes konnte im vorliegenden Fall durch intermittierende Gaben von PGE1 (Alprostadil) ermöglicht werden.

  • Heute wäre die Therapie mit einem IL-1-Blocker eine potente Therapieoption