Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie hat gerade ihren 90. Geburtstag gefeiert – ein guter Grund auch für einen vorsichtigen Blick in den Spiegel. Ist sie so jung und dynamisch, wie sie sich fühlt, doch eher überaltert und ein historisches Relikt, das zunehmend durch Spezialisierungen und Berufsgruppen abgelöst wird, oder ein fast unsichtbares Mysterium, das man nicht erklären kann und dessen Zugang dem Außenstehenden nur durch Nachweis von Rheumafaktoren und antinukleären Antikörpern geöffnet wird.

Fortschritte in der Grundlagenforschung, Genomsequenzierungen, Zytokin- und Zellprofile werden zunehmend transparent, verständlich und sind in hohem Maß therapeutisch zu beeinflussen. Diagnostik und Dokumentation werden optimiert und standardisiert. Die forschenden Pharmaunternehmen haben den Stellenwert der Rheumatologie erkannt und unterstützen die Innovation. Antirheumatika finden sich unter den umsatzstärksten Medikamenten. Innovationen nehmen potenziell zu. Der einmal beim Rheumatologen angekommene Patient hat die Aussicht auf eine komplette Kontrolle der Beschwerden, eine normale Lebensqualität und Lebenserwartung. Insgesamt konnte die Prognose der Erkrankungen wesentlich gebessert und die für die Erkrankung typischen Gelenkveränderungen können quasi verhindert werden. Patienten mit rheumatoider Arthritis sind inzwischen ein normal am alltäglichen Privat- und Arbeitsleben teilnehmender Teil der Gesellschaft, der nach außen nicht mehr auffällt.

Der Rheumatologe hat daher das Recht, stolz zu sein und sich, durch die Erfolge bekräftigt, weiter seiner Forschung zu widmen. Warum ist daher dieses Themenheft nötig, kostet Aufmerksamkeit und verdrängt möglicherweise andere wichtige zu veröffentlichende Forschungsergebnisse? Anfragen zur Beteiligung an diesem Heft wurden von einigen potenziellen Autoren als zweitrangig abgewiesen.

Lassen Sie sich von interessanten, unbequemen, vertrauten und auch verstörenden Sichtweisen beeinflussen

Im Kontrast zu den Leistungen der Rheumatologie hat sich die Erkenntnis zum Thema außerhalb der fachärztlichen Betreuung in den letzten 40 Jahren trotz zwischenzeitlicher Einführung der Facharztbezeichnung nicht wesentlich geändert. Wir müssen weiter eine sehr lange Zeitdauer vom ersten Symptom bis zur Diagnosestellung einer rheumatischen Erkrankung beklagen, die bereits relevante Chancen auf eine Remission verstreichen lässt. Gleichzeitig müssen wir eine nicht flächendeckende universitäre Lehre und Schwächung der Versorgung durch Schließung rheumatologischer Krankenhäuser und Praxen hinnehmen, sowie deutliche Restriktionen bei der epidemiologischen Erforschung der Erkrankungen in der Bevölkerung erfahren, z. B. durch eine nur zweitrangige Berücksichtigung bei der größten deutschen Epidemiologischen Untersuchung (Nationale Kohorte).

Die 1978 in den Festansprachen zum Kongress der Fachgesellschaft von Staatssekretär Wolters [1] geäußerte Sicht auf die Rheumatologie ist daher weiter hochaktuell und kann quasi in Gänze auch weiter auf den heutigen Tag übertragen werden (Abb. 1).

Abb. 1
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Festansprache zum Kongress der Fachgesellschaft 1978

Abb. 1
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(Fortsetzung)

Abb. 1
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(Fortsetzung)

Wir müssen als Rheumatologie daher auch die Aspekte der Wahrnehmung von außen in unser Denken und Handeln einbeziehen, um insbesondere die Früherkennung, Selbstwahrnehmung der Patienten und Akzeptanz der Rheumatologie in der Gesellschaft auf unserem Weg mitzunehmen und von dem Fortschritt profitieren zu lassen.

Hierfür gibt es keine einfachen und schnellen Lösungen, wohl aber Ideen und eine Motivation vieler, auch diese nicht EBM(Einheitlicher Bewertungsmaßstab)-, DRG(Diagnosis Related Groups)- oder Impact-Punkt relevanten Probleme anzupacken. Lassen Sie sich von interessanten, unbequemen, vertrauten und auch verstörenden Sichtweisen beeinflussen. Das ist wichtig für die Zukunft der deutschen Rheumatologie.

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Dr. O. Sander

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Prof. Dr. M. Schneider