Im Jahr 2015 ist es 40 Jahre her, dass Georges Köhler und Cesar Milstein [1] erstmals „monoklonale Antikörper“ beschrieben haben, eine Entdeckung, für die beide 1984 den Nobelpreis zugesprochen bekamen. Es begann die Ära der „Biologika“, zumeist monoklonaler Antikörper, die mit großer Genauigkeit jeweils ein bestimmtes Zielmolekül erkennen und dessen Funktion auf unterschiedlichste Art verändern.

Biologika haben die Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen dramatisch verändert.

Sie richten sich gegen Botenstoffe der Entzündung wie den Tumornekrosefaktor (TNF)-α, das Interleukin-1, interferieren mit der entzündungsfördernden Zusammenarbeit von Lymphozyten z. B. durch Blockade des Interleukin-6-Rezeptors oder eines T-Zell-Stimulationsweges oder schalten gleich alle B-Lymphozyten aus, indem sie ihr Wachstum hemmen oder zu ihrer Zerstörung beitragen. Die klinischen Erfolge sind beeindruckend, die Nebenwirkungen geringer als erwartet.

Sind wir schon am Ziel? Nein. Denn es sollte uns zu denken geben, dass nicht alle Patienten auf die Biologika ansprechen und dass bei den allermeisten Patienten keine permanente therapiefreie Remission erreicht wird. Offenbar zielen die gegenwärtigen Therapien noch nicht scharf genug auf die eigentlichen Motoren der rheumatischen Entzündungen – zumindest nicht auf die Zellen, die die chronische Entzündung antreiben: die pathogenen Zellen der rheumatischen Entzündung.

Von den Effektoren zu den Motoren der rheumatischen Entzündung: die pathogenen Zellen

Unter diesem Leitthema haben wir in dieser Ausgabe der Zeitschrift für Rheumatologie 5 Beiträge zusammengestellt. Neben einer grundsätzlichen Übersicht einschließlich eines Rückblicks auf die ersten auf Zellen gerichteten Therapien durch Joachim Kalden, der seit den Anfängen der Biologikatherapien maßgeblich an deren klinischer Entwicklung beteiligt war, sind es 4 Aufsätze, die sich mit Zellen beschäftigen, die bisher nicht im Mittelpunkt therapeutischer Überlegungen standen und die von heutigen Therapien gar nicht oder nur unzureichend angesprochen werden. Doch es gibt gute Gründe, diesen Zellen etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Das sind zum einen die Zellen des Immunsystems, die bei chronischen Immunreaktionen entstehen und die dann ihrerseits diese chronischen Immunreaktionen antreiben, nämlich chronisch aktivierte T-Lymphozyten und Gedächtnisplasmazellen, die Autoantikörper produzieren. Dass es Gedächtnisplasmazellen überhaupt gibt, ist erst in den letzten 10 Jahren klar geworden. Und dass sich chronisch aktivierte T-Lymphozyten von den schützenden T-Lymphozyten akuter Immunreaktionen drastisch unterscheiden, wissen wir auch erst seit wenigen Jahren. Jan Leipe aus München und Hyun-Dong Chang aus Berlin stellen uns diese Zellen vor und zeigen, wie sich aus dem Wissen um ihre Besonderheiten völlig neue Therapieoptionen ergeben.

Falk Hiepe und Tobias Alexander aus Berlin und Reinhard Voll aus Freiburg sind die internationalen Pioniere der pathogenen Gedächtnisplasmazellen. Vieles spricht dafür, dass diese Zellen ein lohnendes Ziel für die Entwicklung neuer Therapien sind. Sie sind refraktär gegen fast alle bekannte Therapien, doch wenn man auch sie eliminiert, z. B. bei der autologen Stammzelltransplantation, erreicht man häufig eine eindrucksvolle, therapiefreie Remission. Leider ist zurzeit noch keine experimentelle Therapie verfügbar, die selektiv pathogene Gedächtnisplasmazellen ausschaltet und die schützenden Gedächtnisplasmazellen verschont. Deshalb ist leider (noch) jede Plasmazelltherapie mit einem Verlust der Serumimmunität verbunden, was eine längere Substitution mit Fremdimmunglobulinen erfordert und die Wiederherstellung protektiver Immunität durch Impfung.

Refraktäre Gedächtnisplasmazellen: Wenn Autoantikörper nicht verschwinden

Gabriela Riemekasten aus Berlin und Thomas Kamradt aus Jena lenken unsere Aufmerksamkeit auf die körpereigene Immunregulation der Patienten, die offensichtlich bei chronischen rheumatischen Entzündungen versagt. Sie stellen die regulatorischen T-Lymphozyten vor und diskutieren Möglichkeiten, diese Zellen in den Patienten gezielt zu stimulieren, z. B. durch die Gabe des Zytokins Interleukin-2. Schließlich beschreiben Ulf Müller-Ladner aus Bad Nauheim und Thomas Pap aus Münster die Synoviozyten der rheumatischen Entzündung und machen uns darauf aufmerksam, dass es wahrscheinlich nicht ausreichen wird, die pathogenen Zellen des Immunsystems zu eliminieren, sondern dass die Synoviozyten der rheumatischen Entzündung ein (pathogenes) Eigenleben entwickeln können, sozusagen unumkehrbar auf Entzündung programmiert werden.

Auch wenn vieles, das hier diskutiert wird, noch ein Stück weit entfernt ist von der klinischen Realität, zeichnen sich jetzt schon ganz neue Entwicklungen ab – so das Konzept der individualisierten Therapie, die voraussetzt, dass bei jedem Patienten erst einmal bestimmt wird, welche Typen von pathogenen Zellen bei ihm die chronische Entzündung antreiben. Durch eine Kombination zelltypspezifischer Therapien können diese Zellen dann ausgeschaltet werden. Oft wird es nötig sein, auch die Vorläufer dieser Zellen möglichst selektiv auszuschalten. Wir erreichen Selektivität durch die monoklonalen Antikörper, die wir einsetzen, und die Zielmoleküle, die nur auf den pathogenen Zellen vorkommen. Doch die eigentlichen Ziele sind die Zellen selbst, die „kleinsten lebenden Einheiten der Krankheit“, ganz im Sinne der „Cellularpathologie“, die Rudolf Virchow vor mehr als 150 Jahren [2] erstmals formuliert hat.

Prof. Dr. Andreas Radbruch

Prof. Dr. Hendrik Schulze-Koops