Am 26.09.2013 verstarb Prof. Dr. med. Thorsten Nikolaus (Abb. 1) in seinem 58. Lebensjahr. Der Lehrstuhlinhaber an der Universität Ulm, Chefarzt und Geschäftsführer der Bethesda Geriatrischen Klinik Ulm, Herausgeber des umfangreichen Standardwerks Klinische Geriatrie [17] gehörte zu den damals wenigen deutschen Geriatern, die international anerkannt publizierten. In mehreren Forschungsverbünden vernetzt war er aber auch im Fortbildungsbereich europa- und deutschlandweit präsent [5]. Besonders lag ihm der Aufbau der Europäischen Akademie für Altersmedizin (EAMA) am Herzen, zu deren für die Entwicklung wichtigen europäischen Weggefährten er gehörte [12]. Wissenschaftlich und praktisch vertrat er das Fachgebiet Geriatrie umfassend, und gute akademische Lehre war ihm immer wichtig. Bereits 1992 erschien ein kleines Taschen-Lehrbuch, das rasch vergriffen war [9]. Er wies Studierende sowie pflegerisch, therapeutisch und ärztlich Tätige auf die Bedeutung alltagsrelevanter Funktionsfähigkeit hin (Öffnen von Blisterpackungen, Mobilität, Geldzählen u. a. [16]), und er entwickelte Assessmentskalen, die noch heute genutzt werden [14, 15].

Abb. 1
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Prof. Dr. med. Thorsten Nikolaus. Foto: Diakonie Kronenkreuz, Ulm (2013)

Die Weiterbildung zum Internisten erfuhr Thorsten Nikolaus an der Ludolf-Krehl-Klinik der Universität Heidelberg, war anschließend Oberarzt am Krankenhaus Bethanien in Heidelberg und habilitierte 1996 mit einer Arbeit zur Bedeutung des geriatrischen Assessments [10]. Er wechselte im gleichen Jahr nach Ulm. Seine Begeisterungsfähigkeit, positive humanistische Grundhaltung sowie freundliche und zurückhaltende Art wurden an anderer Stelle gewürdigt [6].

Hier soll an sein unermüdliches Engagement als Mitherausgeber der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie (ZGG) über fast 14 Jahre und seine Verdienste für die Verbreitung des geriatrischen Assessments im deutschen Sprachraum erinnert werden.

Kurz vor seinem Tod, im September 2013, nahm Herr Nikolaus zum letzten Mal an einer ZGG-Herausgebersitzung teil. Er lebte und lobte die in der ZGG gewachsene Interdisziplinarität und Interprofessionalität. Die ZGG sei „breit aufgestellt, Review-Verfahren [seien] verbessert und nahezu alle Bereiche der Alternswissenschaft sind vertreten“Footnote 1. Gleichzeitig brachte er zum Ausdruck: „Es ist nötig, die Anzahl englischsprachiger Publikationen zu erhöhen und eine strengere standardisierte Beurteilung eingereichter Manuskripte vorzunehmen“; ein wohl erstes Editorial in englischer Sprache von ihm gemeinsam mit Cornel Sieber erschien bereits 2004 [18].

Er bezeichnete „das umfassende Assessment als Herzstück der geriatrischen Vorgehensweise und … Schlüssel einer sorgfältig geplanten Behandlung“ [11, S. 21]. Seine erste Veröffentlichung zum Thema Assessment erschien 1992 [13], die letzte 2015 posthum [3]. Es kann geschätzt werden, dass er während dieses Zeitraums insgesamt 35 Publikationen speziell zum Assessment vorgelegt hatte.

1993 führte er eine Gruppe von Geriaterinnen und Geriatern aus 9 Kliniken in der Schweiz und in Deutschland zusammen. Es sollten Assessmentinstrumente ausgewählt, abgeglichen, übersetzt und daraufhin überprüft werden, ob sie zwischen den Berufsgruppen des Teams, aber auch mit Patienten und Angehörigen kommunikabel, in verschiedenen Settings einsetzbar sowie für die Ableitung von Therapieempfehlungen und Verlaufsevaluation geeignet waren. Die Ergebnisse wurden als „AGAST“-Broschüre veröffentlicht [1, 7].

Die Wichtigkeit von Assessment für spezifisch geriatrische Diagnostik und Behandlung wurde in Deutschland unterschiedlich eingeschätzt. In jenen Jahren stieß vereinheitlichtes und standardisiertes Vorgehen auf Widerstand, weil u. a. Einschränkungen ärztlicher Therapiefreiheit befürchtet wurden. Da sich Assessment zunächst v. a. in speziellen klinischen Abteilungen (GEM-Units und ACE) als wirksam erwies, kamen auch Ängste auf, dass es Klinikstrukturen beeinflussen könnte. Die Ergebnisse eines Symposiums der Robert Bosch Stiftung 1994 mit Beiträgen von Laurence Z. Rubenstein, Laurence G. Branch, Alan M. Jette, Andreas Stuck, Wolfgang von Renteln-Kruse, Thorsten Nikolaus u. a. erschienen erst 4 Jahre später [19].

Während dieser Zeit wurde eine Assessmentrosette [20] entwickelt und als praktikablere Alternative, gewissermaßen als „Gegeninitiative“, propagiert. Thorsten Nikolaus entgegnete: „Ich kann … Assessment nicht unter dem Aspekt der Anpassung mit meiner individuellen Situation vermengen“ [19, S. 197 f.] und „Es fehlt hier der Maßstab für ein gutes Messverfahren“ [19, S. 198].

Als im Herbst 1995 die „AGAST“-Broschüre auf dem gerontologisch-geriatrischen Jahreskongress in Hamburg vorgestellt werden sollte, entschied das Tagungspräsidium, eine Verbreitung während der Tagung sei noch „zu verfrüht“ – verständlich vor dem konfliktträchtigen Hintergrund [Erinnerung WH].

Thorsten Nikolaus verfolgte das Thema Assessment beharrlich und bewundernswert sachlich weiter. Die damals vorliegenden Wirksamkeitsnachweise aus angloamerikanischen Ländern hatten dazu beigetragen, die Geriatrie in das Fallpauschalensystem und damit in das Akutkrankenhaus aufzunehmen. Es ist kaum vorstellbar, dass dies ohne ein in Deutschland bereits verfügbares „Handwerkszeug“ gelungen wäre. Dazu hat Thorsten Nikolaus einen unschätzbaren Beitrag geleistet. Seine intensive Beschäftigung mit Assessmentverfahren – also mit „Geriatrie in Maß und Zahl“ – war grundsätzlich weitsichtig. Über 30 Jahre später sind nicht nur in klinischer Versorgung älterer Menschen, sondern auch im Bereich von Gesundheitsförderung und Prävention, in altersmedizinischen Studien generell valide und praktikable Messverfahren schlicht unverzichtbar [2, 21]. Erfreulich ist, dass sein Engagement heute unter Mitwirkung der 3 DACH-Länder in der Leitlinienarbeit zum Assessment fortwirkt [4, 8].

Wer Thorsten Nikolaus kannte, wird ihn und seine vielfältigen Aktivitäten mit persönlichen Erinnerungen verbinden. Sicher war er eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die die Geriatrie in Deutschland mit vorangebracht haben, und bis zuletzt ein hervorragender Mentor, herzlicher Mensch und Freund.