Die möglichst frühzeitige Diagnostik und adäquate Therapie lokaler Wundinfektionen ist ein multidisziplinär relevantes Problem. Einen besonders hohen Stellenwert hat diese Thematik bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Wunden [1, 2]. Das Risiko, eine chronische Wunde zu entwickeln, steigt mit zunehmendem Lebensalter deutlich an. Entsprechend der aktuellen Definition der Fachgesellschaft Initiative Chronische Wunden (ICW) e. V. werden Wunden als chronisch bezeichnet, wenn sie nach 8 Wochen nicht abgeheilt sind. Unabhängig von dieser zeitlich orientierten Definition gibt es Wunden, die von Beginn an als chronisch anzusehen sind, da ihre Behandlung eine Therapie der weiterhin bestehenden Ursache erfordert. Hierzu gehören beispielsweise das diabetische Fußulkus (DFU), Wunden bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK), Ulcus cruris venosum oder Dekubitus [3].

Lokale Wundinfektionen können zu erheblichen klinischen Problemen führen. Neben einer Stagnation der Wundheilung ist es insbesondere die drohende Weiterentwicklung zu systemischen Infektionen bis hin zu einer Sepsis, die gefürchtete, potenziell lebensbedrohliche Komplikationen darstellen.

Bakteriennachweis

Die Diagnostik von Patienten mit chronischen Wunden kann entsprechend der ABCDE-Regel [4] strukturiert erfolgen (Tab. 1). Mit dem Buchstaben „B“ werden hier alle klinisch relevanten Maßnahmen der Bakteriendiagnostik beschrieben. Für den Nachweis von Bakterien in chronischen Wunden ist in der klinischen Routine meist ein bakteriologischer Abstrich der Wundoberfläche ausreichend ([5]; Tab. 2).

Tab. 1 ABCDE-Regel der Wunddiagnostik. (Dissemond [4])
Tab. 2 Empfehlungen der Initiative Chronische Wunden e. V. zur praktischen Durchführung der bakteriologischen Wunddiagnostik. (Schwarzkopf und Dissemond [5])

Wenn die Indikation für den Abstrich eine Screeninguntersuchung beispielsweise für den Nachweis von multiresistenten Erregern (MRE) ist, dann sollte zuvor keine Wundsäuberung erfolgen, um möglichst das gesamte Spektrum der Erreger nachweisen zu können. Die Durchführung entsprechend der Technik des Essener Kreisels [6] stellt hier eine validierte, leicht anwendbare Methode dar (Abb. 1). Bei klinischem Verdacht auf eine Wundinfektion sollte vor der Durchführung der bakteriologischen Diagnostik eine Wundsäuberung beispielsweise mit steriler physiologischer Kochsalz- oder Ringer-Lösung und sterilen Kompressen erfolgen, um klinisch nicht relevante Kontaminanten von der Oberfläche zu entfernen [5]. Hier wird die Durchführung eines bakteriologischen Abstrichs entsprechend der Levine-Technik in dem klinisch infiziert erscheinenden Areal empfohlen (Abb. 2). Eine Entnahme von Biopsien für die Erregerdiagnostik ist für die meisten Patienten mit chronischen Wunden nicht notwendig. Biopsien sollten allerdings bei Patienten mit Wundinfektionen und tieferen Ulzerationen, DFU, schweren Weichgewebeinfektionen, Fistelgewebe oder V. a. spezifische Erreger wie beispielsweise Mykobakterien, Leishmanien oder Schimmelpilze erfolgen [5].

Abb. 1
figure 1

Bakteriologischer Abstrich entsprechend der Essener Kreisel-Technik. Die Abstrichentnahme erfolgt unter leichtem Druck von außen nach innen kreisend, um ein möglichst großes Areal der Wunde zu erfassen. (Schwarzkopf und Dissemond [5])

Abb. 2
figure 2

Bakteriologischer Wundabstrich entsprechend der Levine-Technik. Die Abstrichentnahme erfolgt unter leichtem Druck aus einem ca. 1 cm2 großen, klinisch infiziert erscheinenden Areal der Wunde. (Schwarzkopf und Dissemond [5])

Stadien der Wundinfektion

Im angloamerikanischen Sprachraum wird oft der Begriff Infektionskontinuum [7] verwendet, um die verschiedenen Stadien von der harmlosen bakteriellen Kontamination bzw. Besiedelung bis zu einer potenziell gefährlichen, systemischen Infektion zu spezifizieren (Tab. 3). Hierbei werden mehrere aufeinanderfolgende klinische Zustände beschrieben [8, 9]. Die Einstufung als kritische Kolonisation wird allerdings zunehmend kontrovers diskutiert, da es hierfür keine gut objektivierbaren diagnostischen Kriterien gibt [10].

Tab. 3 Stadien des Infektionskontinuums. (Modifiziert nach Kramer et al. [9])

Wichtig ist es, bei der Abklärung lokaler Wundinfektionen eine systemische Infektion bzw. eine beginnende Sepsis nicht zu übersehen. Als systemic inflammatory response syndrome (SIRS) [11] werden systemische Entzündungsreaktionen des Körpers bezeichnet. Wird ein SIRS durch Infektionen hervorgerufen, spricht man von einer Sepsis. Eine Sepsis kann beispielsweise mit den Kriterien des quick Sepsis-related Organ Failure Assessment (qSOFA) Score [12] ermittelt werden. Hiermit wird das klinische Screening ohne Labortests rasch durchgeführt. Bei Verdacht auf Sepsis sind die systemische Gabe einer kalkulierten systemischen Antibiotikagabe und oft auch eine intensivmedizinische Betreuung indiziert [13].

Therapeutischer Index für Lokale Infektionen

Durch eine Expertengruppe der ICW wurde 2019 der Score des Therapeutischen Index für Lokale Infektionen (TILI) für die Diagnostik lokaler Wundinfektionen entwickelt. Dieser TILI-Score wurde dann in mehrere Sprachen übersetzt und in einer multinationalen Studie validiert [14]. Daraufhin konnte eine aktualisierte Version 2.0 (Tab. 4) in Kooperation mit Wund-DACH, dem Dachverband der deutschsprachigen Wundheilungsgesellschaften, erstellt werden [15].

Tab. 4 Therapeutischer Index für Lokale Infektionen für die Diagnostik lokaler Wundinfektionen. (Dissemond et al. [15])

Für den TILI-Score wurden jedem der klassischen Entzündungszeichen die entsprechenden Symptome in der Wundheilung zugeordnet: Calor – Überwärmung; Dolor – spontaner Schmerz oder Druckschmerz; Tumor – Ödem, Verhärtung oder Schwellung; Rubor – periläsionales Erythem; Functio laesa – Stagnation der Wundheilung. Zusätzlich hat die Expertengruppe den Parameter Anstieg und/oder Änderung der Farbe oder des Geruchs des Exsudats ergänzt. Die hier genannten klinischen Symptome sind, einzeln betrachtet, wichtig, aber nicht beweisend für eine Infektion. Daher ergibt sich im TILI-Score erst dann eine Indikation für eine antiseptische Wundbehandlung, wenn mindestens 5 der 6 unspezifischen Symptome vorliegen ([14]; Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Lokale Wundinfektion ohne Hinweis auf systemische Infektion. Fünf der 6 unspezifischen Punkte des TILI-Score liegen vor, sodass zusätzlich zu einem chirurgischen Débridement auch eine antiseptische Wundtherapie durchgeführt werden sollte

Darüber hinaus gibt es aber auch einzelne Aspekte, die eine antiseptische Wundtherapie rechtfertigen. Hier wurden der Nachweis potenziell pathogener Mikroorganismen, die chirurgische septische Wunde und freier Eiter als direkte Parameter identifiziert (Tab. 4).

Wound-At-Risk (W.A.R.) Score

Im klinischen Alltag gestaltet es sich oft schwierig, Patienten zu identifizieren, bei denen noch keine Wundinfektion vorliegt, aber ein erhöhtes Risiko für die Ausbildung einer Wundinfektion besteht. Diese Wunden werden auch als Wound-at-risk (W.A.R.) bezeichnet. Bei diesen Patienten kann es im Gegensatz zu anderen Patienten sinnvoll sein, eine antimikrobielle Wundtherapie frühzeitiger und ggf. sogar langfristig durchzuführen. Daher hat eine interdisziplinäre Expertengruppe den W.A.R.-Score erarbeiten, mit dem das Infektionsrisiko anhand verschiedener endogener und exogener Faktoren ermittelt werden kann ([16]; Tab. 5). Auch dieser W.A.R.-Score kann schnell und unproblematisch im klinischen Alltag ermittelt werden [17].

Tab. 5 W.A.R.-Score für die Einschätzung des Infektionsrisikos. (Dissemond et al. [16])

Moderne Wundtherapie

Die Planung einer modernen Behandlung chronischer Wunden kann sich heute an dem MOIST-Konzept orientieren [18]. Bei diesem Akronym werden die verschiedenen Wundbehandlungsoptionen in mehrere Kategorien unterteilt (Tab. 6).

Tab. 6 MOIST-Konzept der Lokaltherapie chronischer Wunden. (Dissemond et al. [18])

Mit dem Buchstaben T („tissue management“) wird das sog. Gewebemanagement beschrieben. Wichtige Bestandteile sind hierbei die Wundreinigung und das Débridement. Für die Wundreinigung sollte sterile Ringer- oder physiologische Kochsalzlösung verwendet werden. Nach Anbruch ist die Sterilität jedoch nicht mehr gewährleistet, sodass Reste dieser unkonservierten Spüllösungen nach der einmaligen Nutzung verworfen werden sollen. Alternativ sind insbesondere für die ambulante Wundtherapie zunehmend konservierte Wundspüllösungen erhältlich, die nach Anbruch bis zu 8 Wochen verwendet werden können. Der Einsatz von Leitungswasser ist entsprechend den aktuellen Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene- und Infektionsbekämpfung (KRINKO) nur dann zulässig, wenn es mit einem Sterilfilter filtriert wird [19]. Im Rahmen des Débridements sollen zudem alle avitalen Bestandteile in den Wunden entfernt werden [20]. So wird bereits ein Großteil der Bakterien in Wunden eliminiert.

Mit dem Buchstaben I werden alle therapeutischen Maßnahmen, die der Infektionskontrolle dienen, beschrieben. Für die antiseptische Wundtherapie stehen verschiedene Behandlungsoptionen als Wundspülung, Gel oder Wundauflage zur Verfügung. Für die meisten Patienten mit chronischen Wunden ist Polihexanid (PHMB) in den verschiedenen Applikationsformen das Mittel der ersten Wahl ([9, 21]; Tab. 7). Auch wenn es heute wenig zytotoxische und effektive Wundantiseptika gibt, rechtfertigt dies deren ungezielten Langzeiteinsatz nicht. Vielmehr soll es zu einem individuellen, gezielten und zeitlich begrenzten Einsatz kommen. Hier wird eine maximale Therapiedauer von 14 Tagen empfohlen [2, 22]. Danach sollte die Indikation erneut kritisch überprüft werden.

Tab. 7 Aktuelle Expertenempfehlungen für den differenzierten Einsatz einer antiseptische Wundtherapie. (Kramer et al. [9])

Fazit für die Praxis

Lokale Wundinfektionen sind ein multidisziplinäres Problem und können zu zahlreichen Komplikationen, insbesondere bei Patienten mit chronischen Wunden, führen. Daher sollten diese lokalen Wundinfektionen möglichst frühzeitig diagnostiziert und adäquat therapiert werden. Der TILI-Score ermöglicht die rasche Einschätzung im Hinblick auf das Vorliegen einer lokalen Wundinfektion. Mit dem W.A.R.-Score können zudem Patienten mit einem erhöhten Infektionsrisiko identifiziert werden. Therapeutisch kann ein Großteil der Bakterien auf Wunden bereits durch effektive Wundreinigung und/oder Débridement entfernt werden. Für viele Patienten mit chronischen Wunden ist ansonsten Polihexanid (PHMB) das Wundantiseptikum der ersten Wahl. Allerdings sollte die Indikation von Wundantiseptika spätestens nach 14 Tagen kritisch überprüft werden.