Das 50-jährige Bestehen der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie ist der Anlass für den Schwerpunkt in diesem Heft. Mit großer Einmütigkeit wurde das Thema im Herausgebergremium für eines der Jubiläumshefte ausgewählt. Hinter diesem Votum stand die Überzeugung, dass „Demenz“ einerseits zu den großen Herausforderungen unserer Zeit gehört, andererseits dem Thema eine geradezu paradigmatische Bedeutung für Alter(n)swissenschaft und Alter(n)smedizin zukommt, angesichts seiner biomedizinischen, geriatrischen und gerontopsychiatrischen, psychologischen und gesellschaftlichen Facetten, die hier alle gleichermaßen von Bedeutung sind.

Das Gewicht, das dem Themengebiet „Demenz“ in der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie schon seit vielen Jahren beigemessen wurde, zeigt sich auch im Rückblick. Seit 1995, dem Beginn der Erfassung in PubMed, wurden 1801 Beiträge aus unserer Zeitschrift in dieser Datenbank gelistet, 314 davon, also 17,4 %, sind mit dem Schlagwort „dementia“ verknüpft (Stand 12.08.2017). Davon standen bei 270 Artikeln Demenzerkrankungen im Mittelpunkt (s. Zusatzmaterial online), während 44 Beiträge zwar thematisch damit in Verbindung standen, hauptsächlich aber eine andere Ausrichtung aufwiesen. Die thematische Zuordnung der zuerst genannten 270 Publikationen, die von den Verfassern in orientierender Form vorgenommen wurde, listet Tab. 1 auf. Erwähnenswert ist daneben auch, dass sich in den zurückliegenden Jahren eine Reihe von Themenschwerpunkten mit unterschiedlichen Facetten des Generalthemas „Demenz“ beschäftigt hat (Tab. 2).

Tab. 1 Beiträge zu Demenzerkrankungen in der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie seit 1995 (n = 270)
Tab. 2 Themenschwerpunkte zu Demenzerkrankungen in den letzten 5 Jahrgängen der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie

Unsere Zeitschrift hat somit in den zurückliegenden Jahren deutlich gemacht, für wie wichtig sie die Herausforderungen hält, die aus der wachsenden Zahl der an Demenz Erkrankten in unserer Gesellschaft resultieren. Für das vorliegende Heft wurden aus der Fülle in Betracht kommender Themen einige Aspekte ausgewählt, von denen wir hoffen, dass sie für den Kreis unserer Leserinnen und Leser von besonderem Interesse sind und auch dem Format eines Jubiläumsheftes gerecht werden.

J. Pantel gibt einen historischen Überblick zur Entwicklung der pathogenetischen Konzepte der Alzheimer-Demenz. Er arbeitet heraus, dass diese Erkrankung über lange Zeit ein Nischendasein fristete, bis in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts erkannt wurde, dass das bis dahin üblicherweise als senile Demenz bezeichnete Störungsbild als eine spät auftretende Manifestation der Alzheimer-Demenz anzusehen ist und die ebenfalls in dieser Zeit sich abzeichnende enorme Zunahme der Prävalenz dieser Erkrankung offensichtlichen Handlungsbedarf erzeugte. Die in der Folge rasch anwachsenden weltweiten Forschungsaktivitäten erbrachten eine Vielzahl fruchtbarer Ergebnisse, und die Amyloid-Kaskaden-Hypothese etablierte sich als führendes Paradigma der Alzheimer-Forschung. Gleichwohl bleibt eine Reihe von Fragen offen, sodass alternative pathogenetische Konzepte im Blick behalten werden müssen, ebenso wie derzeit noch keine zuverlässige Aussage dazu möglich ist, ob und wann krankheitsmodifizierende Therapien zur Verfügung stehen werden.

Gegenstand des Beitrags von L. Neumann, U. Dapp, W. Jacobsen und W. von Renteln-Kruse sind Ergebnisse aus dem MINDMAP-Projekt, einem internationalen longitudinalen Kohortenforschungsprojekt, welches aus der klinischen Geriatrie wesentliche Gründungsimpulse erhielt und in 12 Städten Europas gemeinsam durchgeführt wird. Ziel verschiedener MINDMAP-Projekte ist es – so die Autoren – u. a., „eine geriatrische Perspektive zu entwickeln, um die Verbindung zwischen Umgebungen und mentalem Wohlbefinden einerseits und dem Frailty-Komplex“ andererseits zu erhellen. Dieses dient dem Zweck, zielgruppengenaue Interventionen zu entwickeln, bevor eine Gebrechlichkeit einzutreten droht („pre-frailty“).

Hierzu wurde ein aufwendiger Survey entwickelt, der Datenerhebungen aus einer Vielzahl von Studienzentralen abrief. Hierbei wurden sowohl Public-Health-Strategien als auch klinisch geriatrische und epidemiologische Ansätze untersucht. Zentraler Aspekt dieser Strategien ist der enge Zusammenhang zwischen körperlicher und psychischer Gesundheit. Die Ergebnisse der Autoren zu den untersuchten 280 Programmen zur mentalen Gesundheit zeigen, dass viele von diesen sich (lediglich) auf Erkrankungen beziehen, ohne dabei Ansätze zu Stärkung und Unterstützung mentaler Ressourcen bei den Betroffenen zu adressieren. Hieraus leiten die Autoren Forschungsrichtungen ab, die in Deutschland (Allianz für Demenz) und auch in Europa (European Innovation Partnership on Active and Healthy Ageing platform) bereits Resonanzräume gefunden haben.

H. Frohnhofen, J. Schlitzer und N. Netzer rufen zunächst die wichtigsten Fakten zur Physiologie des Schlafs im Alter in Erinnerung. Vor diesem Hintergrund fassen sie den aktuellen Stand des Wissens zur Pathophysiologie von Schlafstörungen bei an Demenz Erkrankten zusammen und geben einen Überblick über die zur Verfügung stehenden therapeutischen Optionen. Die Komplexität der von den Autoren in fundierter Weise dargestellten pathophysiologischen Zusammenhänge macht deutlich, dass einfache, z. B. nur auf pharmakologischen Interventionen beruhende Maßnahmen meist zu kurz greifen. Weiterhin weisen Frohnhofen et al. nachdrücklich auf die Bedeutung primärer Störungen des Schlafs hin (z. B. obstruktives Schlafapnoesyndrom, Restless-legs-Syndrom), die bei der Differenzialdiagnostik und -therapie nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Schließlich geben die Autoren eine prägnante Übersicht über die aktuelle Literatur zur Bedeutung von Schlafstörungen als Risikofaktoren für Demenzerkrankungen; ein Thema, das vermutlich in den kommenden Jahren für die Demenzprävention noch an Bedeutung gewinnen wird.

G. Klug und C. Jagsch berichten über ein in der Region Graz etabliertes Projekt zur gemeindenahen psychosozialen Versorgung von alten Menschen mit psychischen Störungen mit einem Fokus auf den an Demenz Erkrankten. Die Autoren beschreiben die Grundvoraussetzungen für Versorgungsmodelle dieser Art und heben neben dem breiten Spektrum der für eine individualisierte Betreuung der Klienten erforderlichen Angebote die besondere Bedeutung eines personenzentrierten Ansatzes hervor. Die vorgelegten Daten beschreiben den beachtlichen zeitlichen Aufwand, der in der längerfristigen psychosozialen Versorgung von Menschen mit Demenz zu leisten ist. Dieser wird aber neben dem Gewinn an Lebensqualität – auch bei ökonomischer Betrachtung – dadurch aufgewogen, dass die Betroffenen länger als in einem konventionellen Setting in einer selbstbestimmten Wohnsituation verbleiben können.

Schließlich war es uns wichtig, den Fokus auch auf die Perspektive der Betroffenen – Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen – zu lenken. R. Schaub und H. von Lützau-Hohlbein gehen auf verschiedene, in dieser Hinsicht bedeutsame aktuelle Entwicklungen ein: Diese reichen von der Frage, wie hilfreich der Begriff „Demenz“ unter heutigen Vorzeichen noch ist – nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Stigmatisierung – bis hin zu gesellschaftlichen Herausforderungen, von denen manche in den letzten Jahren in Hoffnung machender Art und Weise angegangen wurden. Den Autoren gelingt es dabei, ohne die schlimmen Auswirkungen der Demenzen für die Betroffenen zu bagatellisieren, die Bedeutung von Ansätzen, die eine Verbesserung der Lebensqualität, Stärkung erhaltener Ressourcen und bestmögliche gesellschaftliche Teilhabe verfolgen, herauszuarbeiten.

Vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse, wonach etwa ein Drittel der für Demenz relevanten Risikofaktoren potenziell modifizierbar ist, nähren epidemiologische Daten die Erwartung, dass sich die Kurve der altersbezogenen Erkrankungsrate abflachen könnte [4]. Weiterhin besteht die begründete Hoffnung, dass weltweite neurobiologische und klinische Forschung zukünftig Früchte trägt und krankheitsmodifizierende Therapien entwickelt werden. Gleichwohl steht außer Zweifel, dass die Demenzen auch in den kommenden Dekaden zu den großen Herausforderungen für unsere Gesellschaft und das Gesundheitssystem zählen werden. Um es in den Worten eines vor einigen Jahren erschienenen Editorials auszudrücken: „Demenz – weshalb es sich lohnt, dem Thema noch einige Jahrzehnte Aufmerksamkeit zu schenken“ [3].

Für die Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie bedeutet dies, dass sie sich weiterhin in vielfältiger Art und Weise dem Thema „Demenz“ widmen wird. Da unser Journal, wie u. a. aus Tab. 1 hervorgeht, inhaltlich sehr breit aufgestellt ist, bietet es ein Forum, in dem „Demenz“ in einer die Fachgrenzen übergreifenden Art und Weise behandelt werden kann. Aufgrund der wissenschaftlichen und praktischen Herausforderungen der Gegenwart und näheren Zukunft ist dabei damit zu rechnen, dass bestimmte Themenbereiche in den kommenden Jahren ein besonders hohes Interesse erfahren werden. Vorstellbar ist dies z. B. für Fragen der Palliativversorgung, neue Entwicklungen im Bereich der Gerontotechnologie, soziokulturelle Aspekte in einem durch weltweite Migrationsbewegungen geprägten Zeitalter, Wechselwirkungen zwischen altersassoziierter Multimorbidität und Demenz, präventive Strategien u. a. m.

Über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Ansätze hinaus wird es dabei auch wesentlich darum zu gehen haben, wie dem komplexen Versorgungsbedarf von in besonderem Maße hilfebedürftigen alten Menschen [5] in qualifizierter, humaner und ökonomisch machbarer Form Rechnung getragen werden kann. Exemplarisch sei an präventive und therapeutische Maßnahmen in Bezug auf die Demenzen häufig begleitenden psychischen und Verhaltensstörungen erinnert, die eine personalintensive und fachlich qualifizierte Betreuung gleichermaßen erfordern [4]. Auch wenn sich bisher längst nicht alle Hoffnungen, die in neue Therapien gesetzt wurden, erfüllt haben, so ist doch hervorzuheben, dass die wachsenden Erkenntnisse zu präventiven Strategien und die Möglichkeiten, vorhandenes Wissen zu fachübergreifenden und multiprofessionellen Interventionen umzusetzen, einer immer noch verbreiteten resignativen Einstellung zu Demezerkrankungen entgegen stehen [4, 6].

Über unmittelbar fachbezogene Aspekte hinaus erscheint es uns schließlich auch wichtig, zentrale Grundhaltungen nicht aus dem Blick zu verlieren, die wir mit unserer interdisziplinären fachlichen Expertise in den allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs einbringen müssen. Diese betreffen z. B. ein weithin sehr negativ geprägtes Bild vom demenzkranken Menschen, das sich nicht selten auch in entsprechenden Redewendungen niederschlägt. Dem gilt es, eine Perspektive gegenüberzustellen, die die erhaltenen Ressourcen und die personale Würde der Erkrankten ins Blickfeld rückt und damit ihrer Stigmatisierung entgegenwirkt. In diesem Kontext sollten wir auch diskutieren, welche Spielräume für Selbstbestimmung für Menschen mit Demenz, z. B. in medizinischen Fragen [1], aber auch darüber hinaus im Sinne gesellschaftlicher Partizipation ermöglicht werden können [2].

Unser Dank gilt allen, die an diesem Schwerpunkt mitgewirkt haben, natürlich den Autorinnen und Autoren, der Redaktion und dem Lektorat, ganz wesentlich aber auch den diese Zeitschrift tragenden Fachgesellschaften (DGGG, DGG, ÖGGG), dem Bundesverband Geriatrie sowie den Verlagen (Springer Medizin Verlag und davor Steinkopff Verlag), die die unabdingbaren wirtschaftlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen für diese wissenschaftliche Zeitschrift gewährleisten. Wir wünschen allen Beteiligten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Erfolg (und Freude) bei ihrer Arbeit im Sinne der Zielsetzung der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie.

Ihre

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Walter Hewer und

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Rüdiger Thiesemann