Fallkasuistik

Frau K. wurde vom Hausarzt aufgrund einer Schmerzexazerbation des rechten Beins zur stationären Abklärung zugewiesen. Frau K. beschrieb seit 6 Tagen zunehmende immobilisierende Schmerzen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, des Gesäßes, des rechten Beins bis zur medialen Fußkante und den Zehen. Vorausgehende Traumata, Sturz oder schweres Heben wurden verneint. Die Schmerzintensität und die Qualität konnten nicht beschrieben werden. Sie hatte in den letzten paar Tagen weniger gegessen. Normalen Stuhlgang hatte sie zum letzten Mal am Vortag vor Klinikeintritt, sie war aber eher verstopft. Sie verneinte Urin- und Stuhlinkontinenz.

Sozialanamnese: Frau K. lebte selbstversorgend alleine, hatte 2‑mal/Tag Unterstützung in Form von ambulanten Diensten und Mahlzeitendienst. Erst kürzlich wurde eine Anmeldung in einem Pflegeheim gemacht, da die Versorgung zu Hause schwieriger und beschwerlicher geworden war. Kognitiv bestanden anamnestisch keine Einschränkungen. Allerdings war eine Depression behandelt worden.

Bei Klinikeintritt zeigten sich im Neurostatus eine symmetrische Sensibilität und eine normale Kraft an den unteren Extremitäten, außer Fußdorsalextension und Großzehenextension rechts (Kraftgrad M4). Die perianale Sensibilität und der Sphinktertonus waren erhalten. Der übrige Status war unauffällig. In der radiologischen Abklärung der LWS (Lendenwirbelsäule) konnte eine frische Fraktur ausgeschlossen werden. Es zeigten sich eine mäßige bis deutliche Spondylarthrose und eine konzentrische Koxarthrose rechts bei leichtgradig erhöhtem CRP (40 mg/l). Frau K. wurde zur analgetischen Therapie und zur Mobilisierung unter Anleitung der Physiotherapie hospitalisiert. Die bei Eintritt festgestellte Hypokaliämie wurde mit Kalium und Magnesium substituiert. Während des Klinikaufenthalts stürzte Frau K. am 24.12.2015 abends aus ca. 50 cm Höhe auf den Boden. Sie zog sich dabei eine untere Schambeinastfraktur links und eine Acetabulumfraktur links zu.

Die Schmerzmedikation musste angepasst werden, da Frau K. über sehr starke immobilisierende Schmerzen im linken Becken klagte. Die Schmerzmedikation mit Oxycodon (Oxycontin) wurde erweitert und bei ungenügendem Ansprechen auf einen kontinuierlichen Schmerzperfusor mit Pethidin (Pethidin) und Novaminsulfon (Novalgin) umgestellt. Zusätzlich erhielt Frau K. ergänzend Paracetamol (Dafalgan) i.v. und Tolperison (Mydocalm) p.o. Eine einfache Zystitis, im Urinstatus nitritpositiv und im Uricult E. - coli-sensibel auf alle gängigen Antibiotika, wurde antibiotisch mit einer einmaligen Gabe von 3 g Fosfomycin (Monuril) behandelt.

Im Verlauf stellte sich nach der vorliegenden Dokumentation (Tab. 1) ein Delir ein, das sich mit Desorientiertheit, Halluzinationen (die Patientin führte Selbstgespräche), psychomotorischer Unruhe wie Nesteln und teilweiser Somnolenz präsentierte. Die Symptome waren v. a. nachts stark ausgeprägt, zusätzlich zu Angstzuständen. Eine neuroleptische Therapie mit Quetiapin, die kontinuierlich gesteigert wurde, brachte eine gewisse Besserung. So war Frau K. teilweise wieder imstande, Angehörige bei ihren Namen zu nennen. Das am 28.12.2015 durchgeführte CT (Computertomographie) vom Becken zeigte neben der vorderen Acetabulumfraktur links eine Dislokation der unteren Schambeinastfraktur links und eine zusätzliche Fraktur des Sakrums ohne Beteiligung der Neuroforamina (Abb. 1). Wegen der komplexen Situation wurde Frau K. zur Weiterbehandlung auf die akutgeriatrische Abteilung überwiesen.

Abb. 1
figure 1

Schwere Koxarthrose rechts, vordere Acetabulumfraktur links, Dislokation der unteren Schambeinastfraktur links, Fraktur des Sakrums

Tab. 1 Klinische Dokumentation (Pflege) bis zur Übernahme in die Akutgeriatrie (t = Tag)

Bei geriatrischer Übernahme der Patientin um 10 Uhr morgens stand nach konservativ versorgter Beckenringfraktur und angegebener „demenzieller Entwicklung“ formal die „delirante Symptomatik“ im Vordergrund. Die Symptomatik hatte nach der vorliegenden klinischen Dokumentation spontan am Tag 1 nach stationärer Aufnahme begonnen. Die Symptome waren fluktuierend über den Tag und die Nacht. Die Patientin zeigte eine Unfähigkeit, dem Gespräch oder dem Gesagtem zu folgen, und das Denken war desorganisiert. Intermittierend schien sie schläfrig zu sein und war nichtweckbar. Die CAM-Score-Kriterien für ein Delir waren erfüllt [1]. Zur Beurteilung der Delirschwere wurde der CAM-S durchgeführt. Der CAM-S zeigte mit 6 Punkten ein schweres Delir [2]. Formal handelte es sich um ein schweres, hypermotorisches Delir.

Klinisch-neurologisch war die Patientin auffallend schreckhaft und ängstlich, zeigte sich motorisch sehr unruhig und zittrig. Bei nur leichtem Beklopfen oder Berühren der Arme wurden spontan Reflexe ausgelöst. Die Beine wurden ständig bewegt. Außerdem konnte sie nicht mehr sprechen. Die ausgesprochenen Worte waren unverständlich und bruchhaft.

Es bestand ein Bulbuswandern bei normal weiten Pupillen. Auffällig waren zudem ein insgesamt erhöhter Tonus über allen Extremitäten und ein relativ steifer Nacken. Differentialdiagnostisch standen eine Meningitis und ein zerebrales, ischämisches oder embolisches Ereignis im Raum. Die Nackensteifigkeit war jedoch nicht sehr ausgeprägt, es bestanden weder Kopfschmerzen, Kernig- oder Brudzinksi-Zeichen und auch keine Lichtscheu. Für ein Insultereignis zeigten sich keinerlei Foki im Sinne einer Parese oder einer motorischen Schwäche. Alle Extremitäten wurden spontan und kräftig bewegt. Die Bewegungen waren allerdings unkoordiniert; die Sprache war nicht verständlich. Ein CCT war aufgrund der Unruhe der Patientin nur sehr schwierig durchzuführen, zeigte aber keinen pathologischen Fokus. Eine Lumbalpunktion und ein MRT waren in der jetzigen Situation nicht durchführbar. Das Thoraxröntgenbild war unauffällig. Klinisch bestanden eine Tachykardie und Hypertonie; sie entwickelte Fieber und Durchfall. Laborchemisch bestanden eine Elektrolytentgleisung und eine Infektkonstellation mit CRP-Erhöhung auf 97 mg/dl; die Leukozyten lagen bei 10.200. Die BGA zeigte bei Tachypnoe, Tachykardie und septischen Temperaturen das Bild einer nichtkompensierten respiratorischen Alkalose.

Zunächst wurden die Symptome, mit denen des serotonergen Syndroms nach Sternberg [36] verglichen: autonome Instabilität, neuromuskuläre Zeichen, Veränderungen der Kognition und des Verhaltens in der Gegenwart von serotonerger Medikation. Dabei zeigte sich, dass die Symptome der Patientin deutlich mehr als die geforderten 3 Bereiche nach Sternberg abdeckten. Auch die „Hunter decision rules“ [7, 8] für das serotonerge Syndrom waren positiv. Sie müssen mindestens in einem Bereich positiv sein – bei der Patientin waren es 3 Bereiche [2, 4, 5].

Diagnosen

  • Dringender V. a. mittelschweres bis schweres serotonerges Syndrom,

  • hypermotorisches Delir,

  • möglicherweise arthritischer Schub bei einer konzentrischen Koxarthrose rechts,

  • prim. chronisches Schmerzsyndrom im rechten Bein und Lokomotionsstörungen,

  • multifaktorieller Sturz (Tolperison, Delir, Immobilität),

  • sekundär akutes schwerstes Schmerzsyndrom bei Beckenringfraktur,

  • arterielle Hypertonie.

Nach Übernahme der Patientin in die Akutgeriatrie wurde zunächst die Schmerzmedikation mit Pethidin beendet und auf ein niedrig dosiertes Fentanyl (Durogesic Matrix) (12,5 µg) umgesetzt, da nach Studienlage Fentanyl als Schmerzmedikament weniger bis selten serotonerge Syndrome auslöst oder unterhält [7, 8]. Alle zentral wirkenden Medikamente, insbesondere Mirtazapin (Mirtazapin), Citalopram (Cipramil), Quetiapinum (Quetiapin) und Lorazepanum (Lorazepam) und das Tolperison (Mydocalm) wurden gestoppt. Es wurden 5 mg Diazepanum (Diazepam) rektal verabreicht (mehrfach täglich nach Bedarf). Bei ansteigender und septischer Temperatur bis auf 39,4° Temperatur wurden Blutkulturen entnommen und physikalische Kühlungsmaßnahmen durchgeführt. Cefepimum (Cefepim) wurde nierendosisangepasst 2‑mal 500mg i.v. verabreicht. Bei ansteigenden Retentionsparametern wurde angepasst i.v. Volumen ersetzt, und die Elektrolyte wurden ausgeglichen (Hypernatriämie (156 mmol/l), (Hypokaliämie (3 mmol/l). Es wurde ein mehrfach tägliches Monitoring der Symptome festgelegt.

Die Patientin wurde 24 h nach Absetzen der Medikation etwas ruhiger. Sie entfieberte nach 48 h, wurde erstmals wacher und öffnete gezielt die Augen. Sie entwickelte aber starke Entzündungsparameter bei weiter unklarem Fokus (Blutkulturen blieben negativ) und sie wurde breit antibiotisch abgedeckt. Achtzig Stunden nach Absetzen war das serotonerge Syndrom fast komplett behoben; sie nestelte noch etwas, aber die neurologischen Symptome waren nahezu verschwunden. Sie konnte wieder langsam Nahrung zu sich nehmen, nachdem sie zuvor periphervenös ernährt worden war (SMOF Kabiven peripher). Die Patientin konnte wieder reden und Kontakt aufnehmen. Sie war orientiert, konnte sich aber nicht mehr erinnern. Zu diesem Zeitpunkt trat das depressive Syndrom wieder zutage, das im Vorfeld mit Mirtazapin und Citalopram anbehandelt worden war. Eine Wiederaufnahme der Medikation wurde jedoch noch nicht durchgeführt, da es in der Literatur dazu negative Informationen gab [9] und ein Wiederauftreten des serotonergen Syndroms unbedingt vermieden werden sollte. Unter der Schmerztherapie war auch eine Mobilisation in den Rollstuhl möglich. Eine Neuorganisation der Versorgung in einem Pflegebett wurde geplant, da sie mindestens noch 6 Wochen mit der Beckenfraktur nicht belastbar sein würde. Von dort sollte dann die weitere Versorgung final geplant werden.

Differenzialdiagnostisch [1012] war auch ein Hyperthermiesyndrom zu diskutieren, da die Gabe von Tolperison dieses auslösen kann, zumal es in Maximaldosis gegeben wurde und gleichzeitig mehrere Medikamente eine CYP2D6-Affinität hatten. Bei der Patientin war jedoch nicht bekannt, welche Form von „metabolizer“ sie war. Eine Bestimmung wurde erst postklinisch durchgeführt (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Ergebnisse der pharmakogenetischen Analyse

Das anticholinerge Syndrom entfiel, da keine Verwendung von trizyklischen Antidepressiva oder andere anticholinerg wirkenden Substanzen verwendet wurden. Das maligne neuroleptische Syndrom entfiel, denn es erfolgte zwar eine Gabe von Quetiapin und Haloperidol, aber die Symptomatik zeigte keine Hyporeflexie, Koma oder Katatonie.

Die medikamentöse Anamnese und die pharmakologische Eigenschaften (inklusive der Eliminationshalbwertzeit der verabreichten Medikationen) [13, 14] brachte zutage, dass eine serotonerge Risikokonstellation vorlag: Die Patientin erhielt wegen des ausgeprägten Schmerzsyndroms bei komplexer Beckenringfraktur eine kombinierte i. v.-Schmerzmedikation mit Pethidin 400 mg + 2,5 g Novaminsulfon mit 2–4 ml/h. Die Gesamtmenge war damit in 24 h 400–800 mg Pethidin und 2,5–5 g Novaminsulfon i. v. Parallel dazu war die Medikation der Patientin mit Mirtazapin, Citalopram und Quetiapin und Lorazepam weitergeführt worden.

Es ist pathophysiologisch nachgewiesen [15], dass eine längerfristige Gabe von Pethidin mit der Kumulation seines aktiven Metaboliten Norpethidin zu einer Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt führt.

Auch Citalopram wirkt als selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Diese beiden Substanzen führten zu einem deutlich erhöhten Serotoninangebot im synaptischen Spalt. Zudem kann Oxycodon über den Anstieg von Serotoninfreisetzung in weiten Bereichen des Vorderhirns die Konzentration steigern und dann zusammen mit Citalopram ein serotonerges Syndrom auslösen. Weitere Kombinationen mit serotonergen Effekten sind möglich [16].

Ökonomische Betrachtung des serotonergen Syndroms in den DRG

Da das serotonerge Syndrom nicht kodierbar ist, war es schwierig, die dahinterliegenden Aufwände adäquat abzubilden: Personalaufwand (durchgehende, hochfrequente Versorgung mit 2 MA des Pflegepersonals, 3 tägliche ärztliche Visiten, stärkere Einbindung von leitenden Ärzten, multiprofessionelle Versorgung, mehrere Disziplinen mit Anästhesisten, Orthopäden, Internisten, Geriatern, Ernährungsmediziner), medizinische Diagnostik (hochfrequente Laborkontrollen, teure Diagnostik [Prokalzitonin, Gerinnung, Schädel-CT]), medizinische Therapie (i. v.-Schmerzperfusor, i. v.-Antibiotikagabe, parenterale Ernährung, multiprofessionelle Therapiekonzepte mit Physiotherapie, Ergotherapie, aktivierend therapeutische Pflege, Sozialarbeit, Neuropsychologie).

Man könnte die entstandenen Kosten durch eine Vergleichsberechnung abschätzen, denn es besteht klinisch eine Nähe zum hypermotorischen Delir, bzw. Teile des serotonergen Syndroms sind klinisch so klassifizierbar. Die Kostenstruktur des hypermotorischen Delirs wurde publiziert [17]. Hypermotorische Delirien dauern im Schnitt 1,4 Tage und kosten ca. 1000 € für Personal und Medikation bei deutschen Personal- und Sachkosten. Bildet man modellhaft klinisch das serotonerge Syndrom als hypermotorisches Delir (hier Dauer über 9 Tage) ab, sind die Kosten abschätzbar: Daraus ergibt sich ein geschätzter Kostenfaktor von 6400 €/19.200 sFr. für dieses serotonerge Syndrom. Hinzukämen allerdings noch die Kosten für Medikamente (i.v.-Schmerztherapie und Antibiose) und labortechnische (Prokalzitonin, Blutkulturen) und radiologische Zusatzdiagnostik (CT-Schädel), denn sie sind deutlich höher als beim Delirpatienten.

Tab. 2 Modellrechnung

Die modellhafte Rechnung (Tab. 2) zeigt ökonomisch, dass die Aufwände für ein serotonerges Syndrom als Kosten nicht im DRG-System gedeckt sind und letztlich die Mehrkosten von der Klinik getragen werden müssen. Sie zeigt aber auch, dass die in den DRG angelegte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen operativen und geriatrischen Abteilungen einen optimierten Verlauf und auch eine Kostendeckung dieser enormen Zusatzkosten ermöglichen kann. Besonders deutlich ist dieser Effekt, wenn die Patientin frühestmöglich in die Akutgeriatrie gesteuert worden wäre.

Diskussion

Das serotonerge Syndrom ist nicht selten; eine genaue Inzidenz ist aber nicht bekannt, da viele Ereignisse unerkannt verlaufen. Bei der Gabe von SSRI stellen sich in 16–18 % der Fälle Nebenwirkungen oder toxische Auswirkungen ein. In einer Statistik des U.S. Poison Control Centers aus den Jahren 2002 und 2005 waren unter den gemeldeten Vergiftungen mit SSRI 0,2 % Todesfälle beschrieben worden [1820]. Antidepressiva sind die mit Abstand am häufigsten verordneten Substanzen. Der am häufigsten verschriebene selektive „serotonin reuptake inhibitor“ (SSRI) ist Citalopram, dessen „defined daily doses“ (DDD) lag 2011 bei 338,7 Mio. Mirtazapin ist nach Citalopram das Psychopharmakon mit den zweithäufigsten Verordnungen mit einer DDD von 150,4 Mio. im Jahr 2011 [21].

Therapierende und verordnende Ärzte müssen sich die Zusammenhänge dieser Substanzen und ihrer Gefahren klarmachen. Dies gilt insbesondere für die multimorbiden, geriatrischen Patienten, die häufig mehr als 6 Medikamente und sehr oft Antidepressiva verschrieben bekommen. Aber auch andere Antidepressiva, wie Sertralin oder Fluvoxamin, können zur Induktion des serotonergen Syndroms führen [22, 23].

In dieser hochbetagten, geriatrischen Patientengruppe sind Schmerzen ein häufiges Thema. Der Arzneimittelreport 2012 [24] zeigt, dass die Schmerzmedikamente inzwischen auf Platz 2 aller Verschreibungen liegen. Damit ist auch die Wahrscheinlichkeit, bei Schmerzen ein Opioid verschrieben zu bekommen und darauffolgend ein serotonerges Syndrom zu erleben, deutlich erhöht [25]. Bei der Patientin waren die rechtsseitig geklagten Schmerzen des Beins und das inflammatorische Syndrom möglicherweise den schweren degenerativen Veränderungen am rechten Hüftgelenk geschuldet.

Die Ursache des Sturzes ist multimodal bedingt. Ein wichtiger Punkt ist möglicherweise die Tatsache, dass die Patientin bei Aufnahme Tolperison (Mydocalm) erhalten hat, ein zentral wirkendes Muskelrelaxans. Die Dosis war zwar mit 450 mg korrekt, aber die Substanz wird ebenso über CYP2D6 verstoffwechselt, wie das Oxycodon und das Mirtazepin. CYP2D6 ist am Stoffwechsel etwa jedes 4. Arzneimittels beteiligt, darunter vieler Antidepressiva, Neuroleptika, β‑Adrenozeptor-Antagonisten, Antiarrhythmika, Antitussiva und Antiemetika. Eine genetisch bedingte Defizienz führt zu einer deutlich verlangsamten Elimination aus dem Körper, was zu einer relativen Überdosierung mit den entsprechend verstärkten Nebenwirkungen führt. CYP2D6 oxidiert bzw. hydroxyliert in der Leber bestimmte Substrate (Pharmaka) und aktiviert (Pro-Drug) oder deaktiviert diese dadurch. Das CYP2D6 kann als „poor metabolizer“ oder als „ultra extensive metabolizer“ vorliegen – im ersten Fall würde sich die Wirkung der Medikamente potenzieren. Die Bestimmung der CYP2D6-Aktivität bei der Patientin bestätigte, dass sie ein „poor metabolizer“ war, was die Auslösung des serotonergen Syndroms pharmakologisch erklärt. So ist es möglich, dass auch 450 mg eine Dosis ergeben und trotz der kurzen HWZ mit für den Sturz, die Unruhe, den Tremor, das Schwitzen und die Temperatur verantwortlich sein können [26]. Ein weiterer Risikofaktor hinsichtlich der Sturzgenese ist das Delir, das sich schon kurz nach der Aufnahme eingestellt hatte.

Es war wichtig, dass die Diagnose Delir gestellt wurde. Sie ist eine Trigger-Diagnose, die den Einstieg in die weitere Abklärung eröffnet. Erst die Symptomkonstellation aus Ataxie, Schreien, Zittrigkeit und der motorischen Unruhe waren das Argument, die „demente Patientin mit Delir“ in die Geriatrie zu verlegen. Wie sich rasch herausgestellt hat, ist die Patientin nicht dement gewesen. Sie hatte eine bis zur Aufnahme in der Klinik bestehende hohe Autonomie, relative Gesundheit und gute geistige Leistungsfähigkeit. Sie war anamnestisch depressiv und deswegen behandelt worden. Dabei ist es erstaunlich, dass die zuvor schon bestehende Kombinationstherapie aus Citalopram und Mirtazepin hinsichtlich der serotonergen Wirkung im Vorfeld bei dieser Patientin keine Nebenwirkungen gezeigt hatte.

Zwei Bereiche können die behandelnden Ärzte rasch auf die richtige Fährte des serotonergen Syndroms führen: 1. die Überprüfung von zusätzlichen neurologischen Symptomen: Die neurologischen Symptome mit Ataxie, Zittern, Erregbarkeit, Klonus, Hyperthermie, Tachykardie und Tachypnoe sind wegweisend für ein serotonerges Syndrom. 2. Die Überprüfung einer Risikokonstellation bei der Medikation: Die medikamentöse Vorbehandlung mit einem SSRi oder einem NaSSA stellt eine eindeutige Risikokonstellation für serotonerge Nebenwirkungen dar, insbesondere, wenn eine zusätzlich, evtl. rasch effektive Schmerzmedikation notwendig wird, wie in diesem Fall.

Möglicherweise war retrospektiv die 24 h nach Aufnahme dokumentierte delirante Symptomatik schon der Beginn des serotonergen Syndroms in sehr milder Form. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Patientin zusätzlich zu Citalopram und Mirtazapin das Schmerzmittel Oxycodon erhalten – auch diese Kombination ist in der Literatur als serotonerger „Mix“ beschrieben [16].

Richtig entwickelt hat es sich retrospektiv aber erst unter der Pethidingabe mit einer Kumulation des Norpethidins unter kontinuierlicher i. v.-Gabe in sehr hohen Dosen. Auch dieser Mechanismus ist in der Literatur vorbeschrieben [27].

Die Wiederaufnahme der zentral wirkenden Medikamente muss sehr sorgfältig und kritisch gesehen werden, will man ein rasches Wiederaufflammen des serotonergen Syndroms vermeiden [28].

Fr. K. hatte mit ihren 89 Jahren ein mittelschweres bis schweres serotonerges Syndrom überlebt – dies war möglicherweise nur auf Grund der gesunden Ausgangslage und der Abwehrkraft der 89-jährigen Frau möglich.

Der Zusammenhang der Verstoffwechslung der Medikamente über CYP3A4 und CYP2D6 zeigt in der pharmakologischen Bestimmung der Aktivität dieser beiden Zytochrome, wie wichtig für Alterspatienten eine solche Information vor Beginn von Therapien mit Medikamenten sein könnte. Ob eine Routinemessung der CYP-Aktivität bei Alterspatienten vielleicht sinnvoll wäre, könnte diskutiert werden.

In diesem Fall hatte das serotonerge Syndrom 9 Tage gedauert. Die Kosten eines serotonergen Syndroms sind von dem Zeitpunkt der Diagnose, der Bedingung und Aufrechterhaltung abhängig. Nimmt man die 9 Tage diesen Falls zur Grundlage, so wurden durch dieses serotonerge Syndrom für die Klinik 6400 € bzw. 19.200 sFr. an Kosten erzeugt. Dies kann zu einer kalkulatorischen Unterdeckung eines serotonergen Falls führen. Auch wenn das DRG-System keine direkte Abbildung von serotonergen Syndromen in der Matrix der Kostenabbildung vorhält, bietet es jedoch eine sehr wichtige Möglichkeit für die Versorgung dieser Patienten, nämlich die ökonomisch bewertete interdisziplinäre Zusammenarbeit von Abteilungen bei geriatrischen Patienten. Diese positiven Eigenschaften des DRG-Systems müssten neben der qualitativen Versorgung auch hinsichtlich der ökonomischen Bewertung stärker im Wissen der behandelnden Ärzte verankert werden. Eine gezielte Frühsteuerung von solchen Patienten in eine kompetente Versorgung wie die Akutgeriatrie dürfte und sollte aus prognostischen und funktionellen Gründen angestrebt werden.