Aktuelle Entwicklungen in der Therapie geographischer Atrophie

Im vergangenen Jahr 2023 wurde in den Vereinigten Staaten die erste Therapie für altersbedingte Makuladegeneration (AMD)-bedingte geographische Atrophie (GA) zugelassen. Sie basiert auf der Hemmung von Komplementfaktor C3 über intravitreale Applikation des Wirkstoffs Pegcetacoplan [1]. Die Zulassung eines weiteren Wirkstoffs der Gruppe der Komplementinhibitoren für C5, Avacincaptad Pegol, folgte einige Monate später [2]. Der C3-Inhibitor Pegcetacoplan erzielte in den Phase-III-Studien OAKS und DERBY eine signifikante Reduktion des GA-Wachstums bei monatlicher bzw. 2‑monatlicher Behandlung von bis zu 21 % im Vergleich zu unbehandelten Patienten [1]. Die Ergebnisse basieren auf der zum Zeitpunkt des Studiendesigns einzig behördlich akzeptierten Bildgebungsmethode für diesen Endpunkt: Fundusautofluoreszenz (FAF). Das Heranziehen anatomischer Endpunkte ist für die Evaluierung therapeutischer Wirksamkeit zur Behandlung von GA unerlässlich, da funktionelle Parameter wie der bestkorrigierte zentrale Visus nicht direkt mit dem Fortschreiten der Erkrankung korrelieren [3]. Dieser ist erst dann beeinträchtigt, wenn die, zu Erkrankungsbeginn vornehmlich extrafoveal lokalisierten Atrophieläsionen den Bereich der Fovea erreichen. In Beobachtungsstudien zur Charakterisierung von GA-Läsionen sowie zur Erforschung der starken Variabilität im Wachstum kam daher der FAF in der Vergangenheit ein hoher Stellenwert zu [4, 5]. Im klinischen Alltag ist sie jedoch insbesondere im Vergleich zur optischen Kohärenztomographie (OCT) eine wenig verbreitete Modalität. Darüber hinaus werden essenzielle, mittels OCT detektierbare, wesentliche pathomorphologische Aspekte der Erkrankung durch die FAF nicht ausreichend erfasst, da sie keinen Einblick in die neurosensorischen Strukturen der Netzhaut bietet.

OCT-basierte Beurteilung des GA‑Status

Als hochauflösende Querschnittsbildgebungsmethode liefert die OCT eine 3‑dimensionale Darstellung des hinteren Pols. Somit kann der GA-bedingte Verlust pathophysiologisch relevanter Strukturen gezielt dargestellt werden. Typischerweise zeigen sich bei der GA bereits im Anfangsstadium und weiter im Verlauf eine Atrophie der äußeren Netzhautschichten, des retinalen Pigmenepithels (RPE) sowie eine sekundäre choroidale Hypertransmission [6]. Diese ist eine Verstärkung des in die Choroidea dringenden Signals als Folge des Verlusts von Melanosomen im darüber liegenden, geschädigten RPE. Im Gegensatz zur FAF ermöglicht OCT eine uneingeschränkte Beurteilbarkeit dieser subklinischen, morphologischen Veränderungen auch im Bereich der Fovea. Dies ist sowohl zum Zeitpunkt der Diagnosestellung, als auch in der Beurteilung des Verlaufs essentiell. Somit stellt die OCT ein ideales Monitoringtool für die GA dar. Im folgenden Paragraphen werden wesentliche Aspekte des praktischen Einsatzes der OCT zur Untersuchung der Krankheitsaktivität und der therapeutischen Wirksamkeit erläutert.

OCT-basierte Evaluierung morphologischer Wirksamkeit

Die Anti-vascular endothelial growth factor (VEGF)-Ära hat die Bedeutung von technologischem Fortschritt im Bereich von Diagnostik und Bildgebung für therapeutische Weiterentwicklungen exemplarisch aufgezeigt. Diese diagnostisch-therapeutische Verzahnung zeigt sich nun wieder in der GA. Mit klinischer Verfügbarkeit der Anti-VEGF-Therapie verbreitete sich die diagnostische Anwendung des OCT exponentiell, da der Kliniker/die Klinikerin die Behandlung über das Erkennen von Flüssigkeit im OCT effizient steuern kann. Mit dem Eintreten der GA-Therapie in die klinische Praxis bleibt das OCT der Goldstandard im Patientenmanagement, da die Visualisierung des Integritätsverlusts von RPE und insbesondere auch der Photorezeptoren (PR) durch OCT gewährleistet wird. Diese Veränderungen sind zwar für den spezialisierten Arzt/die spezialisierte Ärztin erkennbar, eine quantifizierte Bewertung des Ausmaßes und des Fortschreitens der Pathologie ist jedoch ohne Verknüpfung mit AI-basierter Auswertung unmöglich. Mit dem GA-Monitor der Firma RetInSight (RetInSight GmbH, Wien, Österreich) steht solch ein bereits medical device regulation (MDR)-zertifiziertes, artificial intelligence (AI)-basiertes Tool zur Verfügung [7]. Die automatische Visualisierung und Quantifizierung des PR- und RPE-Schadens im Report des „GA Monitors“ erlaubt eine akkurate, standardisierte Bewertung von Aktivität und Therapieansprechen in der klinischen Routine einer der häufigsten Erkrankungen in der Medizin. Aufgrund der bereits erwähnten mangelnden funktionellen Endpunkte, wäre die für die Medikamentenentwicklung unerlässliche Evaluierung therapeutischer Wirksamkeit ohne verlässliche morphologische Endpunkte nicht denkbar [3]. Der komplementinhibitorische Effekt der neuen Therapeutika manifestiert sich auf mehreren anatomischen Ebenen der Netzhaut, des RPE und der Choriokapillaris [8, 9]. All diese Schichten sind von der Erkrankung betroffen, und die objektive Beurteilbarkeit des therapeutischen Effekts ist für ein tieferes Verständnis der Wirksamkeit sowie der Erstellung von therapeutischen Guidelines hoch relevant.

Reproduzierbarkeit klinischer Studienergebnisse mit OCT-basiertem GA-Assessment

Eine zuverlässige Korrelation zwischen im OCT und in der FAF gemessenen GA-Läsionen konnte bereits in begutachteten Originalarbeiten nachgewiesen werden [10, 11]. In einer Post-hoc-Analyse von 113 Augen von 113 Teilnehmern der Phase-II-FILLY-Studie zur Evaluierung der Sicherheit und Wirksamkeit von Pegcetacoplan konnte der progressionshemmende Effekt anhand OCT-basierter Evaluierung konsistent beurteilt werden [12]. Zusätzlich zu einem signifikant verlangsamten RPE-Verlust in den monatlich und 2‑monatlich behandelten Patienten im Vergleich zur Sham-Gruppe zeigte sich v. a. eine signifikante Erhaltung der Photorezeptorintegrität (Abb. 1). Als PR-Korrelat wird dabei die sog. Ellipsoidzone (EZ) bezeichnet, als deren histologisches Korrelat die dicht gepackten Mitochondrien der Photorezeptorinnensegmente angesehen werden [13]. Die automatische Auswertung wurde auf Basis einer detaillierten manuellen Auswertung ganzer 3‑dimensionaler OCT-Volumina entwickelt, in der Dimension von 10.000 B‑Scans, welche aus der Untersuchung von 113 Augen zu je 2 Zeitpunkten resultierten. Diese „ground truth“ stellt einen immensen zeit- und ressourcenintensiven Aufwand dar und ist unentbehrlich für die Zuverlässigkeit und Präzision der automatischen Auswertung durch den Algorithmus. Der entwickelte GA-Monitor besitzt deshalb eine maximale Präzision auf dem Niveau eines einzelnen Pixels und kann hochpräzise den RPE- und PR-Schaden identifizieren. Per Mouse-Klick eines simplen Uploads des Standardbildes in die Cloud erhält jede/r Augenarzt/ärztin umgehend eine Visualisierung und Quantifizierung des aktuellen GA-Status. Die Darstellung erfolgt in Form eines En-face Bildes der RPE- und PR-Loss-Flächen sowie einer Visualisierung der Segmentierungen anhand des zentralen B‑Scans. Durch die rasanten Fortschritte der letzten Jahre im Bereich der künstlichen Intelligenz hat die künstliche Intelligenz (KI)-gestützte, automatisierte Bildanalyse in der Ophthalmologie, insbesondere der Retinologie, im wissenschaftlichen und durch die MDR-Zulassung des Monitors in Europa in den klinischen Bereich Einzug genommen [14]. AugenärztInnen und Kliniken, welche mit der Heyex-Plattform arbeiten, haben Zugang zu einer hochpräzisen und effizienten Auswertung ihres Spectralis-OCT-Scans (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Exemplarisches Beispiel eines Partner- (obere Zeile, a, b) und eines Studienauges (untere Zeile, c, d) aus der Phase-III-Studie zur Evaluierung von Pegcetacoplan. En-face Verlust des retinalen Pigmentepithels (RPE) ist in blau, der großflächigere Verlust der Photorezeptorschicht (PR) in grün dargestellt. Beide Augen zeigen eine hohe PR/RPE-Loss-Ratio zu Baseline. Während das Partnerauge eine deutliche Zunahme an sowohl PR- und auch RPE-Verlust zeigt, wird der therapeutische Effekt von Pegcetacoplan auf beiden Ebenen im Studienauge deutlich

Abb. 2
figure 2

Demoversion eines geographische Atrophie (GA)-Monitor Reports (RetInSight GmbH, Wien, Österreich), in dem AI-basierte Messungen von retinalem Pigmentepithel (RPE)- und Photorezeptor (PR)-Verlusts differenziert in mm2 aufgeschlüsselt und sowohl en face als auch anhand des zentralen B‑Scans visualisiert werden

Gerade OCT-Daten eignen sich hervorragend zur KI-, insbesondere Deep Learning(DL)-gestützten Analyse, und hier wiederum hat der Einsatz in der GA spezifische Vorteile, da die oft subklinische Krankheitsprogression durch verlässliche, reproduzierbare KI-basierte Messungen genauer erfasst und dem Kliniker/der Klinikerin zugänglich gemacht werden kann. Sowohl ein Verlust des RPEs als auch der am OCT visualisierten Photorezeptorschichten lassen sich durch KI-basierte Algorithmen quantifizieren [15,16,17].

AI-basierte differenzierte Analyse des therapeutischen Effekts auf RPE- sowie PR-Schichten in den OAKS-, DERBY- und GALE-Studien

Der Effekt von Pegcetacoplan (PEG) sowohl auf das RPE als auch die Photorezeptoren wurde mittels validierter DL-basierter spectral domain (SD)-OCT-Analyse evaluiert. Patienten aus den Phase-III-Studien OAKS und DERBY wurden über 24 Monate behandelt und nach einem 2:2:1:1 Schema randomisiert (PEG monatlich [PM], 2‑monatlich [PEOM] oder Sham-Therapie monatlich bzw. 2‑monatlich). Außerdem wurden Daten der ersten 6 Monate der noch laufenden Extensionsstudie GALE, in der alle Teilnehmer der Phase-III-Studie PEG erhalten, in die Analyse miteingeschlossen. Morphologische Biomarker im Detail waren ein Verlust des RPE im OCT, wobei die segmentierte PR-Schicht die komplette EZ von oberer Grenze bis hin zur inneren RPE-Grenze beinhaltet. Die morphologischen Ergebnisse wurden „point-to-point“ mit der Netzhautfunktion (MAIA) korreliert.

Nach 24 Monaten zeigte sich eine signifikante Inhibition der GA-Progression. Die Wirksamkeit von PEG war insbesondere für den Erhalt der PR im Vergleich zum RPE ausgeprägt. Dieser Effekt setzte sich in der Extensionsstudie GALE für sowohl PR als RPE fort. Da die Photorezeptoren das anatomische Korrelat der retinalen Funktion darstellen [18,19,20], ist der erwiesene therapeutische Effekt auf die morphologische Progression des PR-Verlusts ein essenzieller Hinweis auf einen funktionellen Nutzen der Behandlung. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat diesen Biomarker „EZ-Verlust“ bereits als zulässigen Maßstab für einen Behandlungserfolg bei degenerativen Makulaerkrankungen zugelassen [21]. Eine spezifische Stellungnahme der FDA zu AI-basiert errechneten Endpunkten gibt es nicht. Dennoch hat die AI-gestützte OCT-Analyse durch die Akzeptanz anatomischer Endpunkte offiziell den Einzug in das diagnostische Inventar in der Retinologie gehalten [3].

Struktur-Funktion-Korrelation

Eine Korrelation zwischen OCT-basierter Morphologie und Mikroperimetrie-basierter Funktion in der OAKS-Studie bestätigte die Relevanz des morphologischen Behandlungseffekts. Es zeigte sich eine direkte Übereinstimmung zwischen der Schichtdicke der PR/EZ-Schicht in µm und der korrespondierenden retinalen Sensitivität in dB. Weitere topographisch gezielte Mikroperimetriestudien in den die GA umgebenden Randzonen werden noch detaillierteren Aufschluss über den individuellen funktionell-therapeutischen Effekt geben.

Klinisch relevante Biomarker

Die durch AI-basierte OCT-Analyse bestimmte Wirksamkeit der Komplementinhibition anhand morphologischer Marker wirft die Frage auf, welche Biomarker für den Kliniker in der Praxis relevant werden könnten. Sowohl die Ergebnisse der Phase-II- als auch Phase-III-Studien zeigten eindrücklich die Bedeutung des Verhältnisses zwischen der Ausdehnung des PR-Verlustes zum RPE-Defekt, welche als PR-Loss/RPE-Loss-Ratio bezeichnet wird [22]. Sie dient dazu, die Läsionsaktivität durch das therapeutische Ansprechen klar und dokumentiert zu bestimmen und eine gezielte Indikation für geeignete und nicht geeignete Patienten zu treffen. Eine Analyse aller Sham-Gruppen der OAKS- und DERBY-Studien konnte ein deutlich zunehmendes Wachstum der GA mit größerer PR-Loss/RPE-Loss-Ratio nachweisen. Dies bedeutet, dass bei Vorliegen eines ausgedehnten PR-Verlusts außerhalb der – anhand des RPE-Verlusts definierten – GA-Läsion ein rascheres Fortschreiten der Erkrankung im Verlauf vorgegeben ist. Diese Ratio erwies sich als hochgradig signifikant mit p < 0,0001. Damit kann bereits bei der ersten Vorstellung eines einzelnen GA-Patienten genau erkannt werden, wie schnell und v. a. in welchem Bereich sich die Läsion ausdehnen wird, z. B. Richtung Fovea. Dies ist in der FAF nicht möglich, da die beschriebenen FAF-Muster höchst subjektiv sind und die Progredienz stark variiert. Wesentlich ist, dass dieser Marker auch unter Therapie eine essenzielle Rolle spielt. Auch der Behandlungseffekt hängt unmittelbar von der RPE/PR-Ratio ab: Bei steigender PR-Loss/RPE-Loss-Ratio ist eine Therapie um ein Vielfaches wirksamer, und der Behandlungserfolg wird klinisch relevant [22]. Die Unterschiede je nach kleiner bzw. großer Ratio liegen bei 15 %, 33 %, 47 und 78 % mit zunehmender Ratio.

Fazit für die Praxis

Ein Optische Kohärenztomographie (OCT)-basiertes Monitoring der Behandlung von geographischer Atrophie (GA) mittels komplementinhibitorischer Therapie ist essenziell für ein sinnvolles Management in der klinischen Praxis. Artificial intelligence (AI)-Methoden ermöglichen eine objektive und präzise Erkennung der für die GA wesentlichen Biomarker, vergleichbar der Fluidbestimmung in der anti-vascular endothelial growth factor (VEGF)-Therapie, hier jedoch auf dem Niveau von retinalem Pigmentepithel (RPE)- und Photorezeptoren (PR). Eine über die Cloud und anhand von Standard-OCT-Bildern für jeden Kliniker/jede Klinikerin verfügbare automatische Bildanalyse erlaubt eine standardisierte Visualisierung der individuellen Krankheitsaktivität und damit eine fundierte Indikationsstellung. Neben der Möglichkeit des differenzierten Monitorings des therapeutischen Effekts auf PR- und RPE-Ebene stellt die OCT mittels Darstellung der morphologischen Ausgangssituation, insbesondere der PR-Loss/RPE-Loss-Ratio, einen wichtigen Biomarker zur Einschätzung des zu erwartenden Therapieerfolgs dar. Hand in Hand mit neuen therapeutischen Substanzen sind die AI-basierten OCT-Analysen ein entscheidender Baustein in der neuen Ära des GA-Managements.