Anamnese

Ein 83-jähriger Patient stellte sich mit seit 3 Tagen bestehender Sehminderung, Druckgefühl und geröteten Augen beidseits in der Notfallambulanz vor, welche zeitgleich mit Rötungen im Bereich der Stirn und der Nase aufgetreten waren. Am Vortag hatte die niedergelassene Augenärztin steroidhaltige Augentropfen stündlich und Augensalbe zur Nacht verordnet.

Auf genauere Nachfrage berichtete der Patient, einen Tag vor Symptombeginn zur Behandlung einer aktinischen Keratose in einer dermatologischen Praxis gewesen zu sein. Die Behandlung erfolge nun bereits zum vierten Mal und werde in jährlichem Abstand im Rahmen der Nachsorge nach Exzision eines Plattenepithelkarzinoms im Stirnbereich durchgeführt. Dabei wurde eine 25 %ige Podophyllin-Tinktur gezielt im Stirnbereich und der Nase aufgetragen. Nach einer Einwirkung von 5 h habe er die Tinktur selbstständig abgewaschen. Bei den vorausgegangenen 3 Behandlungen waren bis auf eine leichte Rötung der Gesichtshaut keine Beschwerden an den Augen aufgetreten. Der Patient vermutete, dieses Mal beim Abwaschen der Tinktur etwas nachlässig gewesen zu sein.

Eine Rosazea sei zwar bekannt, die starke Rötung im Bereich der Nasenspitze jedoch neu im Zuge der Sehminderung aufgetreten. Die restliche Augenanamnese gestaltete sich unauffällig. Nach einer Kataraktoperation im Jahr 2019 habe er keine Augenbeschwerden und erreiche mit Brille eine zufriedenstellende Sehschärfe. Ferner fanden sich keine weiteren klinischen oder anamnestischen Auffälligkeiten oder Hinweise auf Zeckenbisse, bisher unerkannte Infektionserkrankungen oder rheumatologische Erkrankungen.

Abb. 1
figure 1

a Spaltlampenfoto des linken Auges mit Descemet-Falten und Infiltration des anterioren Stromas, Pfeil markiert den posterioren Rand des Infiltrats, peripher Arcus senilis. b Konfokale Mikroskopie des anterioren Stromas desselben Auges in 35 µm Tiefe, vereinbar mit zellulärem Infiltrat

Klinischer Befund

Im Zuge der notfallmäßigen Erstvorstellung erreichte der Patient eine bestkorrigierte Sehschärfe von rechts 0,4 und links 0,3. Der Schirmer-Test ohne Anästhesie betrug rechts 2 mm und links 13 mm. Die Hornhautästhesiometrie nach Cochet-Bonnet mittels Luneau-Ästhesiometer zeigte eine deutliche Hypästhesie am rechten (3/6), sowie eine leicht verminderte Hornhautsensibilität am linken Auge (5/6). Der Augendruck war beidseits normwertig bei 9 mm Hg. Spaltlampenmikroskopisch fielen beidseits neben einer Meibom-Drüsen-Dysfunktion eine moderate Bindehautinjektion, ein Arcus senilis, Descemet-Falten sowie eine scharf auf die vordere Stromahälfte begrenzte Trübung auf (Abb. 1a). In der Fluoreszeinfärbung mittels Thilorbin®-Augentropfen (0,4 % Fluoreszein) zeigte sich eine geringe Keratitis superficialis punctata, aber keine Erosio. Die Vorderkammer war tief und reizfrei, der weitere Befund inklusive Fundus war altersentsprechend. In der Scheimpflug-Tomographie mittels Pentacam® (Firma Oculus Optikgeräte GmbH, Wetzlar, Deutschland) zeigte sich eine zentrale Hornhautdicke von 617 µm rechts und 867 µm links, entsprechend einem massiven Hornhautödem. Eine Endothelzellmessung war wegen des reduzierten Einblicks spiegelmikroskopisch nicht möglich. In der konfokalen Mikroskopie mittels Heidelberg Retina Tomograph 2® (Firma Heidelberg Engineering, Heidelberg, Deutschland) zeigten sich beidseits im anterioren Stroma zahlreiche hyperintense Zellen, vereinbar mit einem entzündlichen Infiltrat (Abb. 1b). In der Vorderabschnitts-OCT mittels OCT-Spectralis® (Heidelberg Engineering, Heidelberg, Deutschland) konnte die gemessene Hornhautdicke bestätigt werden und die bereits spaltlampenmikroskopisch imponierende, scharf begrenzte Trübung des anterioren Stromas objektiviert werden (Abb. 2a).

Abb. 2
figure 2

Vorderabschnitts-OCT rechtes Auge a bei Erstvorstellung mit scharf abgegrenzter Infiltration des vorderen Stromas, b 3 Wochen später unter lokaler Steroidtherapie; Pfeil markiert jeweils die Tiefenausdehnung

Wie lautet Ihre Diagnose?

Therapie und Verlauf

Die bereits begonnene lokale Steroidtherapie mit Prednisolon 10 mg/ml Augentropfen 8‑mal täglich wurde fortgeführt. Drei Tage später zeigte sich bei progredienter subjektiver Beschwerdelinderung ein Visusanstieg links auf 0,4 und rechts auf 0,63. Klinisch war das Stromaödem beidseits deutlich rückläufig, was sich in den Scheimpflug-Aufnahmen mit einer zentralen Pachymetrie von rechts 596 µm und links 610 µm bestätigte. In der farbkodierten Vorderabschnitts-OCT war der Rückgang des Infiltrats gut zu erkennen (Abb. 2b). Im weiteren Verlauf zeigten sich nach Rückbildung des Reizzustands nach 6 Wochen subepitheliale Vernarbungen mit irregulärem Astigmatismus in den Scheimpflug-Aufnahmen beider Augen. Nach 6 Wochen wurden die Steroide ausgeschlichen. Bei geringem Leidensdruck entschied sich der Patient zunächst gegen einen Trageversuch mit formstabilen Kontaktlinsen.

Diskussion

Die aktinische Keratose gilt als häufige dermale Präkanzerose. In der Altersgruppe 60- bis 70-Jähriger liegt bei 11,5 % eine aktinische Keratose vor [1]. Neben dem Alter gilt v. a. eine UV-Exposition als Risikofaktor [1]. Ob eine aktinische Keratose behandelt werden sollte, richtet sich nach konsensbasierter Empfehlung der S3-Leitlinie für aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut nach der Zusammenschau von Risikofaktoren, Komorbiditäten, Lebenserwartung und des Patientenwunsches [2]. Hierbei können chirurgische, kryochirurgische, photodynamische und/oder topisch-medikamentöse Verfahren gewählt werden.

Bereits in den 1820er-Jahren kam Podophyllin zur Behandlung von Feigwarzen zum Einsatz. Podophyllin wird als Harz von Podophyllum peltatum aus der Gattung der Fußblätter (Familie der Berberitzengewächse) gewonnen [3]. Das enthaltene Podophyllotoxin ist ein Spindelgift, welches antimitotisch und so zytotoxisch wirkt [4]. Wegen seiner Zytotoxizität und fraglicher Kanzerogenität kommt es heute nur noch selten, z. B. zur Behandlung der aktinischen Keratose als Prophylaxe der Entstehung invasiver Plattenepithelkarzinome zum Einsatz.

Diagnose: Akute toxische, sterile Keratokonjunktivitis durch Podophyllin

Bei im beschriebenen Fall sonst unauffälliger Anamnese und engem zeitlichem Zusammenhang mit der Podophyllin-Therapie erscheint hier ein kausaler Zusammenhang wahrscheinlich. Ähnliche okuläre Reaktionen konnten 1927 in einem Tierversuch mittels Podophyllin provoziert werden [5]. In der Literatur finden sich nur vereinzelte Fallberichte z. B. zur Behandlung eines Lidpapilloms [6, 7]. Neben einer akuten toxischen Keratokonjunktivitis wurde auch eine Uveitis anterior nach Podophyllin beschrieben [8]. Bei entsprechender Anamnese sollte diese Diagnose als seltene Komplikation in Erwägung gezogen werden.

Fazit für die Praxis

  • Vor Anwendung von Podophyllin ist über eine mögliche akute toxische Keratitis aufzuklären.

  • Auf entsprechende Sorgfalt beim Abwaschen der Tinktur ist zu achten.

  • Hautveränderungen der Periorbitalregion sollten nicht mit Podophyllin behandelt werden.

  • Bei Auftreten einer akuten toxischen Keratitis nach Podophyllin-Anwendung ist eine topische Steroidtherapie die Therapie der Wahl.

  • Eine subepitheliale Vernarbung und ein irregulärer Astigmatismus können resultieren.