Die Pars-plana-Vitrektomie (ppV) wird meist in Verbindung mit einem Peeling der Membrana limitans interna oder „internal limiting membrane“ (ILM) zur Behandlung von Makulopathien unterschiedlicher Genese erfolgreich eingesetzt. Da die ILM eine durchsichtige und fragile Struktur ist, handelt es sich beim ILM-Peeling um einen sehr schwierigen Operationsschritt. Deshalb wurden verschiedene Vitalfarbstoffe entwickelt, um die ILM intraoperativ besser visualisieren zu können. In diesem Beitrag werden diese Farbstoffe und deren Nutzen in der Makulachirurgie dargestellt.

Die Pars-plana-Vitrektomie (ppV) ist eine der Standardoperationen in der operativen Augenheilkunde und wird – meist in Verbindung mit einem Peeling der Membrana limitans interna oder „internal limiting membrane“ (ILM) – zur Behandlung von Makulopathien unterschiedlicher Genese erfolgreich eingesetzt. Das ILM-Peeling verbessert z. B. nachweislich die Erfolgsrate der Makulaforamenchirurgie [1, 11, 17, 23] und reduziert das Risiko des Wiederauftretens einer epiretinalen Gliose [22, 25].

Eine Entfernung der ILM ohne Anfärben dieser Membran gehört wahrscheinlich mit zu den schwierigsten chirurgischen Operationsschritten in der Ophthalmologie, da es sich bei dieser Membran um eine äußerst fragile, ausgesprochen dünne und durchsichtige Struktur handelt, die noch dazu einen physiologischen Bestandteil der Netzhaut darstellt. Schon früh gab es daher Bemühungen, die schlecht sichtbare ILM intraoperativ anzufärben, um sie besser zu visualisieren und damit die Entfernung der ILM zu vereinfachen. Ein erster Versuch bestand darin, das zum Anfärben der ebenfalls durchsichtigen vorderen Linsenkapsel verwendete Indocyaningrün (ICG) zu verwenden [18]. ICG wurde und wird heute noch in der Angiographie der Netzhaut- und Aderhautgefäße verwendet. Daher ging man davon aus, dass die Substanz für das Auge nicht toxisch sein dürfte. ICG färbte tatsächlich die ILM selektiv und erleichterte somit das ILM-Peeling in der Makulachirurgie [7, 13]. Bald wurde jedoch über schwere und irreversible retinale Schäden wie Gesichtsfelddefekte, Visusminderung und Optikusatrophie berichtet [12, 14, 20, 21]. Heute sollte ICG daher nicht mehr zur intraoperativen Anwendung kommen.

Als alternativer Farbstoff wurde Trypanblau (TB) zur Membranfärbung verwendet. Schwerwiegende Nebenwirkungen wie bei ICG wurden bei TB nicht beschrieben [9, 15]. Allerdings färbt TB nicht nur die ILM, sondern zusätzlich auch die ERM [16], weshalb dieser Farbstoff zur selektiven ILM-Färbung nicht optimal geeignet war.

Es lag auf der Hand, dass die Anwendung von Farbstoffen wie ICG und TB das ILM-Peeling erleichtert [3, 7, 13, 19], allerdings rechtfertigten die zahlreichen Berichte über die Nebenwirkungen oder Nachteile der beiden Farbstoffe deren Zusatznutzen nicht [6, 10, 16, 24]. Somit wurde weiterhin nach einem Farbstoff gesucht, der sowohl ausreichende Färbeeigenschaften als auch eine minimale Toxizität aufweist. Die Suche nach dem idealen Farbstoff hat Brilliant-Blue‑G (BBG) als aussichtsreichste Alternative zu TB und ICG in experimentellen und klinischen Studien hervorgebracht [4, 5]. BBG hat sich seitdem als bisher bester Farbstoff zur selektiven Anfärbung der ILM durchgesetzt.

Viele erfahrene Operateure standen und stehen allerdings immer noch unter dem Eindruck, dass ein ILM-Peeling auch ohne Vitalfarbstoffe mit hinreichender Sicherheit möglich ist, v. a. wenn man die nicht unerheblichen zusätzlichen Kosten der Farbstoffe bedenkt. Viele dieser Operateure haben wie im vorliegenden Fall auch bereits im großen Umfang ILM-Peelings durchgeführt, bevor sichere Vitalfarbstoffe zur Verfügung standen. Oftmals wird von diesen Operateuren deshalb für die Verwendung von BBG allenfalls von einem Zusatznutzen für Anfänger oder für weniger erfahrene Operateure ausgegangen.

Ziel der vorliegenden Studie war es daher herauszufinden, ob Vitalfarbstoffe selbst bei einem erfahrenen Operateur, wie es in dieser Studie der Fall war, zu einer besseren Identifizierbarkeit der ILM führen. Ein zweites Ziel war herauszufinden, ob auch das Peeling der ILM durch die Verwendung dieser Vitalfarbstoffe erleichtert wurde. Dazu wurden retrospektiv 2 zeitlich auseinanderliegende Kohorten von jeweils 200 Operationen, die von einem einzelnen in dieser Operationstechnik sehr erfahrenen Operateur durchgeführt und dokumentiert wurden, entsprechend analysiert.

Methodik

Bei dem vorliegenden Studiendesign handelt es sich um eine retrospektive Kohortenstudie. Es wurden insgesamt 400 Operationsberichte analysiert. Alle in diesen Operationsberichten beschriebenen Operationen wurden von einem einzelnen in dieser Operationstechnik sehr erfahrenen Operateur durchgeführt und durch routinemäßige Operationsberichte dokumentiert. Die Gesamtgruppe bestand aus 2 Kohorten mit je 200 konsekutiven Operationsberichten:

  • 1. Kohorte: Zeitraum von 07/2004 bis 06/2006. In diesem Zeitraum wurde während der Operation kein Gewebe im Auge gefärbt.

  • 2. Kohorte: Zeitraum von 01/2013 bis 02/2020. Zu diesem Zeitpunkt waren verschiedene Vitalfärbestoffe entwickelt und für die Anwendung im Auge zugelassen worden. Bei den Operationen der 2. Kohorte wurden 3 dieser Vitalfarbstoffe (ILM-Blue®, Brilliant Peel®, ala®purple) bei Pars-plana-Vitrektomien regelmäßig, aber nicht ausschließlich verwendet.

In der ersten Kohorte wurden vom Operateur überhaupt keine Vitalfarbstoffe verwendet, da die Toxizität von ICG bereits bekannt war und er sehr vorsichtig mit der Verwendung von neu entwickelten Farbstoffen war; u. a. weil er der Meinung war, dass er als erfahrener Operateur das ILM-Peeling auch ohne Farbstoffe mit hinreichender Effektivität erreichen kann und damit die von ihm operierten Patienten nicht mit einer potenziellen Toxizität der neu entwickelten Farbstoffe gefährden wollte. In den Folgejahren (07/2006 bis 12/2012) konnten sich verschiedene Vitalfärbestoffe am Markt etablieren, und für diese wurde keine wesentliche Toxizität beschrieben [25]. Deshalb begann der Operateur nach und nach, diese zu verwenden, stand allerdings immer noch unter dem subjektiven Eindruck, dass er darin für sich keinen wesentlichen Zusatznutzen erkennen könne. Deshalb verwendete er die Vitalfärbestoffe nicht in jedem Fall dieser Kohorte.

Es wurden nur Operationsberichte analysiert, bei denen eine erstmalige Pars-plana-Vitrektomie dokumentiert wurde und in denen gleichzeitig ein „Peeling“ am hinteren Augenpol durchgeführt wurde. Der Ausdruck „Peeling“ musste explizit im Text des Operationsberichtes erwähnt sein. Damit sollte ausgeschlossen werden, dass Fälle in die Statistik eingeschlossen werden, bei denen tatsächlich kein Peeling durchgeführt wurde, obwohl dieses im Indikationstext beschrieben wurde. Die Operationsberichte mussten außerdem eine der folgenden Diagnosen bei Indikationsstellung enthalten: „epiretinale Membran“ oder „ERM“ oder „epiretinale Gliose“ oder „macular pucker“ oder „Makulapseudoforamen“ oder „epiretinale Membran mit diabetischer Retinopathie“ oder „Makulaforamen“ oder „Zentralvenenverschluss“ oder „Venenastverschluss“ oder „vitreomakuläres Traktionssyndrom“ oder „Restgliose“ oder „Synchisis scintillans“ oder „ERM bei Z. n. Plombe“ oder „ERM bei Z. n. ALC-Umstellung“.

Alle Operationsberichte wurden nach demselben Schema analysiert, und folgende Parameter wurden erfasst: Geschlecht, Geburtsdatum, Operationsdatum, Patientenalter, Augenseite (rechts, links), Linsenstatus (phak, pseudophak, Kombi-OP), ppV-Technik (20 G, 23 G, 25 G), Diagnose bei Indikationsstellung, Gass-Stadium bei Makulaforamen, Status der hinteren Glaskörpergrenzmembran (komplett anliegend, teilweise abgehoben, komplett abgelöst), Schwierigkeit der Induktion der hinteren Glaskörperabhebung (bereits vorhanden, leicht, schwer, nicht möglich), Identifizierung der ERM (ja, nein), Schwierigkeit des ERM-Peelings (leicht, schwer, nicht möglich), Identifizierung der ILM (ja, nein), Schwierigkeit des ILM-Peelings (leicht, schwer, nicht möglich). Diese Parameter waren in allen analysierten Operationsberichten angegeben, da alle Operationen durch denselben Operateur durchgeführt und immer nach einem einheitlichen Muster dokumentiert wurden.

Das prinzipielle Vorgehen der Operation war in beiden untersuchten Kohorten gleich. Es handelte sich um eine Standard-3-Port-Pars-plana-Vitrektomie mit ILM-Peeling. In Kürze war das operative Vorgehen wie folgt: Zuerst wurde nach Anlegen der 3 Zugänge im temporal unteren (Wasser- bzw. Luftzufluss), temporal oberen und nasal oberen Quadranten der Pars plana immer zumindest eine Core-Vitrektomie durchgeführt. Es wurde in jedem Fall überprüft, ob bereits eine hintere Glaskörperabhebung vorlag. Im Zweifelsfall (eher selten) wurde dies mit der Eingabe von Triamcinolonacetonid überprüft. Falls keine hintere Glaskörperabhebung vorlag, wurde diese induziert und ggf. ebenfalls bzw. erneut mit einer Triamcinolonacetonid-Anfärbung überprüft, dass tatsächlich alle Glaskörperreste vom hinteren Pol entfernt wurden. Dann wurde ein Membranpeeling durchgeführt. Im Falle des Vorliegens einer epiretinalen Membran wurde diese mit einer Pinzette nach Zivojinovic entfernt und anschließend visualisiert, ob noch eine ILM vorhanden war oder ob diese bereits mit dem ERM-Peeling entfernt wurde. Falls eine ILM identifiziert werden konnte, wurde diese mit einer End-gripping-Pinzette entfernt. Ein Nachfärben nach erfolgtem ILM-Peeling wurde nicht regelhaft durchgeführt, weil der Operateur sehr zurückhaltend mit der Applikation von Vitalfarbstoffen an dem hinteren Augenpol war. Dies könnte zwar potenziell zu einem Übersehen von ILM-Resten geführt haben. Allerdings war das operative Vorgehen in beiden Kohorten identisch und dürfte daher keinen wesentlichen Einfluss auf die Statistik haben bzw. sich ausgleichen.

Innerhalb des zeitlichen Abstandes der Kohorten kam es zu einer Weiterentwicklung der Operationsinstrumente: In der 1. Kohorte wurde in allen Fällen (100 %) eine 20-G-Pars-plana-Vitrektomie durchgeführt. Hierzu wurden Bindehaut und Sklera getrennt eröffnet. Die Sklerostomien wurden am Ende der Operation mit 7.0-Vicryl-Nähten verschlossen. Anschließend wurde die Bindehaut ebenfalls mit 7.0-Vicryl-Nähten verschlossen. In der 2. Kohorte wurde in 1 Fall (0,5 %) eine 20-G-Pars-plana-Vitrektomie durchgeführt. In 182 Fällen (91 %) wurde eine 23-G-Pars-plana-Vitrektomie durchgeführt. In 17 Fällen (8,5 %) wurde eine 25-G-Pars-plana-Vitrektomie durchgeführt. Im Falle der 23-G-Pars-plana-Vitrektomie bzw. 25-G-Pars-plana-Vitrektomie wurden die Pars-plana-Zugänge transkonjunktival (ohne Tunnelung) mittels handelsüblicher Trokare angelegt. Die Position der Zugänge entsprach denen der 20-G-Pars-plana-Vitrektomie. Die Zugänge der 23-G-Pars-plana-Vitrektomien bzw. 25-G-Pars-plana-Vitrektomien wurden am Ende der Operation nicht vernäht. Das intraokulare Vorgehen bei Verwendung der 23-G- bzw. 25-G-Pars-plana-Technik entsprach dem oben geschilderten Vorgehen der 20-G-Pars-plana-Vitrektomie.

Statistische Analyse

Die deskriptive und statistische Analyse wurde mit IBM SPSS Statistics 21 (IBM, Armonk, NY, USA) durchgeführt. Die demografischen Merkmale der Patienten, Parameter und Variablen werden in Form von Mittelwert, Standardabweichung und Bereich bzw. Prozentsatz dargestellt. Für die Analyse wurden die nicht gefärbten Fälle mit den gefärbten Fällen verglichen. Als statistischer Test wurde der Chi-Quadrat-Test gewählt. Waren die erwarteten Häufigkeiten mancher Zellen < 5, wurde der exakte Test nach Fisher gewählt. Statistische Signifikanz wurde bei einem p-Wert von 0,05 oder weniger angenommen.

Um zu testen, ob ein Zusammenhang zwischen mehreren unabhängigen Variablen und einer binär abhängigen Variable besteht, wurde eine multivariable binär logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Als Fragestellung wurde in diesem Fall formuliert: „Welche unabhängigen Variablen sind mit der Identifizierung der ILM assoziiert?“

Ergebnisse

In der 1. Kohorte wurden keine Vitalfarbstoffe zum Anfärben der ILM verwendet. In der 2. Kohorte wurde bei 148 (74 %) Patienten die ILM selektiv mit Vitalfarbstoffen gefärbt. Bei 147 Patienten wurde der Vitalfarbstoff BBG verwendet, davon waren 87 (59,2 %) ILM-Blue® (DORC International, Zuidland, Niederlande; Konzentration: 0,25 g/l BBG) und 60 (40,8 %) Brilliant Peel® (Fluoron, Ulm, Deutschland; Konzentration: 0,25 g/l BBG). Bei einem Patienten wurde ala®purple (alamedics, Dornstadt, Deutschland; Konzentration 1,5 g/l AV17) verwendet.

In der 1. Kohorte konnte bei 37 (18,5 %) Patienten die ILM nicht identifiziert werden. Bei 138 (69 %) Patienten konnte die ILM identifiziert werden. Bei 25 (12,5 %) Patienten konnte die ILM nach ERM-Peeling nicht mehr identifiziert werden.

In der 2. Kohorte konnte bei 8 (4 %) Patienten die ILM nicht identifiziert werden. Bei 159 (79,5 %) Patienten konnte die ILM identifiziert werden. Bei 33 (16,5 %) Patienten konnte die ILM nach ERM-Peeling nicht mehr identifiziert werden. Bei den Patienten, bei denen Vitalfarbstoffe verwendet wurden, konnte die ILM in nur 2 (1,4 %) Fällen nicht identifiziert und in 124 (83,8 %) Fällen identifiziert werden. Bei 22 (14,9 %) Patienten aus dieser Gruppe war die ILM nach ERM-Peeling nicht mehr identifizierbar.

Identifizierung der ILM:

In Tab. 1 sind die beobachteten Fälle und in Klammern die relativen Häufigkeiten in Prozent aufgeführt.

Tab. 1 Identifizierung der ILM in der 1. Kohorte und in den gefärbten Fällen der 2. Kohorte (Chi-Quadrat [1, n = 301] = 24,84, p < 0,001)

Es wurden alle Fälle der 1. Kohorte und alle Fälle der 2. Kohorte, in denen die ILM selektiv gefärbt wurde, in den Test eingeschlossen. Alle Fälle, in denen die ILM nach ERM-Peeling nicht mehr identifizierbar war, wurden ausgeschlossen.

Der Chi-Quadrat-Test zeigt, dass die Anwendung von Vitalfarbstoffen bei Pars-plana-Vitrektomien in unserer Stichprobe zu einer signifikant besseren Identifizierbarkeit der ILM führt (p < 0,001).

In Tab. 2 sind die beobachteten Fälle und in Klammern die relativen Häufigkeiten in Prozent aufgeführt.

Tab. 2 Identifizierung der ILM in den ungefärbten Fällen der 2. Kohorte und in den gefärbten Fällen der 2. Kohorte (Chi-Quadrat [1, n = 167] = 11,55, p < 0,001)

Es wurden alle Fälle der 2. Kohorte in den Test eingeschlossen bis auf die Fälle, in denen die ILM nach ERM-Peeling nicht mehr identifizierbar waren.

Auch hier zeigt der Chi-Quadrat-Test, dass die Anwendung von Vitalfarbstoffen bei Pars-plana-Vitrektomien in unserer Stichprobe zu einer signifikant besseren Identifizierbarkeit der ILM führt (p < 0,001).

Schwierigkeit des ILM-Peelings:

In Tab. 3 sind die beobachteten Fälle und in Klammern die relativen Häufigkeiten in Prozent aufgeführt.

Tab. 3 Schwierigkeit des ILM-Peelings in der 1. Kohorte und in den gefärbten Fällen der 2. Kohorte (Fisher’s exact [2, n = 262] = 0,099, p = 0,951)

Es wurden alle Fälle der 1. Kohorte und alle Fälle der 2. Kohorte, in denen die ILM selektiv gefärbt wurde, in den Test eingeschlossen. Alle Fälle, in denen die ILM nicht identifizierbar war, wurden ausgeschlossen.

Mit dem exakten Test nach Fisher konnte keine statistische Abhängigkeit zwischen selektiver ILM-Färbung und der Schwierigkeit des ILM-Peelings nachgewiesen werden (p = 0,951).

In Tab. 4 sind die beobachteten Fälle und in Klammern die relativen Häufigkeiten in Prozent aufgeführt.

Tab. 4 Schwierigkeit des ILM-Peelings in den gefärbten Fällen der 2. Kohorte und in den ungefärbten Fällen der 2. Kohorte (Fisher’s exact [2, n = 159] = 0,849, p = 0,654)

Es wurden alle Fälle der 2. Kohorte, in denen die ILM identifizierbar war, in den Test eingeschlossen.

Mit dem exakten Test nach Fisher konnte keine statistische Abhängigkeit zwischen selektiver ILM-Färbung und der Schwierigkeit des ILM-Peelings nachgewiesen werden (p = 0,654).

In Tab. 5 sind die unabhängigen Variablen und die jeweilige Odds-Ratio, das 95 %-Konfidenzintervall und der p-Wert aufgeführt.

Tab. 5 Assoziierung unabhängiger Variablen (Geschlecht, Patientenalter, Augenseite, Linsenstatus, Status der hinteren Glaskörpergrenzmembran [HGGM], Kohorte, Identifizierung der ERM mit der Identifizierung der ILM)

Der p-Wert für die unabhängigen Variablen „Geschlecht“, „Patientenalter zum Zeitpunkt der Operation“, „Augenseite“, „Linsenstatus“ und „Status HGGM“ ist > 0,05. Daraus kann geschlossen werden, dass in der untersuchten Stichprobe weder das Geschlecht noch das Patientenalter noch die Augenseite noch der Linsenstatus oder der Status der hinteren Glaskörpergrenzmembran mit der Identifizierung der ILM statistisch signifikant assoziiert sind.

Die unabhängigen Variablen „Kohorte“ und „Identifizierung der ERM“ sind signifikant assoziiert mit der Identifizierung der ILM:

In der 2. Kohorte steigt die Wahrscheinlichkeit, die ILM zu identifizieren, signifikant im Vergleich zur 1. Kohorte, da die Odds Ratio > 1 ist (OR = 14,91; 95 %-KI: [3,31–67,15]; p < 0,001). Damit ist die Chance der ILM-Identifizierung in der 2. Kohorte in etwa 15-mal so hoch wie in der 1. Kohorte.

Wenn keine ERM identifiziert werden kann, steigt die Wahrscheinlichkeit, die ILM zu identifizieren, da die Odds Ratio > 1 ist (OR = 7,71; 95 %-KI: [2,85–20,83]; p < 0,001). Damit ist die Chance der ILM-Identifizierung bei einer nichtidentifizierbaren ERM (nicht vorhandenen ERM) in etwa 8‑mal so hoch wie bei einer identifizierbaren ERM.

Diskussion

Die „Chromochirurgie“ der Makula hat im vergangenen Jahrzehnt stetig an Bedeutung gewonnen. Die bei der modernen Makulachirurgie zu identifizierenden Strukturen, insbesondere die ILM, sind ausgesprochen fein und fragil. Vor allem bei der Chirurgie des Makulaforamens, aber auch anderer Indikationen ist es wichtig, dass die ILM identifiziert und möglichst komplett gepeelt wird. Ein ILM-Peeling verbessert die anatomischen Verschlussraten bei der Operation von Makulaforamina und führt zu einer Reduktion der tangentialen Traktionen [4, 5]. Deshalb gab es über 1 Jahrzehnt intensive Bemühungen zur Entwicklung von sicheren und effektiven Vitalfarbstoffen zum Anfärben der ILM.

Die Suche nach dem idealen Vitalfarbstoff für das intraoperative ILM-Peeling hat Brilliant-Blue‑G (BBG) als aussichtsreichste Alternative zu Trypanblau (TB) und Indocyaningrün (ICG) in experimentellen und klinischen Studien hervorgebracht. BBG färbt die ILM selektiv und mit hoher Affinität an [25].

Viele sehr erfahrene Operateure verwenden diese „neuen“ Vitalfarbstoffe jedoch eher zurückhaltend, weil sie sich noch an die äußerst schwerwiegenden Nebenwirkungen der Verwendung von ICG erinnern, vielleicht sogar bei ihren eigenen Patienten. Diese Haltung wird durch ihre oft jahrzehntelange Erfahrung in dieser schwierigen Operationstechnik unterstützt. Dadurch stehen viele dieser erfahrenen Operateure unter dem Eindruck, dass die Anwendung von intraoperativen Vitalfarbstoffen für erfahrene Operateure keinen Zusatznutzen erbringt, allenfalls für Anfänger in dieser schwierigen Operationstechnik. Nicht zu unterschätzen sind in der heutigen Zeit auch medizinökonomische Überzeugungen, da die Farbstoffe ca. 8,3 % der Kosten einer ppV ausmachen. In der vorliegenden Arbeit konnte jedoch eindeutig nachgewiesen werden, dass die Anwendung selektiver Vitalfarbstoffe bei Pars-plana-Vitrektomien gerade bei einem sehr erfahrenen Operateur zu einer statistisch hoch signifikant besseren Identifizierbarkeit der ILM führt.

Hierzu wurden retrospektiv 2 exakt definierte zeitlich unabhängige Operationskohorten von jeweils 200 konsekutiven ppVs eines einzelnen in dieser Operationstechnik sehr erfahrenen Operateurs miteinander verglichen. In der 1. Kohorte konnte die ILM bei 69 % der Patienten identifiziert werden. In der 2. Kohorte konnte die ILM bei 84 % der Patienten identifiziert werden. Der Unterschied ist statistisch signifikant. Bei nur 2 Patienten konnte die ILM trotz der Anwendung von Vitalfarbstoffen nicht identifiziert werden. In dieser Arbeit kamen verschiedene Vitalfarbstoffe (ILM-Blue®, Brilliant Peel®, ala®purple) zur Anwendung. Es wurde nicht nachgewiesen, ob für die Identifizierbarkeit der ILM einer der 3 verwendeten Vitalfarbstoffe besser geeignet ist als die anderen.

Im Gegensatz zur „Identifizierung“ erbrachte die Anwendung intravitaler Farbstoffe für die in den OP-Berichten dokumentierte „Schwierigkeit“ des ILM-Peelings keinen statistisch nachweisbaren Unterschied: Sobald die ILM identifiziert wurde, waren die Angaben des Operateurs zur Schwierigkeit des ILM-Peelings sowohl in der ungefärbten als auch in der gefärbten Gruppe statistisch nicht signifikant unterschiedlich. Neben diesen beiden Parametern wurde noch eine ganze Reihe weiterer möglicher Einflussfaktoren erfasst bzw. statistisch ausgewertet: Geschlecht, Patientenalter zum Zeitpunkt der Operation, Augenseite, Linsenstatus, ppV-Technik, Diagnose bei Indikationsstellung, Gass-Stadium bei Makulaforamen, Status der hinteren Glaskörpergrenzmembran, Schwierigkeit der Induktion der hinteren Glaskörperabhebung, Identifizierung der ERM, Schwierigkeit des ERM-Peelings. In einer binären logistischen Regressionsanalyse konnte gezeigt werden, dass keiner dieser Parameter, bis auf die Identifizierung der ERM, mit der Identifizierbarkeit der ILM assoziiert war.

Ein möglicher Kritikpunkt der vorliegenden Studie ist, dass nur die Operationen eines einzelnen Operateurs ausgewertet wurden. Das Studiendesign wurde in diesem Punkt bewusst so gewählt, weil dadurch die Dokumentationsqualität der vielfältigen Parameter mit hinreichender Sicherheit einheitlich war. Gerade bei retrospektiven Analysen ist es sehr schwierig, die potenziellen Einflussfaktoren zu kontrollieren. Dies ist außerdem insofern wichtig, weil verschiedene Operateure über einen unterschiedlichen Erfahrungsstatus verfügen. Es ist zu vermuten, dass bei einem weniger erfahrenen Operateur eine zusätzliche Vitalfärbung hilfreich ist. Es war bisher jedoch unklar, ob dies auch bei einem erfahrenen Operateur der Fall ist. In unserer Studie wurden alle 400 ppVs von demselben Operateur durchgeführt, um auszuschließen, dass eine unterschiedliche Operationserfahrung und/oder -technik („Geschicklichkeit“) verschiedener Operateure das Ergebnis beeinflusst.

Ein weiterer Kritikpunkt unserer Studie könnte sein, dass der zeitliche Abstand zwischen der 1. und 2. Kohorte (ca. 6,5 Jahre) relativ groß war. Die Wahl dieses Abstandes begründet sich dadurch, dass in der Zeit zwischen den beiden analysierten Kohorten zahlreiche unterschiedliche Vitalfarbstoffe entwickelt wurden. Manche dieser Substanzen wurden jedoch aus unterschiedlichen Gründen wieder vom Markt genommen und/oder nicht mehr verwendet. Eine Operationskohorte dieses Zeitraumes hätte also die Problematik innegehabt, dass vielleicht verschiedene Vitalfarbstoffe verwendet worden wären, aber dafür in nur geringer Zahl. Wir waren uns aber auch im Klaren, dass aufgrund dieses bewusst gewählten relativ langen zeitlichen Abstandes der 2. zur 1. Kohorte nicht gänzlich ausgeschlossen werden konnte, dass auch hier ein Lernkurveneffekt des Operateurs in das Ergebnis einfließen könnte. Das bedeutet, dass z. B. das Peeling vom Operateur in den gefärbten Fällen der zweiten Kohorte unter Umständen deshalb als „leichter“ eingeschätzt wird, weil er erfahrener geworden ist, und nicht, weil Vitalfarbstoffe die Identifizierung erleichtern. Dieser durchaus mögliche Effekt ist – jedoch wenn überhaupt – als gering einzuschätzen, da der analysierte Operateur bereits vor den Operationen der 1. Kohorte über 9000 intraokulare Eingriffe selbstständig durchgeführt hatte, und davon waren ca. 4000 ppVs. Es ist also eher unwahrscheinlich, dass der analysierte Operateur im Zeitraum von der 1. zur 2. Kohorte einem wesentlichen Lerneffekt in Bezug auf die Identifizierung der ILM unterlag.

Bestätigt wird diese Annahme noch durch folgende Beobachtung: Die Operationsfrequenz war zur Zeit der 1. Kohorte (2004 bis 2006) deutlich höher als zur Zeit der 2. Kohorte (2013 bis 2020): In der 1. Kohorte wurden vom Operateur innerhalb von 2 Jahren 200 ppVs mit Peeling durchgeführt. Die 200 ppVs unter Anwendung von Vitalfarbstoffen der 2. Kohorte wurden vom Operateur innerhalb von 7 Jahren durchgeführt. Die Erklärung dafür ist, dass zur Zeit der 1. Kohorte nur wenige andere Operateure an der Augenklinik tätig waren. Im Verlauf der folgenden Jahre wurden jedoch weitere Operateure für das ILM-Peeling ausgebildet, sodass die Operationsfrequenz des ausgewerteten Operateurs in der 2. Kohorte entsprechend geringer war. Man könnte nun einwenden, dass durch die niedrigere Operationsfrequenz in der 2. Kohorte eventuell die manuelle Geschicklichkeit des o. g. Operateurs sogar abgenommen hätte. Wäre diese Annahme richtig, hätte die ILM in der 2. Kohorte seltener identifiziert werden können, und der Peeling-Vorgang hätte sich schwieriger gestalten müssen. Dies war in der statistischen Analyse jedoch gerade nicht der Fall. Die Identifizierung der ILM war in der 2. Kohorte signifikant besser möglich als in der 1. Kohorte. Das bedeutet: Auch unter der Annahme, dass die Geschicklichkeit des Operateurs durch die niedrigere Operationsfrequenz in der 2. Kohorte abgenommen hätte, wäre dann folgerichtig der von uns belegte Zusatznutzen der verwendeten Vitalfarbstoffe sogar noch besser.

Zusätzlich wurde in dieser Studie untersucht, ob die verwendeten Vitalfarbstoffe eine Auswirkung auf die Schwierigkeit des ILM-Peelings haben. Auch diese Thematik wurde in der Literatur bisher kaum behandelt. Wir konnten zeigen, dass es bei der Schwierigkeit des ILM-Peelings zwischen der gefärbten Gruppe und der nicht gefärbten Gruppe keinen statistisch signifikanten Unterschied gab. Das bedeutet, dass die hier verwendeten Farbstoffe dem Operateur die ILM-Identifizierung zwar erleichterten, aber beim Peeling-Vorgang an sich keine signifikante Rolle spielten.

Da die ILM nach intraoperativer Mobilisierung nicht immer ein homogenes Gebilde darstellt, kann nicht mit absoluter Gewissheit gesagt werden, ob sie während der Operation intraoperativ als einheitliche Struktur identifiziert bzw. vollständig entfernt werden konnte. Interessant wäre daher der Nachweis, ob die ILM mit bzw. ohne Verwendung eines Vitalfarbstoffes tatsächlich operativ vollständig entfernt wurde. Dieser Befund würde sich z. B. aus einem Vergleich zwischen prä- und postoperativem OCT ergeben. Es stehen aber leider nicht durchgängig postoperative OCT-Bilder zur Verfügung. Viele der Patienten wurden postoperativ zeitnah an die entsprechenden Zuweiser zurück überwiesen und nicht gezielt (mit OCT) nachuntersucht. Aufgrund des retrospektiven Studiendesigns konnten wir deshalb diese Fragestellung nicht sinnvoll adressieren. Es wäre ebenfalls interessant gewesen zu untersuchen, wie hoch die Rezidivraten für eine epiretinale Membran in beiden untersuchten Kohorten waren. Dies haben wir aus demselben Grund in der aktuellen Auswertung nicht berücksichtigen können.

In anderen Studien wurden der Nutzen und Nebenwirkungen von weiteren selektiven ILM-Farbstoffen untersucht: Im Jahr 2000 wurde erstmals von Kadonosono et al. die Anfärbung der ILM mit Indocyaningrün (ICG) beschrieben. Das Anfärben der ILM mit ICG vereinfachte es, die ILM besser zu identifizieren, und führte damit zu einem ILM-Peeling mit weniger manipulativen Schäden an der Retina [13]. Wenig später wurde jedoch von Gandorfer et al. beschrieben, dass die Anwendung von ICG bei der ppV retinatoxisch ist und zu irreversiblen Schäden der Netzhaut, insbesondere des retinalen Pigmentepithels und des Ziliarepithels, führt [2, 6]. Auch Acid-Violet-17 (AV-17) wurde zur selektiven ILM-Färbung verwendet. Bereits kurz danach wurden toxische Effekte an okulären Strukturen oder Zellen nachgewiesen: Der Farbstoff führte auch in deutlich niedrigeren Konzentrationen als in der zugelassenen zu einer Schädigung des retinalen Pigmentepithels und der glialen Reaktivität, weshalb dieser Farbstoff nicht mehr zur selektiven Färbung der ILM empfohlen wird [8]. Der intravitale Farbstoff Trypanblau (TB) färbt sowohl die ILM als auch die ERM. Er wird zur Identifizierung, Abgrenzung und Entfernung beider Membranen eingesetzt. TB ist deshalb v. a. bei Fällen nützlich, in denen die Grenzen der ERM schwer zu definieren sind [9]. Toxische Nebenwirkungen beim Färben mit TB sind unwahrscheinlich, wenn der Farbstoff in niedrigen und klinischen relevanten Konzentrationen verwendet wird [15].

Ein weiterer potenzieller Vorteil der Anwendung von Vitalfarbstoffen wäre, dass der Ansatzpunkt für den Beginn des ILM-Peelings leichter visualisiert werden könnte und damit potenziell weniger lokalisierte traumatische Defekte an der Netzhaut entstehen, wie sie auch für die sog. Pinch-and-peel-Technik typisch sind. Dies kann jedoch nur in einer prospektiven Studie mit genauer Dokumentation und unter Zuhilfenahme der Mikroperimetrie der entsprechenden Netzhautstellen beantwortet werden.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend lässt sich aus unserer Studie folgern, dass die Einführung selektiver Vitalfarbstoffe eine entscheidende Weiterentwicklung in der Netzhautchirurgie bedeutet. In der untersuchten Stichprobe wurde dieser Vorteil anhand zweier exakt definierter Operationskohorten eines einzelnen sehr erfahrenen Operateurs evident. Es kann nun mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden, dass, wenn dieser Vorteil selbst bei einem sehr erfahrenen Operateur mit statistisch hochsignifikantem Unterschied nachweisbar ist, dann davon auszugehen ist, dass die Anwendung der untersuchten Vitalfarbstoffe in den Händen eines weniger erfahrenen Operateurs zu einem noch deutlicheren Vorteil führen müsste.

Fazit für die Praxis

  • Die ppV ist eine der Standardoperationen in der Augenheilkunde und wird – meist in Verbindung mit einem Peeling der ILM – zur Behandlung von Makulopathien unterschiedlicher Genese erfolgreich eingesetzt. Aufgrund der durchsichtigen und fragilen Struktur der ILM handelt es sich beim ILM-Peeling um einen sehr schwierigen Operationsschritt.

  • Die Einführung selektiver Vitalfarbstoffe zur besseren intraoperativen Visualisierung bedeutete eine entscheidende Weiterentwicklung in der Netzhautchirurgie.

  • In unserer Untersuchung konnte gezeigt werden, dass selektive Farbstoffe die Wahrscheinlichkeit der intraoperativen ILM-Identifizierung selbst bei erfahrenen Operateuren erhöhen. Beim Peeling-Vorgang selbst spielten die verwendeten Farbstoffe keine signifikante Rolle.

  • Die Anwendung zumindest der untersuchten Vitalfarbstoffe müsste bei weniger erfahrenen Operateuren zu einem noch deutlicheren Vorteil führen. Dies muss allerdings in entsprechend angelegten Studien bestätigt werden.