Die Digitalisierung in der Medizin, insbesondere die elektronische Erfassung von Patientendaten, verändert Gesundheitssysteme weltweit grundlegend. Die neuen Techniken bieten Chancen, stellen die Beteiligten aber auch vor Herausforderungen.

Eine der wichtigsten Nutzungsmöglichkeiten bietet die Auswertung von Real-World-Daten, die in Echtzeit unter Alltagsbedingungen erhoben und den Anwendern zur Verfügung gestellt werden [1].

Eine Form, auf diese Weise gewonnene umfangreiche Patientendaten einschließlich demografischer Merkmale, der Krankengeschichte, Diagnosen, Behandlungen und Medikamenten zusammenzustellen, sind elektronische medizinische Register. Sie dienen der Darstellung der Versorgungslage, liefern den Akteuren im Gesundheitssystem Informationen und können für wissenschaftliche Fragestellungen genutzt werden. Die Auswertung der Real-World-Daten aus medizinischen Registern kann Ärztinnen und Ärzte nicht zuletzt mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) in der direkten Patientenversorgung unterstützen. Hierbei helfen sog. „clinical decision support systems“ (CDSS), zu Deutsch Entscheidungsunterstützungssysteme [2].

Trotz umfangreicher Dokumentation und Kodierungspflicht mangelt es an aktuellen bevölkerungsbasierten Daten zur Versorgungslage in der Augenheilkunde in Deutschland [3]. Diese Lücke soll mit dem ophthalmologischen Register (oregis) geschlossen werden. oregis ist das erste bundesweite digitale Register für Versorgungsforschung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG).

Während in Deutschland vor Einführung von oregis auf der Jahrestagung der DOG 2018 bereits eine Vielzahl an insbesondere krankheitsspezifischen Registern existiert, erfüllt oregis die Aufgabe des ersten, vornehmlich automatisierten, krankheits- und sektorübergreifenden ophthalmologischen Registers zur Darstellung der Versorgungslage der Augenheilkunde in Deutschland, das Hypothesen-offen Daten in Echtzeit bereitstellt. Angeschlossene Praxen und Kliniken liefern Patientendaten aus dem ambulanten und stationären Bereich. Eine Vorbildfunktion für das Vorhaben bildeten ophthalmologische Register weltweit wie das Intelligent Research in Sight(IRIS®)-Register der American Academy of Ophthalmology (AAO) oder die australischen multinationalen Save Sight Registries [4, 5].

Intravitreale operative Medikamenteneingaben (IVOMs) gehören zu den häufigsten durchgeführten Eingriffen in der Augenheilkunde überhaupt [6]. Mit der wachsenden Zulassung von Medikamenten zur intravitrealen Eingabe für immer mehr Krankheitsbilder und einer weltweit alternden Bevölkerung wächst die Anzahl der Injektionen kontinuierlich [5]. Anwendung finden IVOMs neben Antibiotikaeingaben heute v. a. in der Therapie der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD), des diabetischen Makulaödems (DMÖ) sowie bei retinalen Venenverschlüssen (RVV) und bei Uveitis. Einsatz finden unterschiedliche Kortikosteroide und VEGF(„anti-vascular endothelial growth factor“)-Medikamente (Aflibercept [Eylea®], Bevacizumab [Avastin®], Brolucizumab [Beovu®], Ranibizumab [Lucentis®]). Aktuelle Neuerungen finden sich beispielsweise in dem monoklonalen Antikörper Faricimab (Vabysmo®), dessen Wirkmechanismus sowohl auf VEGF als auch auf Angiopoetin‑2 abzielt, sowie in einer Reihe von Biosimilars [7].

Die Therapie mit Anti-VEGF-IVOMs hat die Behandlung etwa der neovaskulären AMD und venöser Gefäßverschlusse revolutioniert. Die Behandlungserfolge zeigen sich in reduzierter schwerer Visusreduktion und Blindheit durch die genannten Erkrankungen [8,9,10]. Allerdings weisen Real-World-Daten darauf hin, dass die tatsächliche Anzahl an durchgeführten Injektionen hinter denen in den klinischen Studien zurückbleibt [11,12,13].

Die Anti-VEGF-Therapie ist eine effiziente und lebensqualitätverbessernde Therapie, die allerdings mit hohen Kosten für das Gesundheitssystem einhergeht [14, 15]. Hinsichtlich der Kostenbelastung gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Anti-VEGF-Wirkstoffen [16].

Vor dem Hintergrund der Häufigkeit der Injektionen, der beschriebenen ökonomischen Implikationen und der Markteinführung neuer Wirkstoffe sind tagesaktuelle nationale Daten zur Anwendungspraxis und Versorgungslage bezüglich der Anti-VEGF-Therapie wünschenswert. Basierend auf Krankenversicherungsdaten und Daten aus beispielsweise dem IRIS-Register, existieren bereits Studien zur Anzahl durchgeführter Anti-VEGF-Injektionen, zu Injektionsfrequenzen und den verwendeten Anti-VEGF-Präparaten aus anderen Ländern [17, 18]. Aus Deutschland existieren nationale Daten aufgrund des bisherigen Fehlens eines nationalen Registers jedoch nicht.

Nach Einführung von oregis und einer steigenden Zahl angeschlossener Zentren ist es nun möglich, gezielt Daten der ophthalmologischen Versorgung in Deutschland abzufragen und auszuwerten. Diese Arbeit demonstriert die Möglichkeit hierzu anhand der Abfrage zu Häufigkeit und Wirkstoffverteilung intravitrealer Injektionen in deutschen Zentren 2015 bis 2021. Durch die Beantwortung einer konkreten Fragestellung (Anzahl an Injektionen und Verteilung der angewendeten Anti-VEGF-Wirkstoffe) lassen sich ferner das Potenzial und die Limitationen von oregis diskutieren. Die Möglichkeit der Abfrage der hier dargestellten Daten steht stellvertretend für die Vielzahl an Fragestellungen, mit denen oregis zur Darstellung der augenheilkundlichen Versorgung in Deutschland beitragen kann.

Methode

Es erfolgte eine automatisierte Abfrage der Datensätze aller Patientinnen und Patienten, die im Zeitraum von 2015 bis 2021 an den an oregis angeschlossenen Versorgungseinrichtungen IVOMs erhielten. Abgefragt wurden die Anzahl der Patientinnen und Patienten, die sich der Therapie unterzogen, sowie die verwendeten Anti-VEGF-Medikamente Aflibercept, Bevacizumab, Brolucizumab und Ranibizumab. Für die Krankheitsbilder der exsudativen Makuladegeneration (H35.3; H35.30) sowie die retinalen Venenverschlüsse (H34.8) wurden Daten zur durchschnittlichen Injektionshäufigkeit pro Jahr ermittelt. Die Abfrage erfolgte nach Bewilligung eines formalen Antrags mit Beschreibung des Forschungsvorhabens durch den Begutachtungsausschuss von oregis. Die Auswertung der Daten aus oregis erfolgte nach positivem Votum der Ethikkommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Universität Münster. Die Studie entspricht den Grundsätzen der Deklaration von Helsinki und wurde in Übereinstimmung mit den STROBE(Strengthening the Reporting of Observational Studies in Epidemiology)-Richtlinien für Querschnittstudien durchgeführt. Die verwendeten Datensätze wurden vollständig anonymisiert, sodass eine Reidentifizierung einzelner Patientinnen und Patienten ausgeschlossen werden konnte.

Ergebnisse

Zum 31.12.2021 waren an oregis 9 deutsche ophthalmologische Versorgungseinrichtungen angeschlossen, von denen 7 IVOMs applizierten und Daten hierzu übermittelten. Die Anzahl der in oregis geführten Patientinnen und Patienten im Zeitraum von 2015 bis 2021 betrug insgesamt 309.152 über alle Zentren hinweg. Die Anzahl der Patientinnen und Patienten in dem Zeitraum aus Zentren, die auch IVOM-Daten übermittelten, betrug 263.976. Das durchschnittliche Alter dieser Patientinnen und Patienten lag bei 52,45 Jahren; 49,3 % waren weiblich, 50,7 % männlich. Es erhielten 8474 Patientinnen und Patienten in dem Zeitraum von 2015 bis 2021 eine IVOM. Das durchschnittliche Alter dieser Patientengruppe lag bei 73,16 Jahren; 47,6 % waren weiblich, 52,4 % männlich.

Im Beobachtungszeitraum erfolgten zwischen 2015 und 2018 an 3 an oregis angeschlossenen Zentren intravitreale Medikamenteneingaben, 2019 an 4 Zentren und 2020 und 2021 an 7 Zentren (Abb. 1 und 2). Die Gesamtanzahl der durchgeführten Injektionen betrug an den eingeschlossenen Zentren in den Jahren 2015 bis 2021 29.187, 8676 mit Aflibercept, 11.058 mit Bevacizumab, 414 mit Brolucizumab und 6367 mit Ranibizumab. Dabei erhielten 723 Patientinnen und Patienten im genannten Zeitraum an mindestens einem Auge 2 unterschiedliche Wirkstoffe in Form von IVOMs, 87 Patientinnen und Patienten mehr als 2 Wirkstoffe. Die Abb. 3, 4 und 5 geben eine Übersicht über die Anzahl der IVOM-Patientinnen und -Patienten an den beteiligten Zentren über die Jahre hinweg sowie über die erfolgten Injektionen, eingeteilt nach Anti-VEGF-Wirkstoffen.

Abb. 1
figure 1

Anzahl der an oregis angeschlossenen Zentren, die intravitreale operative Medikamenteneingaben (IVOMs) applizierten, sowie Anzahl der IVOM-Applikationen in den Jahren 2015 bis 2021

Abb. 2
figure 2

Anzahl der an oregis angeschlossenen Zentren, die intravitreale operative Medikamenteneingaben (IVOMs) applizierten, sowie Anzahl der IVOM-Patientinnen und -Patienten in den Jahren 2015 bis 2021

Abb. 3
figure 3

Anzahl IVOM (intravitreale operative Medikamenteneingaben)-Patientinnen und -Patienten nach VEGF(„anti-vascular endothelial growth factor“)-Wirkstoffen in den Jahren 2015 bis 2021 an den an oregis angeschlossenen Zentren

Abb. 4
figure 4

Anzahl intravitreale operative Medikamenteneingaben (IVOMs) nach VEGF(„anti-vascular endothelial growth factor“)-Wirkstoffen in den Jahren 2015 bis 2021 an den an oregis angeschlossenen Zentren

Abb. 5
figure 5

Verteilung der Wirkstoffe prozentual in den Jahren 2015 bis 2021 an den an oregis angeschlossenen Zentren

Diskussion

Erkenntnisse über die Versorgungslage zu intravitrealen Injektionen an den an oregis angeschlossenen augenheilkundlichen Versorgungseinrichtungen in Deutschland 2015 bis 2021

In dieser Studie konnte erstmals ein großer Datensatz von fast 10.000 Patientinnen und Patienten, die im Zeitraum zwischen 2015 und 2021 rund 30.000 IVOMs an deutschen an oregis angeschlossenen augenheilkundlichen Versorgungseinrichtungen erhielten, ausgewertet werden. Daten zu Anzahl und Verteilung von IVOMs sind in Form eines Registers bislang in Deutschland weder automatisiert erfasst und abfragbar noch der Öffentlichkeit zugänglich.

Insgesamt findet sich über den gesamten Beobachtungszeitraum eine Zunahme von Patientinnen und Patienten sowie solchen, die IVOMs erhalten haben, und der Anzahl von verabreichten IVOMs vor dem Hintergrund eines kontinuierlichen Anschlusses neuer Zentren an oregis (Abb. 1 und 2).

Hinsichtlich der verwendeten Anti-VEGF-Wirkstoffe lässt sich Folgendes aus den Daten ableiten:

In den angeschlossenen Zentren stieg der Anteil von Bevacizumab an den hier dargestellten Wirkstoffen im beobachteten Zeitraum von 13,7 % (2015) auf 45,8 % (2021), der Anteil von Ranibizumab sank von 54,5 % (2015) auf 18,2 % (2021), und der Anteil von Aflibercept stieg leicht von 31,8 % (2015) auf 32,9 % (2021) (Abb. 3, 4 und 5).

In Deutschland wird Bevacizumab als Off-label Präparat zur intravitrealen Behandlung eingesetzt und in der Regel von den Krankenkassen erstattet [20]. Die oregis-Auswertung zeigt eine prozentuale Zunahme der Bevacizumab-Applikationen über die Jahre bei gleichzeitiger prozentualer Abnahme der Ranibizumab-Applikationen, was vor dem Hintergrund der über die Jahre ausgeweiteten Zulassungen für Ranibizumab (mittlerweile zugelassen zur Behandlung der neovaskulären AMD, des DMÖ, der proliferativen diabetischen Retinopathie [PDR], bei retinalem Venenverschluss, einer sekundären choroidalen Neovaskularisation [CNV] und bei der Frühgeborenenretinopathie [Retinopathia praematuorum, ROP]) und des Off-label-Charakters des Einsatzes von Bevacizumab interessant ist [21]. Frühere Publikationen haben gezeigt, dass die Effektivität von Bevacizumab der von Aflibercept und Ranibizumab in der Behandlung der AMD nicht nachsteht bei höherer Kosteneffizienz des Bevacizumab und vergleichbarem Sicherheitsprofil im Hinblick auf systemische und okuläre Nebenwirkungen [22,23,24]. Beim DMÖ und dem RVV ist die Nichtunterlegenheit von Bevacizumab nicht eindeutig belegt, wobei die Unterschiede zwischen den Präparaten hinsichtlich ihrer Wirksamkeit insgesamt eher klein sind [25, 26]. Die prozentuale Zunahme von Bevacizumab bei insgesamt steigenden IVOM-Zahlen könnte daher als Ausdruck eines gesteigerten Kostendrucks gedeutet werden.

Neben der Verteilung der Anti-VEGF-Wirkstoffe, die intravitreal Anwendung finden, können mithilfe von oregis auch Behandlungen bestimmter Krankheitsbilder untersucht werden, hier dargestellt an der exsudativen altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) und dem venösen retinalen Verschluss.

Die Comparison of Age-related Macular Degeneration Treatments Trials(CATT)-Studie zeigte unter randomisierten kontrollierten Bedingungen für AMD-Patientinnen und -Patienten im ersten Jahr der Verabreichung von IVOMs eine durchschnittliche Gabe von 6,9 Injektionen mit Ranibizumab und 7,7 Injektionen mit Bevacizumab [27]. BRAVO- und CRUISE-Studie bilden Zulassungsstudien für die Therapie von Venenastverschlüssen sowie Zentralvenenverschlüssen mit Ranibizumab. Bei einer Ranibizumab-Dosierung von 0,5 mg erhielten Patientinnen und Patienten bei Venenastverschluss im ersten Jahr 8,4 und bei Zentralvenenverschluss 8,8 Injektionen [28,29,30].

Die in oregis gesammelten Real-World-Daten werden nicht unter Studienbedingungen erhoben. Wecker et al. zeigten unter Real-World-Bedingungen für die AMD sowie die retinalen Venenverschlüsse eine Injektionsfrequenz von rund 6 IVOMs im ersten Jahr [31].

In ihrer Studie von 2018 heben Treder et al. Injektionshäufigkeit als einen Parameter hervor, der durch viele Einflussfaktoren wie Wahl des Therapieschemas, insbesondere bei der AMD, und demografische Daten beeinflusst wirkt und somit nur bedingt Vergleichbarkeit schaffen kann [28]. In ihrer Studie zu Real-World-Daten zur Behandlung der AMD und retinalen Venenverschlüsse mit IVOMs an einer deutschen Universitätsaugenklinik lag die durchschnittliche Anzahl der Injektionen für AMD-Patientinnen und -Patienten im ersten Jahr bei 4,59 Injektionen, bei Venenverschlüssen bei 4,17. Diese Injektionshäufigkeiten sind vergleichbar mit den in oregis erfassten Daten (Tab. 1, 2 und 3). Die Ergebnisse decken sich somit mit anderen Real-World-Studien und zeigen, dass abseits von kontrolliert randomisierten Studien eine Unterversorgung bei IVOM-Patientinnen und -Patienten anzunehmen ist. In der vorliegenden Studie findet sich weiterhin eine Zunahme der Gabe der Injektionen bei der exsudativen Makuladegeneration (H35.3 durchschnittliche 2,4 Injektionen pro Jahr in 2015 vs. 5,3 Injektionen 2021) und den retinalen Venenverschlüssen (3,2 2015 vs. 4,3 2021). Veränderungen sind auch hier multifaktoriell bedingt, mutmaßlich etwa durch den Anschluss neuer Zentren an oregis über den Beobachtungszeitraum und die damit einhergehende Änderung der abgebildeten Versorgungsstruktur. Weiterhin entsprechen die hier dargestellten Injektionshäufigkeiten nicht etwa Erstgaben, da diese möglicherweise auch an nicht angeschlossenen Zentren hätten erfolgen können.

Tab. 1 Intravitreale Medikamentenapplikationen (IVOM-Gaben) nach Jahren bei Patientinnen und Patienten mit der Diagnose H35.30
Tab. 2 Intravitreale Medikamentenapplikationen (IVOM-Gaben) nach Jahren bei Patientinnen und Patienten mit der Diagnose H35.3
Tab. 3 Intravitreale Medikamentenapplikationen (IVOM-Gaben) nach Jahren bei Patientinnen und Patienten mit der Diagnose H34.8

„Big data“ im Gesundheitswesen

Das Versprechen, „big data“ könne Gesundheitsversorgung revolutionieren, erscheint omnipräsent [32]. Das 21. Jahrhundert gilt als die Ära von „big data“, einer großen Ansammlung von Daten, charakterisiert durch ihre Diversität, die Schnelligkeit und Genauigkeit ihrer Verarbeitung und durch ihren Nutzen [33, 34]. Vorteile von „big data“ liegen in der in Echtzeit und unter Bedingungen der alltäglichen Patientenversorgung, der sog. Real World, erfolgten Generierung von Information und den Implikationen, die deren Auswertung bereithält: Nach Definition der United States Food and Drug Administration handelt es sich bei Real-World-Daten um routinemäßig aus verschiedenen Quellen gewonnene Daten zum Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten und/oder zur erfolgten Gesundheitsversorgung [35].

Real-World-Daten finden aktuell Einsatz im Zulassungsprozess von Medikamenten, klinischen Studien, in der Darstellung und der Analyse der Versorgungssituation im Gesundheitsbereich. Real-World-Daten können Akteure in klinischen Entscheidungen unterstützen mit dem Ziel, die Patientenversorgung zu verbessern. Künstliche Intelligenz kann in dem Prozess dabei helfen, die große Menge von Daten zu verarbeiten, darzustellen und somit nutzbar zu machen [1, 34, 36, 37].

Dabei bleibt die Nutzung von Real-World-Daten nicht ohne Herausforderungen: Die Erhebung der Daten entstammt der klinischen Routine und erfolgt nicht standardisiert, was zur Entstehung systematischer Fehler führen kann. Bei der Auswertung gilt zu beachten, dass die Analyse der Daten in der Regel retrospektiv erfolgt und es keine geplanten Kontrollgruppen gibt. Die retrospektive Analyse der Daten und das Testen multipler Hypothesen führen weiterhin zu einer erhöhten Falscherkennungsrate [1].

Die elektronische Patientenakte bildet den Grundstein der Generierung und des Nutzbarmachens von Real-World-Daten in der Medizin [34, 38]. Sie bietet eine gute Lesbarkeit der erhobenen Daten, Filterfunktionen zur effizienten Zusammenstellung großer Datensätze und bietet somit deutliche Erleichterung von Arbeitsabläufen in Praxen und Kliniken [28].

Innerhalb der Medizin ist die Augenheilkunde eine besonders datenreiche Fachdisziplin. Daten in der Augenheilkunde reichen von numerischen Werten bis hin zu zwei- und dreidimensionalen Bildern [34, 36].

Real-World-Daten finden in der Augenheilkunde international bereits Anwendung in Form elektronischer Register [1]. Das IRIS-Register der American Academy of Ophthalmology (AAO) bildet beispielhaft aktuell das größte spezialisierte medizinische Register weltweit und beinhaltet seit seiner Gründung 2014 Daten zu mehr als 412 Mio. Patientenbesuchen von mehr als 70,8 Mio. Patientinnen und Patienten. Die Datenübertragung an das Register erfolgt durch automatisches Hochladen von Datensätzen zu demografischen Daten, Krankengeschichte, Befunden, Diagnosen, Prozeduren und Medikation. Wissenschaftler aus ausgewählten Zentren, die im IRIS Registry Analytic Center Consortium vereint sind, haben Zugriff auf das Register und können wissenschaftliche Fragestellungen an IRIS formulieren [4]. Am 14.06.2023 fanden sich auf der Internetseite der AAO 69 IRIS Registry-Publikationen [39]: Abgebildet wird das gesamte Spektrum der Augenheilkunde: Ausgewählte Fragestellungen beschäftigen sich beispielsweise mit der Endophthalmitisrate nach Kataraktoperation in den USA. Ausgewählte Publikationen zum Thema IVOM beschreiben Auswirkungen von Anti-VEGF-Medikamenten auf den intraokularen Druck, den Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Unterschieden in der Gesundheitsfürsorge, der Verwendung von antivaskulärem endothelialem Wachstumsfaktor und den Sehschärfeergebnissen bei Patientinnen und Patienten mit diabetischem Makulaödem oder ethnische und versicherungsbezogene Unterschiede bei der Einleitung einer Anti-VEGF-Therapie bei diabetischem Makulaödem in den Vereinigten Staaten [40,41,42].

Neben wissenschaftlichen Auswertungen sind Real-World-Daten in der Augenheilkunde weltweit besonders vor dem Hintergrund einer Zunahme altersbedingter Erkrankungen wie der Katarakt oder AMD bei gleichzeitig stagnierender Versorgungszeit durch Augenärzte in Deutschland für die Versorgungsplanung von hoher Bedeutung [43].

oregis

oregis ist das Register der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG).

Nachdem bereits 2014 erstmalig die Idee zu einem nationalen digitalen Register zur Verbesserung der Versorgungsforschung in der Augenheilkunde in Deutschland gefasst wurde, wächst die Datenbank seit der Übertragung der Real-World-Daten aus dem ersten teilnehmenden Zentrum 2020 kontinuierlich. Aktuell übermitteln 9 augenärztliche Praxen und Kliniken aus 7 Bundesländern Patientendaten an das Register [37]. Im Sommer 2022 konnten rund 1,75 Mio. Arztbesuche von mehr als 400.000 Patientinnen und Patienten registriert werden [43].

oregis schließt automatisch und Hypothesen-offen Daten aus allen Teilbereichen der Augenheilkunde ein.

oregis ist dabei nicht das erste augenheilkundliche Register in Deutschland. Bereits vor seiner Einführung existierten Datenbanken zu bestimmten Krankheitsbildern wie das Deutsche Frühgeborenen-Retinopathie-Register und das Deutsche Akanthamöbenkeratitis-Register.

Ziel von oregis ist ein Abbild der aktuellen ophthalmologischen Versorgungslage in Deutschland durch Anschluss möglichst vieler ambulanter und stationärer augenheilkundlicher Versorgungseinrichtungen. Durch fortwährende Aktualisierung der Daten können kurzfristige Veränderungen in der augenärztlichen Versorgung abgebildet werden. oregis dient der Förderung der Forschung, Wissenschaft und Lehre sowie der Sicherung der Qualität in der ophthalmologischen Versorgung [37, 43].

Teilnehmen und an oregis angeschlossen werden können alle augenheilkundlichen Versorgungseinrichtungen Deutschlands (Kliniken und Praxen). Die Teilnahme erfolgt auf freiwilliger Basis und unentgeltlich. Alle, vorzugsweise automatisiert, an oregis übertragenen Daten sind zum höchstmöglichen Grad pseudonymisiert bzw. anonymisiert. Ein Rückschluss von den Daten auf Patientinnen und Patienten soll so ausgeschlossen werden.

Limitationen

Da oregis zum Ziel hat, einen Überblick über die augenheilkundliche Versorgungslage in Deutschland zu geben, besteht eine Limitation dieser Studie aktuell in der Anzahl der angeschlossenen Zentren sowie Patientinnen und Patienten. Auch die Struktur der Zentren erlaubt nur eingeschränkt Rückschlüsse auf die Versorgungssituation in der Augenheilkunde in Deutschland, da es sich zum größten Teil um operative Augenkliniken handelt. Zur Verbesserung der Aussagekraft ist das Ziel von oregis, möglichst viele Versorgungseinrichtungen einzuschließen. Die Schwankungen von Daten über Jahre, in dieser Studie am Beispiel der Injektionshäufigkeiten über den Beobachtungszeitraum, können sicherlich teilweise über den Anschluss von Zentren erklärt werden und sind daher nur eingeschränkt aussagekräftig.

Fazit für die Praxis

In dieser Studie konnte erstmalig ein Datensatz aus oregis zur IVOM-Versorgung an deutschen Zentren ausgewertet werden. Die Daten machen deutlich, dass auch in Deutschland in den an oregis angeschlossenen Zentren die tatsächliche Anzahl an IVOMs pro Patient und Jahr hinter den Frequenzen aus den Zulassungsstudien zurückbleibt. Veränderungen in den Anteilen der verwendeten Anti-VEGF-Wirkstoffe sind insbesondere vor dem Hintergrund neu zugelassener Präparate und der unterschiedlichen Behandlungskosten interessant. Ein nationales Register in der Augenheilkunde zu etablieren, das auf der Einspeisung digital erfasster Patientendaten beruht, ermöglicht Teilnehmenden vielfältige Auswertungsmöglichkeiten zur klinischen Forschung und zur Erfassung und Verbesserung der Versorgungssituation mit dem Ziel der Steigerung der Versorgungsqualität. Anspruch sollte dabei ein Anschluss möglichst vieler augenheilkundlicher Versorgungseinrichtungen in Deutschland sein.