Hintergrund

Intravitreale operative Medikamenteneingaben (IVOM) stellen mit ca. 1,5 Mio. Injektionen in Deutschland einen der am häufigsten durchgeführten medizinischen Eingriffe dar [1] und werden zur Therapie der nAMD, vaskulärer Netzhauterkrankungen sowie entzündlicher Netzhauterkrankungen eingesetzt [2].

Neben Hyposphagmata zählen insbesondere intraokulare Drucksteigerungen sowie erregerbedingte und sterile Endophthalmitiden, Glaskörperblutungen und Netzhautablösungen zu den Komplikationen [3]. Darüber hinaus wurden auch einzelne Fälle von Linsenverletzungen beschrieben sowie periphere Netzhautdefekte und Makulaforamina in Assoziation mit vitreoretinalen Traktionen [4,5,6,7,8,9,10].

In der hier vorliegenden Fallserie berichten wir über scharfe iatrogene Netzhaut- bzw. Makulaverletzungen nach IVOM.

Methodik

Es erfolgte eine multizentrische Fallsammlung (Cottbus, Münster, Regensburg) von IVOM-Patienten retrospektiv über den Zeitraum 2016 bis 2023. Neben Anamnese, Visusprüfung, Augeninnendruckmessung und Spaltlampenuntersuchung erfolgten multimodale Fundusbildgebungen. In Fällen, in denen ein operatives Vorgehen geplant wurde, wurde die Diagnostik entsprechend ergänzt (z. B. Linsenberechnung). Die Studie entsprach den Vorgaben der Deklaration von Helsinki (Ethikkommission Universität Regensburg; Ethikvotum: 23-3319-104).

Ergebnisse

Es wurden 9 Fälle mit iatrogenem retinalem Trauma nach extern durchgeführter IVOM bei nAMD identifiziert. Das Alter der Patienten betrug 72 Jahre ± 8,1, das Geschlechterverhältnis lag bei 5:4 (weiblich zu männlich); 33 % der Patienten waren pseudophak. Die Achsenlänge bei den Patienten, bei denen ein operatives Vorgehen geplant wurde, betrug 21,5–25,18 mm.

Während in 6 Fällen scharfe Verletzungen im Bereich der Makula festgestellt wurden (Abb. 1 und 2), zeigten 3 Fälle extramakuläre Läsionen. In 1 Fall war die Perforationsstelle oberhalb der Papille lokalisiert (Abb. 3), in einem anderen Fall am unteren Gefäßbogen (Abb. 4). Im dritten Fall stellten sich multiple Netzhautperforationen in der temporal-mittleren Peripherie dar. Bei den 2 Fällen mit peripherer Lokalisation der Netzhautdefekte zeigte sich eine begleitende Glaskörperblutung.

Abb. 1
figure 1

a Fundusfotografie des rechten Auges, b vergrößerte Darstellung von a: zentrale punktförmige Hämorrhagie (Pfeil) und schlitzförmiger Netzhautdefekt (Pfeilspitzen), c Fundusautofluoreszenz mit Defekt des retinalen Pigmentepithels (RPE) im Bereich der Perforation (Pfeil), d SD-OCT mit durchgreifendem Netzhautdefekt und zentraler Netzhautelevation, ef postoperative Fundusfotografie und SD-OCT: zentrale Vernarbung und verschlossener Netzhautdefekt

Abb. 2
figure 2

a Fundusfotografie des linken Auges: zentraler sternförmiger Defekt (Pfeilspitze) und eine daran angrenzende horizontale Läsion (Pfeil), b SD-OCT-Aufnahme mit einem zentralen durchgreifenden Netzhautdefekt, subpigmentepithelialer Flüssigkeit und subretinalem hyperreflektivem Material, c SD-OCT-Aufnahmen im Verlauf (nach 2 Wochen) mit Regression der Flüssigkeit

Abb. 3
figure 3

ab Fundusfotografie und vergrößerte Darstellung der Papille linkes Auge: zwischen Arterie und Vene stellt sich eine punktförmige Depigmentierung dar (Pfeil), c SD-OCT-Aufnahme zeigt einen schmalen durchgreifenden Netzhautdefekt

Abb. 4
figure 4

a Fundusfotografie des rechten Auges, b vergrößerte Darstellung von a zeigt 2 Netzhautläsionen (Pfeile) im Bereich des temporal unteren Gefäßbogens, c SD-OCT mit durchgreifendem Netzhautforamen, subpigmentepithelialer Flüssigkeit und großflächigem RPE-Defekt

Insgesamt berichteten die Patienten von einem Symptombeginn kurz nach der Behandlung bis hin zu einem Zeitintervall von 4 Wochen.

Zwei Patienten mit extramakulärer Verletzung wurden umgehend operativ versorgt, um eine drohende Amotio retinae zu verhindern. Auch aufgrund der begleitenden Glaskörperhämorrhagie wurde in diesen Fällen auf eine alleinige Laserkoagulation der Netzhautläsionen verzichtet.

Im Rahmen der Makulaverletzungen erfolgte in 3 Fällen eine Operation analog zur operativen Behandlung idiopathischer Makulaforamina. In 4 weiteren Fällen wurde keine operative Versorgung durchgeführt entweder wegen Ablehnung der Operation seitens des Patienten oder aufgrund der Lokalisation des iatrogenen Netzhautdefekts inmitten einer bereits bestehenden Makulaläsion fortgeschrittenen Stadiums. Hier erfolgten engmaschige Verlaufskontrollen. Insgesamt zeigte sich die Visusentwicklung auch nach erfolgreicher Operation limitiert. Die wichtigsten Patientendaten sind in Tab. 1 zusammengefasst. Exemplarisch seien 4 Fälle vorgestellt.

Tab. 1 Patientendaten

Fall 1

Eine 68-jährige Patientin stellte sich umgehend nach der letzten IVOM bei nAMD mit einem Sehverlust an dem behandelten rechten Auge vor. Der Visus betrug 1/35 Metertafel. Neben typischen AMD-Veränderungen ergaben die Fundoskopie und die weiterführende Bildgebung im temporal oberen Makulabereich eine Hämorrhagie mit einem daran angrenzenden schlitzförmigen Netzhautdefekt (Abb. 1a, b). Nach operativer Intervention mittels Pars-plana-Vitrektomie, Peeling der ILM und Gasendotamponade entwickelte sich im Verlauf ein Verschluss des Makulaforamens mit einer zentralen Narbe. Der Visus betrug 1/20 Metertafel.

Fall 2

Nach der letzten Anti-VEGF(„vascular endothelial growth factor“)-Behandlung bemerkte ein 72-jähriger Patient eine Sehverschlechterung auf dem linken Auge. Der bestkorrigierte Visus betrug 0,25. Fundoskopisch imponierte ein zentraler sternförmiger Defekt (Abb. 2a). In der multimodalen Bildgebung zeigte sich eine durchgreifende Makulaläsion mit subpigmentepithelialer Flüssigkeit (Abb. 2b). Diese könnte möglicherweise nicht nur durch das direkte scharfe Trauma, sondern auch durch eine subpigmentepitheliale Injektion entstanden sein.

Eine operative Intervention wurde durch den Patienten abgelehnt. In der Folgeuntersuchung zeigte sich nach 2 Wochen eine Befundstabilisierung mit einem bestkorrigierten Visus von 0,3 (Abb. 2c).

Fall 3

Ein 71-jähriger Patient bemerkte 2 Wochen nach der letzten Injektion eine Gesichtsfeldeinschränkung links. Der Visus betrug 0,1. Fundoskopisch zeigte sich ein auf den ersten Blick unauffälliger Befund mit fortgeschrittenen Veränderungen im Rahmen der AMD. In der OCT-Untersuchung imponierte knapp oberhalb der Papille zwischen Arterie und Vene ein schmaler durchgreifender Netzhautdefekt (Abb. 3b).

Aufgrund der Lokalisation und der Läsionsgröße erfolgten ausschließlich engmaschige Verlaufskontrollen. Der Visus blieb im Verlauf stabil.

Fall 4

Ein 69-jähriger Patient stellte sich mit einer plötzlichen Visusminderung auf 0,1 nach der letzten IVOM vor. Fundoskopisch stellten sich im Bereich des unteren Gefäßbogens 2 Netzhautläsionen mit Defekten des RPE und einer leichten Glaskörperblutung dar. Die OCT-Untersuchung bestätigte den Verdacht einer Netzhautperforation mit subpigmentepithelialer Flüssigkeit (Abb. 4).

Es erfolgte umgehend eine operative Versorgung. Bei der anschließenden Verlaufskontrolle zeigte sich die Sehfähigkeit auf 0,3 angestiegen bei anliegender Netzhaut und eine Vernarbung im Bereich der Läsion.

Diskussion

Die intravitreale Therapie bei Makulaerkrankungen stellt grundsätzlich eine sichere Behandlungsmodalität dar. Neben den bereits beschriebenen Komplikationen wird in einzelnen Fallberichten über die Ausbildung von Makulaforamina in Zusammenhang mit einer IVOM berichtet. Für die Entstehung werden unterschiedliche Mechanismen diskutiert. So könnte eine Deformation des Bulbus während der Injektion oder eine Glaskörperinkarzeration an der Injektionsstelle zu Traktionen im vitreoretinalen Interface führen, was wiederum einen Makuladefekt hervorrufen kann [5, 6]. Als möglicher Mechanismus für die Ausbildung eines Netzhautdefektes im Rahmen einer Ozurdex®-Injektion (Allergan Pharmaceuticals Ireland, Westport, Co. Mayo, Irland) wird ein stumpfes Netzhauttrauma auf der gegenüberliegenden Seite der Injektionsstelle vermutet [7, 8]. Eine weitere denkbare Ursache für die Ausbildung von Netzhautdefekten durch IVOM ist eine Injektion mit hohem Druck und daraus resultierendem „scharfen Strahl“. So beschreiben Propst et al. einen Netzhautdefekt mit flachem subretinalem Flüssigkeitssaum nach IVOM. Die Flüssigkeit resorbierte sich, und der Netzhautdefekt verschloss sich spontan [9].

Neben extramakulären und makulären Läsionen werden in der Literatur auch periphere Netzhautdefekte im Bereich der Injektionsstelle beschrieben [10]. Derartige Läsionen entstehen am ehesten dadurch, dass der Injektionsort hinter dem empfohlenen Limbusabstand von 3,5–4 mm gewählt wird. Sudhalkar et al. untersuchten den geeigneten Limbusabstand für einen Pars-plana-Zugang an 450 enukleierten Augen. Hierzu wurden drei 25-Gauge-Nadeln je nach Linsenstatus in einem Abstand von 3 mm (aphak), 3,5 mm (pseudophak) oder 4 mm (phak) in den jeweiligen Quadranten eingeführt. In fast 14 % der Fälle wurden hierbei periphere Netzhautperforationen festgestellt und eine enge positive Korrelation zwischen der axialen Bulbuslänge und der Pars-plana-Breite. So zeigten hyperope Augen (Achsenlänge: 21,5–22,9 mm) einen deutlich schmaleren Pars-plana-Bereich, was mit einem höheren Risiko einer Netzhautperforation einhergeht [11]. Um das Risiko von Komplikationen im Rahmen der IVOM zu verringern, legen Lincke et al. nahe, die axiale Bulbuslänge bei der Wahl des Limbusabstands zu berücksichtigen. So sollte der kürzere Abstand (3,5 mm) bei einer Achsenlänge von < 22,5 mm bevorzugt werden und der längere Abstand (4 mm) bei einer Achsenlänge von > 25 mm [12].

Bei den hier dargestellten Läsionen imponieren scharfe iatrogene Netzhaut- bzw. Makulaverletzungen. Eine exakte Ursachenklärung in den geschilderten Fällen war nicht bei allen Patienten möglich, da die IVOM-Behandlungen außerhalb der nachversorgenden Zentren erfolgten. In 1 Fall wurden Lieferschwierigkeiten der 30-Gauge-Kanülen genannt, weshalb auf 25-Gauge-Kanülen (Länge: 25 mm) zurückgegriffen wurde. Durch zu tiefes Einstechen solcher Kanülen können schwerste Perforationsverletzungen am hinteren Pol verursacht werden.

Daher ist die Anwendung der richtigen Kanülenlänge und -dicke für ein sicheres Injektionsverfahren von hoher Bedeutung. Während die deutschen Fachgesellschaften Injektionskanülen mit einem Durchmesser von 27–30 Gauge und einer Länge von maximal 12 mm empfehlen, wird in einem europäischen Konsensusreport die Anwendung von 13–18 mm langen Nadeln angeraten [13, 14]. Bei Verwendung solcher Kanülen und sachgemäßer Durchführung ist eine zentrale Netzhautperforation unwahrscheinlich. Denkbar ist eine Perforation in der mittleren Peripherie, wenn ein zu steiler, annährend senkrechter Injektionswinkel gewählt wird und die Nadelspitze aufgrund der Bulbuskurvatur die Retina anterior des Äquators erreicht. Daher ist darauf zu achten, dass die Injektion parallel zum Limbus in einem Winkel von 45° in Tunneltechnik durchgeführt wird [15]. Darüber hinaus sollte auf eine nicht zu geringe Einstichtiefe geachtet werden, um einen Reflux und damit die Gefahr einer möglichen Glaskörperinkarzeration zu verringern [16]. Zusätzlich sollte die Injektion nicht mit zu hohem Druck erfolgen, um eine Netzhautverletzung durch das injizierte Volumen als „scharfen Strahl“ zu verhindern.

Iatrogene Netzhautdefekte werden in der Literatur auch als seltene Komplikation im Rahmen unterschiedlicher medizinischer Eingriffe beschrieben, beispielsweise durch Akupunkturnadeln [17], durch Retrobulbäranästhesien [18], Buckelchirurgie [19], Strabismusoperationen [20], Botulinumtoxin-Injektionen [21] und Elektromyographie des M. orbicularis oculi [22]. Allerdings unterscheiden sich hier die Verletzungen und die Defektlokalisationen von den in unserer Fallserie beschriebenen Traumata.

Angesichts der Heterogenität der Befunde nach scharfen iatrogenen Netzhautverletzungen nach IVOM gibt es kein einheitliches Behandlungsvorgehen. Grundsätzlich ist bei drohender Amotio retinae, persistierender Glaskörperhämorrhagie oder bei zu erwartender Funktionsverbesserung durch zentralen Defektverschluss ein operatives Vorgehen indiziert.

Fazit für die Praxis

  • Im Rahmen von intravitrealen Injektionen können bei unsachgemäßer Durchführung iatrogene Netzhaut- bzw. Makulaverletzungen entstehen.

  • Das Risiko für derartige Verletzungen steigt bei Verwendung von Kanülen, die nicht den Empfehlungen der Fachgesellschaften entsprechen.

  • Bei der Wahl des Limbusabstandes sollte die axiale Bulbuslänge berücksichtigt werden, und die Injektion sollte in Tunneltechnik parallel zum Limbus in einem Winkel von 45° mit wenig Druck durchgeführt werden.

  • Eine traumatische Netzhautschädigung führt in den meisten Fällen zu einer weiteren Beeinträchtigung der Sehfähigkeit, oft ist eine Fortführung der intravitrealen Therapie erforderlich.