Anamnese

Die Vorstellung der 61-jährigen Patientin erfolgte notfallmäßig zwei Tage nach extern erfolgter intravitrealer Injektion von Aflibercept in das rechte Auge bei makulärer Neovaskularisation (Abb. 1). Die Therapie mit intravitrealen Injektionen wurde vom niedergelassenen Augenarzt der Patientin vor zwei Jahren begonnen.

Abb. 1
figure 1

In der intraoperativen OCT ist die makuläre Neovaskularisation mit subretinaler und sub-RPE Flüssigkeit am rechten Auge der Patientin zu erkennen

Anamnestisch gab die Patientin an, bereits während der intravitrealen Injektion einen deutlichen Visusverlust und eine plötzliche „weiße Trübung“ am rechten Auge bemerkt zu haben. Zum Zeitpunkt der Vorstellung beschrieb sie den Seheindruck am betroffenen Auge „wie durch dichtes Milchglas“.

Befund

Bei Aufnahme war der bestkorrigierte Fernvisus (4 m, ETDRS-Tafel) am rechten Auge von 0,67 dezimal auf 0,1 reduziert. In der spaltlampenmikroskopischen Untersuchung zeigte sich eine posterior betonte, sternförmig kristalline Trübung der natürlichen Linse mit posteriorem Kapselsackdefekt bei 7 Uhr (Abb. 2). Der Einblick war funduskopisch reduziert. Am linken Auge betrug der bestkorrigierte Fernvisus 1,0 dezimal, der vordere Augenabschnitt war reizfrei. Fundoskopisch zeigten sich am linken Auge Drusen im Bereich der Makula. Die Tensio beider Augen war normoton. Sonographisch war die Netzhaut beidseits anliegend ohne Blutung oder vitrealen Reizzustand.

Abb. 2
figure 2

Zu Beginn der OP zeigt sich die sternförmig anmutende Katarakt am rechten Auge

In der Swept-Source-Vorderabschnitts-OCT (Anterion, Heidelberg-Engineering GmbH, Heidelberg, Deutschland) zeigte sich ein Substanzdefekt des hinteren Kapselsacks zentral bis peripher von 6 Uhr bis 8 Uhr reichend, mit Auftrennung von Kapselblatt und Linsenrinde (Abb. 3). Auch die intraoperativ durchgeführte OCT (CIRRUS HD-OCT,  Carl Zeiss Meditec AG, Jena, Deutschland) konnte den Defekt darstellen (Abb. 4).

Abb. 3
figure 3

Die Swept-source-Vorderabschnitts-OCT ermöglicht eine Darstellung des Defekts des hinteren Kapselblattes (weißer Pfeil)

Abb. 4
figure 4

Mittels intraoperativer OCT im Bereich des Kapselsackdefekts kann der Stichkanal der bei der IVOM verwendeten Nadel dargestellt werden

Diagnose

Katarakt durch iatrogenes Linsentrauma im Rahmen einer intravitrealen Injektion.

Therapie und Verlauf

Es erfolgte die notfallmäßige Aufnahme zur Phakoemulsifikation mit Implantation einer sulkusfixierten monofokalen Intraokularlinse (Sensar 3‑Piece AR40e,  Johnson & Johnson GmbH, New Brunswick, NJ, USA) mit „optic capture“ und Pars-plana-Vitrektomie (PpV) mit Luftinstillation. Dabei erfolgte eine vorsichtige Hydrodelineation. Auf eine Hydrodissektion wurde verzichtet, um das weitere Einreißen des Kapselsacks zu vermeiden. Die Phakoemulsifikation erfolgte unter Low-Flow-Einstellungen. Während der Operation wurde versucht, möglichst weit entfernt von dem Bereich zu arbeiten, in dem vor Operationsbeginn mittels intraoperativer OCT der Kapselsackdefekt dargestellt wurde (Abb. 4). Mit diesen Maßnahmen konnte ein Absinken des Kerns verhindert werden. Die Linse konnte nahezu vollständig im vorderen Augenabschnitt aufgearbeitet werden. Die nur sehr kleinen, in den vitrealen Raum gelangten Kortexreste wurden im Rahmen der anschließend durchgeführten PpV entfernt. Bei der Implantation der dreiteiligen Intraokularlinse wurde ein „optic capture“ durchgeführt, um die Stabilität zu erhöhen und die Wahrscheinlichkeit einer Rotation und Luxation zu minimieren (Abb. 5). Dabei kommen die Haptiken der Linse im Sulkus zu liegen, während die Linsenoptik durch „Einknüpfen“ der Optik durch die Rhexis im defekten Kapselsack positioniert wird. Die Operation und der postoperative Verlauf gestalteten sich komplikationslos. Am dritten postoperativen Tag betrug der Visus am rechten Auge bereits s.c. 0,63 dezimal unter partieller Luftfüllung.

Abb. 5
figure 5

a „Optic capture“, b „optic capture“ in situ; die durch die Kapsulorhexis eingeknüpfte Optik der Intraokularlinse ist gut zu erkennen (Pfeile) c „reverse optic capture“. (Die Schemata wurden von der Erstautorin unter Verwendung der Software Affinity Designer, Version 1.10.6, Serif, Europe, Ltd., Nottingham, Vereinigtes Königreich erstellt)

Diskussion

Die intravitreale operative Medikamenteneingabe (IVOM) stellt heutzutage die Therapie der Wahl bei makulärer Neovaskularisation dar. Standardisierte OP-Verfahren reduzieren das Auftreten von Komplikationen. Über besonders schwerwiegende Komplikationen wie eine Endophthalmitis oder rhegmatogene Amotio wird je nach Studienpopulation und operativem Zentrum in 0,021 % [2] bzw. 0,013 % [6] der Fälle berichtet. Die iatrogene Verletzung der Augenlinse durch intravitreale Medikamenteneingabe stellt mit einer Inzidenz von bis zu 0,07 % eine sehr seltene Komplikation der IVOM-Therapie dar [4, 7, 10] und ist auch bei intravitrealen Implantaten beschrieben [1]. Eine Hyperopie mit kurzer Achsenlänge gilt als Risikofaktor und erfordert besondere Vorsicht bei der Injektion [3]. Die Ausprägung der Linsenverletzung kann von kleinen posterioren Kapselsackdefekten bis hin zu einer Katarakt durch weißliche Trübung der gesamten kristallinen Linse reichen [11]. Diese sekundäre Katarakt kann besonders dann auftreten, wenn das Medikament in die Linse gelangt. Kleinere Kapselsackdefekte bleiben oft unbemerkt, da sie keine Linsentrübung verursachen [3]. Diese „stillen“ Kapselsackdefekte können bei einer Phakoemulsifikation im Verlauf problematisch werden. Während der Hydrodissektion kann es zu einer Erweiterung des Kapselsackdefekts bis zu einem kompletten Aufreißen der Hinterkapsel kommen. Eine mögliche Komplikation ist das Absinken von Teilen der Linse oder des kompletten Linsenkerns in den Glaskörperraum. In diesem Fall muss die Phakoemulsifikation um eine Pars-plana-Vitrektomie ergänzt werden, um eine Entfernung abgesunkener Linsenteile zu ermöglichen.

Bei defektem Kapselsack kann eine Implantation der Intraokularlinse in den Sulkus erfolgen. Sofern möglich, sollte hierbei immer ein „optic capture“ durchgeführt werden, da dies die Stabilität des Linsensitzes erhöht und die Wahrscheinlichkeit einer Rotation und Luxation minimiert (Abb. 5). So kann das Risiko einer IOL-Dislokation in die Vorderkammer bzw. den Glaskörperraum und auch Folgekomplikationen wie Endothelschäden und Hornhautdekompensation bzw. eine Ablatio retinae minimiert werden [8]. Es ist anzumerken, dass für eine Implantation in den Sulkus ausnahmslos dreiteilige Linsen verwendet werden sollten. Die Verwendung flexibler, einteiliger Linsen kann durch anatomische Nähe zu Irisabrieb, Pigmentdispersion und mechanischer Verlegung des Kammerwinkels führen, durch das Pigment oder die Linsenhaptiken selbst [5, 9]. Intraokulare Druckerhöhung, die Entwicklung eines pseudophaken Pigmentdispersionsglaukoms ebenso wie die Entstehung eines zystoiden Makulaödems können die Folge sein, sodass von einer Sulkusimplantation einteiliger Intraokularlinsen dringend abzuraten ist [5, 8]. Bei perfekt zentrierter Rhexis mit einer geeigneten Größe ist alternativ auch ein „reverse optic capture“ eine Option ([5]; Abb. 5). Hierbei wird eine einstückige IOL so implantiert, dass die Haptiken im eingerissenen Kapselsack zu liegen kommen, die Optik hingegen durch „Einknüpfen“ der Optik in der Rhexis im Sulkus positioniert wird.

Das strenge Einhalten eines Sicherheitsabstands von 4 mm zum Limbus und eine Neigung der Nadel Richtung Glaskörperzentrum können dazu beitragen, das Auftreten von Kapselsackdefekten durch eine IVOM zu reduzieren.