Anamnese

Eine 58-jährige Patientin stellte sich in unserer Sprechstunde für refraktive Chirurgie mit einer seit 4 Jahren progredienten Visusminderung beidseits vor. Sie hatte extern vor 9 Jahren an beiden Augen eine implantierbare Collamer-Linse (ICL ohne Aquaport, Brechkraft der ICL: RA: S + 4,50, LA: S + 0,5/Z + 1,5/A 74°) aufgrund einer Hyperopie und zum Ausgleich des Astigmatismus am linken Auge implantiert bekommen.

Befund

Der unkorrigierte dezimale Fernvisus (UDVA) betrug rechts 0,3 und links 0,5. Der bestkorrigierte Fernvisus (CDVA) betrug rechts 0,6 (S + 1,00/Z −1,00/A 10°) und links 0,8 (S + 0,75/Z −2,00/A 160°). Tomographisch (Pentacam HR, Oculus Optikgeräte GmbH, Wetzlar, Deutschland) zeigte sich ein regulärer Astigmatismus mit der Regel von 1,3 dpt bei 100° am rechten Auge und 2,2 dpt bei 85° am linken Auge (Abb. 1). Die Endothelzelldichte (Tomey EM 4000, Tomey inc., Nagoya, Japan) betrug am rechten Auge 2516 Zellen/mm2 und am linken Auge 2141 Zellen/mm2 (Abb. 2). Der applanatorische Augeninnendruck betrug beidseits 12 mm Hg. Die klinische Untersuchung zeigte beidseits einen reizlosen vorderen Augenabschnitt mit phaker sulcusfixierter Hinterkammerlinse (ICL) ohne Aquaport in situ. Eine periphere Iridotomie bei 10 Uhr (rechts) und 12 Uhr (links) war durchleuchtbar. Es zeigte sich eine Cataracta subcapsularis anterior beidseits. Der zentrale Abstand zwischen der ICL und kristalliner Linse (sog. Vaulting) wurde mittels optischer Kohärenztomographie des vorderen Augenabschnitts (Casia 2, Tomey inc., Nagoya, Japan) bestimmt und betrug 301 µm am rechten Auge und 302 µm am linken Auge (Abb. 3). Der Fundoskopiebefund war beidseits unauffällig.

Abb. 1
figure 1

Tomographie mit Darstellung der Krümmung der Hornhautvorderfläche, a linkes Auge, b rechtes Auge

Abb. 2
figure 2

Präoperatives Endothelzellfoto mit Endothelzelldichte, a rechtes Auge, b linkes Auge

Abb. 3
figure 3

Vorderabschnitts-OCT mit Ausmessung des Abstands zwischen ICL-Rückfläche und Vorderfläche der kristallinen Linse, a rechtes Auge, b linkes Auge

Diagnose

Cataracta subcapsularis anterior bei Zustand nach ICL-Implantation.

Therapie und Verlauf

Wir führten an beiden Augen im Abstand von 7 Tagen eine ICL-Explantation mit simultaner Phakoemulsifikation und Implantation einer torischen Hinterkammerlinse (Zeiss AT Torbi 709M) in Tropfanästhesie durch. Die Berechnung der sphärischen Stärke, der Stärke des Zylinders und der Achsorientierung der Intraokularlinse (IOL) erfolgte mithilfe des Berechnungs-Service des Linsenherstellers unter Verwendung der mittels IOL Master 500 (Carl Zeiss Meditec, Jena, Deutschland) ermittelten Achsenlänge (RA: 22,95 mm, LA: 23,71 mm) und Keratometriewerte mit der Zielrefraktion Emmetropie. Die gemessene Vorderkammertiefe (RA: 3,53 mm, LA: 3,37 mm) wurde aufgrund der ICL in situ bei der Linsenberechnung nicht berücksichtigt.

Präoperativ wurde die horizontale Hornhautachse an der Spaltlampe im Sitzen markiert. Die Patientin wurde postoperativ für 2 Wochen mit einem Kombinationspräparat aus Tobramycin 3 mg/ml und Dexamethason 1 mg/ml 5‑mal/Tag sowie hyaluronsäurehaltigen Tränenersatzmitteln behandelt. Der postoperative Verlauf war komplikationslos (Abb. 4). Sechs Monate postoperativ betrug der UDVA 0,6 am rechten Auge und 0,8 am linken Auge. Der CDVA betrug am rechten Auge 0,8 (S + 0,75/Z −0,25/A 125°) und am linken Auge 1,0 (S + 0,50/Z −0,50/A 143°). Die gemessene postoperative Endothelzelldichte betrug am rechten Auge 2345 Zellen/mm2 und am linken Auge 2213 Zellen/mm2 (Abb. 5).

Abb. 4
figure 4

Vorderabschnitts-OCT 6 Monate postoperativ mit Darstellung der torischen IOL im Kapselsack, a rechtes Auge, b linkes Auge

Abb. 5
figure 5

Postoperatives Endothelzellfoto mit Endothelzelldichte, a rechtes Auge, b linkes Auge

Diskussion

Die Implantation der phaken hinterkammergestützten ICL zur Korrektur der mittleren bis hohen Myopie und der Hyperopie innerhalb des empfohlenen Anwendungsbereichs erweitert das Spektrum der refraktiven Chirurgie phaker Patienten über die Grenzen der keratorefraktiven Chirurgie hinaus.

Bekannte Komplikationen sind unter anderem eine vermehrte Kataraktentwicklung, ein vermehrter Verlust von Hornhautendothelzellen [4], ein akut erhöhter Augeninnendruck durch einen Winkelblock [9], ein Melanindispersionssyndrom und seltenere Komplikationen wie ein Urrets-Zavalia-Syndrom [2].

Das Auftreten dieser Komplikationen hängt stark vom postoperativen Abstand zwischen der Rückfläche der ICL und der Vorderfläche der kristallinen Linse (sog. Vaulting) ab. Ein zu großer Abstand zwischen der ICL und der kristallinen Linse führt zu einem sog. Hypervaulting (> 750 µm), während ein zu geringer Abstand als Hypovaulting (< 250 µm) bezeichnet wird. Im Allgemeinen wird ein Vaulting von etwa 250–750 µm angestrebt. Ein zu geringer Abstand (sog. Hypovaulting) begünstigt eine vorzeitige Kataraktentwicklung [3]. Daher ist es wichtig, das postoperative zentrale Vaulting regelmäßig zu kontrollieren, da dieses erfahrungsgemäß jährlich um durchschnittlich 28 µm abnimmt. Mögliche Ursachen hierfür sind eine Abnahme der mechanischen Unterstützung der ICL im Sulcus, ein langfristiger Verlust der Form der ICL und eine Zunahme der Steigung der Vorderfläche der kristallinen Linse [8]. Ein Hypervaulting begünstigt durch eine Einengung des Kammerwinkels die Entstehung eines Winkelblockglaukoms und kann durch eine vermehrte Reibung zwischen der Irisrückfläche und der ICL-Vorderfläche zu einem Melanindispersionssyndrom führen. Ein zu großes Vaulting kann zudem nach ICL-Implantation zur Korrektur einer Myopie zu einem hyperopen Shift führen.

Die Inzidenz einer behandlungsbedürftigen Katarakt wurde mit 2,7 % innerhalb von 3 Jahren [7] bis zu 7,6 % innerhalb von 12 Jahren Nachbeobachtungszeit [6] nach ICL-Implantation beschrieben. Mögliche Ursachen für die Kataraktbildung sind ein zentraler oder peripherer Kontakt der kristallinen Linse mit der ICL sowie eine gestörte Nährstoffversorgung durch den veränderten Abfluss des Kammerwassers.

Im Gegensatz hierzu wird die Inzidenz einer behandlungsbedürftigen Katarakt nach Implantation einer ICL mit Aquaport in einer Studie mit 1,7 % in einem Beobachtungszeitraum von 8 Jahren angegeben, wobei hier in allen Fällen bereits präoperativ bestehende anteriore subkapsuläre Trübungen beschrieben wurden [5].

Eine mögliche Erklärung ist, dass die ICL mit Aquaport in Computermodellen eine höhere Durchlässigkeit für Kammerwasser aufweist als eine ICL ohne Aquaport mit Iridotomie [1]. Dies scheint den Stoffwechsel der kristallinen Linse positiv zu beeinflussen und auch die Inzidenz eines Pupillarblock-Winkelblockglaukoms zu verringern. Dennoch kann es auch bei einer ICL mit Aquaport durch ein zu großes postoperatives Vaulting zu einem Anstieg des Augeninnendrucks kommen [9], was die nach wie vor hohe Bedeutung der präoperativen ICL-Größenbestimmung unterstreicht, da hierdurch maßgeblich das postoperative Vaulting beeinflusst wird. Die ICL mit Aquaport zeigte in einer Auswertung gegenüber der ICL ohne Aquaport keinen statistisch signifikanten Unterschied beim Endothelzellverlust nach einem Beobachtungszeitraum von 2 Jahren nach ICL-Implantation [4].

Führt eine fortschreitende Kataraktbildung zu einem Visusverlust, ist die kombinierte ICL-Explantation mit Phakoemulsifikation und Implantation einer Hinterkammerlinse die Methode der Wahl.

In diesem Fall war eine Emmetropie angestrebt worden. Bei der Linsenberechnung wurde die Messung der Vorderkammertiefe nicht berücksichtigt, da diese mit dem IOL Master 500 (Carl Zeiss Meditec, Jena, Deutschland) erfolgte, welcher die Vorderkammertiefe mittels Spaltlampenmessung bestimmt, die die ICL fälschlicherweise für die Linsenvorderfläche halten könnte.

Da die Vorderkammertiefe normalerweise in der ZCALC-Formel des Linsenherstellers zur Bestimmung der Estimated Lens Position (ELP) benutzt wird, könnten die implantierten Hinterkammerlinsen weiter hinten liegen als in der in diesem Fall zugrunde liegenden ELP. Hierdurch könnte es einen leichten hyperopen Shift gegeben haben. In solchen Fällen sollte zusätzlich die mittels Vorderabschnitts-OCT oder sonographisch mittels A‑Scan ermittelte Vorderkammertiefe verwendet werden. Der IOL Master 700 (Carl Zeiss Meditec, Jena, Deutschland) basiert auf der Swept-Source-OCT und kann somit Strukturen unterscheiden. Wenn man am Gerät als Linsenstatus „Phake IOL“ eingibt, wird die Vorderkammertiefe trotz ICL korrekt bestimmt.

Diese Patientenvorstellung zeigt, dass eine phake Hinterkammerlinse in situ Besonderheiten bei der Berechnung einer IOL im Kapselsack mit sich bringt. Die Vorderkammertiefe sollte bei Bedarf mit einem zusätzlichen geeigneten Verfahren überprüft werden. Künftige größere Erhebungen zur genauen Auswertung von möglichen weiteren Einflussfaktoren und daraus eventuell resultierenden Korrekturfaktoren erscheinen sinnvoll.