Vorbemerkungen

Das Glaukom ist nach wie vor eine der häufigsten Erblindungsursachen weltweit [1]. Glaukomdrainageimplantate (GDI) senken den Augeninnendruck in mehrfach voroperierten Augen mit komplexen oder sekundären Glaukomen am effektivsten [2,3,4,5]. Nach stattgehabter, jedoch erfolgloser PreserFlo® MicroShunt(Fa. Santen, Osaka, Japan)-Operation wird die PAUL®-Implantation (Fa. Advanced Ophthalmic Innovations, Singapur) zumeist in einem anderen, nicht voroperierten Quadranten durchgeführt, dies erfordert eine Tunnelneuanlage. In einigen Fällen wird der PreserFlo® MicroShunt zudem nicht explantiert. Wäre es nicht erstrebenswert, eine Tunnelneuanlage aufgrund des möglichen Hypotonierisikos zu vermeiden und in Anbetracht der potenziell schädigenden Wirkung auf das Endothel möglichst wenig Vorderkammerimplantate zu belassen?

Definition und Operationsindikation

Seit 2018 ist das PAUL®-Glaukom-Implantat CE-gekennzeichnet (Abb. 1). Studien haben die Sicherheit, die effektive Drucksenkung und den Benefit der Operationstechnik aufgeführt. Es wurde mit dem Ziel entwickelt, das Risiko postoperativer Hypotonien insbesondere im Vergleich zu anderen GDI zu senken. Der Drainageschlauch weist hierzu ein geringeres Lumen (interner Durchmesser [ID] = 0,127 mm und äußerer Durchmesser [OD] = 0,467 mm) auf und differenziert sich in dieser Hinsicht von den herkömmlichen Implantaten [6,7,8]. Die Operationsindikationen beziehen sich auf komplexere Glaukome, die bereits erfolglos voroperiert wurden. Eine primäre Operationsindikation ist bei Sekundärglaukomen oder dem ICE-Syndrom („iridocorneal endothelial syndrome“) gegeben.

Abb. 1
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PAUL®-Implantat, (Fa. Advanced Ophthalmic Innovations, Singapur) FCI S.A.S., Paris, France

Patientenaufklärung

Alle Patienten wurden ausführlich über die Operationstechnik mündlich und schriftlich aufgeklärt und willigten ein. Die Patientenaufklärung wurde anhand eines standardisierten Glaukomoperationbogens durchgeführt. Die Notwendigkeit und chirurgischen Möglichkeiten zur Augeninnendrucksenkung sowie die zugrunde liegende Erfolgsaussicht, die Risiken und der Verlauf bei ausbleibender Drucksenkung wurden dem Patienten erklärt. Bei den Angaben der Risiken wurden insbesondere eine Erosion des Schlauchs durch die Bindehaut, das Revisions- und Blutungsrisiko sowie Druckdekompensationen genannt.

Anästhesie und Lagerung

Es erfolgen eine umfassende Aufklärung des Patienten sowie Prämedikation durch die anästhesiologischen Kollegen. Der Eingriff erfolgt in Vollnarkose (Larynxmaske oder Intubationsnarkose). Der Patientenkopf wird in einer Kopfschale gelagert. Das Operationsmikroskop ist für eine optimierte Operationsposition leicht geschwenkt (je nach Positionierung superior-temporal oder superior-nasal). Postoperativ ist keine spezielle Lagerung erforderlich.

Fallbeschreibung

Wir führten die Operation komplikationslos bei einer 53-jährigen Patientin mit unkontrolliertem primärem Offenwinkelglaukom (POWG) durch. Die Patientin wurde bereits mehrfach an dem Auge operiert: 3fach selektive Lasertrabekuloplastik (SLT), iStent Inject-Implantation, PreserFlo® MicroShunt-Implantation sowie eine Revision des Filterkissens. Der Augendruck zeigte sich trotz der Interventionen weiterhin entgleist bei Werten bis zu 29 mm Hg, sodass die Indikation zur PAUL®-Implantation gestellt wurde. Am ersten postoperativen Tag lag der Augeninnendruck bei 11 mm Hg und blieb im Verlauf von 4 Wochen unverändert ohne antiglaukomatöse Augentropftherapie. Der Schlauch befand sich in loco und hatte keinen Kontakt zum Endothel.

Der zweite Patient, der die PAUL®-Implantation in Münsteraner Standardtechnik erhielt, war ein 73-jähriger Patient mit POWG. Er war bereits pseudophak und erhielt eine PreserFlo® MicroShunt-Implantation sowie eine weitere Sickerkissenrevision. Dennoch zeigten sich unkontrollierte Augeninnendruck(IOD)-Werte bis 22 mm Hg. Die Operation erfolgte komplikationslos, der IOD lag am 1. postoperativen Tag bei 13 mm Hg, 4 Wochen postoperativ ebenfalls bei 13 mm Hg. Der Schlauch befand sich in loco und hatte keinen Kontakt zum Endothel.

Besonderheit der Operationstechnik

Die Besonderheit des Münsteraner Standards ist die Wahl des Operationsgebietes und der Verzicht auf eine Tunnelneuanlage. Alle Patienten erhielten eine PAUL®-Implantation im selben Quadranten der zuvor erfolgten PreserFlo® MicroShunt-Implantation (superior-temporal). Nach Präparation der Bindehaut/Tenonschicht und Applikation des mit MMC (Mitomycin C) (0,2 mg/ml) getränkten Schwämmchens wird zunächst ein Priming des PAUL®-Implantates mittels Prolene‑6.0‑Faden durchgeführt (Video 00:42 min) und die Platte unter den geraden Muskeln fixiert. Im nächsten Schritt wird der PreserFlo® MicroShunt explantiert (Video 01:35 min). Nachdem der Außendurchmesser des Paul® Schlauchs größer ist als der des Preserflo® MicroShunts (0,467 mm Außendurchmesser Paul® Schlauch vs. 0,35 mm Außendurchmesser Preserflo® MicroShunt) empfehlen wir eine initiale Dilatation des alten 25 Gauge Tunnels (Durchmesser: 0,50 mm) mittels Irisspatel unter Vorderkammerstellung (Video 01:47 min). Danach wird der PAUL®-Schlauch durch den alten Tunnel in die Vorderkammer eingeführt (Video 02:23 min). Die Lage des Schlauches wird überprüft, und die weiteren Operationsschritte werden in üblicher Weise ausgeführt. Unseres Erachtens ist es essenziell, beim Münsteraner Standard eine Parazentese zum Operationsbeginn anzulegen, um eine Bulbustonisierung intraoperativ durchführen zu können. Sollte sich der alte Tunnel nicht verwendbar gestalten, so ist eine Neuanlage neben dem alten Tunnel dennoch möglich. Ein weiterer Aspekt sind die korrekte Positionierung und Fixation der Platte direkt hinter dem PreserFlo® MicroShunt, damit der PAUL®-Schlauch möglichst gerade in den alten Tunnel eingeführt werden kann.

Vorteile des Münsteraner Standards

Generell ist der operative Zugang über den temporal-superioren Quadranten wesentlich einfacher zugänglich als der nasal-superiore Quadrant. Der Verzicht auf eine Tunnelneuanlage spart zudem effektive Operationszeit. Letztlich werden weniger Endothelzellverluste bei nur einem liegenden Schlauch im Vergleich zu 2 Vorderkammerschläuchen zu erwarten sein. Eine weitere Datenanalyse mit einem größeren Patientenkollektiv läuft bereits, und endgültige Ergebnisse im Hinblick auf Endothelzellverluste bleiben weiter abzuwarten.

Postoperative Behandlung

Die Patienten erhalten 6‑mal täglich kortisonhaltige Augentropfen sowie 4‑mal täglich antibiotische Augentropfen über einen Zeitraum von etwa 8 und 2–4 Wochen respektive. Nach 2 Tagen erfolgt standardmäßig die stationäre Entlassung unter engmaschigen Augeninnendruckkontrollen. Nach 8 Wochen erfolgt in der Regel die Entfernung des Prolene-Fadens an der Spaltlampe.

Fehler, Gefahren, Komplikationen

Die Dilatation des Tunnels mittels Irisspatel sollte stufenweise vorgenommen werden, um die Gefahr einer zu starken Dilatation mit nachfolgendem, undichtem Tunnel zu vermeiden. Gelingt die Implantation über den 25-Gauge-Tunnel nicht, besteht die Möglichkeit, einen neuen Tunnel neben dem alten anzulegen. Dann ist ein Verschluss des alten Tunnels mit z. B. 10.0 Nylon anzuraten und die Tunnelneuanlage mittels 26-Gauge-Nadel (Außendurchmesser 0,45 mm) zu präferieren. Dabei ist zu beachten, dass sich die Laufstrecke des Schlauches auf der Sklera verlängert und gleichzeitig die Länge des Schlauches in der Vorderkammer verkürzt.

Evidenz der Technik

Bislang liegen keine Fallberichte oder Datenanalysen zu dieser modifizierten Operationstechnik vor.

Fazit für die Praxis

  • Beim Münsteraner Standard erfolgt die PAUL®-Implantation im selben Quadranten wie die stattgehabte PreserFlo® MicroShunt-Implantation.

  • Es kann auf eine Tunnelneuanlage verzichtet werden, der Schlauch wird nach Explantation des PreserFlo® MicroShunt durch den bestehenden 25-Gauge-Tunnel in die Vorderkammer eingeführt.

  • Der Münsteraner Standard ermöglicht eine Intervention im superior-temporalen Quadranten, senkt die effektive Operationszeit und senkt möglicherweise den Endothelzellverlust durch Explantation des PreserFlo® MicroShunt.