Anamnese

Im Herbst 2021 stellte sich ein 40-jähriger Patient mit ausgeprägter Pannusbildung nach einer Kalkverätzung im Juli 2021 in unserer Klinik vor. Diese Kalkverätzung war am rechten Auge (RA) deutlich ausgeprägter als am linken Auge (LA). Ursprünglich erfolgte am Unfalltag nach intensiver Spültherapie die Erstversorgung mit einer Amnionmembrantransplantation am RA mit anschließender topischer Steroidtherapie an beiden Augen in einer anderen Klinik. Der Patient klagte über eine stark einschränkende Sehverschlechterung mit trüber Sicht, Lichtempfindlichkeit sowie einen anhaltenden Reizzustand der Augen. Bei ausbleibender Besserung der Symptomatik erfolgte eine Überweisung zur Mitbeurteilung und operativen Versorgung des Patienten an unsere Einrichtung. Der Patient war subjektiv am RA deutlich eingeschränkter als am LA. Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung in unserer Klinik wurde keine topische Therapie angewandt.

Befund

Die unkorrigierte Sehschärfe in der Ferne betrug am RA 0,1 (objektive Refraktion nicht messbar) und 0,32 Snellen (0,00–1,25 × 96°) am LA. Die Spaltlampenmikroskopie zeigte am RA eine ausgeprägte Limbusstammzellinsuffizienz (LSI) mit Pannusbildung von 10 bis 3 Uhr sowie einer deutlichen Neovaskularisation auf 12 Uhr bis nach zentral in die optische Achse reichend sowie eine kleinere Pannusbildung zwischen 4 und 7 Uhr bis mittelperipher ziehend (Abb. 1). Somit zeigte sich eine ausgeprägte LSI über 9 Uhrzeiten. Das linke Auge präsentierte sich mit einer Limbusstammzellinsuffizienz mit Pannusbildung inferior nasal zwischen 5 und 8 Uhr peripher, mit limbaler Ausdünnung nasal betont.

Abb. 1
figure 1

Präoperativer klinischer Befund des rechten Auges

Diagnose

Anhand der Anamnese einer Kalkverätzung der Hornhaut im Zusammenspiel mit dem ausgeprägten klinischen Befund konnte die Diagnose einer Pannusbildung bei LSI, rechts mehr als links, gestellt werden.

Therapieverfahren

Bei ausgeprägtem Befund wurde am RA kurzzeitig eine Limbokeratoplastik in Erwägung gezogen, jedoch wegen des vorhandenen Restlimbus sowie der Größe des Eingriffes nicht weiterverfolgt. Stattdessen plante man eine simple limbale epitheliale Transplantation (SLET) mit allogenem Spendermaterial. Eine autologe SLET wurde bei beidseitig ausgeprägter LSI und dem erhöhten Risiko einer iatrogen verstärkten LSI am linken Spenderauge, welches bereits eine LSI vorwies, nicht in Betracht gezogen [8]. Vorbereitend für die Operation ordnete man außerdem eine Tropftherapie beidseits mit Ciclosporin A 0,1 %-Augentropfen (AT) 1‑mal/Tag und Dexamethason-AT 3‑mal/Tag ausschleichend an.

Operation

Mitte Mai 2022 erfolgte die SLET mit allogenem Spendermaterial von einem Leichenspender am RA in Allgemeinanästhesie. Zuerst wurden von zentral nach limbal Pannusschichten und erkranktes Epithel abgetragen, gefolgt von einer zirkulären Peridotomie der Bindehaut. In einem zweiten Schritt erfolgte die Präparation einer ca. 2 × 6 mm großen Limbusschürze am Spendermaterial, welche nun in kleinere Teilchen (n = 8) zerteilt wurde. Nachfolgend wurde ein Amniontransplantat unter die freie Bindehaut gelegt und mit Zweikomponentengewebekleber (Tisseel; Baxter Deutschland GmbH, Unterschleißheim, Deutschland) fixiert. Nach mehrminütigem Trocknen bei Raumtemperatur wurden bei gutem Sitz des Amnions die limbalen Spenderteilchen an multiplen Stellen auf dem Amnion peripher mit Fibrinkleber fixiert, und abschließend wurde eine therapeutische Sklerakontaktlinse eingesetzt. Am Ende der Operation wurde das Oberlid mittels Steri-Strip-Wundverschlussstreifen (3M, Saint Paul, MN, USA) geschlossen und fixiert.

Postoperatives Ergebnis/Verlauf

Einige Tage nach der Operation war die Bindehaut des RA stark injiziert und chemotisch. Die limbalen Transplantate zeigten einen guten Sitz und waren zirkulär regelrecht unterhalb der Skleralinse angeordnet (Abb. 2). Die Hornhaut präsentierte sich noch ödematös mit Descemet-Falten, und es lag ein Vorderkammerreiz mit Zellen vor. Bei stabilem Befund konnte der Patient mit konservierungsmittelfreien Levofloxacin-Augentropfen 4‑mal/Tag und Dexamethason-Augentropfen 2‑mal/Tag sowie Tränenersatzmittel 6‑mal/Tag entlassen werden. Nach knapp 6 Wochen wurde die therapeutische Sklerakontaktlinse entfernt, und die Levofloxacin-AT wurden abgesetzt. Hierbei gab der Patient an, eine deutliche Aufklarung und Verbesserung des Sehvermögens bemerkt zu haben, ohne ein Fremdkörpergefühl zu verspüren. Die stenopäisch korrigierte Sehschärfe in der Ferne stieg von 0,3 kurz vor der SLET auf 0,5 postoperativ. In der Spaltlampenmikroskopie zeigte sich eine gute Reepithelialisierung durch die limbalen Transplantate mit ansonsten reizarmer Bindehaut und Vorderkammer.

Abb. 2
figure 2

Postoperativer (4. Tag) klinischer Befund des rechten Auges

Mitte Juli präsentierte sich der Patient mit stabiler Sehschärfe und subjektiv weiterer Verbesserung. Die Spaltlampenmikroskopie zeigte jedoch die Neubildung einer großen Neovaskularisation von 2 Uhr ausgehend, die sich zwischen 12 und 4 Uhr oberflächlich bis mittelperipher ausbreitete, bei erhaltener klarer optischer Achse (Abb. 3). Die Steroidtherapie mittels Dexamethason-AT wurde auf 4‑mal/Tag als Langzeittherapie erhöht. Eine Verlaufskontrolle wurde vereinbart.

Abb. 3
figure 3

Klinischer Befund des rechten Auges 2 Monaten postoperativ

Diskussion

Die SLET wurde im Jahr 2012 als neuartige Technik zur Behandlung einer unilateralen LSI vorgestellt [7]. Hierbei wurde eine autologe SLET durchgeführt, bei der das gesunde Auge Spendermaterial für die Operation lieferte. Dieses Verfahren soll durch seine Einfachheit auch unerfahrenen Hornhautchirurgen ermöglichen, in kurzer Zeit erfolgreiche Ergebnisse zu reproduzieren [7]. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die SLET lediglich bei epithelialen Pathologien zur Anwendung kommt und keinen großen Einfluss auf die stromale Mitbeteiligung hat [5].

Ein Jahr später wurde erstmalig die allogene SLET (alloSLET) als Therapie einer bilateralen LSI beschrieben, bei der Spendermaterial entweder von Verwandten oder Leichenspendern gewonnen wurde [3]. So wie in unserem Fallbeispiel kam die alloSLET bei bilateraler LSI nach okularer Verätzung zum Einsatz.

Bei der alloSLET ist anders als bei der autologen SLET eine langfristige systemische Immunsuppression notwendig, um das Transplantatüberleben zu gewährleisten [3]. Aus diesem Grund ist eine alloSLET bei Kindern mit Vorsicht zu indizieren, da Langzeitfolgen durch die systemische Immunsuppression berücksichtigt werden müssen [8]. Das transplantierte limbale Gewebe wird mittelperipher auf das avaskuläre korneale Stroma platziert und birgt somit im Vergleich zu einer Limbokeratoplastik den Vorteil eines geringeren Risikos der Abstoßung [8].

Der Erfolg der SLET wird in Studien meist durch gewisse Kriterien wie komplette Reepithelialisierung der Hornhaut, klinisch stabiles korneales Epithel und Rückgang von Neovaskularisationen gemessen. Die alloSLET zeigte dabei einen Therapieerfolg bei 83,3 % (25 von 30 Patienten) zum Zeitpunkt der Jahreskontrolle, wobei Transplantate von Verwandten im Vergleich zu Leichenspendern keine signifikant besseren Ergebnisse zeigten [8]. Die autologe SLET zeigte in der bisher größten Studie nach 1,5 Jahren eine vergleichbare Erfolgsrate von 76 % (95 von 125 Patienten) [2].

Die SLET bietet eine Vielzahl an Indikationen, die im Rahmen einer LSI auftreten. Dazu gehört die Therapie von persistierenden Epitheldefekten der Hornhaut bei Fällen, bei denen eine oberflächliche Keratektomie und/oder eine Amnionmembrantransplantation zu keiner Verbesserung führten [6].

Außerdem wird die alloSLET zur Versorgung von schweren okularen Verätzungen im akuten Stadium angewendet mit dem Ziel der schnellen Reepithelialisierung und zur Kontrolle der ausgelösten Entzündungsreaktion [4]. Zur endgültigen Versorgung wird eine autologe SLET im Verlauf durchgeführt. Somit ist der Erhalt des allogenen Transplantats kein Therapieziel, und es kann auf eine systemische Immunsuppression verzichtet werden. Im Rahmen der operativen Versorgung des vorgestellten Patienten handelte es sich um die Versorgung mittels allogenen Teilspendermaterials zum Erhalt der Hornhaut. Dies dient zur Vorbereitung einer weiteren operativen Versorgung mittels Volltransplantation, wie von Agarwal et al. beschrieben [1]. Aus diesem Grund wurde in diesem Fall auf eine systemische Immunsuppression verzichtet und rein topisch mit Steroid und Cyclosporin therapiert. Zudem zeigte sich postoperativ eine deutliche Befundbesserung mit freier optischer Achse und scharf begrenzter vaskularisierter Narbenreaktion nasal superior (Abb. 3). Eine erneute Darstellung von Neovaskularisationen im Verlauf wies anders als bei beschriebenen Abstoßungsreaktionen in der Literatur [3, 9] keine subjektiven Beschwerden und keine Sehverschlechterung auf, sodass die topische Therapie weitergeführt wurde.

Solch eine Versorgung soll v. a. bei jungen Patienten eine schnelle Rehabilitation des Visus herbeiführen und so das Risiko der Amblyopieentwicklung reduzieren [4]. Im Vergleich zur Erstversorgung von okularen Verätzungen im akuten Stadium mit Amnionmembrantransplantationen, wie es bei unserem Patienten der Fall war, zeigte die alloSLET in einer retrospektiven Studie von Agarwal et al. eine signifikant schnellere Reepithelialisierung der Hornhaut sowie eine signifikant geringere Entwicklung einer LSI [1]. Dadurch können weitere Operationen im chronischen Stadium seltener notwendig werden.

Unser Fallbeispiel zeigt, dass die alloSLET ein einfaches und effizientes Verfahren zur Therapie einer bilateralen Limbusstammzellinsuffizienz ist. Dabei ist v. a. die Anwendung der alloSLET im Akutstadium einer okularen Verätzung in Zukunft zu berücksichtigen, um Langzeitschäden und nachfolgende Operationen zu vermeiden [1].