Hintergrund

Die Schmerzbehandlung nach operativen Eingriffen wird über alle Fachrichtungen hinweg seit Jahren als unzureichend beschrieben [14, 18, 28, 29]. Für die Beurteilung der Versorgungsqualität von Patientinnen und Patienten nach Augenoperationen liegen hierzu keine aussagekräftigen Daten vor. Einzelstudien lassen jedoch vermuten, dass der Großteil der Betroffenen postoperativ keine oder nur eine geringe Schmerzintensität aufweist [27, 37]. Dennoch zeigt die klinische Praxis, dass einzelne Patientinnen und Patienten auch nach Operationen am Auge relevante akute Schmerzen entwickeln [27]. Ursächlich für das Ausmaß unzureichend behandelter akuter Schmerzen gelten organisatorische Defizite, Unwissen und Desinteresse [31]. Obwohl es seit vielen Jahren zahlreiche und detaillierte nationale und internationale Empfehlungen in Leitlinien, Evidenzsammlungen und von Fachgesellschaften zu strukturellen Voraussetzungen und Prozessen für das Schmerzmanagement gibt, zeigen Erhebungen, dass diese sehr heterogen, teils sporadisch oder gar nicht umgesetzt werden [10]. Das ist nicht nur ethisch, sondern auch rechtlich kritisch zu bewerten, da Patientinnen und Patienten bezüglich der Schmerztherapie ein Anrecht auf eine Behandlung nach dem aktuellen Stand haben [21]. Zudem hat eine effektive Schmerztherapie nach Operationen nicht nur auf den unmittelbaren postoperativen Verlauf Einfluss, sondern auch auf das Risiko der Entwicklung chronischer postoperativer Schmerzen [17]. Letztere stellen ein relevantes Gesundheitsproblem dar und betreffen eingriffsabhängig bis zu 50 %, über alle Eingriffe ca. 10 % der Betroffenen [6]. Aus Erfahrungen der klinischen Praxis der universitären Schmerzmedizin sind hier auch augenchirurgische Eingriffe betroffen.

Initiiert durch die Patientenvertretung, wurden Ende des Jahres 2020 Regelungen zum Schmerzmanagement in die Qualitätsmanagement-Richtlinie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) aufgenommen, welche am 09.12.2020 in Kraft trat [20]. Diese sind für alle ambulanten und stationär operativ tätigen Einrichtungen als Erbringer im Zusammenhang von Leistungen nach dem fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) (gesetzliche Krankenversicherung) rechtlich bindend [16, 19, 26] und verpflichten, ein Akutschmerzmanagement als Bestandteil des internen Qualitätsmanagements einzuführen, weiterzuentwickeln und darüber konkret Rechenschaft abzulegen [20]. Damit werden Aspekte der Schmerztherapie verbindlich, deren Umsetzung größtenteils selbstverständlich sein sollte. Ziel des folgenden Beitrags ist es vor diesem Hintergrund, Details der aktuellen Beschlusslage vorzustellen und für zentrale Aspekte konkrete Hinweise zur inhaltlichen Ausgestaltung dieser gesetzlichen Anforderungen für die Ophthalmologie aufzuzeigen.

Beschlussfassung zur „Regelung zur verpflichtenden Einführung und Umsetzung von Akutschmerzmanagementkonzepten für eine angemessene postoperative Schmerztherapie“ (Version 09.12.2020)

In Deutschland werden der Leistungsanspruch der gesetzlich Krankenversicherten und die Bedingungen, unter denen diese Leistungen erbracht werden, durch den Gesetzgeber bestimmt (SGB V) und durch den G‑BA ausgestaltet sowie konkretisiert [20]. Alle an der stationären, vertragsärztlichen, vertragspsychotherapeutischen und vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer sind nach § 135a SGB V verpflichtet, ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln. Mit der Qualitätsmanagement-Richtlinie (QM-RLFootnote 1) konkretisiert der G‑BA die grundsätzlichen Anforderungen und Rahmenbedingungen zur Einführung und Umsetzung des Qualitätsmanagements (§ 136 Absatz 1 Nummer 1 SGB V) [35]. Die Qualitätsmanagement-Richtlinie (QM-RL) hat somit den Charakter einer untergesetzlichen Norm. Im Vergleich zum Instrument der Strukturrichtlinie (unmittelbare Erlösverluste bei Nichterfüllung) sind derzeit die Konsequenzen bei Nichterfüllung oder falscher Darstellung von Vorgaben der QM-RL überschaubar. Dennoch sollte dieser Umstand unter keinen Umständen zur Nichtumsetzung ermutigen. Zum einen handelt es sich um einen dualen Beschluss, parallel auch Maßnahmen zur Qualitätssicherung zu entwickeln. Zu erwarten ist auch, dass Zertifizierungsinstitutionen (z. B. für Organzertifikate) die Vorgaben der QM-RL zum Schmerzmanagement als Struktur- und Prozesskriterien in ihre Zertifizierungssysteme einbeziehen werden. Vor allem aber werden die Kliniken ab 2022 in ihren Qualitätsberichten zur Umsetzung detailliert Stellung beziehen müssen.

Inhalte der Beschlussfassung

Die Vorgaben der QM-RL zielen auf ein strukturiertes Vorgehen zur Prävention und Behandlung akuter Schmerzen ab, welches patientenzentriert, schnittstellenübergreifend, interdisziplinär und interprofessionell ausgerichtet ist [20]. Neben dem kurzen Beschlusstext des G‑BA-Beschlusses finden sich konkrete Inhalte in den sog. „Tragenden Gründen“. Anhand der Punkte der tragenden Gründe lässt sich bereits ein grober Rahmen des Schmerzmanagements erkennen [20]:

  • klare Festlegung der Zuständigkeiten innerhalb der Einrichtung. Hierbei ist ein gemeinsames Verständnis aller beteiligten Professionen und Disziplinen herzustellen,

  • Vorhalten und Benennen von qualifiziertem pflegerischem und ärztlichem Personal mit reserviertem Zeitkontingent für die Akutschmerztherapie unter Berücksichtigung der Zahl und Art der Interventionen in der Einrichtung, z. B in Form eines Akutschmerzdienstes,

  • Maßnahmen zur Weiterbildung,

  • Vorhalten von Ausrüstung und Material,

  • präinterventionelle Patienteninformation und Aufklärung, Anbieten von Therapieverfahren, ggf. auch Alternativverfahren und Einbeziehung des Patienten in die Therapieentscheidungen,

  • Berücksichtigung interventionsspezifischer/prozedurspezifischer schmerztherapeutischer Verfahren,

  • Identifikation von Patienten mit erhöhtem Risiko akuter Schmerzen oder einer Schmerzchronifizierung und ggf. Einleitung präventiver und/oder therapeutischer Maßnahmen,

  • Erfassung und Re-Evaluierung von Schmerzen und schmerzbedingten Beeinträchtigungen mit in internationalen Leitlinien empfohlenen Instrumenten,

  • standardisierter Umgang mit potenziellen Nebenwirkungen der Therapie,

  • bedarfsgerechte für alle beteiligten Disziplinen und Professionen einsehbare Dokumentation,

  • Maßnahmen zur Qualitätssicherung (z. B. Beteiligung an Audits).

Inhaltlich finden sich hier keine klinisch relevanten Neuerungen. Es handelt sich vielmehr um einen Katalog von Forderungen, die seit Langem bestehen und sich teils seit über eineinhalb Jahrzenten in den entsprechenden nationalen und internationalen Leitlinien finden lassen und von Fachgesellschaften empfohlen werden [4, 13, 15, 23, 38]. Zusammengefasst skizzieren der Beschluss und die Punkte der tragenden Gründe ein interdisziplinär und interprofessionell abgestimmtes Vorgehen, welches vom Erstkontakt bis zum Abschluss der Behandlung prozessbegleitend und patientenzentriert agiert.

Dieses Vorgehen sollte im Kern eine orientierende Schmerzanamnese beim Erstgespräch, eine systematische Erfassung und Berücksichtigung von Risikopersonen sowie die standardisierte Erfassung der Schmerzintensität, die Einbeziehung der Patientinnen und Patienten in die Therapieentscheidungen, indikationsspezifische Regelungen und Behandlungskonzepte zur Schmerzbehandlung und zur Behandlung von Analgetika-assoziierten Nebenwirkungen sowie die Berücksichtigung der Schmerztherapie beim Entlassungsmanagement umfassen. Zudem müssen Einrichtungen entsprechend qualifiziertes pflegerisches und ärztliches Personal mit reserviertem Zeitkontingent für die Akutschmerztherapie z. B. in Form eines Akutschmerzdienstes vorhalten, das Personal zum Thema Schmerz regelmäßig weiterbilden und qualitätssichernde Maßnahmen umsetzten [20].

Umsetzung und inhaltliche Ausgestaltung

Die inhaltliche Ausgestaltung der Eckpunkte des Beschlusses inklusive der tragenden Gründe sind zunächst allgemeiner Natur und strukturell und organisatorisch sinnvoll für alle operativ tätigen Fächer, so auch für die Augenheilkunde. Die inhaltliche Ausgestaltung sollte sich an den bestehenden Empfehlungen von Leitlinien und Fachgesellschaftsinformationen orientieren. Dabei sei insbesondere auf die Anfang diesen Jahres erschienene Aktualisierung der deutschen S3-Leitlinie zur „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ verwiesen [32]. Auch wenn diese S3-Leitlinie wenige spezifische Informationen für die Augenheilkunde beinhalten, sondern allgemein für die perioperative Behandlung verfasst wurden, sind die zentralen Aspekte genauso für die Augenheilkunde gültig bzw. lassen sich problemlos übertragen und adaptieren. Suppl. Tab. 2 gibt bezüglich der konkreten Punkte des Beschlusses anhand einer durch die Autoren auf den Fokus Augenheilkunde angepasste kommentierte Übersicht des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Schmerzmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI), wo und wie sich hier zur inhaltlichen Ausgestaltung orientiert werden kann. Für Kernpunkte wird im Folgenden von den Autoren die Umsetzung für die Augenheilkunde skizziert.

Organisation

Die Verantwortung für die Organisation des Prozesses wird durch den G‑BA als Leitungsaufgabe definiert, liegt also nicht primär bei einzelnen Kliniken, sondern in der Zuständigkeit der Geschäftsführungen bzw. der Praxisinhaber. Aufgrund der deutlich betonten interdisziplinären und interprofessionellen Ausrichtung und der per se im Schmerzmanagement bedeutsamen Schnittstellen ist diese Aufhängung konsequent und folgerichtig. Bereits im Jahr 2012 wurde in der Literatur erstmals angeregt, die Prozesse des Schmerzmanagements als abteilungs-, bereichs- und professionsübergreifenden Prozess analog zum Transfusions- und Hygienewesen im Krankenhaus auszugestalten und zentral durch einen Schmerzmanagementbeauftragten abzustimmen und zu steuern [7]. Auch die im Jahr 2014 verabschiedete Beschlussfassung des 117. Deutschen Ärztetags unter Top IV zur Verbesserung der Akutschmerztherapie in den Krankenhäusern verwies bereits auf die Parallelität des Wesens des Schmerzmanagements zum Hygienewesen und die Integration in das Qualitätsmanagement [3, 8]. Bei der Etablierung eines klinikweit verantwortlichen Schmerzmanagementbeauftragten sollte diesem durch die Geschäftsführung mit dem Auftrag auch ein klinikweites Weisungs- und Implementierungsrecht eingeräumt werden. In einer interdisziplinären und interprofessionellen Arbeitsgruppe sollten die Inhalte gemeinsam erarbeitet werden. Verantwortlichkeiten zwischen Mitarbeitenden verschiedener Abteilungen, aber auch zwischen Berufsgruppen sollten schriftlich fixiert werden. Hierzu bietet die Mustervereinbarung der „Vereinbarung zur Organisation der Schmerztherapie chirurgischer Patienten des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (Neufassung 2019)“ eine Vorlage [15]. Bei der Definition berufsgruppenspezifischer Aufgaben und Verantwortlichkeiten und der Gestaltung der Behandlungsprozesse sollte berücksichtigt werden, welche Tätigkeiten zum ärztlichen Kernbereich zählen und welche ärztlichen Tätigkeiten delegiert werden können (s. [5, 12] und Abschnitt „Behandlungsstandards“).

Schmerzanamnese und Schmerzerfassung

Zunächst sollten beim präoperativen Erstgespräch Risikofaktoren für starke Schmerzen und ungünstige Verläufe im Rahmen einer orientierenden Schmerzanamnese erhoben werden (s. Suppl. Tab. 2, Punkt 10). In diesem Erstgespräch sollten standardisiert vorbestehende chronische Schmerzen und eine analgetische Vormedikation und ggf. anderen Risikofaktoren für ausgeprägtes Schmerzerleben (z. B. Angst-Panik-Störung, Depressivität) erfasst werden. Vorbestehende chronische Schmerzen bzw. eine Opioidvormedikation stellen mitunter die konsistentesten Risikofaktoren für starke postoperative Schmerzen dar und liegen bei ca. 30–50 % aller Krankenhauspatienten vor [25]. Analgetika und Co-Analgetika sollten möglichst unverändert weitergegeben werden, und ein entsprechender Mehrbedarf sollte insbesondere bei Opioidvormedikation im Verlauf berücksichtigt werden. Zudem sollte bereits in diesem Aufnahmegespräch die Gelegenheit genutzt werden, Information zum Vorgehen bei der Schmerzbehandlung und eine realistische Erwartung und Zielsetzung bezüglich der Schmerzbehandlung zu vermitteln, wobei der Schwerpunkt auf der Vermittlung realistischer Erwartungen und Zielsetzung bezüglich der Schmerzbehandlung, verfügbaren Behandlungsmethoden und dem proaktiven Umgang liegen sollte [36]. In diesem Rahmen sollten ebenfalls evtl. bestehende Alternativverfahren erörtert werden. Der Beschluss betont die Einbeziehung der Patientinnen und Patienten in die Therapieentscheidungen. In diesem Rahmen können Aufklärungsbögen (Therapieverfahren, Risiken, Verhaltensmaßgaben z. B. bei Analgetikaunverträglichkeiten und/oder Komplikationen, s. auch und Supplemental Tabelle 2) und Informationsflyer (z. B. Erläuterung der Schmerzerfassung, Ermutigung, sich bei Schmerzen proaktiv zu melden, Benennung eines Ansprechpartners/einer Kontaktnummer bei Schmerzen nach Entlassung etc.) genutzt werden (s. Suppl. Tab. 2, Punkt 8).

Auch nach der Aufnahme sollen ebenfalls im Verlauf der Behandlung Schmerzen bezüglich Intensität und schmerzbedingter Funktionseinschränkungen regelmäßig und – wenn möglich – per Selbstbeurteilung der Patienten (= „patient reported outcomes“ [PROs]) erfasst werden. Hierzu sollen validierte Skalen z. B. der numerischen Rating-Skala (NRS; von 0 = kein Schmerz bis 10 = stärkster vorstellbarer Schmerz) verwendet werden. Dies sollte postoperativ mindestens 1‑mal pro Schicht z. B. durch die Pflegekräfte erfolgen bzw. jedes Mal, wenn der Patient sich wegen Schmerzen meldet, oder nach erfolgter Applikation einer Bedarfsmedikation in sinnvollem Abstand zwischen Applikation und möglicher pharmakologischer Wirkung (s. Suppl. Tab. 2, Punkt 11).

Behandlungsstandards

Durch Re-Organisation und Prozesssteuerung der Akutschmerztherapie mit der Einführung von standardisierten Behandlungskonzepten oder Algorithmen kann eine Verbesserung der Versorgungsqualität erreicht werden [1, 2, 10, 16, 19, 22, 24, 34]. Dennoch besteht eine erhebliche Heterogenität in der Umsetzung und Ausgestaltung solcher Konzepte [9, 11]. Ziel sollte sein, dass sich aus dem Behandlungsstandard für das betreuende pflegerische Stationspersonal ein klarer Handlungskorridor ergibt und Handlungsfähigkeit für die Gabe einer effektiven Bedarfsmedikation (bei Bedarf des Patienten auch jederzeit ein unretardiertes Opioid) auch ohne unmittelbare Anwesenheit einer Ärztin/eines Arztes besteht [9]. Im Optimalfall ergeben sich aus dem Standard nicht nur eine Eskalation der Medikation, sondern auch Anpassungen im Verlauf, wobei dies im stationären Bereich aufgrund der meist sehr kurzen Liegezeiten nach Augeneingriffen weniger Relevanz für den stationären Aufenthalt hat (s. hierzu als Beispiel Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Beispiel für einen Behandlungsstandard zur postoperativen Schmerztherapie für Opioid-naive Patienten nach Augeneingriffen der Universitätsmedizin Göttingen. Zum Start muss durch den zuständigen Arzt angeordnet werden, in welcher Stufe die Therapie des Patienten beginnt und welches Nichtopioidanalgetikum appliziert werden soll. Aufgrund des hohen Anteils an Patienten mit kardiovaskulärem Risiko und hohem Alter bietet es sich hier an, Metamizol als Standard festzulegen, da nichtsteroidale Antiphlogistika kontraindiziert sind. Tilidin retard wurde hier wegen der meist schnellen stationären Entlassung gewählt, da dies nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt und im Rahmen des Entlassungsmanagements auch für die weitere Gabe leicht zu verordnen ist

Vielmehr sollte eine suffiziente Analgesie im Rahmen der Entlassung verordnet werden (Entlassungsmanagement), und dem Patienten sollten klare, möglichst schriftliche Anweisungen zum Umgang und zur Anpassung bzw. zum Ausschleichen an die Hand gegeben werden. Das Spektrum zwischen „wenig“ bis „gar nicht“ schmerzhaften Eingriffen und Prozeduren mit durchaus relevant höherer Schmerzintensität ist dabei gerade in der Augenheilkunde relativ groß [25, 26, 33]. Übliche Standards zur postoperativen Schmerztherapie müssen diesbezüglich vermutlich etwas angepasst werden. Wichtig ist, dass das bloße Vorhandensein eines Behandlungsstandards die Behandlung des Patienten durch nichtärztliches Personal anhand dieses Standards nicht rechtfertigt [23]. Wie bei jeder anderen medikamentösen Therapie bedarf es zuvor der Indikationsstellung, Aufklärung und Anordnung durch den Arzt (= persönlicher Kontakt Arzt/Patient). Im Rahmen der Delegation ist nur die Applikation einer Medikation gemäß erfolgter Anordnung delegierbar, nicht die Indikationsstellung und Entscheidung, ob der Patient anhand des Standards behandelt werden kann bzw. soll.

Diese Tätigkeiten zählen zu den Leistungen des ärztlichen Kernbereichs und sind nicht delegierbar (s. auch [24]). Auch darf im Rahmen der Nutzung eines Standards nach Anordnung kein Automatismus entstehen. Dem Arzt obliegt auch im Verlauf die Anleitungs- und Überwachungspflicht. Auch die Überwachung einer medikamentösen Therapie (Zusammenschau, Zustand Patient und ggf. Befunde; Entscheidung Anpassung der Medikation oder Beendigung) ist dem ärztlichen Kernbereich zugeordnet und nicht delegierbar. Die Gesamtverantwortung für den Behandlungsverlauf auch anhand eines Behandlungsstandards liegt beim Arzt [23]:

Der Standard enthält die Vorgaben zum Ablauf, sodass der Anordnungstext diesbezüglich deutlich kürzer ausfallen kann (z. B. „Akutschmerzbehandlung nach Behandlungsstandard 1“). Demnach muss im Standard jedoch alles Weitere konkret festgelegt werden. Wir haben im Anhang ein Beispiel für einen solchen Behandlungsstandard für eine stationäre postoperative Behandlung angeführt (Abb. 1). Für Eingriffe bzw. Patienten mit besonderem Risiko für starke postoperative Schmerzen sollte ein spezifisches Vorgehen definiert werden (s. Suppl. Tab. 2, Punkte 3, 4 und 9). Analog zur Behandlung von Schmerzen sollen auch Behandlungsstandards für die Prophylaxe und Therapie von Analgetika-assoziierten Nebenwirkungen vorhanden sein (s. Suppl. Tab. 2, Punkt 12).

Spezielle schmerzmedizinische Versorgung und Weiterbildung

Die Umsetzung des Aspekts des Vorhaltens und Benennens von qualifiziertem pflegerischem und ärztlichem Personal mit reserviertem Zeitkontingent für die Akutschmerztherapie (z. B. in Form eines Akutschmerzdienstes) soll explizit die Zahl und Art der Interventionen in der Einrichtung berücksichtigen. Auch wenn die Relevanz von Schmerzen nach Augenoperationen teilweise unterschätzt wird, würde die Einrichtung eines Schmerzdienstes speziell für die Augenheilkunde in keiner Relation stehen. Abteilungen in Kliniken mit anderem operativem Spektrum sollten über die hier zu etablierenden Strukturen bzw. den Akutschmerzdienst ohnehin abgedeckt sein und im Bedarfsfall hierüber schmerzmedizinische Expertise mit einbeziehen können. Für eigenständige Augenkliniken und Praxiskliniken sollten jedoch trotzdem Konzepte gestaltet und Personal sollte qualifiziert werden. Zudem sollten, wenn z. B. bei Eigenständigkeit kein Schmerzdienst in der Klinik vorhanden ist, mindestens eine Regelung und Möglichkeit einer konsiliarischen Hinzuziehung eines Schmerzmediziners bestehen, z. B. durch Kooperation mit einer benachbarten Klinik oder einer schmerzmedizinischen Praxis (s. Suppl. Tab. 2, Punkt 5).

Unabhängig von spezialisierten Versorgungsstrukturen sollten alle Mitarbeiter der unmittelbaren Patientenversorgung sich regelmäßig zur Schmerztherapie fortbilden. So umfasst der Leistungskatalog der Musterweiterbildungsordnung zur Facharztqualifikation auch für Augenärztinnen und Augenärzte den Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in der allgemeinen Schmerzbehandlung, woraus sich letztendlich indirekt auch Fortbildungspflichten ableiten lassen. Gerade das operative Patientenkollektiv in der Augenheilkunde umfasst neben den spezifischen Augenerkrankungen, die mit Schmerzen einhergehen, einen hohen Anteil an Patienten mit anderen chronischen vorbestehenden Schmerzen sowie für die Auswahl der Medikation relevanten internistischen Komorbiditäten. Erstere stehen nicht im Vordergrund, aber es liegen deutliche Hinweise vor, dass vorbestehende chronische Schmerzen nicht nur postoperative Schmerzen, sondern auch Liegezeiten und die Rate der Wiederaufnahme nach stationärer Entlassung erheblich beeinflussen. Ziel sollten somit zumindest Grundkenntnisse sein, diese Patienten gut begleiten zu können (s. Suppl. Tab. 2, Punkt 6).

Dokumentation und Qualitätssicherung

Schmerzanamnese, Erfassung und Medikation sollten für alle am Behandlungsprozess Beteiligten transparent und einsehbar sein. Zusätzliche wird eine bedarfsgerechte und für alle beteiligten Disziplinen und Professionen einsehbare Dokumentation gefordert. Dies ist gerade für Schnittstellenbereiche relevant, z. B. zwischen dem OP-Bereich und Station oder zwischen Station und Schmerzdienst, aber auch für die nachbehandelnden Kolleginnen und Kollegen. Hierbei sind beispielsweise Informationen zu erhaltender analgetischen Medikation sowie zur Weiterführung der Schmerztherapie von Relevanz (s. Suppl. Tab. 2, Punkt 13).

Zudem sind in den tragenden Gründen Maßnahmen zur Qualitätssicherung angeführt. Diese sollten zum einen in der regelmäßigen Erfassung der patientenbezogenen Ergebnisqualität liegen, welche beispielsweise mit QUIPS, einem Benchmarking-Tool zur Ergebnis- und Prozessqualität, zum einen die Bewertung der eigenen Schmerztherapie ermöglicht, aber auch prozedurenspezifisch den Vergleich zwischen eigenen Operationen, aber auch anonymisiert mit anderen Klinken ermöglicht (https://www.quips-projekt.de/). Zudem sollte bei Audits auf die Umsetzung und Optimierung der Prozesse der Schmerzbehandlung geachtet werden (s. Suppl. Tab. 2, Punkt 14).

Vorhalten von Ausrüstung und Material

Der Aspekt der Vorhaltung von Ausrüstung und Material betrifft zum einen Messinstrumente zur Erfassung der Schmerzintensität (alters- und kognitionsgerecht), zum anderen sollten jedoch auch erforderliche Analgetika und Co-Analgetika (insbesondere auch zur Sicherstellung der Fortführung der Vormedikation), Hilfsmittel zur nichtmedikamentösen Schmerztherapie (Wärme, Kälte, ggf. transkutane elektrische Nervenstimulation etc.), Hilfsmittel zur körperlichen und orientierend neurologischen Untersuchung sowie ein mobiles Pulsoximeter vorhanden sein. Zudem bedarf es der technischen Ausstattung zur Einsicht von Standards, zur Dokumentation der Schmerzanamnese und Behandlung etc. (s. Suppl. Tab. 2, Punkt 7).

Zusammenfassende Beurteilung

Perioperative Schmerzen in der Augenheilkunde werden bisher nicht systematisch erfasst und mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich unterschätzt. Die G‑BA-Beschlussfassung vom 09.12.2020, die verpflichtend für alle operativen Abteilungen gilt, bietet deshalb eine ernsthafte Chance, die bestehenden Lücken zu schließen. Die Verantwortlichkeiten liegen im stationären Bereich bei der Geschäftsführung und im ambulanten Bereich bei der Praxisleitung, eine enge Kooperation mit dem lokalen Schmerzdienst und dem Fachbereich Anästhesie ist unbedingt empfehlenswert. Eine standardisierte Anamnese und eine klar definierte postoperative Behandlungsstrategie haben sich dabei in anderen chirurgischen Fächern bereits sehr bewährt.

Tab. 1 Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Qualitätsmanagement-Richtlinie (QM-RL): Aufnahme einer Regelung zur verpflichtenden Einführung und Umsetzung von Akutschmerzmanagementkonzepten für eine angemessene postoperative Schmerztherapie