Anamnese

Ein 37-jähriger Patient stellte sich notfallmäßig in unserer Ambulanz mit schmerzhaften Effloreszenzen der Bindehaut am rechten Auge vor. Etwa 1 Woche zuvor sei dem Patienten erstmals eine Rötung des rechten Auges aufgefallen. Seitdem bestünden zunehmend stechende Schmerzen, eine subjektive Visusminderung mit starker Photophobie, Epiphora sowie insbesondere morgens weißliche Verklebungen an den Wimpern. Das linke Auge sei subjektiv beschwerdefrei. Vorerkrankungen am Auge bestünden weder beim Patienten selbst noch in der Familie.

Eine Woche vor Beginn der Symptomatik am Auge hatte der Patient ein singuläres schmerzhaftes Ulkus am Genital bemerkt. Es erfolgten eine Vorstellung beim Hausarzt sowie eine weitere Abklärung in der Urologie, wo etwa zeitgleich zur Vorstellung bei uns ein PCR-Abstrich durchgeführt wurde.

Bis auf eine Behandlung der genitalen Schmerzen mit Ibuprofen 400 mg bei Bedarf nehme der Patient im Rahmen seiner HIV-Erkrankung 1‑mal täglich 50 mg Dolutegravir/25 mg Rilpivirin p.o. ein. Weitere Vorerkrankungen bestünden nicht. Bis auf eine Kontrastmittelunverträglichkeit seien keine Allergien bekannt.

Klinischer Befund

Bei Erstvorstellung betrug der Visus sine correctione 0,5 am rechten und 0,8 am linken Auge, der Augeninnendruck zeigte sich beidseits palpatorisch normoton.

Bei Palpation der periorbitalen Gesichtshaut gab der Patient Hyperästhesien im Innervationsgebiet des rechtsseitigen N. ophthalmicus (V1) an. Spaltlampenmikroskopisch zeigte sich am rechten Auge eine ziliar injizierte Bindehaut mit tarsaler, fibrinbedeckter Effloreszenz sowie bulbärer Lymphangiektasie (Abb. 1). Lidkanten und Wimpern waren von glasigem Sekret bedeckt. Gegenüber der tarsalen Effloreszenz präsentierte sich ein kontaktbedingter Abklatsch auf der bulbären Konjunktiva (Abb. 2). Der restliche vordere Augenabschnitt stellte sich regelrecht dar, die Linse erschien klar. Fundoskopisch zeigten sich eine randscharfe und vitale Papille, regelrechte Gefäße sowie eine allseits anliegende Netzhaut. Die Untersuchung des linken Auges ergab keine Auffälligkeiten.

Abb. 1
figure 1

Foto des rechten Auges beim Blick nach links mit fibrinbelegter Effloreszenz der tarsalen Bindehaut (Pfeilspitze) und Lymphangiektasie der bulbären, temporalen Bindehaut (Pfeil). Die Bindehaut zeigt sich ziliar injiziert. Lidkanten und Wimpern sind von glasigem Sekret bedeckt

Abb. 2
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Foto des rechten Auges beim Blick nach rechts mit fibrinbelegter Effloreszenz auf der tarsalen Bindehaut (Pfeilspitze) und Abklatsch auf der bulbären Bindehaut (Stern)

Wie lautet Ihre Diagnose?

Bei der Erkrankung des Patienten handelte es sich um eine hämorrhagische, pustulöse Konjunktivitis bei Affenpocken-Infektion. Der PCR-Test mit Abstrich der genitalen Läsion bestätigte diesen Verdacht.

Therapie und Verlauf

Wir entschieden uns gemeinsam mit dem Patienten für ein Watchfull-waiting-Konzept mit unterstützend pflegenden Maßnahmen durch die 4‑malige tägliche Gabe von unkonserviertem Tränenersatzmittel.

In der Verlaufskontrolle nach 1 Woche zeigte sich eine deutliche Befundbesserung mit einem Visusanstieg auf 0,7 sine correctione am betroffenen rechten Auge. Bindehautrötung, Photophobie, Schmerz und Epiphora waren subjektiv im Vergleich zur Erstvorstellung deutlich rückläufig. In der klinischen Untersuchung zeigten sich die Lidkanten des rechten Auges weitgehend sekretfrei. Die tarsale Effloreszenz präsentierte sich im Vergleich zum Erstbefund bei regredienter konjunktivaler Injektion und Lymphangiektasie deutlich subtiler (Abb. 3). Hornhaut und Vorderkammer waren weiterhin reizfrei.

Abb. 3
figure 3

Foto des rechten Auges bei Wiedervorstellung nach 1 Woche. Deutliche Befundbesserung mit Rückgang von Bindehautinjektion und glasiger Sekretion. Die Effloreszenz der tarsalen Konjunktiva stellt sich im Vergleich zur Erstvorstellung subtiler dar

Wir entschieden uns für die Fortführung der Therapie mit Tränenersatzmittel und setzten zusätzlich Hydrocortison-Augentropfen (3,35 mg/ml) 2‑mal täglich zur Prophylaxe eines Symblepharons an. Nach weiteren 2 Wochen zeigte sich das rechte Auge gänzlich reizfrei.

Diskussion

Die Infektion mit Affenpocken zählt seit Jahrzehnten zu den endemischen Erkrankungen in Zentral- und Westafrika, sie hat zuletzt jedoch weltweites Interesse geweckt, da es seit Frühjahr 2022 zu einer alarmierenden Häufung von Fällen außerhalb Afrikas kam [1]. Es handelt sich um eine Infektion mit dem MPX(Monkeypox-)-Virus, einem doppelsträngigen DNA-Virus der Gattung Orthopoxviren aus der Familie der Poxviridae. Die Erkrankung wurde zunächst als Zoonose beschrieben. Im Jahr 1970 wurde erstmals von der Infektion eines Kindes berichtet. Die erste Mensch-zu-Mensch-Übertragung wurde 1996/97 in der demokratischen Republik Kongo beschrieben [2, 3]. Neben der Übertragung durch Körperflüssigkeiten, Aerosole und infektiöse Läsionen kann enger körperlicher Kontakt zu einer Ansteckung führen [4].

Meist verläuft die Erkrankung nach einer Symptomdauer von etwa 2 bis 4 Wochen selbstlimitierend. Nach einer Inkubationszeit von 7 bis 21 Tagen kommt es zunächst zu den Symptomen Fieber, Lymphadenopathie, Kopfschmerzen und Husten. Nach weiteren 1 bis 3 Tagen kommt es meist zu einem Hautausschlag, welcher sich zunächst makulopapulös und im Verlauf vesikulopustulös darstellt. Neben der Haut der Extremitäten zeigen sich die Effloreszenzen im Anogenitalbereich und im Bereich der periorbitalen Haut. Des Weiteren kann es zu einer Tonsillitis mit ggf. Pharyngitis kommen [4, 5].

Bei Augenbeteiligung stehen insbesondere eine Visusminderung und Photophobie im Vordergrund der Symptomatik. Zu den okulären Manifestationen zählen Lidschwellung, Blepharitis sowie Konjunktivitis, teilweise in Kombination mit fokalen Bindehautläsionen. Im Rahmen der Lymphadenopathie kann sich die Bindehaut wie im Falle unseres Patienten auch lymphangiektatisch präsentieren. Als okuläre Komplikationen gelten eine Keratitis sowie korneale Ulzerationen [3, 6].

Klinisch kann der Befund der periorbitalen und orbitalen Region an eine Varizella-Zoster-Infektion erinnern und sollte nicht mit dieser verwechselt werden [7]. Auch andere, bakteriell-infektiöse sexuell übertragbare Erkrankungen müssen differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen und ausgeschlossen werden. Die ophthalmologischen Beschwerden wie fokale, pustulöse Läsionen der Konjunktiva und des Lidrandes treten häufiger bei Patienten auf, die nicht gegen Pocken geimpft sind [5, 6]. Sie können teilweise erheblich und stark einschränkend sein, zeigen sich jedoch zumeist zeitlich begrenzt und selbstlimitierend [6, 7].

Diagnose: Hämorrhagische, pustulöse Konjunktivitis bei Affenpocken-Infektion

In der Literatur finden sich bei der Behandlung von Orthopoxvirus-assoziierten okulären Ulzera vereinzelt Therapieansätze mit Trifluridin-Augentropfen [8]. Eine Therapie mit Trifluridin-Augentropfen wurde in der Vergangenheit zur Behandlung der Herpes-simplex- oder Varizella-Zoster-Keratitis beschrieben, jedoch besteht bis heute keine Evidenz zur Wirksamkeit der Therapie [9]. In Deutschland sind Trifluridin-Augentropfen derzeit nicht verfügbar. Aus unserer Sicht sollte sich die Therapie daher zunächst auf eine ausreichende unterstützend-pflegende Therapie mit Tränenersatzmittel fokussieren. Antibiotische Augentropfen zur Vermeidung von Sekundärinfektionen sollten nur bei ausgeprägten Befunden in Betracht gezogen werden.

Fazit

  • Angesichts der rasant steigenden Fallzahlen muss bei vesikulopustulösem Exanthem mit Verschlechterung des Allgemeinzustands differenzialdiagnostisch an eine Affenpockeninfektion gedacht werden. Körperflüssigkeiten, Aerosole und enger Hautkontakt stellen die Hauptübertragungswege der Erkrankung dar.

  • Ein Großteil der Patienten ist jung und männlich. Häufig bestehen Komorbiditäten mit anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen.

  • Zu den häufigsten okulären Manifestationen gehören Konjunktivitis (oftmals mit fokalen pustulösen Effloreszenzen), Blepharitis und Exantheme der periokulären Haut. Nur selten zeigen sich zusätzlich eine Keratitis oder korneale Ulzerationen.

  • Die Erkrankung verläuft in den allermeisten Fällen selbstlimitierend und kann unterstützend-pflegend mit unkonserviertem Tränenersatzmittel behandelt werden. Nur bei ausgeprägten Befunden mit kornealer Beteiligung sollte die zusätzliche Gabe von antibiotischen Augentropfen erwogen werden.