Anamnese

Ein 25-jähriger Mann wurde zur weiteren Abklärung einer plötzlichen einseitigen Sehverschlechterung überwiesen. Von Beruf Karosseriebauer berichtete er nach der Montage einer schweren Autotür, einen zentralen Fleck und reduziertes Sehvermögen auf dem rechten Auge wahrzunehmen. Diese Symptomatik bestünde seit dem erstmaligen Auftreten konstant und habe sich nicht wieder zurückgebildet, sodass er sich 2 Tage später augenärztlich vorstellte. Ophthalmologische Vorerkrankungen waren nicht bekannt. Allgemeinmedizinisch wurde ein Asthma bronchiale mitgeteilt.

Diagnostik

Der bestkorrigierte Visus am betroffenen rechten Auge liegt bei 0,4 und am linken Auge bei 1,0. In der Untersuchung zeigt sich ein unauffälliger vorderer Augenabschnitt beidseits. Fundoskopisch imponiert am rechten Auge ein rötlich-brauner Fleck im Bereich der Makula (Abb. 1). Die weitere Netzhaut sowie der Fundus des linken Auges weisen keine Auffälligkeiten auf.

Abb. 1
figure 1

Fundusaufnahme des rechten Auges bei der Erstvorstellung mit rötlich-braunem Fleck in der Fovea centralis

In der optischen Kohärenztomographie (OCT) wird eine intraretinale aufgeworfene Makulablutung mit Blockade der darunter liegenden Netzhautschichten und aufgehobener fovealer Senke am rechten Auge sichtbar. Intra- oder subretinale Flüssigkeit ist nicht vorhanden. Der Glaskörper und die Lamina limitans interna (ILM) sind anliegend. Eine präretinale Blutung besteht nicht (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

OCT-Aufnahme, a Infrarot-Reflexion mit zentral erkennbarem dunklen Fleck in der Fovea, b fovealer Schnitt mit Hyperreflektivität der Netzhaut und Blockade der fovealen Senke bei Erstvorstellung

Wie lautet Ihre Diagnose?

Verlauf

Bei bestehender intraretinaler Makulablutung entschieden wir uns zu einem abwartenden Verhalten und regelmäßigen Befund- und OCT-Kontrollen. Bereits nach 2 Wochen zeigte sich ein leichter Visusanstieg bestkorrigiert auf 0,5, und der Patient gab eine subjektive Visusverbesserung an. In der Fundoskopie war ein Rückgang des rötlichen Fleckes zu beobachten. Die OCT zeigte weiterhin eine Hyperreflektivität der inneren Netzhautschichten bei nun wieder erkennbarer fovealer Senke (Abb. 3). Im Verlauf der folgenden 2 Monate stieg der Visus am rechten Auge auf 1,0 ohne erforderliche Korrektur an. Im Makula-OCT lassen sich weiterhin die Reste der intraretinalen Blutung mit einer Hyperreflektivität der inneren Netzhautschichten in 2 OCT-Schnitten nachweisen (Abb. 4).

Abb. 3
figure 3

OCT-Aufnahme, a Infrarot-Reflexion mit Aufhellung in der Fovea, b 2 Wochen nach dem Blutungsereignis mit wieder sichtbarer fovealer Senke und Hyperreflektivität der inneren Netzhautschichten im Bereich der Fovea centralis

Abb. 4
figure 4

OCT-Aufnahme, a in der Infrarot-Reflexion sind kaum noch Blutungsreste bis auf einen hellen Ring zu eruieren, b 3 Monate nach der Blutung mit deutlichem Rückgang der Hyperreflektivität der inneren Netzhautschichten im Foveabereich

Diskussion

Eine Valsalva-Retinopathie ist eine seltene Netzhauterkrankung, gekennzeichnet durch Netzhautblutungen infolge einer unvermittelt plötzlichen Erhöhung des intrathorakalen Drucks. Die innerhalb des Körpers resultierende Druckwelle wird bis in die okulären Venen fortgeleitet, was zu einer spontanen Ruptur der oberflächlichen retinalen Kapillaren am hinteren Augenpol führen kann. Unabhängig von Alter und Gesundheitsstatus kann dann bei jedem Menschen eine spontane Ruptur retinaler Kapillaren am hinteren Augenpol auftreten [1, 2]. In den meisten Fällen resorbiert sich die Blutung, und es wird ein normaler Visus abhängig von der Blutungslokalisation erreicht. Das Valsalva-Manöver ist durch die kräftige Exspiration gegen die geschlossene Glottis definiert, welche zu einem plötzlichen Anstieg des intravenösen Drucks in Abdomen und Thorax und somit auch zum Anstieg des intraokulären Venendrucks führt. Der Versuch ist in verschiedenen medizinischen Teilbereichen z. B. der Angiologie zum Nachweis von Abflussstörungen einsetzbar. Alltägliche Aktivitäten wie das Heben schwerer Lasten, Erbrechen, Husten, Schnäuzen, Spielen von Blasinstrumenten, Sport, aber auch kardiopulmonale Reanimation und Kompressionstraumata können zur Ruptur perifovealer superfizieller Netzhautkapillaren führen [1]. In unserem Fall trat eine intraretinale Blutung im Makulabereich nach dem Heben einer Beifahrertür eines VW (Volkswagen) T4 auf. Eine solche Autotür wiegt ca. 20–30 kg [5]. Neben dem Gewicht eines Gegenstandes spielt aber auch die richtige Hebetechnik und Durchführung des Valsalva-Manövers eine wesentliche Rolle. Beim Heben von Gewichten unterstützt das Valsalva-Manöver die Stabilität des Rumpfes und des Rückens. Wenn dieses Manöver statt gegen die geschlossene Glottis gegen den geschlossenen Mund ausgeführt wird, zeigen sich oft als erste Anzeichen petechiale Einblutungen im Lidbereich [6]. Für eine Valsalva-Retinopathie ist die Anamnese eines Valsalva-Manövers mit einem plötzlichen, meist einseitigen Visusverlust typisch. Weiter werden dunkle Flecken, Floater und Verschwommensehen berichtet. Der Befund präsentiert sich als gut begrenzte, runde oder ovale präretinale Blutung im Foveabereich, entweder unter der ILM oder im subhyaloidalen Raum und meist mehr als 1 Papillendurchmesser groß. Wenn Blut sowohl unter ILM als auch subhyaloidal vorhanden ist, zeigt sich ein „double ring sign“. Weiter können auch andere okuläre Auffälligkeiten wie ein Hyposphagma, die bereits beschriebenen Petechien der Lider, oberflächliche intraretinale Blutungen, intraretinale Flüssigkeit oder Glaskörperblutungen beobachtet werden. In der Untersuchung geben auch diese Befunde Hinweise auf die Genese der Netzhautblutung. In der Diagnostik ist neben der Erhebung des bestkorrigierten Visus und des Organbefundes die OCT-Untersuchung zum Monitoring und zur weiteren Therapieplanung von zentraler Bedeutung [1, 3]. Anhand der OCT kann eine Aussage über die Lokalisation der Blutung und damit die interventionellen Möglichkeiten wie eine Lasertherapie bzw. die Notwendigkeit eines glaskörperchirurgischen Eingriffes getroffen werden [1, 4]. Zur Dokumentation und Verlaufskontrolle der Blutung ist eine Fundusaufnahme zu empfehlen.

Diagnose: Valsalva-Retinopathie mit intraretinaler Makulablutung

Insbesondere bei atypischen Krankheitsereignissen ohne die sichere Vorgeschichte eines Valsalva-Manövers ist zum Ausschluss von Neovaskularisationen oder anderen Netzhautpathologien über eine Fluoreszeinangiographie zu entscheiden. Differenzialdiagnostisch sollte bei diesen Patienten an eine hypertensive Retinopathie, eine Sichelzellanämie, ein rupturiertes Mikroaneurysma, eine anämiebedingte Retinopathie, aber auch an ein Terson-Syndrom oder im Falle eines betroffenen Kleinkindes an ein nichtakzidentelles Schädel-Hirn-Trauma (oder Schütteltraumasyndrom) gedacht werden [1]. Bei Glaskörperblutungen ist eine B‑Bild-Sonographie zur Einschätzung der Netzhaut notwendig. Insgesamt hat eine Valsalva-Retinopathie eine gute Prognose.