Anamnese und Verlauf

Im Jahr 1997 wurde bei der damals 9‑jährigen Patientin im Rahmen einer Routinekontrolle am rechten Auge eine isolierte mittelperiphere, ca. 2 × 2 Papillendurchmesser große, homogen dunkel pigmentierte, subretinale Läsion gefunden. Ophthalmoskopisch bestanden keine Prominenz sowie keine sonstigen retinalen Alterationen. Der Visus betrug sine correctione R = L = 1,0. Der weitere beiderseitige Vorderabschnitts- und Fundusbefund waren regelrecht. Allgemein bestanden – bei hellem Hauttyp – keine Hyperpigmentierungen. In der Familienanamnese waren bis auf benigne Hautnävi keine Pigmentierungsstörungen zu finden. Im langjährigen Verlauf zeigten sich eine Zunahme der Nävusgröße und eine allmähliche Pigmentdegeneration mit Inhomogenitäten innerhalb der Läsion (s. Abb. 1). Eine 2016 durchgeführte Fluoreszenzangiographie zeigte eine weitgehend fehlende retinale Autofluoreszenz im Läsionsgebiet, eine reguläre retinale Perfusion und eine Blockade der Aderhautfluoreszenz (s. Abb. 2). Bis auf die Entwicklung einer mittleren Myopie beidseits ergaben sich im bisherigen Verlauf keine ophthalmologischen Veränderungen.

Abb. 1
figure 1

Fundusfotos mit verschiedenen Abbildungsmaßstäben. (Bis 1998 RCS 310 VEB Carl Zeiss Jena, DDR, ab 2005 mit FF 450plus ZEISS Jena, Deutschland)

Abb. 2
figure 2

Fluoreszenzangiographie 2016

Befund 2021

Visus cum correctione R = L = 1,0; Refraktion R −6,25 sph −1,00 cyl 180°, L −6,50 sph −0,75 cyl 21°; Vorderabschnitte beidseits und Fundus links regelrecht. Die pigmentierte Läsion am rechten Auge zeigte sich erneut in der Fläche vergrößert, nicht prominent und inhomogen pigmentiert, sekundäre Veränderungen fehlten. In der optischen Kohärenztomografie (OCT) stellten sich im Läsionsbereich ein weitgehender Verlust von normalem retinalen Pigmentepithel (RPE) und der IS/OS-Schicht dar mit insgesamt verdünnter Netzhaut. Die OCT-Angiografie (OCTA, s. Abb. 3) zeigte ein reguläres retinales Gefäßbild und im Läsionsbereich durchscheinende choroidale Gefäße ungeachtet der klinischen Hyperpigmentierung („löchriges“ RPE). Die lokale Lichtunterschiedlichkeitsempfindlichkeit im Läsionsareal war deutlich reduziert (Läsion: 10 dB, regelrechtes Nachbarareal gleicher Exzentrizität: 23 dB, Microperimeter Maia, CenterVue S.p.A., Padua, Italien, s. Abb. 4). Auffällige pigmentierte Hautveränderungen lagen nicht vor.

Abb. 3
figure 3

OCTA der CHRPE 2020

Abb. 4
figure 4

Mikroperimetrie 2020. (Der Normwertbereich der Histogramme bezieht sich bei fovealer Fixation auf die Perifovea. Bei der paraläsionalen Untersuchung liegen 2 Perimetriepunkte im Läsionsbereich und sind deshalb im Histogramm mit einem x markiert)

Diagnose und weiteres Vorgehen

Es bestätigte sich die ursprüngliche Diagnose einer kongenitalen Hypertrophie des retinalen Pigmentepithels (CHRPE).

Aufgrund des dokumentierten Wachstums der Läsion und der erheblich reduzierten Funktion im betroffenen Netzhautareal stellte sich die Frage einer Bedrohung der Fovea und eines dann indizierten therapeutischen (gewebedestruktiven) Eingriffs. Dazu wurde digital anhand des Gefäßbildes eine Bildalignierung der Fundusaufnahmen durchgeführt, die Läsionsaußengrenzen wurden festgelegt, und in der Angiografie wurde das foveale Zentrum detektiert. Für die annähernd ovale Läsion wurden minimaler und maximaler Durchmesser, Fläche sowie minimaler Abstand des Läsionsrandes zur Fovea ermittelt. Eine Regressionsanalyse ergab für diese morphometrischen Parameter eine annähernd lineare Zunahme im Beobachtungszeitraum (Auswertungen und Berechnungen in Matlab R2018b, MathWorks Inc., Portola Valley, California, U.S., s. Abb. 5). Unter der Annahme eines auch im weiteren Verlauf linearen Wachstums der Läsion würde die Foveola im Jahr 2096 oder dem 109. Lebensjahr der Patientin erreicht. Aufgrund dessen empfiehlt sich vorerst eine weitere Beobachtung der Läsion.

Abb. 5
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Berechnung und Prognose des Läsionswachstums der CHRPE

Diskussion

Zum Auftreten einer CHRPE in der Gesamtbevölkerung liegen keine verlässlichen Zahlen vor. Die Angaben variieren von selten [1] bis zu postulierten 4 % [2], wobei für Letzteres in der Literatur keine Evidenz zu finden ist. Auch unter den pigmentierten Fundusläsionen stellt die CHRPE mit ca. 6 % eine Minderheit dar [3].

Überwiegend handelt es sich um asymptomatische Zufallsbefunde wie auch im vorgestellten Fall. Die ophthalmoskopischen Charakteristika sind scharfe Randbegrenzung, fehlende Prominenz, homogene oder mit zunehmendem Alter variable dunkle Pigmentierung sowie fehlende retinale Begleitalterationen [1, 4]. Im OCT imponieren in den betreffenden Arealen immer variable Reflektivitätsänderungen und Atrophien der äußeren Netzhautschichten, häufig verdünnte innere Netzhautschichten, seltener zystische intraretinale Veränderungen oder subretinale Flüssigkeit [4]. In der OCTA wurden wie auch im hier vorgestellten Fall eine weitgehend normale retinale Gefäßarchitektur und eine je nach Pigmentierung veränderte Visualisierung der Choroidea beschrieben [2, 5]. Zur Funktion peripherer betroffener Areale sind keine Angaben zu finden. Wir haben mittels Mikroperimetrie eine deutlich reduzierte Lichtwahrnehmung im Läsionsareal zeigen können, die aufgrund der erheblichen morphologischen Alteration zu erwarten war. In einem publizierten Fall, bei dem die Foveola auf dem Läsionsrand lag, war die Funktion mit einem Visus von 20/40 ebenfalls vermindert [2]. Übereinstimmend wurde bei Verlaufsbeobachtungen bei bis zu 80 % der Fälle ein langsames Wachstum der CHRPE mit Zunahme der Pigmentdegeneration innerhalb der Läsion gesehen [1, 6, 7]. In seltenen Fällen können die pigmentierten Läsionen maligne entarten, genannt werden Adenokarzinom und Melanom [1, 7]. Interdisziplinär bedeutsam ist die Assoziation der CHRPE zur familiären adenomatösen Polyposis (FAP, synonym Gardner-Syndrom). Bei der autosomal-dominant vererbten Erkrankung kommt es bereits im Kindes- und Jugendalter zu multiplen Darmpolypen mit einem nahezu 100 %igen Darmkrebsrisiko im weiteren Leben. Nach einer Metaanalyse von 102 Publikationen zeigten ca. 80 % der FAP-Patienten pigmentierte Fundusveränderungen [8]. Bei CHRPE sollte deshalb zumindest eine erweiterte Anamnese hinsichtlich familiärer Darmleiden wie auch eigener rezidivierender gastrointestinaler Symptome erfolgen, und die Patienten sollten ggf. an einen Gastroenterologen überwiesen werden.

Aufgrund des Wachstums der Läsion wie auch des (geringen) Malignitätsrisikos wird eine kontinuierliche Langzeitkontrolle der Patienten empfohlen [3]. Therapeutische Interventionen bei alleinigem Vorliegen einer CHRPE sind nicht beschrieben. Falls bei makulanaher Lage der Läsion infolge des Wachstums die Fovea erreicht wird, droht eine irreversible Visusreduktion. In einem derartigen Fall könnte eine rechtzeitige Gewebedestruktion der proliferierenden Zellen das weitere Wachstum stoppen und zu einer stabilen Narbe führen. Für eine möglichst fundierte Wachstumsprognose sind verfügbare objektive Messwerte über Jahre erforderlich. In der realen Routinepraxis stellen sich zumindest 2 wesentliche Problembereiche:

  • Die erhobenen Daten müssen langfristig lesbar, auswertbar und untereinander vergleichbar sein. Dies ist in Anbetracht der zunehmend kürzeren Lebenszyklen diagnostischer Geräte, mangelnder Interoperabilität der Geräte verschiedener Hersteller sowie unterschiedlicher Datenformate ein bisher ungelöstes Problem.

  • Die Daten müssen zur Auswertung verfügbar sein. Eine elektronische Patientenakte bietet dafür einen ersten praktikablen Ansatz, wenn Fundusfotografien in einem üblichen Format (z. B. PDF oder JPG) dort gespeichert sind. Bereits für OCT-Datensätze ist dies jedoch derzeit weder möglich noch sinnvoll.

Notwendig wäre auch in der Ophthalmologie ein dem DICOM-Standard in der Radiologie vergleichbares Format mit entsprechendem Readerprogramm.

Fazit

  1. 1.

    Pigmentierte Fundusläsionen sollten mittels bildgebender Verfahren dokumentiert und regelmäßig kontrolliert werden.

  2. 2.

    Auf der Basis verfügbarer langjähriger individuell retrospektiver Messwerte kann eine bessere Wachstumsprognose erfolgen.

  3. 3.

    Bei der kongenitalen Hypertrophie des retinalen Pigmentepithels sollte an die familiäre adenomatöse Polyposis gedacht werden.