Anamnese und klinischer Befund

Die Überweisung eines 60-jährigen Patienten erfolgte bei neu aufgetretener mikrozystoider Keratopathie unter intravenöser Belantamab-Mafodotin- (Belamaf; Handelsname BLENREP; GlaxoSmithKline, Irland) Therapie bei multiplem Myelom, Stadium IIIB nach Durie und Salmon, Erstdiagnose 02/2012.

Die Therapieempfehlung erfolgte, nachdem es zuletzt zur Krankheitsprogression gekommen war.

Unter multiplen Chemotherapien (Bortezomib/Dexamethason 02/2012; Bortezomib/Dexamethason/Doxorubicin 03/2012; Melphalan-Hochdosistherapie und autologe Stammzellretransfusion 07/2012; Zoledronsäure 08/2013; Lenalidomid/Dexamethason 03/2015; Melphalan-Hochdosistherapie 11/2015; Daratumumab 03/2017; Daratumumab/Bortezomib/Dexamethason 09/2019) mit variablem Therapieansprechen sowie autologen Stammzelltransplantationen waren über 9 Jahre hinweg mehrfach Rezidive aufgetreten.

Vor internistischem Therapiebeginn betrug der bestkorrigierte Visus (BCVA) auf beiden Augen 1,0.

Bei Erstvorstellung in unserer Klinik hatte der Patient bereits 2 Belamaf-Gaben (2,5 mg/kg Körpergewicht, verabreicht als intravenöse Infusion alle 3 Wochen) erhalten und beklagte nun eine Abnahme der Sehschärfe beider Augen.

Der bestkorrigierte Visus beider Augen im Fern- und Nahbereich betrug 0,8 (rechtes Auge +0,75/−2,75/87°, Addition +2,0; linkes Auge +1,75/−2,25/84°, Addition +2,0).

Die Spaltlampenuntersuchung zeigte beidseitig zirkulär angeordnete, zentrale und parazentrale subepitheliale mikrozystoide Veränderungen der Kornea (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Mikrozystoide epitheliale Veränderungen der zentralen Hornhaut 4 Wochen nach Therapiebeginn mit Belamaf (a+b). Die Vergrößerung zeigt multiple Befunde unterschiedlicher Größe (b)

Die optische Kohärenztomographie (OCT) der Hornhaut zeigte hyperreflektive Veränderungen im Bereich des Epithels (Abb. 2) sowie subepithelial und im Stroma mit Größen von ca. 20–50 µm Längsdurchmesser. In der Pentacam zeigten sich in denselben topografischen Bereichen keine Auffälligkeiten. Der übrige vordere Augenabschnitt sowie der Fundusbefund waren unauffällig.

Abb. 2
figure 2

Hyperreflektivitäten im Bereich eines in seiner Signalintensität heterogen erscheinenden Epithels (Pfeilspitzen) sowie des Stromas (Pfeile) der zentralen anterioren Kornea

Diagnose

Wir stellten die Diagnose einer beidseitigen Keratopathie unter Belamaf-Therapie.

Therapie und Verlauf

Bei beidseits moderat reduziertem Visus vereinbarten wir eine Kontrolle 8 Wochen später und empfahlen beidseits konservierungsmittelfreie Augentropfen 6‑mal/Tag und Kontaktlinsenkarenz.

Die Wiedervorstellung ergab einen BCVA rechts von 0,5 und links von 0,4. Anamnestisch beschrieb der Patient einen stabilen Seheindruck.

Unter der Belamaf-Therapie konnte im Gegensatz zu den zuvor erfolgten Therapieschemata eine Remission des multiplen Myeloms erzielt werden. Außerdem bestand subjektiv in augenheilkundlicher Sicht nur ein moderater Leidensdruck. Daher empfahlen wir unter Berücksichtigung der zuvor genannten Umstände eine Fortführung der Therapie mit Belamaf sowie ophthalmologische Kontrollen und weiterhin die benetzende Therapie. Bei einer aufgrund einer neu aufgetretenen Thrombozytopenie 1 Monat zuvor reduzierten Belamaf-Dosierung von 1,25 mg/kg Körpergewicht betrug der Visus beider Augen 7 Monate nach Therapiebeginn 0,63 ohne subjektive Beschwerden.

Diskussion

Das multiple Myelom zählt zu den B‑Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen und macht 13 % aller hämatologischen Krebserkrankungen aus. In der westlichen Welt beträgt die Inzidenz 5,6 Fälle/100.000. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei 70 Jahren. Ausgehend von einer monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS), kommt es durch genetische Veränderungen zu einer Proliferation monoklonaler Plasmazellen im Knochenmark mit Produktion monoklonaler Antikörper und Leichtketten. Typisch sind Osteolysen sowie Blutbildveränderungen. Schädigungen durch Hyperkalzämie und Proteinablagerung betreffen v. a. die Niere.

Während bei asymptomatischen Patienten ein zuwartendes Prozedere gerechtfertigt sein kann, kommen in fortgeschrittenen Stadien Steroide und Chemotherapeutika sowie autologe Stammzelltherapien zum Einsatz [5]. In fortgeschrittenen Stadien liegt die mittlere Überlebenszeit zwischen 3,6 und 7 Jahren. Eine hohe Anzahl von Patienten zeigt sich therapierefraktär oder erlebt Rezidive [2].

Belamaf ist von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) seit Sommer 2020 für Patienten mit therapierefraktärem multiplem Myelom und Rezidiven zugelassen. Es handelt sich um ein Antikörperkonjugat („antibody-drug conjugate“ [ADC]), das über zytotoxisches Monomethyl Auristatin F (MMAF) die Myelomzelle angreift.

In 32 % der mit Belamaf in der üblichen Dosierung von 2,5 mg/kg, verabreicht intravenös alle 3 Wochen, behandelten Patienten konnte eine signifikante Anti-Myelom-Aktivität erzielt werden [2].

Hierunter traten als Nebenwirkungen mikrozystoide epitheliale Veränderungen der Kornea (MECs) auf [1,2,3,4]. Neben den MECs werden subepitheliale und stromale Ablagerungen und Trübungen definiert, die auch wir im OCT nachweisen konnten (Abb. 2).

Eingeteilt werden die Veränderungen nach der „Keratopathy and Visual Acuity“(KVA)-Skala in 4 Schweregrade, die je nach Auftreten der MECs und Reduzierung des BCVA Empfehlungen zur Fortsetzung, Dosisanpassung oder Beendigung der Belamaf-Therapie gibt: Bei milder Ausprägung der MECs und einer Snellen-Zeile Visusreduzierung wird zu einer Fortsetzung der Therapie ohne Dosisreduzierung geraten. In moderaten und schweren Fällen (Grad 2 + 3) werden ein Aussetzen der Therapie und Dosisreduzierung auf 1,9 mg/kg bis zur Rückbildung empfohlen. Lediglich beim Auftreten kornealer Defekte und Visusreduktion auf 0,1 (Grad 4) wird geraten, eine dauerhafte Therapiebeendigung zu erwägen.

In der größten aktuell vorliegenden Studienkohorte (DREAMM-2-Studie) zeigten 72 % der dortigen 95 Patienten korneale zystoide Veränderungen; 69 % entwickelten diese bis zum Zeitpunkt der vierten Gabe. Nach durchschnittlich 86,5 Tagen zeigte sich eine Rückbildung der häufigsten Nebenwirkungen, Verschwommensehen in 63 % und Trockenheit in 79 %. Bislang wurde in der Literatur keine dauerhafte Visusminderung beschrieben.

Die okulären Nebenwirkungen führten lediglich in 1 % zum Abbruch der Therapie, in 47 % wurden Verabreichungen verzögert, und in 25 % erfolgte eine Dosisreduktion nach Empfehlung der KVA-Skala [2].

Der Pathomechanismus hinter den kornealen Veränderungen ist bisher unklar. Diskutiert werden eine Aufnahme von Belamaf über Makropinozytose in die Limbusstammzellen der Kornea und anschließende Apoptose der Epithelzellen, gefolgt von einer Migration der Epithelzellen nach zentral.

Bei Dosisreduzierung oder einem Therapiestopp migrieren neue Epithelzellen nach und ersetzen die apoptotischen Vorgänger [2].

Das Auftreten von MECs-ähnlichen Veränderungen der Augenoberfläche findet sich auch als Nebenwirkung anderer ADCs zur Therapie maligner Erkrankungen. Auslöser sind v. a. Tubulin-inhibierende Substanzen wie das hier dargestellte MMAF [1].

Die Spaltlampenuntersuchung und der bestkorrigierte Visus wurden von Farooq als Untersuchungsmodalitäten für Belamaf-Patienten empfohlen [2]. Wir empfehlen eine initiale Erhebung des gesamten visusrelevanten okulären Befundes vor Beginn der Systemtherapie sowie Verlaufskontrollen, da der Visus zum Therapiemonitoring genutzt wird und sich die Hornhautveränderungen nicht unbedingt auf den Visus auswirken.

Das Hornhaut-OCT zeigt eine Zunahme der kornealen Epitheldicke, hyperreflektive epitheliale Läsionen und Unregelmäßigkeiten im Bereich der Bowman-Schicht (BM), deren Lokalisationen mit den Auffälligkeiten an der Spaltlampe korrelierten [4]. Entsprechende Befunde fanden sich auch bei unserem Patienten (Abb. 1 und 2). Gerade im Falle tiefer liegender Veränderungen der Hornhaut kann eine Unterscheidung gegenüber Artefakten im OCT mitunter Schwierigkeiten bereiten.

In der konfokalen Mikroskopie fanden sich bisher hyperreflektive Ablagerungen im Bereich des basalen Epithels und unterhalb der BM [3].

Unter der Therapie mit Belamaf wird die Gabe von konservierungsmittelfreien, benetzenden Augentropfen (4- bis 8‑mal täglich) und Kontaktlinsenkarenz empfohlen, ohne dass jedoch evidenzbasierte Studien deren Notwendigkeit oder Wirkung bisher nachweisen konnten.

Des Weiteren findet sich in der Literatur bisher keine eindeutige Empfehlung zur Verwendung Kortikosteroid-haltiger Augentropfen zur Verminderung von MECs [2].

Hingegen sind Befundverbesserungen unter Reduzierung der Belamaf-Dosis und in schweren Fällen durch Absetzen beobachtet worden [2].

Bei vorausgegangener Krankheitsprogression und jetzt gutem onkologischem Ansprechen auf das neu verabreichte Belamaf sowie seitens des Patienten akzeptablem Sehvermögen entschieden wir uns gemeinsam mit dem Patienten und den behandelnden Onkologen für die Fortführung der Therapie ohne Dosisreduzierung.

Schlussfolgerung

Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Belantamab-Mafodotin ist ein effektives neues Präparat zur Behandlung des multiplen Myeloms bei therapierefraktären Patienten. Aufgrund häufig beobachteter intraepithelialer mikrozystoider kornealer Veränderungen sollten sich Patienten vor Therapiebeginn beim Augenarzt vorstellen und verlaufskontrolliert werden. Unter einer Dosisreduzierung von Belamaf zeigen sich die kornealen Veränderungen rückläufig. Empfohlen werden benetzende Augentropfen und eine Kontaktlinsenkarenz. Eine individuelle Reduzierung oder gar Absetzen der Antikörpertherapie sollte nur in Absprache mit den behandelnden Onkologen erfolgen. Bei einer Zunahme von Antikörpertherapien wird es zukünftig voraussichtlich zu häufigeren ophthalmologischen Vorstellungen aufgrund okulärer Nebenwirkungen kommen [2, 4].