Fallvorstellung

Anamnese

Ein 60-jähriger männlicher Patient stellte sich im März 2021 in unserer refraktiven Sprechstunde mit der Frage nach Behandlungsmöglichkeiten seiner Presbyopie sowie Myopie vor. Der Patient äußerte den ausdrücklichen Wunsch nach Brillenunabhängigkeit. Er habe sich aus diesem Grund vor einigen Jahren bereits an multifokalen Kontaktlinsen versucht, die er aufgrund schlechten Tragekomforts nicht länger als wenige Stunden tolerierte. Aktuell war der Patient mit einer Einstärkenfernbrille versorgt, die er zum Lesen und für filigrane Handarbeiten in seiner Hobby-Werkstatt stets abzusetzen gewohnt war. Die Allgemein‑, Augen- und Familienanamnese waren leer.

Befund

Der vordere Augenabschnitt zeigte bis auf eine beidseitige inzipiente nukleäre Linsentrübung einen regelrechten Befund. Die Fundoskopie und die Makula-OCT (optische Kohärenztomographie; Cirrus; Carl Zeiss Meditec AG, Jena, Deutschland) zeigten sich ebenfalls unauffällig. Der bestkorrigierte Fernvisus (CDVA) betrug am rechten Auge 0,8 und am linken Auge 1,0 Snellen. In der subjektiven Refraktion zeigten sich eine Myopie sowie ein – rechts mehr als links – vorliegender Astigmatismus. Weitere präoperativ erhobene Daten sind in Tab. 1 und 2 aufgeführt.

Tab. 1 Refraktions- und Visuswerte
Tab. 2 Präoperative Biometriedaten

Therapieverfahren

Die verschiedenen refraktiv-chirurgischen Therapieoptionen mit den Vor- und Nachteilen wurden mit dem Patienten diskutiert. Aufgrund des ausgesprochenen Wunsches nach Brillenunabhängigkeit und der beidseitigen inzipienten Linsentrübung wurde eine Kataraktextraktion mit Implantation einer multifokalen Intraokularlinse (IOL) diskutiert. Dabei wurden die möglichen Nachteile einer IOL mit multifokaler Optik wie reduziertes Kontrastsehen, Dysphotopsien wie Halos sowie potenzielle Abstriche in der Nahsehstärke im Vergleich zur aktuellen Situation (Absetzen der Brille bei Handarbeiten) mit dem Patienten erarbeitet. Zudem wurde der Patient aufgrund seiner Myopie explizit auf das erhöhte Risiko hinsichtlich der Entwicklung einer postoperativen Netzhautablösung aufgeklärt [7].

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte entschied man sich für die myope multifokale Duett-Implantation (MMDI). Dabei erfolgt der Linsenaustausch mit Implantation einer kapselsackfixierten monofokalen IOL und einer additiven („add-on“) multifokalen IOL, die im Sulcus ciliaris platziert wird. Die Zielrefraktion der monofokalen IOL wird bei der MMDI auf −2,50 dpt festgelegt, wobei durch die zusätzliche Multifokallinse mit einer sphärischen Korrektur eine in Summe plane Zielrefraktion angestrebt wird. Als kapselsackfixierte Monofokallinse wurde die Kowa Avansee CP2.2 IOL (Kowa Pharmaceutical, Wokingham, Berkshire) gewählt. Bei der additiven Multifokallinse handelt es sich um die speziell für die Implantation in den Sulcus ciliaris entwickelte diffraktive hydrophile Sulcoflex Trifocal 703F IOL der Firma Rayner (Rayner Intraocular Lenses, Ltd. Worthing, West Sussex, UK).

Operation

Zuerst erfolgte die Operation des rechten Auges. Nach regelrechter Phakoemulsifikation erfolgte die Implantation einer kapselsackfixierten monofokalen IOL mit einer Stärke von +21,5 dpt. Die erforderliche Linsenstärke (Zielrefraktion −2,50 dpt) wurde mittels Haigis-Formel und dem IOL-Master 500 (Carl Zeiss Meditec AG, Jena, Deutschland) berechnet. In einem zweiten Schritt erfolgte die Implantation der additiven Multifokallinse Sulcoflex Trifocal 703F mit einer sphärischen Stärke von −3,00 dpt in den Sulcus ciliaris. Auf gleiche Weise erfolgten am linken Auge die Implantation der monofokalen IOL mit einer Stärke von +21,00 dpt sowie die Implantation der additiven Multifokallinse mit einer Stärke von ebenfalls −3,00 dpt.

Postoperatives Ergebnis

Die abschließende Kontrolle erfolgte 6 Monate nach der Operation. Der Patient gab an, sehr zufrieden zu sein und im Alltag keine Brille zu benötigen. Es zeigte sich beidseits ein unkorrigierter Fernvisus (UDVA) von 1,0. Klinisch zeigte sich ein unauffälliger vorderer Augenabschnitt mit regelrechter Positionierung der monofokalen IOL sowie der additiven Multifokallinse. Eine durchgeführte Vorderabschnitts-OCT (optische Kohärenztomographie, Abb. 1) bestätigte die regelrechte Positionierung der IOLs. Die binokuläre Defokuskurve (Abb. 2) zeigte einen Visus von 1,0 im Fern- und Intermediärbereich sowie von 0,80 im Nahbereich. Die prä- und postoperativen Refraktions- und Visuswerte sind in Tab. 1 gegenübergestellt.

Abb. 1
figure 1

Vorderabschnitts-OCT (optische Kohärenztomographie) mit regelrechter Positionierung der beiden Intraokularlinsen (IOLs)

Abb. 2
figure 2

Binokuläre Defokuskurve

Diskussion

Der Einsatz von mehr als einer Intraokularlinse (sog. Polypseudophakie) in ein Auge erfolgte ursprünglich zur Behandlung von Patienten mit sehr hoher Kurzsichtigkeit [6]. Diese „Piggyback-Technik“ wurde zunehmend erweitert und als sekundäres Verfahren bei Patienten mit postoperativ bestehenden Refraktionsfehlern angewandt [5]. Bei dieser Technik, bei der zunächst beide IOLs in den Kapselsack implantiert wurden, zeigten sich jedoch viele Spätkomplikationen, darunter v. a. interlentikuläre Trübungen sowie Dezentrierungen der Linsen durch zunehmende Kontraktion des Kapselsacks [4]. Beiden Problemen sollte entgegengewirkt werden, indem die erste IOL in den Kapselsack und die zweite IOL in den Sulcus ciliaris implantiert wurde. Bei der Einbringung von IOLs in den Sulcus ciliaris, die primär für die Implantation in den Kapselsack entwickelt wurden, bestehen jedoch aufgrund der Konfiguration der IOL-Optik und IOL-Haptiken Langzeitrisiken wie IOL-Trübungen, zystoides Makulaödem sowie Pigmentdispersion [2].

Moderne sulcusfixierte IOLs haben daher besondere Eigenschaften. Zum einen weisen diese eine konvex-konkave Optik auf, die einen interlentikulären Kontakt vermeiden soll. Zum anderen besitzen sie abgerundete und speziell angulierte Haptiken, die einen zu engen Kontakt zur Iris verhindern. Die in unserem Fallbeispiel verwendete Intraokularlinse Sulcoflex Trifocal IOL kann entweder als zusätzliche Linse bei bereits pseudophaken Patienten eingesetzt oder einzeitig als sog. „Duett-Verfahren“ implantiert werden. In einer rezenten Studie konnte mithilfe eines In-vitro-Modells gezeigt werden, dass die optische Qualität eines trifokalen Zwei-IOL-Systems vergleichbar gute Ergebnisse liefert wie eine einzelne trifokale IOL [9]. Die etwas ältere, aber gegenwärtig einzige direkte klinische Vergleichsstudie zu diesem Thema kam zum gleichen Ergebnis, allerdings war in dieser Studie in beiden Behandlungsgruppen (1- vs. 2‑Linsen-System) eine bifokale Optik implantiert worden [10].

Der große Vorteil beim Einsatz komplementärer sulcusfixierter Intraokularlinsen besteht jedoch in der potenziellen Reversibilität durch vergleichsweise einfache Explantation [1]. Im vorgestellten Fall mit MMDI wurde die intrakapsulär implantierte IOL mit einer Zielrefraktion von −2,50 dpt berechnet, um im Falle einer späteren Entfernung der multifokalen Add-on-IOL den „natürlichen“ monofokalen Nahvisus des Patienten wiederherstellen zu können.

Aufgrund der Funktionsweise von multifokalen IOLs wird das Kontrastsehen zwangsläufig reduziert [11]. Weitere typischerweise hervorgerufene Phänomene sind Dysphotopsien. Obgleich die Mehrheit der Patienten diese Phänomene nach einer gewissen Neuroadaptationsperiode [12] toleriert, konnten mehrere Arbeiten zeigen, dass die Explantation einer Multifokallinse signifikant häufiger notwendig ist als die Explantation monofokaler Linsen [8]. Die Explantation kapselsackfixierter IOLs ist v. a. nach Einsetzen einer gewissen Kontraktion und Fibrose des Kapselsackes anspruchsvoll und mit Komplikationen, wie z. B. hinterer Kapselruptur, Hornhautdekompensation oder zystisches Makulaödem (CMÖ), vergesellschaftet [3]. Daher scheint ein vergleichsweise einfaches chirurgisches Vorgehen, das dem Patienten bei Bedarf die Möglichkeit bietet, Monofokalität wiederherzustellen, sehr erstrebenswert. Dass dies nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis durchführbar ist, konnten Baur et al. in einem rezenten Fallbericht zeigen [1].

Insbesondere bei hochmyopen Patienten ist jedoch das erhöhte postoperative Risiko einer rhegmatogenen Netzhautablösung zu berücksichtigen und sollte daher mit dem Patienten vor jedem Eingriff ausführlich besprochen werden [7].

Unser Fallbeispiel zeigt, dass die MMDI insbesondere bei niedrigmyopen Patienten mit sehr hohem Sehanspruch im Nahbereich geeignet ist, eine reversible Multifokalität zu gewährleisten. Der Vorteil dieser Technik besteht darin, dass der Patient im Falle einer Entfernung der additiven multifokalen IOL seine gewohnte Brillenunabhängigkeit in der Nähe behält.

Fazit für die Praxis

  • Bei dem Duett-Verfahren handelt es sich um ein potenziell reversibles Verfahren, bei dem neben einer monofokalen Intraokularlinse (IOL) in den Kapselsack eine zusätzliche, speziell für den Sulcus ciliaris entwickelte, additive IOL implantiert wird.

  • Die myope multifokale Duett-Implantation (MMDI) bietet presbyopen myopen Patienten mit hohen Sehanforderungen im Nahbereich die Möglichkeit einer reversiblen Multifokalität.

  • Die additive multifokale IOL kann vergleichsweise einfach entfernt werden, ohne dass der Patient seine gewohnte Brillenunabhängigkeit in der Nähe verliert.