Falldarstellung

Druckluft-Reinigungspistolen zur Säuberung großer Arbeitsflächen sind in der Industrie weit verbreitet. Obwohl seitens der Hersteller und des Arbeitsschutzes vielfältige Schutzmaßnahmen bei der Anwendung vorgeschrieben sind, werden diese in der Arbeitspraxis oft vernachlässigt.

In der vorliegenden Kasuistik wird über eine Patientin berichtet, die im Rahmen einer Tätigkeit in einem fleischverarbeitenden Betrieb einen Arbeitsunfall mit einer Druckluft-Reinigungspistole erlitt.

Anamnese

Eine 34-jährige Patientin ohne sonstige Vorerkrankungen berichtete bei ihrer notfallmäßigen Vorstellung, dass ein Mitarbeiter 1 h zuvor an ihrem Arbeitsplatz eine Druckluftpistole aus wenigen Zentimeter Entfernung versehentlich in den Bereich ihres rechten Auges gehalten und ausgelöst habe. Die Patientin habe keine Schutzbrille getragen. Unmittelbar danach sei am rechten Auge eine Schwellung der Lider sowie der gesamten oberen Gesichtshälfte aufgetreten. Seit dem Ereignis bestanden rechtsseitige Gesichts‑, Augen- und Kopfschmerzen sowie eine subjektive ipsilaterale Visusminderung.

Befund und Diagnose

Am rechten Auge zeigte sich eine orbitale Weichteilschwellung, die sich bis temporal fortsetzte und palpatorisch Krepitationen aufwies (Abb. 1a). Es lagen keine kutanen Verletzungen vor. Eine spontane Lidöffnung war rechts nicht möglich. Der Visus betrug s.c. am rechten Auge (RA) 0,5 und am linken Auge (LA) 1,0. Die Patientin konnte aufgrund starker Schmerzen nicht refraktioniert werden. Über korrigierende Sehhilfen verfügte die Patientin nicht. Es zeigten sich keine pathologischen Veränderungen der Pupillenreaktion. Die Motilität war beidseits frei, rechts zeigte sich eine dezente Protrusio bulbi. Der intraokulare Druck betrug rechts 14 und links 19 mmHg. Am RA zeigte sich an der Bindehaut (BH) neben einem temporalen Hyposphagma und einer deutlichen Chemosis temporal-inferior eine Dehiszenz von etwa 5 mm. Die Wundränder waren adaptiert. Die brechenden Medien waren klar und klinisch ohne Affektion, intraokular zeigte sich in Miosis ebenfalls ein reizfreier Befund. Sonographisch (B-Bild) war die Netzhaut allseits anliegend. Am LA zeigte sich ein altersentsprechend regelrechter Organbefund. In der nativen Computertomographie des Schädels (cCT) stellten sich neben einem subkutanen Weichteilemphysem der rechten Fazies intraorbitale Lufteinschlüsse dar, die über den Canalis opticus bis in den Bereich des Chiasma opticum reichten. Auch peripher im Bereich des rechten Temporallappens zeigten sich Lufteinschlüsse im Sinne eines Pneumozephalus (Abb. 1b, Pfeil). Der rechte Bulbus und N. opticus wiesen keine Affektion auf. Frakturen, ein Retrobulbärhämatom oder intrakranielle Blutungen konnten ausgeschlossen werden. Neurologisch war die Patientin grob orientierend unauffällig.

Abb. 1
figure 1

a Ausgeprägte Lid- und Weichteilschwellung der rechten Fazies bei Erstvorstellung. b Native Computertomographie des Schädels (cCT): Weichteil- und Orbitaemphysem rechts, Luft sowohl im Bereich des Chiasma opticum als auch peripher im Temporallappen (Pfeil, unten links)

Therapie und Verlauf

Bei Orbitatrauma und Verdacht auf eine Beteiligung extraorbitaler Strukturen ist ein interdisziplinäres Vorgehen wichtig, um eventuelle weitere Schäden frühzeitig zu erkennen und ggf. zu behandeln. Im vorliegenden Fall wurde in Rücksprache mit den Kollegen der Neurologie eine i.v.-Dosis Prednisolon (250 mg) verabreicht, welche am Folgetag auf 100 mg täglich oralisiert und schließlich alle 3 Tage um 10 mg reduziert wurde. Die Patientin wurde stationär überwacht und täglich ophthalmologisch und orientierend neurologisch untersucht. Lokal wurde 4‑mal täglich eine Augensalbe mit Dexamethason, Neomycin und Polymyxin B appliziert. Auf eine chirurgische Versorgung der BH-Dehiszenz wurde bei kleiner Defektgröße und adaptierten Wundrändern verzichtet, womit außerdem ein weiterer Luftaustritt ermöglicht wurde. Am vierten stationären Tag wurde eine kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT) durchgeführt, in welcher sich eine annähernd vollständige Resorption der intraorbitalen und intrakraniellen Luft zeigte (Abb. 2a). Der Visus am RA betrug bei Entlassung s.c. 0,9; der Organbefund war bis auf ein temporal betontes Hyposphagma regelrecht und die BH-Dehiszenz war geschlossen (Abb. 2b). Der Patientin wurden bei subjektiver Beschwerdefreiheit ein weiteres Ausschleichen der Kortisontherapie, eine Fortführung der Lokaltherapie für eine weitere Woche sowie weitere Kontrollen beim niedergelassenen Augenarzt empfohlen.

Abb. 2
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a Kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT), T2-Wichtung: Am 4. stationären Tag fast vollständige Resorption der Lufteinschlüsse. b Bei Entlassung deutliche Abschwellung des Lid- und Weichteilemphysems

Diskussion

Hochdruckluft findet in den verschiedensten Bereichen Anwendung, wobei die empfohlenen Sicherheitsmaßnahmen oft missachtet werden. Im vorliegenden Fall führte eine Perforation der BH durch Druckluft zu einem Orbitaemphysem und einem Pneumozephalus, wobei schwerwiegende Komplikationen ausgeschlossen und verhindert werden konnten. Zu diesen zählt in der Augenheilkunde neben der Bulbusperforation insbesondere das orbitale Kompartmentsyndrom, welches durch eine intraorbitale Druckerhöhung (wie hier durch Luft, jedoch auch z. B. durch Blut im Rahmen eines Retrobulbärhämatoms) zu irreparablen Schäden des Sehnervs und retinalen Ischämien führen kann und eine schnellstmögliche operative Entlastung erfordert [6]. Dis- bzw. Transsektionen des Sehnervs sind bei vergleichbaren Verletzungen ebenfalls vorbeschrieben [4]. Auch wurden Fälle von begleitenden Uveitiden, kornealen Verletzungen und Tensiodekompensationen bei orbitalen Druckluftverletzungen beschrieben [7, 8]. Intraokulare Verletzungen wie eine Commotio retinae sind bei Druckluftverletzungen aufgetreten [5], weshalb zum Ausschluss einer traumatischen Amotio retinae eine Sonographie erfolgen sollte. Die Indikation zur Fundusuntersuchung in Mydriasis sollte vor dem Hintergrund der Möglichkeit eines traumatischen Sphinkterschadens vorsichtig gestellt werden und ggf. erst im Verlauf erfolgen. Frakturen (insbesondere des Orbitabodens) und das Eindringen von Luft aus den Nasennebenhöhlen sind die weitaus häufigsten Ätiologien hinter einem Orbitaemphysem [3]. Sie sollten auch bei selteneren Unfallmechanismen mittels Bildgebungsuntersuchung ausgeschlossen werden. Bei Verdacht auf Affektion der knöchernen Strukturen sollten die Kollegen der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie und ggf. der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde konsultiert werden. Auch eine iatrogene Genese sollte erwogen werden, da Druckluft im Rahmen zahnärztlicher Eingriffe zur Oberflächenreinigung verwendet wird und im Einzelfall neben subkutanen Emphysemata auch einen Pneumozephalus bedingen kann [2]. Die Beurteilung von Affektionen des zentralen Nervensystems (ZNS) und die Erarbeitung eines diagnostisch-therapeutischen Konzepts sollten gemeinsam mit Kollegen der Neurologie bzw. Neurochirurgie erfolgen. Hier steht v. a. der Ausschluss von potenziell lebensbedrohlichen Verletzungen wie strukturellen Schäden und/oder Blutungen des ZNS im Vordergrund.

Therapeutisch sollte die Eintrittspforte (hier BH-Verletzung) zur Vorbeugung von Infektionen und Linderung der Entzündungsreaktion lokal antibiotisch und ggf. mit Steroiden behandelt werden. Zur Beschleunigung des Austritts der Luft schlagen einige Autoren eine konjunktivale Inzision mit einer 27-Gauge-Nadel vor [1]. Systemisch können Steroide verabreicht werden, um die Entzündungsreaktion der vom Emphysem betroffenen Bereiche zu kontrollieren. Einige Autoren empfehlen (insbesondere bei begleitendem Pneumozephalus) eine zusätzliche prophylaktische systemische Antibiose [9]. In der Akutphase sollte zum Ausschluss der genannten Komplikationen eine engmaschige ophthalmologische und neurologische Überwachung erfolgen. Außerdem sollte eine weitere bildgebende Untersuchung zur Kontrolle der Resorption der Luft im Verlauf durchgeführt werden. Bei ausbleibender funktioneller Rehabilitation ist eine zeitnahe weiterführende diagnostische Abklärung angeraten.

Fazit für die Praxis

  • Arbeiten mit Druckluft erfordern strenge Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz des Augenbereichs (wie z. B. Schutzbrillen), um potenziell schwerwiegende und lebensbedrohliche Schäden an intrakraniellen Strukturen zu verhindern.

  • Druckluftverletzungen im Bereich der Orbita sollten interdisziplinär betrachtet und ggf. behandelt werden.