Hintergrund und Fragestellung

Das Glaukom hat mit einer Prävalenz von etwa drei Prozent in der erwachsenen Bevölkerung [18] den Status einer Volkskrankheit erreicht. Angesichts der Alterung der Bevölkerung nimmt diese Relevanz als Gesundheitsproblem sogar noch zu [14, 19]. Die Möglichkeiten der Behandlung von Glaukomen sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. Mit der Einführung minimal-invasiver Therapieverfahren (MIGS) haben sich zuletzt zusätzliche Therapieoptionen eröffnet. Die Vielfalt der Möglichkeiten bringt es mit sich, dass die Orientierung für Behandelnde und Patienten schwieriger wird. Die praktische Erfahrung aus der Alltagsversorgung ist daher von hohem Wert, um zu ermessen, welche Behandlungskonzepte verfolgt werden, wie sich praktische Probleme wie die Erfahrung von Nebenwirkungen oder mangelnder Therapietreue (Adhärenz) darstellen und welche interventionellen Verfahren als Lasertherapien oder Operationsmethoden in der Breite Anwendung finden. Dazu wurde eine große Umfrage zur Glaukomversorgung unter Augenärztinnen und Augenärzten in Deutschland durchgeführt. In einem ersten Artikel wurden dazu bereits die Ergebnisse für die Glaukomdiagnostik präsentiert [23], während in dieser Veröffentlichung die Bewertungen zur Therapie der Glaukome vorgestellt werden.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Im Mai 2020 wurde eine Online-Umfrage zur Glaukomversorgung in Deutschland durchgeführt unter den Mitgliedern der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) sowie des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands (BVA). Dazu wurden insgesamt 9702 E‑Mails verschickt und um die Teilnahme an der Umfrage, die über einen Link zugänglich war, gebeten. In einer weiteren E‑Mail wurde einmalig an die Teilnahme erinnert. Der Fragebogen bestand aus insgesamt 26 Fragen (107 Items) zur Versorgungspraxis in der Glaukomdiagnostik und der Glaukomtherapie.

Insgesamt nahmen 1571 Personen an der Befragung teil, wobei der Fragebogen von 1361 Personen vollständig ausgefüllt wurde, entsprechend einer Rücklaufquote von 16 % bzw. 14 % im Verhältnis zur Anzahl der verschickten E‑Mail-Einladungen. Alle Bundesländer waren in der Umfrage vertreten.

Unter den Befragten waren 53 % weiblichen Geschlechts. 80 % waren Fachärzte, 7 % Weiterbildungsassistenten und 8 % in leitender Position (Chef- oder Oberärzte). 86 % waren in der Niederlassung tätig, davon 40 % in einer Einzelpraxis, 43 % in einer Gemeinschaftspraxis und 17 % in einem Mediznischen Versorgungszentrum (MVZ). 58 % der Umfrageteilnehmer gaben an, selbstständig zu sein, gegenüber 42 % in einem Anstellungsverhältnis. 13 % der Befragten arbeiten in einer Augenklink, davon jeweils etwa zur Hälfte in Universitätsaugenkliniken und in nichtuniversitären Augenkliniken (51 bzw. 49 %). 26 % verfügten über eine Berufserfahrung von 30 oder mehr Jahren, 16 % von weniger als zehn Jahren.

46 % der Augenärzte gaben an, ausschließlich konservativ zu arbeiten. 52 % führten Laserbehandlungen zur Glaukomtherapie durch und 17 % waren glaukomchirurgisch tätig.

In dieser Publikation verwenden wir zur einfacheren Lesbarkeit primär die männliche Form für beide Geschlechter, die selbstverständlich gleichberechtigt gemeint sind.

Ergebnisse

Die Entscheidung zur therapeutischen Drucksenkung bildet den Einstieg in eine oftmals lebenslange Therapie für die Patienten. Daher ist eine entscheidende klinische Frage die Beurteilung, ab welcher Höhe des Augendrucks selbst bei fehlenden Strukturveränderungen an der Papille eine Therapie für eine okuläre Hypertonie (OHT) begonnen wird. Hier zeichnet sich ein weitgehender Konsens unter den befragten Ophthalmologen bei 24–26 mm Hg als kritischer Größe für einen Beispielpatienten im Alter von 60 Jahren. Nur etwa jeder achte Augenarzt würde erst bei noch höheren Augendruckwerten mit der Therapie einsteigen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Ab welcher Höhe des Augeninnendrucks initiieren Sie eine drucksenkende Therapie bei okulärer Hypertension ohne strukturelle Papillenschädigung (beispielsweise bei einem Patienten im Alter von 60 Jahren)?

Verbreitung verschiedener Therapiestrategien

In ihrer Therapiestrategie verfolgen die weitaus meisten Augenärzte ein Zieldruckkonzept. 51 % der Befragten geben an, „häufig“ einen Zieldruck zu formulieren, und weitere 34 % „eher häufig“, wohingegen nur 12 % bzw. 1 % dies nur „selten“ bzw. „sehr selten“ tun und nur 0,9 % „nie“.

Bei der Frage, ob neben der lokalen Therapie auch noch ein systemischer Therapieansatz gewählt wird, zeigt sich ein geteiltes Bild unter den Befragten. 45 % geben an, einen systemischen Ansatz zu haben, 49 % hingegen nicht (weitere 6 % „weiß nicht/ohne Angabe“). Im Vergleich zwischen einzelnen Subgruppen zeigen sich unterschiedliche Mehrheiten: Chirurgen streben eher eine systemische Therapie an als konservativ tätige Augenärzte (51 vs. 43 %), Frauen verfolgen ähnlich häufig eine systemische Therapie wie Männer (46 vs. 44 %). Am deutlichsten sind die Unterschiede zwischen Berufserfahrung über 30 Jahren mit prosystemischer Therapieausrichtung (55 %) gegenüber geringer Berufserfahrung bis zu 10 Jahren, bei denen eine systemische Therapie auffällig weniger verfolgt wird (31 %).

Unter denjenigen Augenärzten mit einem systemischen Therapiekonzept ist die weitaus häufigste Behandlungsform die Blutdruckeinstellung, die 97 % angeben, wohingegen eine Therapie mit Antioxidanzien (29 %), Magnesium oder Ginkgo biloba (jeweils 18 %) deutlich weniger praktiziert wird.

Bei der Therapieform überwiegt für die Befragten deutlich die konservative Glaukomtherapie. Den Anteil derjenigen Patienten, die eine glaukomchirurgische Therapie erhalten, schätzt die überwiegende Mehrheit der Augenärzte auf 5–10 %, Glaukomchirurgen geringfügig über 10 %.

Konservative Glaukomtherapie

Der regelmäßige Gebrauch von Augentropfen zur Augeninnendrucksenkung ist für viele Patienten mit Nebenwirkungen verbunden. Daher wurden die Augenärzte aufgefordert zu ermessen, wie häufig verschiedene Nebenwirkungen beobachtet werden (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Nebenwirkungen von Augentropfen zur Senkung des Augeninnendrucks

Eine konjunktivale Rötung sowie Brennen sind die führenden Arten von Nebenwirkungen, die von bis zu 90 % der Augenärzte als sehr bzw. eher häufig beschrieben werden, gefolgt von vermehrtem Wimpernwachstum, Tränen und Fremdkörpergefühl (etwa zwei Drittel). Deutlich seltener werden Depigmentierungen der Lider, Schmerzen, systemische Nebenwirkungen und eine Reduktion des periokulären Fettgewebes gesehen, was von weniger als einem Drittel der Befragten als sehr bzw. eher häufig genannt wird.

Lokaltherapie und Lebensqualität

Gefragt nach dem Einfluss der Nebenwirkungen auf die Lebensqualität der Patienten sehen etwa zwei Drittel eine Auswirkung und ein Drittel eher keine Verbindung zwischen Lokaltherapie auf die Lebensqualität. Nur etwa zehn Prozent bewerten die Auswirkungen als „sehr beeinträchtigend“ (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Einschätzung zur Auswirkung der Glaukomtherapie auf die Lebensqualität. „Wenn Sie von der Mehrheit Ihrer Glaukompatienten mit Nebenwirkungen ausgehen: für wie schwerwiegend schätzen Sie diese Nebenwirkungen für die Lebensqualität Ihrer Patienten ein?“

Problemfeld Nonadhärenz

Die Quote derjenigen Patienten, die ihre Augentropfen nicht regelmäßig einnehmen, schätzen die Befragten im Durchschnitt auf 32 %, wobei von chirurgisch tätigen Augenärzten eine höhere Nonadhärenzquote angenommen wird mit 38 %. Zwischen den Geschlechtern und nach der Berufserfahrung zeigen sich kaum Unterschiede in der Einschätzung der Nonadhärenz. Eine große Einigkeit besteht auch in der Bewertung der Therapietreue für den Therapieerfolg: 78 % halten dabei eine strikte Therapieadhärenz für sehr wichtig und weitere 21 % für wichtig.

Patientenwissen

Über den Informationsstand von Patienten hingegen ergibt sich ein heterogenes Bild. Auf die Frage, ob Patienten ausreichend informiert seien über Diagnose- und Therapieverfahren in der Glaukomversorgung, antworten 15 % mit „ja“, weitere 44 % mit „eher ja“, 35 % mit „eher nein“ und 5 % mit „nein“. Zusammengenommen wird also mehrheitlich (59 %) ein ausreichender Informationsstand festgestellt, jedoch von 40 % der Befragten nicht. Dabei ergeben sich zwischen den Geschlechtern keine Unterschiede in der Einschätzung. Bei einer Berufserfahrung von mehr als 30 Jahren bejahen hingegen 63 % einen ausreichenden Informationsstand gegenüber 51 % unter denjenigen mit bis zu 10 Berufsjahren. Noch auffälliger ist der Unterschied zwischen konservativ tätigen Augenärzten (Bejahung 65 %) gegenüber Glaukomchirurgen, bei denen nur 48 % den Informationsstand der Patienten ausreichend finden und 52 % hingegen nicht.

Bewertung von Laserbehandlungen und Glaukomoperationen

Unter verschiedenen interventionellen Therapieverfahren für das Glaukom erfährt die Trabekulektomie von den Befragten die höchste Bewertung, die 61 % als „sehr sinnvoll“ und 33 % als „eher sinnvoll“ einstufen. Danach folgen mikroinvasive Verfahren (MIGS) und die selektive Lasertrabekuloplastik (SLT), die vor der Argon-Lasertrabekuloplastik (ALT) bevorzugt wird. Ebenso wird die Zyklophotokoagulation deutlich höher bewertet als die Zyklokryokoagulation. Mittlere Einschätzungen erfahren Ventilimplantationen und die Viskokanaloplastik. Geringer werden die Goniotomie, die tiefe Sklerektomie sowie Trabekelaspirationen bewertet, wobei hier jeweils auch der Anteil der Unschlüssigen („weiß nicht“) höher ausfällt (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Bedeutung verschiedener interventioneller Therapieverfahren

Glaukomchirurgen treffen eine ähnliche Bewertung wie die Gesamtheit der befragten Augenärzte. Hier überwiegt noch deutlicher die hohe Einstufung der Trabekulektomie, die sogar 70 % für sehr sinnvoll halten, gefolgt von MIGS, die zwar geringfügig niedriger, aber immer noch vor den anderen Therapieverfahren eingestuft werden. Die Bedeutung der SLT erreicht hier nur einen mittleren Rang, während spezifische chirurgische Verfahren wie Ventilimplantationen oder die Viskokanaloplastik hingegen ein etwas höheres Gewicht zugeschrieben bekommen.

Die Bewertung der verschiedenen Therapieverfahren ist nicht deckungsgleich mit der Häufigkeit der praktizierten Verfahren. 52 % aller teilnehmenden Augenärzte führen Laserverfahren zur Glaukombehandlung durch, wohingegen der Anteil der glaukomchirurgisch tätigen Ophthalmologen mit 17 % deutlich niedriger ist. Unter den praktizierten Laserverfahren wird die selektive Lasertrabekuloplastik (SLT) am häufigsten durchgeführt (n = 515; 37 % unter allen Umfrageteilnehmern) und mehr als doppelt so häufig wie die Argon-Lasertrabekuloplastik (ALT; n = 252; 18 %).

Unter den Glaukomchirurgen wird überraschenderweise nicht die hoch bewertete Trabekulektomie am häufigsten durchgeführt, die etwa zwei Drittel der befragten Glaukomchirurgen operieren, sondern hingegen mikroinvasive Verfahren, die fast achtzig Prozent praktizieren. Auffällig ist zudem, dass unter den Glaukomoperateuren als laserbasierte Therapieverfahren die Zyklophotokoagulation deutlich häufiger durchgeführt wird als die SLT oder die ALT (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Verteilung der durchgeführten Glaukomoperationen in der Gruppe der Glaukomchirurgen; n = 239

Offene Kommentare zur Glaukomtherapie

In einem offenen Kommentarfeld wurde den Augenärzten in der Umfrage ermöglicht, eine persönliche Einschätzung zu ihrer Sicht auf die aktuelle Glaukomversorgung zu machen. Dazu wurden einige Aussagen als Exploration des Themenfelds Glaukomtherapie zusammengestellt. Ebenso wurden verschiedene Vorschläge und thematische Anregungen zusammengefasst.

Aussagen von Teilnehmern zur Glaukomtherapie

„Eine Erkrankung mit so vielen ‚Therapiemöglichkeiten‘ dokumentiert unsere Hilflosigkeit bei einem nicht verstandenen Krankheitsbild.“

„Es gibt ständig neue Augentropfen, die anders heißen und wieder anders zusammengestellt sind. Ich habe keinen Durchblick mehr.“ „Konservierungsmittelfreie Tropfen für alle Glaukom-Patienten auch ohne nachgewiesene Allergie“

„Es wird zu viel herumexperimentiert.“

„Angebot für stationäre Tag-Nacht-Druckprofile ausweiten“

„Die stationären Augendruckkontrollen müssen aufhören.“

„Warum können wir Glaukom-OPs nicht ambulant abrechnen? Wir brauchen dringend eine Modernisierung der Rückvergütung.“

„Die Glaukomchirurgie sollte spezialisierten Zentren/Operateuren überlassen bleiben.“

„Mehr Entscheidungsfreude für chirurgisch-interventionelle Therapien“

„Keine Angst vor früher OP!“

Themenvorschläge zur Verbesserung der Glaukomversorgung

„einfacherer Überblick über unterschiedliche Wirkstoffklassen der Lokaltherapie“

„Umgang mit Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen“

„Formulierung von Zieldruck“

„Leitlinie zum Zeitpunkt für den Wechsel von konservativer auf operative Therapie“

„neutrale Beurteilungen innovativer Verfahren hinsichtlich Effizienz und Risiken“

„Unterschiede der chirurgischen Verfahren, deren Indikation und OP-Zeitpunkt“

„differenzierte Angaben über die Erfolgsaussichten der verschiedenen OP-Methoden“

„Beschreibungen alter OP-Verfahren (z. B. Iridenkleisis o. ä.), die sich nicht etabliert haben, damit man nicht ständig das Rad neu erfindet.“

„unterstützende systemische Therapie“

„stärkere Verzahnung zwischen Niedergelassenen und Klinikern“

„Austausch Plattform für schwerwiegende Fälle“

„unabhängige Weiterbildungen, gerne auch welche, für die man bezahlen muss“

„Die Prognose der Glaukomerkrankung in Bezug auf die verschiedenen Therapien sollte weiter evaluiert und erforscht werden.“

„mehr systemische Forschungs-Ansätze“

Diskussion

Die Ergebnisse der Mitgliederbefragung von DOG und BVA geben einen aufschlussreichen Querschnitt über die praktizierte Glaukomversorgung in Deutschland wieder. Dabei fällt auf, dass ein weitgehender Konsens besteht bei der Frage der Therapieinitiierung bei einer okulären Hypertension und beim Formulieren eines Zieldrucks, aber zugleich Therapiestrategien und Versorgungskonzepte durchaus divergieren. Gerade an der Frage des systemischen Therapieansatzes gehen die Auffassungen auseinander, indem ähnlich viele Befragte entweder einen systemischen Therapieansatz wählen oder diesen gerade ablehnen. Offenbar werden bei dieser Frage auch unterschiedliche grundlegende Auffassungen zur Krankheitsätiologie berührt, das Glaukom entweder als solitäre Optikusneuropathie oder als ein gesamtkörperliches Krankheitsgeschehen zu verstehen und zu behandeln [4, 21, 22].

Konservative Therapie als Primärtherapie

Unzweifelhaft wird die weit überwiegende Mehrheit der Glaukompatienten primär konservativ therapiert. Nach Einschätzung der behandelnden Ophthalmologen sind Nebenwirkungen dabei auffällig weit verbreitet, wenngleich deren Schwere als zumeist mild eingestuft wird. Am häufigsten werden in Deutschland Prostaglandinanaloga verschieben, gefolgt von Carboanhydrase-Inhibitoren und Betablockern [8], was auch dem Verschreibungsmuster in anderen Regionen der Erde entspricht [11, 13, 25]. Eine Monotherapie erhalten dabei etwas über die Hälfte der Patienten, zwei Wirkstoffe ein weiteres Viertel und etwa zwanzig Prozent drei oder sogar mehr Wirkstoffe [13], wobei sich Nebenwirkungen je nach Wirkstoffklasse und Applikationshäufigkeit unterscheiden. Trotz der eher geringen Schwere der Nebenwirkungen stellt eine Mehrheit der Befragten überwiegend eine Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Lokaltherapie fest.

Insofern überrascht es wenig, dass die Quote der mangelnden Therapietreue (Nonadhärenz) unter Patienten auf durchschnittlich ein Drittel eingeschätzt wird, was in etwa auch den Ergebnissen aus Patientenbefragungen und Krankenkassendaten entspricht [10, 24]. Somit lässt sich feststellen, dass die konservative Lokaltherapie generell als zumutbare Behandlungsform angesehen wird, deren alltägliche Umsetzbarkeit für die Patienten dennoch Probleme aufwirft.

Information essenziell für das Patientenverhalten

Die Einstellung und das Verhalten der Patienten hat einen fundamentalen Einfluss auf die Akzeptanz und den Erfolg der Glaukomtherapie. Die geschätzte relativ hohe Quote an Nonadhärenz deutet darauf hin, dass die lokale Glaukomtherapie oftmals nur halbherzig betrieben wird. Auch die Einschätzungen über den Informationsgrad der Patienten sind kritisch zu sehen, wenn vierzig Prozent der Befragten die Patienten für unzureichend informiert halten über Diagnose- und Therapieverfahren. Die noch höhere Quote unter Glaukomchirurgen macht deutlich, dass ein das Informationsdefizit umso größer ist, je komplexer die Art der Behandlung wird.

Rolle der verschiedenen interventionellen Therapieverfahren

Im Vergleich der verschiedenen interventionellen Therapieverfahren stellt sich eine Präferenz für die Trabekulektomie heraus, die insgesamt fast 94 % der Befragten für sinnvoll halten. Diese Bewertung bestätigt sich in verschiedenen vergleichenden Studien verschiedener Therapieverfahren, worin sich immer wieder eine bessere und langfristigere Drucksenkung durch die Trabekulektomie darstellt [15, 20].

Auch die selektive Lasertrabekuloplastik (SLT) erreicht unter den befragten Augenärzten eine auffallend hohe Wertschätzung, wohingegen die Argon-Lasertrabekuloplastik (ALT) ebenso wie auch die Trabekelaspiration deutlich zurückfällt. Offenbar hat sich die Erkenntnis früherer Vergleiche zwischen ALT und SLT durchgesetzt, die SLT als schonenderes und zudem leichter wiederholbares Therapieverfahren bei gleicher klinischer Wirksamkeit zu bevorzugen [6, 26].

Unter allen Befragten führen 37 % die SLT durch, wohingegen nur etwa jeder sechste (17 %) glaukomchirurgisch tätig ist, und davon wiederum führen zwei Drittel die Trabekulektomie durch. Diese Zahlen weisen auf eine auffällige Diskrepanz der interventionellen Therapieoptionen hin: den am häufigsten praktizierten MIGS und der SLT, die nach den Erkenntnissen der LiGHT-StudieFootnote 1 sogar als Primärtherapie diskutiert wird [5, 17], steht die als am sinnvollsten eingestufte Trabekulektomie gegenüber. Es lässt sich für die Breite der Glaukomversorgung somit eine Tendenz erkennen, zunächst einfachere Verfahren mit geringerem Nachsorgebedarf zu präferieren und die Trabekulektomie als chirurgische Option für schwerere klinische Verläufe vorzusehen.

Eine hohe Bedeutung wird auch minimal-invasiven glaukomchirurgischen Verfahren (MIGS) zugeschrieben, die unter den glaukomchirurgisch Tätigen in dieser Umfrage sogar am häufigsten durchgeführt wird. Ihr Vorteil besteht in wie bei der SLT ebenfalls in einer einfacheren Nachsorge und adäquater initialer Drucksenkung, wenngleich fraglich ist, wie langfristig dieser Effekt anhält [1, 2, 12, 16]. Hierzu ist ein genauerer Vergleich auch der verschiedenen MIGS-Verfahren je nach Größe der Stents und nach Positionierung (trabekulär, suprachorioidal oder subkonjunktival) sinnvoll. In dieser Befragung musste jedoch auf eine detailliertere Abfrage der Bewertung einzelner MIGS-Verfahren verzichtet werden, weshalb wir keine Einschätzung zu einzelnen MIGS-Verfahren berichten können.

In einer ähnlichen Umfrage unter Glaukomchirurgen in Amerika kam heraus, dass MIGS und Trabekulektomie auch die am ehesten präferierten chirurgischen Verfahren sind, die die Chirurgen selbst an sich durchgeführt haben würden, wenn sie selbst Patienten wären [3]. In den USA stellen mittlerweile MIGS die am weitaus häufigste Form der Glaukomoperationen dar, die in über 75 % der Fälle durchgeführt wird [9]. Auch aus Japan wurde beschrieben, dass MIGS einen immer größeren Einfluss bei der Wahl der Operationsoptionen einnehmen, wenngleich die Trabekulektomie noch immer von etwa zwei Dritteln der Glaukomchirurgen als die Glaukom-Operation der ersten Wahl ansehen [7].

Dass technisch schwierigere Operationsmethoden wie Ventilimplantationen, Viskokanalostomien oder auch die tiefe Sklerektomie nur eine mittlere Bewertung erfahren, liegt sicher auch an der Tatsache, dass nur relativ wenige Befragte diese Operationen selbst durchführen und vielen diese Verfahren zu wenig geläufig sind. Es liegt nahe, dass eine Aufklärung und Beratung über die verschiedenen verfügbaren Therapieoptionen, die gerade mit der Diagnosestellung und dem Beginn der Therapie für Patienten eminent wichtig ist, eine detaillierte Kenntnis der verschiedenen Verfahren und ihrer Outcomes erfordert. Die kritischen offenen Kommentare, die mehr Systematik, Leitlinien und mehr Austausch einfordern, sind daher als Anstoß zu verstehen, die verschiedenen Therapieansätze besser zu vermitteln und die Grenzen zwischen konservativer und interventioneller Glaukomtherapie sowie zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu überwinden.

Die Erkenntnisse dieser Umfrage zeigen einen Querschnitt durch die Glaukomversorgung in der Alltagspraxis. Sie mögen die tatsächliche Versorgungssituation etwas beschönigen, indem sich vermutlich eher Augenärzte an der Umfrage beteiligt haben, die ohnehin ein Interesse an der Glaukomversorgung haben. Insofern ist anzunehmen, dass ein explizites Zieldruckkonzept im Versorgungsalltag wahrscheinlich doch etwas weniger häufig verfolgt wird, der Anteil der konservativ therapierten Patienten noch höher sein könnte oder auch die verschiedenen interventionellen Verfahren etwas weniger Bedeutung haben könnten, als es hier dargestellt wurde. Da es sich um ein Querschnittsbild der Versorgungssituation handelt und der Umfang der Umfrage begrenzt werden musste, mussten im Vorfeld einige detailliertere Fragen etwa zu den Vorstellungen zur Ätiologie der Glaukome oder zum Therapiekonzept gestrichen werden. Ebenso musste auf eine differenzierte Bewertung einzelner Operationsverfahren verzichtet werden. Weiterführende Untersuchungen könnten daher einzelne Versorgungsfragen vertiefen wie z. B. zum Krankheitskonzept, zur Therapieinitiierung oder auch zur Frage, welches Wissen Patienten über ihre Erkrankung haben und welche Informationen besser vermittelt werden könnten. Auch die Analyse der Bewertung der verschiedenen MIGS-Verfahren und -Produkte könnte Aufschluss darüber geben, welche Verfahren sich in der Praxis am ehesten durchgesetzt haben und welche Erwartungen an weitere Entwicklungen bestehen.

Die Erfahrungen aus der Breitenversorgung sind sehr wertvoll als Querschnittsbild der aktuellen Glaukomversorgung. Sie offenbaren ein Nebeneinander sehr verschiedener Behandlungswege und nennen Ansätze für Verbesserungen, wie den Wunsch vieler Befragten die Glaukomversorgung übersichtlicher darzustellen.

Fazit für die Praxis

  • Bei der Therapiestrategie wird von der Mehrheit der Befragten ein Zieldruckkonzept verfolgt. Über einen systemischen oder okulären Therapieansatz divergieren die Meinungen.

  • Bei der konservativen Therapie sind Nebenwirkungen weit verbreitet, aber werden überwiegend als mild und somit zumutbar eingestuft. Eine Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Therapie stellen dennoch zwei Drittel der Augenärzte für ihre Patienten fest. Nonadhärenz bestehe bei durchschnittlich einem Drittel der Patienten.

  • 5–10 % der Glaukompatienten erhalten eine glaukomchirurgische Therapie. Als interventionelles Verfahren erfährt die Trabekulektomie die höchste Bewertung der Befragten.

  • Die am häufigsten praktizierten Verfahren sind SLT und MIGS.

  • Eine genaue Kenntnis der Therapieverfahren und ihrer Wirksamkeit ist wichtig, um Patienten über die verschiedenen Möglichkeiten der Therapie angemessen aufklären und beraten zu können.

  • Viele Befragte wünschen sich mehr Übersicht und Struktur der Glaukomversorgung.