Anamnese

Ein 35-jähriger Patient mit sportlichem Habitus stellte sich in unserer Notaufnahme vor. Er berichtete über Fieber bis 40 °C, das seit über einer Woche bestünde. Das Fieber sei von Schwindel, Übelkeit und Erbrechen begleitet. Er beklagte außerdem, dass er seit dem Vortag auf dem rechten Auge sehr verschwommen sehe, seit 12 h sehe nun auch das linke Auge verschwommen. Bisher habe er in die Ferne ohne Brille sehr gut gesehen.

Klinischer Befund

Der Visus der Erstuntersuchung betrug am rechten Auge sc 0,1, am linken Auge sc 0,15. In der Autorefraktion zeigte sich eine deutliche Myopie an beiden Augen (rechts: −4,75 −0,75/136°, links: −5,5 −0,25/90°). Der bestkorrigierte Visus lag rechts bei cc 0,8, links bei cc 1,0.

Der intraokulare Druck betrug applanatorisch rechts 23 mm Hg und links 24 mm Hg. An der Spaltlampe zeigte sich die Hornhaut klar, die Vorderkammer mitteltief und optisch leer. Fundoskopisch auffällig zeigte sich beidseits im inferioren temporalen Quadranten eine Retinoschisis.

Die Linsendicke (IOL Master700, Carl Zeiss Meditec AG, Jena, Deutschland) war mit 3,79 mm rechts und 3,77 mm links eher verdickt. Die Vorderkammertiefe (VKT; Pentacam, Oculus Optikgeräte GmbH, Wetzlar, Deutschland) lag rechts bei 2,40 mm und links bei 2,56 mm (Abb. 1a).

Abb. 1
figure 1

Pentacam-Aufnahme mit Vorderkammertiefen-Bestimmung (VKT), exemplarisch am rechten Auge: a initiale VKT, b VKT nach 7 Monaten

An beiden Augen erschien die innere Gliagrenzmembran in der optischen Kohärenztomographie (Spectralis, Heidelberg Engineering GmbH, Heidelberg, Deutschland) etwas wellig (Abb. 2a).

Abb. 2
figure 2

Optische Kohärenztomographie der Makula, exemplarisch am rechten Auge: a initial, b nach 7 Monaten

Die Fluoreszenzangiographie (FAG) und die Indozyaningrünangiographie (ICG) zeigten in der arteriovenösen Phase multiple kleinfleckige Hypofluoreszenzen an beiden Augen (Spectralis). Am rechten Auge imponierte zudem ein größeres hypofluoreszentes Areal am temporal oberen Gefäßbogen in der ICG-Frühphase bis 5 min, welches in der mittleren und späten ICG nicht mehr sichtbar war (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

a FAG in arteriovenöser Phase: multiple kleinfleckige Hypofluoreszenzen am hinteren Pol durch Anfluten des Fluoreszeins. b ICG in arteriovenöser Phase: umschriebene Hypofluoreszenz am oberen Gefäßbogen. c FAG nach 5 min: unauffällig. d ICG nach 15 min: regelrecht, chorioidale Minderperfusion nicht mehr sichtbar. e ICG nach 28 min: regelrecht

Laborchemisch zeigte sich ein erhöhtes Serumkreatinin von 2,06 mg/dl, entsprechend einer berechneten glomerulären Filtrationsrate von 39,3 ml/min/1,73 m2. Das C‑reaktive Protein war mit 2,9 mg/ml erhöht. Außerdem fiel im kleinen Blutbild eine isolierte Thrombopenie von 63/nl auf. Im Urinstreifen zeigte sich eine Proteinurie und Mikrohämaturie.

Diagnose

Bei Vorliegen der typischen Befundkonstellation eines fieberhaften Infekts mit akuter Nierenfunktionsstörung, Proteinurie und Thrombopenie in Zusammenhang mit den ophthalmologischen Befunden äußerten wir den Verdacht einer Hantavirusinfektion. Mittels positiver Hantavirusserologie bestätigte sich der Verdacht, sodass sich die Diagnose eines hämorrhagischen Fiebers mit renalem Syndrom (HFRS) in milder Verlaufsform („Nephropathia epidemica“) mit begleitender okulärer Symptomatik ergab.

Passend hierzu berichtete der Patient in der erweiterten gezielten Anamnese von einem Picknickausflug an einen heimischen Fluss 2 Wochen zuvor, in dessen Rahmen die Anwesenheit von Nagetieren bemerkt worden war. Der Patient konnte sich gut erinnern, dass ihm Raschelgeräusche am Essenkorb aufgefallen seien.

Therapie und Verlauf

Im weiteren Verlauf kam es rasch mit rein supportiver internistischer Therapie zu einer Besserung der allgemeinen klinischen Symptomatik, die Nierenfunktion erholte sich auf ein Kreatinin von 1,6 mg/dl, die Thrombozytenzahl normalisierte sich. Nach 6 Tagen konnte der Patient aus der stationären Behandlung entlassen werden.

Am Entlasstag war der Patient okulär beschwerdefrei.

In einer Kontrolle nach 7 Monaten war die Refraktion beidseits +0,00 −0,25/90°, der unkorrigierte Visus lag bei 1,0 beidseits. Der IOD lag bei 12 mm Hg beidseits, die VKT rechts bei 3,15 mm und links 3,21 mm vertieft (Abb. 1b). Die Linsendicke war im Vergleich zur Erstuntersuchung (3,53/3,51 mm) um 0,2 mm normalisiert. Auch die OCT zeigte nun einen Normalbefund (Abb. 2b).

Diskussion

Hantaviren sind umhüllte einzelsträngige RNA-Viren, welche zur Familie der Hantaviridae gehören [5]. Das Reservoir für das in Europa und Deutschland am häufigsten vorkommende Puumalavirus ist die Rötelmaus. Die Infektion des Menschen erfolgt aerogen (z. B. aufgewirbelter Staub), hämatogen (Bisse, Kontakt mit verletzter Haut) oder gastrointestinal (kontaminierte Lebensmittel).

Die Inzidenz der humanen Hantavirusinfektion in Deutschland zwischen 2010 und 2019 ist mit 1,3/100.000 Einwohnern beschrieben [7]. Weltweit ist ein Trend zur steigenden Prävalenz festzustellen [9]. Beim HFRS durch das Puumalavirus liegt die Letalität bei unter 0,1 %, andere Varianten können jedoch schwere Erkrankungen mit einer Letalität von 15 % auslösen [7]. Es besteht eine namentliche Meldepflicht beim Gesundheitsamt bei Krankheitsverdacht, Krankheitsnachweis sowie bei Tod gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG [7].

Die internistische Therapie erfolgt ausschließlich symptomatisch. Großteils verlaufen Hantavirusinfektionen a‑ oder oligosymptomatisch, und es kommt meistens zu einer Spontanremission.

Okuläre Manifestationen bei HFRS sind häufig, besonders charakteristisch ist eine akute Myopisierung [2].

Der pathophysiologische Mechanismus ist bisher nicht vollständig geklärt. Es konnte gezeigt werden, dass die Vermehrung des Virus insbesondere in Endothelzellen erfolgt [2]. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Permeabilität der Gefäßwand mit konsekutivem Austritt von Plasma, was zu Ödemen und Hämorrhagien führt. Die Zonulafasern können erschlaffen, die Linse quellen und das Iris-Linsen-Diaphragma protrudieren. Typischerweise entsteht dadurch ein „myopic shift“. Initial wurde als Ursache für die Myopisierung eine Verlagerung des Iris-Linsen-Diaphragmas nach anterior vermutet, mittlerweile wird eher die Linsenquellung für die veränderte Refraktion als verantwortlich gesehen [4, 6]. Oft resultiert auch eine Abflachung der Vorderkammer mit konsekutiver IOD-Erhöhung, wobei ein akuter Winkelblock ausgelöst werden kann [8]. Bei IOD-Erhöhung muss eine temporäre lokale antiglaukomatöse Therapie eingeleitet werden, bei akutem Winkelblock eine YAG-Laser-Iridotomie durchgeführt werden. In vereinzelten Fällen ist jedoch auch eine IOD-Erniedrigung beschrieben [3].

In einer Studie von Hautala et al. wurde im Mittel ein Grad der Myopisierung von −0,7 dpt beobachtet (Spannweite: −0,25 bis −4,5 dpt). Bei einem geringen Anteil der untersuchten Augen kam es zu einer hyperopen Verschiebung [1].

Bei unserem Patienten waren zudem die chorioretinalen Veränderungen auffallend. Wir mutmaßen, dass die Veränderungen in der OCT am ehesten durch eine mechanische Genese bei noch adhärentem Glaskörper entstehen. Durch Verlagerung des Iris-Linsen-Diaphragmas könnte eine Traktion auf die Netzhaut übertragen worden sein. Auch die deutlich sichtbare transiente Retinoschisis kann möglicherweise durch eine anatomische Umstrukturierung entstanden sein.

In der FAG zeigten sich beidseits diffus fleckförmige hypofluoreszente Areale in der arteriovenösen Phase, welche bereits nach 30 Sekunden nicht mehr sichtbar waren. Die Spätphase der FAG ist ansonsten unauffällig. Die ICG zeigte in der Frühphase am rechten Auge ein umschriebenes hypofluoreszentes Areal am oberen Gefäßbogen, welches in der mittleren ICG-Phase und späten ICG-Phase nicht mehr zu detektieren war. Wir gehen hier von einer fokalen chorioidalen Minderperfusion aus, ein kausaler Zusammenhang mit der Hantavirusinfektion ist jedoch nicht eindeutig zu klären. Die Literatur zu Patienten mit Hantavirusinfektion untersucht bisher wenig die potenzielle chorioretinale Beteiligung. Bei unseren weiteren klinischen Verlaufskontrollen soll insbesondere die chorioidale Minderperfusion untersucht werden.

Wirksamster Schutz vor einer Infektion ist die Expositionsprophylaxe. Ein von Mäusen verunreinigter Raum (Dachboden, Schuppen) sollte mit entsprechenden Hygienemaßnahmen (Atemschutzmaske, Handschuhe und nassen Reinigungsmitteln) behandelt werden.

Fazit für die Praxis

  • Bei akuter Myopie sollte an eine Infektion mit einem Hantavirus gedacht werden.

  • Eine ausführliche Anamnese, insbesondere Kontakt zu Nagetieren, ist wegweisend.

  • Die Therapie erfolgt symptomatisch, eine internistische Behandlung ist obligat.

  • Die Symptome sind in der Regel reversibel.

  • Expositionsprophylaxe gilt als effektivster Schutz vor einer Hantavirusinfektion.