Anamnese

Mitte 2021 stellte sich eine 20-jährige Patientin mit Sehverschlechterung am linken Auge an unserer Einrichtung vor. Das Vorliegen von weiteren Symptomen wie z. B. Fremdkörpergefühl, Schmerzen oder Photophobie wurde verneint. Klinische Zeichen wie konjunktivale Injektion, Sekretbildung oder Epiphora wären ebenfalls nicht aufgetreten. Zuvor wären bereits mehrere niedergelassene Augenärzte konsultiert worden, wobei sowohl therapeutische Versuche mit intensiver Verwendung von Tränenersatzmittel als auch mehrere topische antiinflammatorische Therapiezyklen keine Besserung gebracht hätten. Auch ein Pausieren der regelmäßig getragenen weichen Kontaktlinsen hätte keine Verbesserung herbeigeführt. Letztlich erfolgte eine Überweisung mit der Verdachtsdiagnose Keratokonus an unsere Einrichtung. Die Patientin gab an, dass mit Brillen- bzw. Kontaktlinsenkorrektur bis zum Auftreten der Beschwerden beim Optiker stets eine volle Sehschärfe erreicht worden sei. Augenoperationen bzw. Lasereingriffe wären nicht durchgeführt worden, die Augen- und Allgemeinanamnese waren komplett leer.

Befund

Die bestkorrigierte Sehschärfe auf die Ferne betrug 1,0 Snellen (−4,25 −0,50 × 153°) am rechten Auge und 0,5 (−5,75 −1,50 × 33°) am linken Auge. In der Spaltlampenmikroskopie zeigte sich bei genauer Beurteilung am linken Auge parazentral inferior eine umschriebene, hauchzarte subepitheliale Trübung mit umgebender, sehr diskreter Hämosiderin-Ablagerung im Sinne eines inkompletten „Pseudo-Fleischer-Rings“. Die Untersuchung mittels Fluoreszeinfärbung war unauffällig. In der Scheimpflug-basierten Hornhauttomographie (Pentacam HR; Fa. Oculus Optikgeräte GmbH, Wetzlar, Deutschland) zeigte sich am linken Auge eine inferior-parazentrale Aufsteilung der Hornhautvorderfläche (Abb. 1). Die Belin-Ambrosio-Darstellung zur Detektion einer ektatischen Hornhauterkrankung zeigte eine deutliche Auffälligkeit im die Hornhautvorderfläche betreffenden Parameter (Df). Die Hornhautrückfläche (Db) sowie der Verlauf der Hornhautdicke (Dp) stellten sich unauffällig dar. Auch die dünnste Stelle (Dt) sowie die Dezentrierung der dünnsten Stelle (Dy) waren regelrecht (Abb. 2). Das Partnerauge war klinisch sowie in den durchgeführten Scheimpflug-Aufnahmen völlig unauffällig.

Abb. 1
figure 1

Präoperative Scheimpflug-basierte Hornhauttomographie des linken Auges

Abb. 2
figure 2

Belin-Ambrosio-Darstellung der präoperativen Scheimpflug-basierten Hornhauttomographie des linken Auges

Aufgrund der Diskrepanz zwischen der inferior-parazentral aufgesteilten Hornhautvorderfläche und der regelrechten Hornhautrückfläche führten wir eine Hornhautschichtpachymetrie mittels optischer Kohärenztomographie (OCT) durch (MS-39; Fa. CSO; Florenz, Italien). Das so genannte Epitheldickenprofil („Epithelmapping“) zeigte am linken Auge eine Verdickung auf ca. 70 µm inferior-parazentral (Abb. 3), welche von der Lokalisation mit der fokalen Aufsteilung der Topographie korrespondierte.

Abb. 3
figure 3

Präoperative Vermessung des vorderen Augenabschnitts des linken Auges mittels optischer Kohärenztomographie

Diagnose

Mittels Scheimpflug-Tomographie der Hornhautrückfläche sowie des Epitheldickenprofils konnte das Vorliegen einer ektatischen Erkrankung ausgeschlossen werden. Auf Basis des Epithelmappings und in Zusammenschau mit dem klinischen Befund wurde die Verdachtsdiagnose einer epithelialen Basalmembrandystrophie gestellt.

Therapie und Verlauf

Als Behandlungsmöglichkeiten wurden mit der Patientin die Versorgung mit formstabilen Kontaktlinsen als konservative Therapieoption sowie eine phototherapeutische Keratektomie (PTK) besprochen. Letztere wurde im Herbst 2021 von der Patientin in Anspruch genommen. Nach vollständiger Alkohol-Abrasio über die zentrale 9,0 mm Zone erfolgte eine Photoablation von 10 µm mittels Excimerlaser (MEL 90; Carl Zeiss Meditec AG, Jena, Deutschland) über eine 8,0-mm-Zone. Bei der 3‑Monats-Kontrolle zeigte sich ein regelrechtes Epitheldickenprofil mit kontinuierlicher Zunahme nach inferonasal sowie eine reguläre Topographie (Abb. 4 und 5). Die Patientin war komplett beschwerdefrei, und die bestkorrigierte Sehschärfe betrug 1,0 (−4,75 −1,00 × 177°).

Abb. 4
figure 4

Postoperative Scheimpflug-basierte Hornhauttomographie des linken Auges

Abb. 5
figure 5

Postoperative Vermessung des vorderen Augenabschnitts des linken Auges mittels optischer Kohärenztomographie

Diskussion

Der Keratokonus ist die häufigste Ursache einer ektatische Veränderung der Hornhaut. Sehr frühe oder präklinische Stadien („Forme-fruste-Keratokonus“) mit asymmetrischem Befund können Unsicherheiten in der Diagnosestellung bereiten. Als Differentialdiagnosen kommen neben den „echten“ ektatischen Entitäten pelluzidale marginale Degeneration und Ektasie nach keratorefraktiver Chirurgie ebenso Veränderungen in Betracht, die eine Ektasie nur imitieren. Dazu zählen eine Keratitis superficialis punctata, Hornhautnarben, Cornea verticillata, korneales Warpage (Verformung), epitheliale Basalmembrandystrophie oder eine Fehlmessung in der Tomographie [11].

Wichtig ist die Identifikation einer „echten“ ektatischen Erkrankung mit hoher Sensitivität, da diese mit einem Progressionsrisiko vergesellschaftet sind und somit von einer kornealen Cross-Linking-Behandlung profitieren [8]. Umgekehrt sollte auch die diagnostische Spezifität hoch genug sein, um eine „red disease“ zu vermeiden. Unter diesem Begriff, der Eingang in die apparative Glaukom-Diagnostik gefunden hat, versteht man eine falsch-positive Diagnosestellung auf Basis von vermeintlich auffälligen (in Rot maschinell hervorgehobenen) apparativen Untersuchungsergebnissen. Analog dazu können falsch-positive Messparameter bei der Belin-Ambrosio-Darstellung auftreten, welche zum Keratokonus-Screening mittels Scheimpflug-Tomographie weitverbreitet eingesetzt wird.

Um eine „echte“ Ektasie zu diagnostizieren, muss nicht nur die Hornhautvorderfläche („Topo“), sondern auch die Hornhautrückfläche („Tomo“) beurteilt werden. Zeigten Topo- und Tomographie eine Aufsteilung an übereinstimmender Lokalisation und ist diese gegebenenfalls noch mit der dünnsten Pachymetrie kongruent, liegt der Verdacht einer Ektasie sehr nahe. Besonders in frühen Stadien ist dies jedoch oft nicht einfach zu beurteilen. Ein neuer Faktor, der zu besseren Beurteilung herangezogen werden, kann ist das OCT-basierte Hornhautepitheldicken-Profil („Epithelmapping“). Physiologisch nimmt die Epitheldicke von superotemporal über das Zentrum nach inferonasal hin zu [3]. Im Fall eines Keratokonus kommt es durch die epitheliale Kompensationsfunktion für darunterliegende Unregelmäßigkeiten der stromalen Kurvatur [10] am Apex der Ektasie zu einer Epithelausdünnung mit einer umgebenden Epithelverdickung [1, 9]. Der differenzialdiagnostische Wert dieses ringförmigen („doughnut“) Epithelprofils bei frühem bzw. unklarem („forme fruste“) Keratokonus konnte in mehreren Arbeiten aufgezeigt werden [6, 12].

Bei unserer Patientin zeigte sich völlig gegenläufig dazu eine parazentral-inferior gelegene, fokale Epithelverdickung (Abb. 3). Das Vorliegen eines Keratokonus konnte somit ausgeschlossen und die Diagnose einer fokalen epithelialen Verdickung im Sinne einer Hornhaut-Basalmembrandystrophie gestellt werden. Nach korrekter Identifikation der zugrunde liegenden Ursache der topographischen Aufsteilung konnte eine adäquate Therapie des irregulären Basalmembrankomplexes mittels PTK mit entsprechendem Behandlungserfolg durchgeführt werden.

Die Hornhautschichtpachymetrie sollte fester Bestandteil der Differenzialdiagnostik von ektatischen Hornhauterkrankungen sein [7], insbesondere bei frühen Stadien oder unklarer Diagnose [12]. Die zeiteffiziente Durchführbarkeit der kontaktlosen Messung in Kombination mit einer sehr guten Messreliabilität sprechen für den breiten Einsatz der Technologie [4, 5]. Weitere gegenwärtige Einsatzgebiete des „Epithelmappings“ liegen in der refraktiven sowie der therapeutischen refraktiven Chirurgie [2].