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Anamnese
Ein 36-jähriger Patient stellte sich in unserer ophthalmoonkologischen Sprechstunde mit einer seit mehreren Wochen rezidivierenden, fokalen Rötung im temporalen oberen Quadranten des rechten Auges vor. Der Patient berichtete von einer seit mehreren Wochen vorhandenen, schnell wachsenden, gut tastbaren druckindolenten Raumforderung im temporalen Lidwinkel rechts. Vor unserer Konsultation, bei Verdacht auf Konjunktivitis, wurden dem Patienten bereits topische Antibiotika und steroidhaltige Augentropfen verabreicht, die jedoch keine Linderung brachten. Die Augenanamnese war bis auf einen geringen myopen Astigmatismus leer. Anamnestisch bestanden keine Allgemeinerkrankungen, kein Trauma, keine B‑Symptomatik oder andere Beschwerden. Bis auf eine positive Allergieanamnese gegen Pollen war der Patient gesund. Der Patient nahm keinerlei Medikamente ein. Auch die Familienanamnese bezüglich ophthalmologischer Erkrankungen war leer.
Klinischer Befund
Der Patient befand sich in einem sehr guten, altersüblichen Allgemein- und Ernährungszustand. Der Fernvisus lag beidseits mit bestmöglicher Refraktion bei 1,0. Die Motilität beider Augen war frei. In der klinischen ophthalmologischen Untersuchung zeigten sich eine Pseudoptosis und eine leichte inferonasale Bulbusverlagerung mit deutlicher lokalisierter konjunktivaler Injektion in temporalem Lidwinkel des rechten Auges. Bei der Palpation wurde eine gut tastbare druckindolente Raumforderung im Tränendrüsenbereich rechts festgestellt (Abb. 1). Der restliche vordere Augenabschnitt war unauffällig. Die Untersuchung des Augenfundus zeigte keinen pathologischen Befund. Bei der in der Anamnese chronischen Konjunktivitis, die auf eine medikamentöse Behandlung schlecht angesprochen hatte, veranlassten wir eine kraniale Magnetresonanztomographie (MRT) mit orbitaler Dünnschichtung, die eine etwa 9 × 5 mm durchmessende und im Randbereich hypervaskularisierte Raumforderung im Tränendrüsenbereich rechts bestätigte (Abb. 2).
Weiteres Prozedere
Bei oben genannten Befunden wurde eine anteriore transkutane Orbitotomie in ITN rechts durchgeführt. Intraoperativ wurden kleine, gelbliche, steinartige Strukturen gefunden, die chirurgisch entfernt wurden. In der histopathologischen Untersuchung imponierten erweiterte Tränendrüsenausführungsgänge mit zystischen Veränderungen in der Tränendrüse. Zudem wurde ein eosinophiles, amorphes Material festgestellt, das von einigen entzündlichen Zellen umgeben war. Es ergab sich kein Anhalt für das Vorhandensein von Mikroorganismen.
Wie lautet Ihre Diagnose?
Diskussion
Dakryolithen in den Tränendrüsenausführungsgängen stellen eine seltene Erkrankung dar (Abb. 3). In der Literatur wurden bisher etwa 20 solcher Fälle beschrieben [1]. Tränendrüsensteine können völlig asymptomatisch sein oder, wie in dem von uns beschriebenen Fall, zu einseitiger, therapieresistenter Konjunktivitis mit Sekret und Epiphora führen [1, 2]. Lokalisierte Oberlidschwellung mit einer gut tastbaren Raumforderung im temporalen Lidwinkel, Schmerzen, Photophobie und Epiphora gehören zu den weiteren häufigen Symptomen [1, 2]. Die atypische intermittierende Proptosis, hervorgerufen durch Vorwärtsbeugen des Kopfes bei Hyperplasie der Tränendrüse, in Verbindung mit Dakryolithiasis gehören zu den weiteren, jedoch selteneren Symptomen [1, 2]. Wenn sich ein Patient mit einer Läsion am lateralen Kanthus vorstellt, sollte an einen Tumor im Tränendrüsenbereich gedacht werden [2]. Wenn ein Patient eine einseitige Konjunktivitis im Bereich des medialen Kanthus aufweist, soll differenzialdiagnostisch eine Dakryoadenitis/Dakryolithiasis in Erwägung gezogen werden [2]. Bildgebende Untersuchungen sollten in Betracht gezogen werden, wenn eine einseitige akute/chronische Bindehautentzündung schlecht auf medizinische Behandlung anspricht [3]. Der genaue Mechanismus der Steinbildung in den Tränendrüsenausführungsgängen ist bisher nicht bekannt. Zellablagerungen, stammend aus den Epithelzellen von Drüsenausführungsgängen [4, 5], sowie kondensiertes Albumin, wichtiger Bestandteil der Tränenflüssigkeit, sind als potenzielle Auslöser der Steinbildung gesehen [2]. Auch eine Wimper, die im Zentrum des Steines nachgewiesen wurde, wurde als potenzieller Nidus für die Steinbildung gesehen [3]. Mikrobielles Wachstum wird für einen begünstigenden Faktor bei der Steinbildung im Bereich der Tränendrüse und im Tränenabflusssystem gehalten [6]. Die Sialolithiasis weist einige klinische Ähnlichkeiten mit Dakryolithiasis auf. Im Gegensatz zur Sialolithiasis führt die Dakryolithiasis im Tränendrüsenbereich oft nur zu leichten Symptomen und wird daher seltener diagnostiziert, während die Sialolithiasis oft akute Beschwerden verursacht [1, 7]. Steine in der Tränendrüse kommen wesentlich seltener als die Sialolithiasis vor. Dieses Phänomen ist noch nicht vollständig erklärt. Eine mögliche Erklärung könnte der Unterschied im pH-Wert von Tränenflüssigkeit und Speichel liefern. Der pH-Wert von Tränenflüssigkeit ist neutral, während Speichel leicht sauer ist. Eine mechanische Verstauung des Abflusssystems führt zu einem Anstieg des pH-Werts. Eine ähnliche Änderung des pH-Werts von prästenotischer Tränenflüssigkeit kann eintreten, wenn ein Ausführungsgang verschlossen wird und es anschließend zu einer Schwellung und Stauung kommt (Abb. 4; [6]).
Diagnose: Dakryolithen in den Tränendrüsenausführungsgängen
Die Tränendrüsenausführungsgänge weisen häufig 2 oder mehrere Zelllagen auf, Abb. 4 und 5. Diese Histologie kann die Ansammlung von Zelltrümmern und Proteinen im Stenosebereich begünstigen und damit den Nidus des Steines bilden. Zu weiteren wichtigen Bestandteilen des Tränenfilms gehören neben Albuminen Kalzium- und Magnesiumphosphate [1]. pH-Wert-Anstieg als Folge der mechanischen Stenose kann die Bildung schwer löslicher Calciumphosphatverbindungen begünstigen und zu einer nachfolgenden Kalzifizierung und Steinbildung führen. Im letzten Schritt der Tränendrüsensteinmorphogenese kommt es zu einer Infektion durch Bakterien, die die Steinbildung zusätzlich verstärkt [6]. Migration und Kolonisierung der abführenden Speichelwege durch die aus der Mundhöhle ausgehenden Bakterien spielen in der Pathogenese der Sialolithiasis ebenfalls eine große Rolle, fördern die Kalzifizierung und begünstigen dadurch die Speichelsteinbildung [8]. Die Behandlung eines Steins in der Tränendrüse besteht in einer einfachen Entfernung unter lokaler Anästhesie, Rezidive sind selten. Symptomatische Tränendrüsenausführungsgangsteine kommen sehr selten vor, und ihre Diagnose kann leicht übersehen werden [1, 9]. Besseres Verständnis der Entwicklungsanatomie der Tränendrüse während des pränatalen Lebens, die Identifizierung und Verknüpfung von Signalkaskaden und regulatorischen Genen können die Entwicklung minimal-invasiver Interventionen und den Einsatz von Vorläufer‑/Stammzellen und sogar regenerativer Therapie ebnen.
Literatur
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Gaca, P.J., Rejdak, R., Doulis, A. et al. Ungewöhnliche druckindolente Raumforderung im temporalen Lidwinkel. Ophthalmologie 120, 89–92 (2023). https://doi.org/10.1007/s00347-022-01657-9
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