Anamnese

Ein 71-jähriger Patient wurde unter der Verdachtsdiagnose „Papillitis am linken Auge“ zur Mitbeurteilung zugewiesen. Anamnestisch sei links seit etwa 6 Monaten eine allmählich zunehmende Sehverschlechterung aufgefallen. Seit 3 Wochen wäre das Auge gelegentlich gerötet. Auf Nachfrage wurde ergänzt, dass das linke Oberlid schon seit ca. 2 Jahren etwas tiefer als das rechte stünde. Neben einem medikamentös eingestellten arteriellen Hypertonus bestanden keine bekannten Vorerkrankungen, der Patient fühlte sich allgemein gesund.

Klinischer Befund

Bei Erstvorstellung lag die bestkorrigierte Sehschärfe rechts bei 1,0 und links bei 0,4, begleitet von einem linksseitigen deutlichen relativen afferenten Pupillendefekt (RAPD). Das 30°-Gesichtsfeld war rechts regelrecht, links imponierte eine zentrale, in der Form unspezifische Empfindlichkeitsminderung (MD 12,2 dB).

Das rechte Auge erwies sich morphologisch als in allen Aspekten altersgemäß. Links bestanden eine mäßige konjunktivale Injektion (Abb. 1) und ein Exophthalmus von 5 mm (Hertel-Exophthalmometrie), welcher dem Patienten bisher nicht aufgefallen war. Neben einer Ptosis von 2 mm (Abb. 1) wies der Patient bei nahezu seitengleicher Levatorfunktion eine Hebungseinschränkung mit Diplopiewahrnehmung im Aufblick auf. Auffällig war eine Seitendifferenz des Augeninnendruck von 5 mm Hg (rechts 15, links 20 mm Hg). Am Augenhintergrund zeigten sich links eine deutlich hyperäme, randunscharfe prominente Papille mit einzelnen streifigen Blutungen sowie gestaute Gefäße bei sonst regelrechter Netzhautperipherie.

Abb. 1
figure 1

Portraitfoto: rechtes Auge mit regelrechtem Befund; linkes Auge mit mäßiger konjunktiver Injektion und Ptosis

Diagnostik

Zur weiteren Abklärung erfolgte noch am Untersuchungstag eine kraniale Computertomographie (cCT), im Verlauf auch eine kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT) (Abb. 2). Unter der Arbeitsdiagnose „orbitale Stauungspapille und Kompressionsneuropathie bei infiltrativer orbitaler Raumforderung“ wurde zeitnah eine inzisionale transkonjunktivale Biopsie des orbitalen Gewebes durchgeführt. Dabei fiel zusätzlich im Traktionstest eine deutliche Einschränkung der passiven Beweglichkeit des linken Auges in alle Richtungen auf.

Abb. 2
figure 2

a cCT axial: retrobulbäre Raumforderung, die sich nicht eindeutig vom Rectus medialis oder N. opticus abgrenzen lässt. b cMRT axial T2-gewichtet: angedeutet lobuläre Struktur der Raumforderung, die den N. opticus nach lateral verlagert. c cMRT koronar T1-gewichtet: Aufgrund der homogenen Kontrastmittelanreicherung, der Diffusionseinschränkung und der fehlenden Infiltration der Bulbushinterwand und der Augenmuskeln Verdacht auf ein intraorbitales Lymphom als häufigste Differenzialdiagnose einer infiltrativen Raumforderung in dieser Altersgruppe

Histologie und Diagnose

Histologisch imponierte eine proliferationsaktive Infiltration blastär wirkender Lymphozyten mit breitem Zytoplasma und teils bohnenförmigen Zellkernen (Abb. 3). Immunhistochemisch erwiesen sich diese Blasten als CD30-positive T‑Zellen mit kräftiger Co-Expression von CD3 und sehr hoher Proliferationsrate (ki67-Index 80 %). ALK1 und B‑Zell-Marker wie CD20 fielen negativ aus (Abb. 4). Die molekularpathologische Klonalitätsanalyse ergab ein monoklonales Rearrangement des T‑Zell-Rezeptorgens und bestätigte damit das Vorliegen eines aggressiven Non-Hodgkin-Lymphoms der T‑Zell-Reihe.

Abb. 3
figure 3

HE-Färbung: a diffuse und knotige Infiltrate eines stark polymorphen lymphatischen Tumors. b Die Vergrößerung zeigt multiple große Tumorzellen mit nieren- oder hufeisenförmigen Kernen und multiplen Mitosen

Abb. 4
figure 4

Immunhistochemische Färbungen derselben Raumforderung (Immunoperoxidase auf Paraffin, DAB-Färbung): Der Tumor war stark positiv für CD30 (a) und hatte eine hohe Proliferationsrate (ki67-Index 80 %) (b), ALK1 war negativ (c), und CD3 war stark positiv (d)

Therapie und Verlauf

Zum weiteren Staging erfolgte eine Computertomographie (CT) von Hals bis Becken, in der keine Absiedlungen des Primärtumors festgestellt werden konnten. Die als suspekt gewerteten zervikalen und mediastinalen Lymphknoten zeigten in der PET-CT-Untersuchung keine Kontrastmittelanreicherung. Die zytomorphologische Untersuchung des Knochenmarks ergab eine unauffällig ausreifende Hämatopoese.

Bei dem Patienten ergab sich gemäß Leitlinie eine Behandlungsindikation für eine chemotherapeutische Systemtherapie gefolgt von einer Bestrahlung der Orbita. Nach 5 Zyklen kombinierter Immunchemotherapie mittels A‑CHP (Brentuximab Vedotin, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Prednison) erfolgte ein Interim-Staging. Die CT von Hals bis Becken ergab weiterhin keine extraorbitalen Manifestationen des Lymphoms, der Lokalbefund zeigte eine partielle Remission mit deutlicher Größenregredienz der retrobulbären Raumforderung verbunden mit klinischem Rückgang des Exophthalmus.

Die Durchführung einer konsolidierenden Radiotherapie der linken Orbita lehnte der Patient zunächst aufgrund seiner deutlichen Einschränkung des Allgemeinzustandes nach Immunchemotherapie ab. Im Verlauf konnte diese jedoch in einem 3‑wöchigen Bestrahlungszyklus (5-mal 2 Gray [Gy]/Woche, Gesamtdosis 36 Gy) komplikationslos durchgeführt werden. In einer Kontrolluntersuchung mittels cMRT und cCT (Abb. 5) zeigte sich ein deutlich regredienter intraorbitaler Befund mit ebenfalls regredientem Exophthalmus, allerdings lässt sich Resttumorgewebe bei persistierender intrakonaler perioptischer Kontrastmittelaufnahme nicht sicher ausschließen. Daher wurden mit dem Patienten klinische und radiologische Verlaufskontrollen geplant.

Abb. 5
figure 5

cCT axial (a) und cMRT axial T2-gewichtet (b): Die Verlaufskontrolle nach Immunchemotherapie und Radiatio zeigte eine deutliche Regredienz der intraorbitalen Raumforderung und des Exophthalmus

Diskussion

Lymphome können sich auf augenärztlichem Gebiet im Bereich der Lider, (sub)konjunktival und/oder orbital manifestieren. Der Ausbreitungsort bestimmt die Symptomatik der okulären Adnexenlymphome (OAL). Die Klinik des orbitalen Lymphoms umfasst Volumensymptome wie typischerweise zunächst axiale Verlagerung (Protrusio bulbi), gefolgt von Kompressionsneuropathie, die sich in RAPD, Farbentsättigung, Gesichtsfelddefekt oder Visusminderung äußern kann. Anhaltende Stauung führt zu einer Erhöhung des orbitalen Venendruckes, klinisch erkennbar an Lidrötung, konjunktivaler Injektion, seitendifferenter Gefäßfüllung und Augendrucksteigerung, wie dies auch bei dem hier geschilderten Patienten der Fall war. Motilitätsstörungen, die, solange nicht vorbestehend Suppression vorliegt, zu Diplopie führen, sind Ausdruck der Muskelinfiltration oder -kompression und gelten bei OAL als Spätzeichen [6]. Aufgrund des langsamen Wachstums vergehen nicht selten vom Symptombeginn bis zur Erstvorstellung beim Augenarzt Monate bis Jahre, im Durchschnitt ca. 6 Monate [8, 9].

Für die Diagnosesicherung ist nach der Bildgebung [6] eine vorzugsweise offene Biopsie mit nachfolgender histopathologischer Untersuchung mit ergänzender Immunhistochemie und, wenn notwendig, molekularpathologischer Zusatzuntersuchung (Klonalitäts- bzw. Translokationsanalysen) wegweisend [2, 9]. Ein umfassendes Staging ist notwendig, um ein primäres isoliertes OAL von einer systemischen Manifestation mit weiteren Manifestationsorten zu differenzieren [2, 9].

Charakteristisch für alle Lymphome ist eine klonale Proliferation von B- oder T‑Lymphozyten; 85–90 % aller Non-Hodgkin-Lymphome weisen eine B‑Zell-Differenzierung auf, 10–15 % dagegen entstehen aus T‑Lymphozyten oder natürlichen Killerzellen (sog. NK-Zellen) [8]. Lymphome können sich überall im Körper manifestieren, sowohl innerhalb (nodal) als auch außerhalb (extranodal) des lymphatischen Systems; 20–25 % aller Non-Hodgkin-Lymphome sind primäre extranodale Lymphome. Extranodale NK/T-Zell-Lymphome machen etwa 10 % der T‑Zell-Lymphome aus [1]. Bezüglich Letztgenannter zeigte eine Studie von Lee et al. [5] in der Mehrheit der Patienten (26 von 27) ein NK-T-Zell-Lymphom vom nasalen Typ. Die Nasenhöhle ist damit die häufigste primäre Lokalisation, gefolgt von Orbita, Kieferhöhle, Mundhöhle und Haut; 12 der 27 Patienten wiesen primär ophthalmische Symptome auf, darunter 3 Fälle mit orbitalem NK-T-Zell-Lymphom allein ohne sinunasale Beteiligung. Die periorbitale Schwellung war das häufigste ophthalmologische Symptom in beiden Patientengruppen, gefolgt von Ptosis, Proptosis, Diplopie und Augenschmerzen.

Orbitale Lymphome sind keine Seltenheit. Sie machen 5–15 % aller extranodalen Lymphome und bis zu 55 % der primären orbitalen Malignome aus [4, 9]. Die überwiegende Mehrzahl der Lymphome, die die Augenadnexe befallen, sind von B‑Zellen abstammend [5, 9]. In einer Studie von Coupland et al. [3] mit 112 Fällen von OAL gab es lediglich 3 Fälle von T‑Zell-Lymphomen. Die Beteiligung orbitaler und okulärer Adnexenlymphome an adulten T‑Zell-Lymphomen ist somit sehr selten und macht nur 1–3 % der Lymphome in dieser Region aus [4, 9]. Die meisten Publikationen enthalten Einzelfallberichte. In einer Fallserie von Henry et al. [4] konnten immerhin 16 Patienten mit orbitalen und okulären Manifestationen eines adulten T‑Zell-Lymphoms (ATLL) untersucht werden. Zu den häufigsten klinischen Symptomen der Patienten zählten dabei Protrusio bulbi, Visusreduktion, Lidschwellung und Motilitätsstörungen mit/ohne Diplopie (Tab. 1). Das ATLL beschränkte sich bei 5 von 16 Patienten auf die Bindehaut und Augenlider und bei 3 von 16 Patienten auf das orbitale Weichgewebe. Eine lokale Ausbreitung der ATLL auf benachbarte Strukturen (knöcherne Orbita und Schädelbasis, Gehirn, Nasennebenhöhlen und Pharynx) trat bei 8 von 16 Patienten auf. Die Nasennebenhöhlen waren naturgemäß die am häufigsten befallene orbitale Nachbarregion. Systemisch betrachtet, traten die orbitalen und adnexalen Manifestationen des ATLL bei einem Patienten vor, bei 9 Patienten gleichzeitig und bei 5 der 15 Patienten nach einer systemischen ATLL auf. Die Diagnose einer orbitalen und okulären adnexalen ATLL ist danach immer hoch verdächtig für das Vorliegen einer systemischen Erkrankung, sodass sich an die Diagnosestellung stets ein gründliches Staging anschließen muss [4, 9].

Tab. 1 Klinische Merkmale von Patienten mit orbitaler und okulärer adnexaler ATLL. (Mod. nach Henry et al. [4])

Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin, dass es sich um eine monoklonale CD30-positive Lymphoproliferation der T‑Zell-Reihe handelt, ohne dass dabei eine systemische Beteiligung festzustellen war. CD30-positive lymphoproliferative T‑Zell-Erkrankungen werden als kutan (primäres kutanes anaplastisches großzelliges Lymphom und lymphomatoide Papulose) oder als systemisch klassifiziert. Ähnliche Prozesse können die Schleimhäute von Kopf und Hals betreffen und bilden ein Spektrum, das sowohl Neoplasmen als auch reaktive Zustände (z. B. ein traumatisches ulzeratives Granulom mit stromaler Eosinophilie) umfasst [7].

Bisher existiert keine Standardklassifikation für mukosale CD30-positive T‑Zell-Lymphoproliferationen. In einer Studie von Sciallis et al. [7] wurden 15 Patienten untersucht, von denen 3 ein T‑Zell-Lymphom der Orbita und Bindehaut aufwiesen. Patienten mit ausschließlich mukosaler Beteiligung zeigten eine günstige Prognose, und keiner der Patienten entwickelte eine systemische Ausbreitung innerhalb der Nachbeobachtungszeit von 4 bis 93 Monaten. Bei ausschließlicher Beteiligung der Haut und/oder Schleimhäute verhalten sich diese Läsionen nach Literaturangaben ähnlich wie primär kutane CD30-positive anaplastische großzellige T‑Zell-Lymphome (C-ALCL) mit einem meist eher indolenten Verlauf [7].

In unserem Fall konnte anhand der histopathologischen Untersuchung und des Stagings die Diagnose eines CD30-positiven anaplastisch großzelligen T‑Zell-Lymphoms der Orbita gestellt werden. Passend hierzu ist auch der langsam progrediente Krankheitsverlauf des Patienten. Das Verständnis des Spektrums der mukosalen CD30-positiven T‑Zell-Lymphoproliferationen ist wichtig, um eine möglichst schnelle und adäquate Therapie einzuleiten, welche zu einer Symptomlinderung und Verbesserung des Gesamtüberlebens führen soll [7].

Fazit für die Praxis

  • Obwohl die Manifestation eines T‑Zell-Lymphoms in der Orbita eine Rarität darstellt, ist dieses Krankheitsbild differenzialdiagnostisch zu berücksichtigen.

  • Zur Diagnosesicherung ist eine Biopsie unumgänglich; ein inzisionales Vorgehen erlaubt, genügend Material für eine differenzierte wegweisende histopathologische Untersuchung zur Verfügung zu stellen.

  • Die okuläre und orbitale Manifestation eines adulten T‑Zell-Lymphoms treten meist gleichzeitig mit einer systemischen Beteiligung auf, was die Bedeutung einer umfassenden multimodalen Abklärung und eines multidisziplinären Managements unterstreicht.