Anamnese

Eine 79-jährige Patientin stellte sich mit einer Sehverschlechterung und visuellen Phänomenen in unserer Sprechstunde vor. Sie gab an, seit 2 Monaten binokular metallisch-braune Kreise wahrzunehmen. Zusätzlich sei vor 1 Monat eine zerebrale Ischämie im Mediastromgebiet rechts mit passagerem Schwindel und Schwäche des linken Armes festgestellt worden. Im Anschluss bemerkte die Patientin eine weitere Sehverschlechterung, welche die optischen Phänomene noch ausgeprägter erscheinen ließ.

Bei der Patientin war ein Pankreaskarzinom bekannt mit Zustand nach Pankreaskopfresektion und Chemotherapie mit Gemcitabin vor 1 Jahr. Die karzinombedingte Nachsorge habe bei der letzten Untersuchung vor 3 Monaten keinen auffälligen Befund ergeben. Darüber hinaus lag anamnestisch eine adulte spinale Muskelatrophie vor. Okuläre Vorerkrankungen seien nicht bekannt, Medikamente würden nicht eingenommen.

Klinische Befunde

Der bestkorrigierte Dezimalvisus betrug 0,6 am rechten Auge und 0,2 am linken Auge. Wir sahen einen reizfreien vorderen Augenabschnitt mit einer beidseitigen Cataracta incipiens. Der Augeninnendruck lag rechts bei 14 mm Hg und links bei 17 mm Hg. Die 30°-Perimetrie zeigte beidseits eine zentrale Empfindlichkeitsreduktion sowie diffuse periphere Defekte im nasalen Gesichtsfeld des linken Auges. Fundoskopisch zeigten sich beidseits im Bereich der Makula eine neurosensorische Abhebung sowie mittelperipher im Bereich der Gefäßbögen multiple gelb-orange vitelliforme Läsionen sowie Aderhautfalten, die auf die Hyperopie zurückzuführen sind (Abb. 1a, c). Der Glaskörper war reizfrei.

Abb. 1
figure 1

Fundoskopische Aufnahme des rechten (a) und linken (c) Auges mit multiplen vitelliformen Läsionen (weiße Pfeile), Spectral-Domain-optische Kohärenztomographie (SD-OCT)-Aufnahme der rechten (b) und linken (d) Makula mit bandförmigen hyperreflektiven Konglomeraten (weiße Pfeilspitzen) innerhalb der neurosensorischen Abhebung

In der Spectral-Domain-optischen Kohärenztomographie (SD-OCT) bestätigte sich an beiden Augen im Bereich der Makula sowie paramakulär die neurosensorische Abhebung mit bandförmigen hyperreflektiven Konglomeraten innerhalb der subretinalen Abhebung (Abb. 1b, d). In der Fundusautofluoreszenz sahen wir im Bereich der vitelliformen Läsionen ein vermehrtes Signal (Abb. 2a, d). Die Fluoreszeinangiographie zeigte eine leichte Hyperfluoreszenz der Läsionen in der Frühphase mit einem Staining ohne Leckage in der Spätphase (Abb. 2b, c, e, f). Eine Skleraverdickung und ein T‑Zeichen wurden sonographisch ausgeschlossen.

Abb. 2
figure 2

Fundusautofluoreszenz des rechten (a) und linken (d) Auges zeigt die hyperautofluoreszenten vitelliformen Läsionen (Pfeile), Fluoreszeinangiographie des rechten (bc) und linken (ef) Auges in Früh- (be) und Spätphase (cf) zeigt eine leichte Hyperfluoreszenz der Läsionen in der Frühphase mit einem Staining ohne Leckage in der Spätphase (Pfeil)

Diagnose

Aufgrund der visuellen Phänomene, der vitelliformen Läsionen am hinteren Pol und der neurosensorischen Abhebung in der SD-OCT in Kombination mit der malignen Vorerkrankung stellten wir die Diagnose einer akuten exsudativen polymorphen paraneoplastischen vitelliformen Makulopathie (AEPPVM), auch bekannt als paraneoplastische vitelliforme Retinopathie.

Therapie und Verlauf

Bei Verdacht auf eine AEPPVM und nach Ausschluss einer infektiösen Genese begannen wir gewichtsadaptiert mit einer systemischen Kortisontherapie initial mit 50 mg p.o. täglich und Reduktion um 5 mg alle 5 Tage. Das Staging in der Abteilung für Onkologie und Hämatologie zeigte keine Hinweise für ein Rezidiv des bekannten Pankreaskarzinoms. Unter der Kortisontherapie beschrieb die Patientin nach 2 Wochen eine Zunahme der metallisch-braun glänzenden Kreise. Der Visus verschlechterte sich am rechten Auge auf 0,4. Daher reduzierten wir die Steroidtherapie, empfahlen entsprechend der Literatur die Durchführung einer Plasmapherese und diskutierten einen anschließenden Therapieversuch mit Rituximab.

Es erfolgte im 2‑Tages-Rhythmus 5‑malig eine Plasmapherese in der Abteilung für Nephrologie und Rheumatologie. Zwei Wochen später zeigte sich eine Befundbesserung mit fundoskopisch weniger vitelliformen Herden im Bereich der Gefäßbögen und einer Abnahme der subretinalen Ablagerungen in der SD-OCT. Die folgenden Verlaufskontrollen bis 12 Monate nach Plasmapherese zeigten einen weiteren Rückgang der vitelliformen Veränderungen (Abb. 3a, b) sowie eine allmähliche Resorption der neurosensorischen Abhebung mit „Absinken“ des vitelliformen Materials in der SD-OCT (Abb. 3c–j). Die Patientin berichtete eine Sehverbesserung ohne weitere Wahrnehmung der visuellen Phänomene. Objektiv kam es ebenfalls zu einem Visusanstieg auf 0,6 an beiden Augen.

Abb. 3
figure 3

Fundoskopische Aufnahme des rechten (a) und linken (b) Auges 10 Monate nach Plasmapherese verdeutlicht den Rückgang der vitelliformen Veränderungen, SD-OCT-Aufnahmen der rechten (cf) und linken (gj) Makula mit allmählicher Resorption der neurosensorischen Abhebung und „Absinken“ des vitelliformen Materials

Weitere Untersuchungen haben nicht stattgefunden. Ein Jahr nach Plasmapherese stieg das CA 19‑9 deutlich an. Zusätzlich kam es zu einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes der Patientin mit ausgeprägter Tumorkachexie. Da die Patientin eine weitere Tumortherapie bei Rezidiv ablehnte, erfolgte keine weitere Diagnostik. Die Patientin verstarb 9 Monate später.

Diskussion

Die AEPPVM gehört neben den karzinom- und melanomassoziierten Retinopathien, der bilateralen diffusen uvealen melanozytischen Proliferation und der paraneoplastischen Optikusneuropathie zu den paraneoplastischen Retinopathien, die zusammen mit den nicht-paraneoplastischen Formen zu den Autoimmunretinopathien gezählt werden [3, 5, 7, 9].

Häufige Primärtumoren der paraneoplastischen Retinopathie sind Mamma- (31 %) und Bronchialkarzinom (16 %), das maligne Melanom (16 %), hämatologische Neoplasien (15 %), gynäkologische Tumoren (9 %), Prostata- (7 %) und Kolonkarzinom (6 %) [1]. Bisher existieren nur wenige Fallberichte der sehr seltenen AEPPVM. Die AEPPVM ist pathognomonisch für metastasierende Tumoren [13] und wurde bei Patienten mit einem kutanen oder chorioidalen Melanom und bei Patienten mit einem Lungen‑, Mamma- oder Kolonkarzinom beschrieben [8]. Dies ist unserer Kenntnis nach der erste Fallbericht von einer Patientin mit AEPPVM bei Pankreaskarzinom. Eine AEPPVM kann vor oder nach Tumordetektion symptomatisch werden [4]. Typisch für eine AEPPVM sind Visusverlust, Blendung und visuelle Phänomene wie die Wahrnehmung von Halos oder eines Flimmerskotoms. Fundoskopisch zeigt sich die AEPPVM mit einer bilateralen neurosensorischen Abhebung am hinteren Pol und multiplen vitelliformen makulären und paramakulären Läsionen. Die Läsionen sind meist seitengleich und ähneln vitelliformen Fundusveränderungen wie beim Morbus Best [18]. Im Gegensatz zur klassischen Melanom-assoziierten Retinopathie besteht bei der AEPPVM keine retinale Gefäßveränderung oder Papillenatrophie [18]. Die optische Kohärenztomographie zeigt subretinale Flüssigkeit mit hyperreflektiven bandförmigen Konglomeraten an der Unterseite der abgehobenen Fotorezeptorschicht. In der Fundusautofluoreszenz stellen sich die vitelliformen Läsionen typischerweise als hyperautofluoreszente Areale dar [2]. Die Fluoreszeinangiographie zeigt ein mildes Staining der vitelliformen Läsionen ohne Leckage [13].

Ursache der AEPPVM sind die durch den Primärtumor oder Metastasen produzierten Antikörper, welche die Blut-Kammerwasser-Schranke überwinden und anschließend mit Antigenen der Retinazellen kreuzreagieren [6]. Die karzinomassoziierte Retinopathie ist am ehesten mit Antikörpern gegen Photorezeptorzellen wie Recoverin (am häufigsten) und Alpha-Enolase vergesellschaftet [11]. Diese führen zu einer Apoptose oder Dysfunktion der Zapfen und/oder Stäbchen, welche eine Sehverschlechterung oder optische Phänomene wie Farbwahrnehmungsstörungen hervorrufen [16]. Zirkulierende Antiperoxiredoxin-3-Antikörper können ebenfalls karzinomassoziiert auftreten und greifen in die zelluläre Verarbeitung von oxidativem Stress ein. Dies führt zur Akkumulation von Zelldebris und Lipofuszin, welche makroskopisch die weißgelben subretinalen Depots bilden [18]. Häufig ermöglicht die Bestimmung von Antikörpern eine frühe Diagnosefindung der malignen Grunderkrankung [1].

Neben der Behandlung des Primärtumors und evtl. vorhandener Metastasen ist derzeit kein Goldstandard in der Therapie der AEPPVM beschrieben. Mögliche Therapieansätze der Autoimmunretinopathie sind lokale oder systemische Steroide, intravenöse Immunglobuline, monoklonale Antikörper (Rituximab), Plasmapherese sowie Immunsuppressiva wie Ciclosporin oder Azathioprin [5]. Eine mehrfache Behandlung mit Aflibercept intravitreal kann ebenso zu einer Abnahme der subretinalen Flüssigkeit und einer Verbesserung des Visus führen [10]. Bei unserer Patientin zeigte sich nach der oralen Kortisongabe eine Verschlechterung der Symptome. Auch in einem anderen Fallbericht blieb eine Verbesserung durch die systemische Kortisontherapie aus [8].

Da bereits vorangegangene Publikationen den erfolgreichen therapeutischen Einsatz der Plasmapherese bei einer Autoimmunretinopathie im Rahmen einer Myasthenia gravis, bei einem Hyperviskositätssyndrom sowie bei der paraneoplastisch bedingten bilateralen diffusen uvealen Melanozytenproliferation (BDUMP-Syndrom) beschrieben [14, 17, 20], entschieden wir uns zusammen mit den Kollegen der Nephrologie und auf Wunsch der Patientin, eine Plasmapherese zur Elimination der Antikörper, Immunkomplexe und Zytokine durchzuführen. Ein langfristiger therapeutischer Effekt bleibt jedoch wahrscheinlich ohne die parallele Gabe eines Immunsuppressivums aus [15].

Die Patientin erhielt im Rahmen der Pankreaskarzinombehandlung Gemcitabin 1 Jahr vor der Vorstellung in unserer Ambulanz. Die Therapie wurde alleinig mit Gemcitabin durchgeführt, eine Kombination mit anderen Chemotherapeutika erfolgte nicht. Typische retinale Veränderungen nach Gemcitabin-Gabe umfassen Zeichen einer retinalen Ischämie und Schrankenstörung wie Cotton-wool-Herde, intraretinale Blutungen, sub- sowie intraretinale Flüssigkeit und Exsudate [19]. Da diese Veränderungen jedoch typischerweise binnen 2 Wochen nach Therapiebeginn auftreten, gehen wir nicht davon aus, dass die retinalen Veränderungen bei unserer Patientin auf die Gemcitabin-Therapie vor 1 Jahr zurückzuführen sind [12].

Zusammenfassend ist dies die erste beschriebene Kasuistik einer Patientin mit AEPPVM bei Pankreaskarzinom. Grundsätzlich muss bei multiplen vitelliformen Veränderungen am Augenhintergrund immer auch an eine mögliche AEPPVM gedacht werden. Der Fallbericht zeigt die Bedeutung der klinischen und apparativen Diagnostik für die Diagnosestellung einer karzinomassoziierten Autoimmunretinopathie, insbesondere einer AEPPVM, auf. Eine mögliche Therapieoption bei AEPPVM ist die Plasmapherese, die bei unserer Patientin zu einer Besserung der Beschwerden sowie zur Regression der pathologischen Retinaveränderungen führte. Langfristig ist in solchen Fällen auch eine immunsuppressive Therapie empfehlenswert.

Fazit für die Praxis

  • AEPPVM gehört zu den paraneoplastischen Autoimmunretinopathien.

  • Typisch sind Visusverlust, Blendung und visuelle Phänomene (Halo, Flimmerskotom).

  • Fundoskopisch zeigen sich eine zentrale bilaterale neurosensorische Abhebung sowie multiple vitelliforme Läsionen.

  • Immunmodulative Therapiemöglichkeiten beinhalten lokale oder systemische Steroide, intravenöse Immunglobuline, monoklonale Antikörper, Plasmapherese sowie Immunsuppressiva.