Netzhautdystrophien umfassen eine heterogene Gruppe erblicher retinaler Erkrankungen. Die den einzelnen Krankheiten zugrunde liegenden genetischen Ursachen äußern sich in unterschiedlichen, initial oft unspezifischen Symptomen und sind klinisch oft schwer zu differenzieren. Die Abgrenzung der Erkrankungen untereinander und eine genetische Diagnosesicherung sind für eine mögliche genspezifische Therapie unabdingbar und erfordern eine dezidierte Strategie zur Diagnosesicherung. Hier werden Daten einer Patientenumfrage zur Nutzung molekulargenetischer Testung im klinischen Alltag präsentiert.

Hintergrund

Erbliche Netzhautdystrophien stellen eine heterogene Gruppe genetischer Erkrankungen der Retina dar. Sie treten weltweit mit einer Prävalenz von etwa 1:3000 auf und sind häufig ursächlich für Erblindungen [5, 9, 10, 13, 15]. Diese Erkrankungen werden durch pathogene Varianten in mehr als 270 verschiedenen Genen hervorgerufen und manifestieren sich in unterschiedlichen Phänotypen mit deutlichen Überschneidungen [11, 12, 18]. Basierend auf der klinischen Präsentation lassen sich diese Erkrankungen in generalisierte retinale Dystrophien mit primär peripherer (z. B. Retinitis pigmentosa) oder zentraler Manifestation (z. B. Zapfen-Stäbchendystrophie), Makuladystrophien (z. B. Morbus Stargardt/Morbus Best), wenig progrediente Erkrankungen (z. B. Achromatopsie) und syndromale Erkrankungen (z. B. Usher‑, Bardet-Biedl-Syndrom) separieren.

Die augenärztliche Funktionsdiagnostik (z. B. Visusprüfung, Gesichtsfeld, Elektrophysiologie) und insbesondere die nichtinvasive bildgebende Diagnostik (z. B. optische Kohärenztomographie, Fundus- oder Nahinfrarotautofluoreszenz) erlauben eine klinische Beschreibung des Phänotyps [2, 3]. Die Vielzahl an verschiedenen pathogenen Genvarianten, die Überschneidung der Phänotypen bei Varianten in unterschiedlichen Genen sowie die Variabilität des Phänotyps assoziiert mit Varianten in einem Gen machen eine molekulargenetische Testung bei den Patienten zur Sicherung der Ursache und Beurteilung von Therapiemöglichkeiten unerlässlich. Mit modernen molekulargenetischen Verfahren (z. B. Next-Generation-Sequencing) lässt sich kosteneffizient durch rasche Analyse vieler Gene in bis zu 80 % der Patienten die genetische Ursache nachweisen [4, 7, 16].

Obgleich die Bedeutung der molekulargenetischen Diagnostik zur Diagnosesicherung belegt ist und in der jüngst publizierten aktuellen S1-Leitlinie nun auch angeraten wird [6], ist die Realität ihres Einsatzes im klinischen Alltag in Deutschland jedoch unbekannt. Hauptziel der hier vorgestellten Studie war es, einen Eindruck von der diagnostischen Versorgung und dem Einsatz der molekulargenetischen Testung aus Patientenperspektive zu erlangen.

Material und Methoden

Die Umfrage wurde von der Selbsthilfevereinigung PRO RETINA Deutschland e. V. (PRO RETINA; www.pro-retina.de) und Novartis GmbH (Novartis; www.novartis.com) geplant, von Novartis finanziert und von PRO RETINA unter Patienten mit erblichen Netzhautdystrophien im Zeitraum vom 15.03. bis 22.04.2021 unter Verwendung von Umfragefragebögen, welche über die Mitgliederzeitung der PRO RETINA verteilt wurden, durchgeführt. Die Beantwortung erfolgte durch Rücksendung des Fragebogens oder im Rahmen eines Online-Interviews. Die Befragung verlief barrierefrei und dauerte zwischen 15 und 30 min.

Die Datenerhebung und -auswertung erfolgten durch die Firma IPSOS, Hamburg (www.ipsos.com). Die Daten wurden mittels deskriptiver Statistik ausgewertet. Für ausgewählte Fragen erfolgte zusätzlich eine Stratifizierung nach Alterskategorien (5 bis 25 Jahre, 26 bis 54 Jahre, ≥ 55 Jahre). Die ausgewerteten, aggregierten Daten wurden im Anschluss an PRO RETINA und Novartis GmbH weitergeleitet.

Diese Befragung bedurfte als sonstige Datensammlung mit anonymisierten Patientendaten keiner Begutachtung durch eine Ethikkommission und erfolgte unter Wahrung aller nationalen Datenschutzgesetze.

Ergebnisse

Studiendurchführung

In die Studie eingeschlossen wurden nur Rückmeldungen von Patienten, bei denen nach eigenen Angaben eine erbliche Netzhautdystrophie molekulargenetisch oder klinisch gesichert war. Patienten mit anderen Erkrankungen (z. B. altersabhängige Makuladegeneration [AMD], Leber’sche hereditäre Optikusneuropathie) wurden aus der Auswertung ausgeschlossen. Für die Auswertung standen Daten von 225 Patienten (183 Umfragefragebögen, 42 Online-Interviews) zur Verfügung.

Beschreibung der Umfragepopulation

Die Umfragepopulation bestand zu etwa gleichen Anteilen aus männlichen und weiblichen Teilnehmern (männlich: 52 %, weiblich: 48 %). Das Durchschnittsalter der Population betrug 55 Jahre; 7 % der Teilnehmer waren zwischen 5 und 25 Jahre alt, 39 % zwischen 26 und 54 Jahre und 54 % 55 Jahre und älter.

Bei mehr als der Hälfte der Patienten wurde Retinitis pigmentosa diagnostiziert, gefolgt von Usher-Syndrom, Makuladystrophien und Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (Tab. 1).

Tab. 1 Finale Diagnose

Für 64 % der Patienten erfolgte die finale Diagnose klinisch und für 34 % über einen Gentest (kombinierte Diagnosestellungen waren möglich; Abb. 1). Gut jedem fünften Patienten (23 %) war die Basis der Diagnosestellung nicht geläufig. Die finale Diagnose wurde am häufigsten von Ärzten an Universitätskliniken gestellt (72 %), gefolgt von Ärzten in niedergelassenen ophthalmologischen Praxen (20 %).

Abb. 1
figure 1

Diagnostische Methodik zur Bestimmung der finalen Diagnose (Mehrfachnennungen möglich)

Klinisch diagnostischer Verlauf

Erste Symptome der Erkrankung traten anamnestisch im Schnitt mit 22 Jahren auf. Retrospektiv betrachtet, dauerte der Zeitraum von Beginn der ersten Symptome bis zur finalen Diagnosestellung im Mittel 14 Jahre. Dabei zeigte sich, dass die Diagnosestellung in der jüngsten Patientengruppe deutlich schneller erfolgte (im Mittel nach 5 Jahren). Insgesamt mussten über alle Altersklassen hinweg etwa 2 von 3 Patienten (60 %) bis zur finalen Diagnose mehr als 2 Ärzte aufsuchen; hierfür waren für mehr als jeden zweiten Patienten (61 %) mindestens 3 Arztbesuche erforderlich. Etwa jeder fünfte Patient (18 %) gab an, in dieser Zeit mindestens eine Neben- bzw. Fehldiagnose erhalten zu haben. Anzumerken ist hierbei, dass eine Fehldiagnose aus Patientensicht nicht zwangsläufig einer tatsächlich medizinisch gesicherten Fehldiagnose entsprechen musste, so wurden unter anderem aufgrund der heterogenen Nomenklatur synonyme Krankheitsbezeichnungen oder Nebenerkrankungen von Patienten als Fehldiagnosen gewertet.

Als Neben- bzw. Fehldiagnosen aus Patientensicht, wurden sowohl andere Netzhautdystrophien als auch unspezifische Sehstörungen und neurologische Erkrankungen genannt (Tab. 2).

Tab. 2 Neben- und Fehldiagnosen aus Patientensicht vor finaler Diagnosestellung (Mehrfachnennungen möglich)

In 38 % der Fälle erfolgte die Diagnosestellung dieser Fehl- bzw. Nebendiagnosen durch eine Universitätsaugenklinik, in 47 % durch niedergelassene Ophthalmologen.

Ein Drittel der Patienten mit Neben- bzw. Fehldiagnosen gab an, aufgrund dieser eine Therapie erhalten zu haben.

Molekulargenetische Diagnostik

Bei 63 % der Patienten erfolgte eine molekulargenetische Diagnostik bei (35 %) oder nach (28 %) finaler klinischer Diagnosestellung (Abb. 2a). Das Angebot einer genetischen Diagnostik bei der Diagnosestellung haben 6 % der Patienten abgelehnt (Abb. 2b). Bei mehr als einem Drittel der Patienten (34 %) wurde kein Gentest zur Sicherung der Diagnose durchgeführt.

Abb. 2
figure 2

Durchführung eines Gentests zur Bestätigung der finalen Diagnose. Molekulargenetische Test: (a) Zeitpunkt der Durchführung der Tests. (b) Interesse der Patienten an einer Durchführung. aAngebot bei finaler Diagnosestellung

Jüngeren Patienten (5 bis 25 Jahre) wurde eine molekulargenetische Diagnostik häufiger bei Diagnosestellung (73 %) und früher angeboten als älteren Patienten.

Jeder sechste Patient (16 %) gab an, dass das Ergebnis der Gendiagnostik zu negativen Auswirkungen in seinem Leben geführt hat; am stärksten in den Bereichen Beruf/Ausbildung (39 %) sowie beim Abschluss von Versicherungen (30 %). Nicht differenziert abgefragt wurde dabei allerdings, inwieweit bereits die klinische Diagnose oder ausschließlich der molekulargenetische Befund zu den negativen Auswirkungen geführt hat.

Die Hälfte der Patienten (49 %; N = 110) gab an, die für ihre Erkrankung ursächliche genetische Veränderung zu kennen. Von den Patienten, die diese angegeben haben, wurde das ABCA4-Gen (11 %) am häufigsten genannt, gefolgt vom USH2A-Gen (8 %), RP1-Gen (5 %) sowie RPE65-Gen bzw. RPGR-Gen (jeweils 4 %).

Bei den Patienten wurden die Kosten für die molekulargenetische Diagnostik in 91 % der Fälle durch die Krankenkassen übernommen (Abb. 3). Lediglich 6 % (n = 8) der Patienten gaben an keine Erstattung bekommen zu haben, wobei offen ist, in welchen Jahren und aus welchen Gründen die Kosten nicht übernommen wurden. Von 3 % der Patienten fehlten Angaben zur Kostenerstattung.

Abb. 3
figure 3

(a) Kostenerstattung der molekulargenetischen Diagnostik durch die Kassen: * GKV: 79 % (117 Patienten) | PKV: 12%(18 Patienten), ** GKV: 3 % (5 Patienten) | PKV: 2 % (3 Patienten) | keine Angabe zur Versicherung: 1 % (1 Patient). (b) Bereitschaft der Patienten an einer Gentherapie teilzunehmen

Einer Gentherapie steht die große Mehrheit der Befragten positiv gegenüber. Insgesamt würden sich 85 % mit einer potenziellen Gentherapie behandeln lassen (Abb. 3).

Nur etwa die Hälfte (47 %) der Patienten hat nach der finalen Diagnosestellung eine humangenetische Beratung wahrgenommen (Abb. 4); von diesen gaben 70 % an, hierdurch neue Erkenntnisse erlangt zu haben, u. a. Erkenntnisse zu den genetischen Hintergründen der Erkrankung, Wahrscheinlichkeit der Weitergabe an die Kinder, Polkörperdiagnostik oder die Identifikation des betroffenen Gens. Von der Hälfte der Befragten (51 %), die keine humangenetische Beratung erhalten haben, gaben 5 % an, dass sie durch den Augenarzt beraten worden sind, und 15 %, dass eine Beratung nicht erforderlich oder gewünscht sei. Der Hauptgrund für die Nichtinanspruchnahme einer humangenetischen Beratung war mit 37 % jedoch ein mangelndes Angebot bzw. die fehlende Kenntnis der Beratungsmöglichkeit.

Abb. 4
figure 4

Inanspruchnahme humangenetischer Beratung nach finaler Diagnose und Gründe für die Nichtinanspruchnahme, Nennung mehrerer Gründe für Nichtinanspruchnahme möglich

Zufriedenheit aus Patientensicht

Die überwiegende Mehrheit der Patienten war mit der Diagnosestellung zufrieden (Abb. 5). Jedoch gab etwa jeder dritte Patient (29 %) an, nicht zufrieden mit der Art und Weise der Diagnosestellung zu sein. Die 3 Hauptgründe waren der lange Weg bis zur Diagnosestellung (62 %), die unzureichende Aufklärung durch die Augenärzte inklusive der unzureichenden Vermittlung subsidiärer Angebote wie Selbsthilfegruppen oder Frühförderstellen (55 %) und die mangelnde Empathie bzw. unzureichende psychosoziale Betreuung durch den Arzt (41 %).

Abb. 5
figure 5

Zufriedenheit mit der Diagnosestellung aus Patientensicht und Gründe für fehlende Zufriedenheit (Mehrfachnennungen möglich). aInklusive unzureichender Vermittlung subsidiärer Angebote (Selbsthilfegruppen oder Frühförderstellen), bfachliche Defizite, fehlende Überweisung an Spezialisten

Diskussion

Die Ergebnisse der hier vorgestellten Studie zeigen, dass trotz der nachgewiesenen Bedeutung einer molekulargenetischen Diagnostik und deren hoher Akzeptanz durch die Patienten sowohl die Diagnostik als auch eine humangenetische Beratung in der Vergangenheit noch nicht ausreichend eingesetzt wurden. Gestützt wird dieser Eindruck durch eine kürzlich veröffentliche europaweite Umfrage, in der länderspezifisch unter anderem die genetische Testung von Patienten mit erblichen Netzhautdystrophien adressiert wurde [14]. Bei der hohen Wahrscheinlichkeit einer eindeutigen Diagnosesicherung in bis zu 80 % der Patienten [4], der in der vorliegenden Studie dokumentierten hohen Patientenakzeptanz, der Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen in Deutschland [14] und dem Wegfall von Vorabgenehmigung größerer Panel-Genanalysen durch die gesetzlichen Krankenkassen zum 01.01.2021 sollte die molekulargenetische Diagnostik ein Routineangebot in der Abklärung eines Verdachts einer erblichen Netzhautdystrophie sein. Inwieweit insbesondere, die Erstattung der Panel-Genanalysen durch die Krankenkassen die routinemäßige Durchführung molekulargenetischer Diagnostik im Praxisalltag vorantreiben, bleibt abzuwarten. Das molekulargenetische Ergebnis ist entscheidend für die persönliche, berufliche und familiäre Beratung im Hinblick auf Krankheitsverlauf, Einschränkungen der Lebensqualität und v. a. über zugelassene oder in Studien verfügbare medikamentöse oder gentherapeutische Therapieangebote. Dies ist besonders wichtig, da ein großer Teil der Patienten eine gentherapeutische Behandlung in Erwägung ziehen würden.

Ein wünschenswertes Ziel ist auch die Verkürzung der Diagnosezeiten, die von mindestens einem Viertel der Patienten aktuell als zu lang empfunden werden. Allerdings wird diese eher durch das Nicht-in-Betracht-Ziehen einer erblichen Netzhautdystrophie als Differenzialdiagnose bei der Abklärung unklarer Sehstörungen als durch die fehlende Indikationsstellung zur molekulargenetischen Diagnostik verursacht [1].

Die vergleichsweise lange Zeit bis zur finalen Diagnosestellung von 14 Jahren in dieser Studie lässt sich durch verschiedene Einflussfaktoren erklären. Zum einen liegt dies an der nichtrepräsentativen Umfragepopulation, bei der das Durchschnittsalter 55 Jahre betrug und nur 7 % der Befragten im Alter von 5 bis 25 Jahren waren. Diese Altersgruppe ist auch in der PRO RETINA unterproportional repräsentiert. Junge Patienten, bei denen die Diagnose häufig früher erfolgt (Median 3 Jahre nach den ersten Symptomen bei Kindern mit Morbus Stargardt) [1], waren in der Umfragepopulation wenig vertreten. Zum Zweiten sind erst aufgrund der in den letzten Jahren verfügbaren umfangreichen molekulargenetischen Diagnostik sowie der in den letzten beiden Dekaden eingeführten retinalen Bildgebung die Diagnosesicherung und die Möglichkeit zur Frühdiagnose erheblich verbessert worden, sodass für viele der älteren Patienten erst in den letzten Jahren eine Diagnosespezifizierung möglich war. Zum Dritten liegen für einen großen Teil der Patienten der subjektive Krankheitsbeginn, die initiale Diagnostik und finale Diagnosestellung länger zurück, sodass die Angaben aus der Erinnerung tendenziell unpräzise sind. Weiterhin können auch die Verwendung synonymer Begriffe bestimmter Erkrankungen und die damit verbundene Wertung des Patienten einer Diagnose als Fehldiagnose dazu führen, dass die Einschätzung des Zeitpunkts der finalen Diagnosestellung durch den Patienten als länger eingeschätzt wurde. Wenn daher der hier erhobene Zahlenwert von 14 Jahren Diagnoseverzögerung mit Vorsicht zu betrachten ist, sind 3 Ergebnisse wesentlich: Erstens kommt es immer noch, wie auch in anderen Studien gezeigt [1], zu einer verzögerten Diagnosestellung. Die gezielte Abklärung einer ungeklärten Sehstörung mithilfe der Bildgebung, Funktionsdiagnostik, ggf. Vorstellung in Schwerpunktzentren und bei Verdacht auf eine erbliche Netzhautdystrophie mit molekulargenetischer Diagnostik ist für eine zeitnahe Diagnosesicherung wesentlich [1, 10] und vermeidet Fehldiagnosen. Zweitens wird die Aufklärung über die Befundergebnisse als unzureichend empfunden, hier erscheint die kombinierte umfassende Beratung durch Augenärzte (ggf. spezialisierte Angebote in Schwerpunkt- und Sehbehindertenzentren) und Humangenetiker sinnvoll. Dabei ist es auch wichtig, die Variabilität der medizinischen Nomenklatur zu berücksichtigen, um gefühlte Fehldiagnosen zu vermeiden. Drittens wird eine unzureichende Empathie und psychosoziale Betreuung beklagt: Die Zusammenarbeit von Ärzten mit den Anbietern verschiedener Leistungen wie Patientenselbsthilfe, vergrößernde Sehhilfen, Mobilitätstraining, Beratung für Ausbildung und Beruf sowie Beratung über finanzielle und soziale Hilfen ist für den Patienten und seine Familie von hoher Bedeutung, um die schwierige Erstdiagnose zu bewältigen.

Weitere klinische und genetische Daten aus dieser Studie sind nur unter Berücksichtigung der Umfragepopulation zu bewerten. Das mittlere Alter, bei dem erste Symptome in der Umfragepopulation auftraten, ist mit 22 Jahren vergleichsweise hoch. Wie in anderen Studien zeigte sich auch in dieser Umfrage, dass pathogene Varianten im ABCA4- und USH2A-Gen am häufigsten sind [8, 17]. Die Frequenzen anderer assoziierter Gene RPGR, RP1, RPE65 sind dagegen überrepräsentiert. Die hohe Frequenz an RPE65, steht möglicherweise in Zusammenhang mit der verfügbaren Gentherapie und einer erhöhten Motivation betroffener Patienten zur Teilnahme an wissenschaftlichen Studien. Die Anzahl an Patienten mit final diagnostizierter Retinitis pigmentosa ist im Vergleich zu anderen Studien [8] mehr als doppelt so hoch, sodass die Umfragepopulation auch für die Frequenz der verschiedenen Netzhautdystrophien nicht repräsentativ ist.

Fazit für die Praxis

  • Obgleich die molekulargenetische Diagnostik durch Krankenkassen unproblematisch erstattet wird und ihre Akzeptanz unter Patienten hoch ist, wurde sie zur Diagnosesicherung bisher zu selten eingesetzt.

  • Humangenetische Beratung wird ebenfalls nur unzureichend angeboten.

  • Um den Diagnoseweg zu verkürzen, sollte bei allen unklaren Sehstörungen der Verdacht auf erbliche Netzhautdystrophien mit einbezogen und, wenn klinisch indiziert, mit molekulargenetischer Diagnostik abgeklärt werden, ggf. in Zusammenarbeit mit auf Netzhautdystrophien spezialisierten Schwerpunktzentren.

  • Jede Diagnose einer genetisch bedingten Erkrankung sollte mit dem Angebot einer humangenetischen Beratung verbunden werden.

  • Die Beratung der Patienten sollte die Varianten der medizinischen Nomenklatur, die Auswirkungen auf die persönlichen Lebensbedingungen und die Kooperation mit anderen Hilfsangeboten berücksichtigen.