Periokuläre Talgdrüsenkarzinome von Muir-Torre-Syndrom-Patienten zeigen gehäuft einen Verlust der Tumorsuppressorfunktion des fragilen Histidin-Trias(FHIT)-Gens. Verantwortlich dafür sind genomische Deletionen oder eine Hypermethylierung der Promotorregion dieses Gens in den Tumorproben der Patienten. In der vorliegenden Studie haben wir eine menschliche Sebozytenlinie über viele Passagen in vitro kultiviert, um sie auf frühe präneoplastische Veränderungen am FHIT-Genort zu untersuchen. Unsere Daten dokumentieren die Abschaltung der Transkription als Folge einer Blockade der Promotorregion durch aberrante Methylierung, wie sie auch in Patientenproben nachweisbar war. Hieraus lassen sich Ansätze eines experimentellen Therapieansatzes ableiten.

Talgdrüsenkarzinome – genetische Entstehungswege

Talgdrüsenkarzinome (TDK) sind eher seltene, v. a. im höheren Lebensalter sporadisch auftretende, maligne Entartungen von Talgdrüsen. Diese Tumoren können periorbital, meist das Oberlid betreffend [3], oder extraorbital lokalisiert sein [19, 23]. An den Augenlidern gehen sie von den Meibom-Drüsen aus [30]. TDK entstehen auf unterschiedlichen genetischen Wegen [8]. Als extrakolonische Manifestation sind sie bei Patienten mit einem hereditären nichtpolypösen Kolonkarzinom (HNPCC) zu finden [24]. Malignome von HNPCC-Patienten sind durch ein defektes Mismatch-Repair-System (MMR; postreplikatives Basenfehlpaarungsreparatursystem) gekennzeichnet [24]. Tumoren dieser Patienten zeigen eine hochgradige Mikrosatelliteninstabilität (MSI) als Folge der Inaktivierung eines der beiden prominenten MMR-Gene MSH2 und MLH1 [24]. Das Auftreten eines viszeralen Tumors in Kombination mit einem TDK wird als Muir-Torre-Syndrom (MRTES) bezeichnet [5]. In Übereinstimmung mit Daten von Knock-out-Mäusen, bei denen das fragile Histidin-Trias(FHIT)-Gen gezielt in der Keimbahn ausgeschaltet worden war [6], gelang es uns, in den periokulären TDK von MRTES-Patienten gehäuft eine alternative genetische Signatur nachzuweisen. Diese war durch Mikrosatellitenstabilität und einen Verlust der Expression des Tumorsuppressorgens FHIT [11, 15, 28] charakterisiert. Diese Patienten zeigten eine Ausschaltung des FHIT-Gens in ihren TDK, die entweder durch genomische Deletionen innerhalb der konstitutiv fragilen FRA3B-Region [13, 14] oder eine epigenetische Inaktivierung der FHIT-Promotorregion infolge Hypermethylierung von CpG-Inseln verursacht war [8, 9, 27].

Das FHIT-Gen – ein Tumorsuppressorgen

Das FHIT-Gen ist in der konstitutiv fragilen Chromosomenregion FRA3B im Bereich 3p14.2 lokalisiert und kodiert für ein Protein mit Tumorsuppressorfunktion [13, 14]. Bedingt durch Replikationsstress kann es in der FRA3B/FHIT-Region zu DNA-Doppelstrangbrüchen (DDSB) kommen [12], die durch ungenaue Reparaturmechanismen zu genomischen Deletionsereignissen im FHIT-Gen führen können [13,14,15]. Der FHIT-Genort zeigt sich sehr häufig in Karzinomzellen verändert, wobei bereits in prämalignen Neoplasiestadien und sogar normalen menschlichen Zellen strukturelle Aberrationen in Abhängigkeit vom Zelltyp zu finden sind [13,14,15, 22]. Der Verlust von FHIT mündet in eine globale präneoplastische genomische Instabilität, die u. a. mit einer zunehmenden Anzahl von DDSB korreliert und in Form von γH2A.X-Reparatur-Foci dokumentiert werden kann. Neben diesem genetischen Mechanismus der funktionellen Inaktivierung sind aber auch epigenetische Veränderungen in Form von CpG-Hypermethylierungen an Transkriptions-regulatorischen Promotorsequenzen des FHIT-Gens nachgewiesen worden [9, 27]. Dieses Phänomen des „epigenetic silencing“ konnte im Rahmen von Alterungsprozessen sowohl bei Zellen in vivo als auch bei in vitro kultivierten Zelllinien beobachtet werden und führt ebenfalls generell zur funktionellen Deletion von Tumorsuppressorgenen.

Ziel der Studie war es zu prüfen, ob die mit dem Large-T-Antigen immortalisierte Sebozytenlinie SZ95 [29] im Rahmen einer prolongierten Kultivierung präneoplastische Veränderungen am FHIT-Genort in Übereinstimmung mit dem Knock-out-Mausmodell und den MRTES-Patienten erwerben würde. Dazu wurden molekulargenetische Verfahren eingesetzt, die zwischen einer genomischen Deletion und methylierten CpG-Inseln im Transkriptions-regulierenden 5′-Ende des FHIT-Gens unterscheiden und als Folge davon die Zunahme von DNA-Doppelstrang(ds)-Brüchen dokumentieren sollten. Abschließend sollten Pilotexperimente zeigen, ob durch den Einsatz demethylierender Agenzien eine Re-Expression von FHIT-Transkripten möglich ist.

Methodik

Die Experimente dieser Studie erfolgten im Rahmen einer medizinischen Doktorarbeit, die unter Referenz [18] publiziert ist. Dieser Dissertation können alle verfahrenstechnischen Details einschließlich der eingesetzten Primersequenzen entnommen werden, die hier aus Platzgründen nicht im Einzelnen aufgeführt werden können.

Die Kultur der immortalisierten SZ95-Sebozytenlinie erfolgte in geeigneten Kulturgefäßen unter Standardbedingungen in einem Brutschrank in einem speziell für diese Zelllinie vorgegebenen Kulturmedium. In jeweiliger Abhängigkeit von der In-vitro-Kulturdauer wurden an den SZ95-Zellen Methylierungsanalysen in Form von methylierungsspezifischer PCR (MSP) und Combined Bisulfite Restriction Analysis (COBRA) durchgeführt. Mithilfe einer CpG-Methylase (M. SssI) methylierte Kontroll-DNA diente als Vergleichskontrolle.

Um eine Hypermethylierung der CpG-reichen Promotorregion des FHIT-Proteins zu detektieren, wurde das Verfahren der sensitiven methylierungsspezifischen PCR (MSP) [8, 9] genutzt. Sie basiert auf der primerspezifischen Synthese eines PCR-Produktes [19]. Um methylierte von unmethylierter DNA unterscheiden zu können, wurde die DNA vorher einer Bisulfit-Behandlung unterzogen („bisulfite genomic sequencing“ nach Frommer et al. (1992) [7]). Details zur Durchführung dieser Analysen finden sich in [18] auf den S. 19–21.

Um semiquantitativ den Methylierungsstatus zu analysieren, wurde das Prinzip der Combined Bisulfite Restriction Analysis (COBRA) genutzt [8, 9]. Dieses kombiniert die auf einer Konversion mit Bisulfit basierende selektive PCR-Amplifikation mit einem sich anschließenden Verdau der erhaltenen PCR-Produkte durch die Restriktionsendonuklease BstUI (ein methylierungssensitives Restriktionsenzym), welche methylierte, CpG-enthaltende Erkennungssequenzen schneidet, da es das Dinukleotid CpG (5′-CGCG-3′) in der palindromischen Erkennungssequenz für den Verdau aufweist. Es werden somit alle PCR-Produkte geschnitten, die ursprünglich von methylierter DNA stammten. Unmethylierte PCR-Produkte werden nicht geschnitten. Neben dem Restriktionsenzymansatz der PCR-Produkte wurde als Kontrolle parallel ein mock-Ansatz durchgeführt. Hierfür wurde ein identischer Ansatz für den Verdau angesetzt, welcher jedoch keine Restriktionsendonuklease enthielt. Genaue Angaben hierzu finden sich in [18] auf S. 21–22.

Es wurde eine Bisulfit-Sequenzierung der Promotorregion des FHIT-Gens vorgenommen. Zunächst erfolgte die Amplifikation der Bisulfit-behandelten DNA. Es wurden entsprechende Primersets genutzt, welche eine geringe Anzahl von CpG-Dinukleotiden enthielten [27]. Im Anschluss an die „first PCR“ wurde eine Reamplifikation als „nested PCR“ durchgeführt. Diese zweite PCR wurde mit jeweils 0,5 μl PCR-Produkt aus der ersten PCR praktiziert, hierbei lagen die Sequenzen beider dafür genutzten Oligonukleotide innerhalb des Amplifikats der „first PCR“. Detaillierte Angaben hierzu sind in [18] auf S. 22–23 nachzulesen.

Als Vektor für die Klonierung wurde der kommerziell erhältliche Vektor pJET1.2/blunt genutzt, welcher Bestandteil des CloneJet™ PCR Cloning Kit ist. Entsprechendes Vorgehen ist dem Sticky-ends-Protokoll des Herstellers zu entnehmen. Im Anschluss an den Klonierungs- und Transformationsansatz sowie der Präparation von Plasmid-DNA aus der Bakterienkultur erfolgte eine PCR. Hierfür wurde die Plasmid-DNA mit den „nested“ Primern dem Protokoll entsprechend angesetzt, wobei Plasmid-DNA dem Master-Mix als Matrize hinzugefügt wurde. Das erhaltene PCR-Produkt wurde als Template für die Sequenzierreaktion genutzt. Mittels des BigDye-Sequenzierungs-Kits und der Sequenzierprimer FHIT nested wurden die Klone auf beiden DNA-Strängen sequenziert. Auch hierzu finden sich genaue Angaben in [18] auf S. 23–25.

Reverse-Transkriptase-PCR für FHIT und Aktin: Für die Expressionsanalyse wurde aus zuvor isolierter RNA ein cDNA-Pool synthetisiert (Invitrogen-Herstellerprotokoll SuperScript™ II). Dazu wurde 1 μg RNA mit Random-Hexamer-Primern revers transkribiert. Zur Quantifizierung erfolgte der Vergleich zum ubiquitär exprimierten Housekeeping-Gen Beta-Aktin (s. [18] auf S. 26–27).

Behandlung der Sebozytenlinie SZ95 mit 5‑Azacytidin und Trichostatin A: Initial wurde die Konzentration der demethylierenden Substanz 5‑Azacytidin zur Behandlung der Zellen ausgetestet und die Verdünnung für Trichostatin A vorbereitet. SZ95-Zellen wurden in jeweils einer Petri-Schale für die Präparation genomischer DNA und RNA kultiviert. Mit diesem Zellmaterial wurden die weiter oben erwähnten Versuche wie COBRA und Expressionsanalysen durchgeführt (Details s. [18] auf S. 27).

Zum Nachweis von DNA-Doppelstrangbrüchen erfolgte eine γ‑H2A.X-spezifische Immunfluoreszenzfärbung [28]. Das Ergebnis der Färbung wurde jeweils im Phasenkontrast (Durchlicht) und mittels der Fluoreszenz ausgewertet (s. [18] auf S. 27–28).

Ergebnisse

Die Studie zeigte, dass mit steigender Passagezahl eine zunehmende Methylierung der 33 untersuchten CpG-Dinukleotid-Positionen innerhalb der Promotorregion ersichtlich war (Abb. 1), folglich nahm die FHIT-Genexpression ab. Es kam zu einer damit korrelierenden Anhäufung von DNA-Doppelstrangbrüchen, welche sich als Reparatur-Foci anhand von γ‑H2A.X-spezifizierter Immunfluoreszenz visualisieren ließen. Als experimentell therapeutischer Ansatz wurde die Sebozytenlinie SZ95 bei hoher Passagezahl mit dem demethylierenden Agens 5‑Azacytidin sowie mit Trichostatin A behandelt und mit entsprechenden Methylierungs- und Expressionsanalysen (Reverse-Transkriptase-PCR) kombiniert.

Abb. 1
figure 1

Methylierungsanalyse (Combined Bisulfite Restriction Analysis): Es werden eine frühe (P32) und eine späte Passage (P67) der unter standardisierten In-vitro-Kulturbedingungen vermehrten SZ95-Sebozyten einander gegenübergestellt. Während sich in der frühen Passage 32 im untersuchten Promotorbereich des FHIT-Gens keine methylierte DNA nachweisen lässt, kehrt sich das Bild in der späteren Passage 67 um: Der Großteil der im DNA-Pool vorliegenden Promotorsequenzen des FHIT-Gens liegt in methyliertem Zustand vor, was deutlich wird anhand der Intensität der 191 bp-Bande. M23 Marker M23, blank Restriktionsansatz ohne PCR-Produkt, RE Verdau durch das methylierungssensitive Restriktionsenzym BstUI, + Zugabe des Restriktionsenzyms,  keine Zugabe des Restriktionsenzyms, SZ95 P32/P67 SZ95-Sebozyten der jeweiligen Passagezahl, Ko. u. unbehandelte Kontroll-DNA, Ko. m. mit Methylase behandelte Kontroll-DNA, 247bp (U) 247-Basenpaar-Bande: unmethyliert-spezifisches PCR-Produkt, 191bp (M) 191-Basenpaar-Bande: methyliert-spezifisches PCR-Produkt

Reverse-Transkriptase-PCR

Für die Expressionsanalyse von FHIT wurde eine Reverse-Transkriptase(RT)-PCR durchgeführt, und zur Quantifizierung wurde der Vergleich zum ubiquitär exprimierten Housekeeping-Gen Beta-Aktin genutzt. Die 133 Basenpaar(bp)-Bande steht für FHIT, und die 511 bp-Bande stellt das PCR-Produkt für Beta-Aktin dar (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Reverse-Transkriptase(RT)-PCR-Produkte nach Agarose-Gelelektrophorese. M23 Marker M23, blank Ansatz ohne RT-Produkt, SZ95 P32/P67 SZ95-Sebozyten der jeweiligen Passagezahl

Immunfluoreszenz: Histonmodifikation γ-H2A.X

Bei Verlust der caretaker-Funktion des Tumorsuppressorproteins FHIT kann es zu DNA-Doppelstrangbrüchen und genomischer Instabilität kommen [28]. Um diese in Abhängigkeit von der Zeit, in welcher die SZ95-Sebozyten unter standardisierten In-vitro-Kulturbedingungen vermehrt wurden, zu dokumentieren, wurde eine Immunfärbung mit dem Anti-Phosphohiston-Gamma-H2A.X-Antikörper durchgeführt. Die phosphorylierte Form γ‑H2A.X spielt eine entscheidende Rolle bei der Erkennung und der Reparatur von Doppelstrangbrüchen durch DNA-Reparaturmechanismen [4]. Die Auswertung von γ‑H2A.X-Foci ist die sensitivste Methode, um DNA-Doppelstrangbrüche zu detektieren [16]. Abb. 3 und 4 zeigen repräsentative Ergebnisse.

Abb. 3
figure 3

Immunzytochemische Färbung von SZ95-Sebozyten der Passagezahl P35 mit dem γ‑H2A.X-Antikörper. Es zeigt sich eine schwache detektierbare FITC-Fluoreszenz (Maßstab: 20 μm)

Abb. 4
figure 4

Immunzytochemische Färbung von SZ95-Sebozyten der exemplarisch ausgewählten späten Passagezahl P73 mit dem γ‑H2A.X-Antikörper. Hier ist eine deutliche Fluoreszenz durch zahlreiche Foci erkennbar (Maßstab: 20 μm)

Bei der Betrachtung einer frühen und einer exemplarisch ausgewählten späten Passage zeigt sich eine deutliche Fluoreszenz der späteren Passage der SZ95-Sebozyten, wobei man annehmen kann, dass hierbei die Anzahl der detektierbaren Foci proportional zum Ausmaß der Schädigung der DNA ist [25]. Während sich bei der hier gezeigten frühen Passage der SZ95-Sebozyten nur sehr wenige Foci detektieren lassen, weist die späte Passage eine starke Fluoreszenz auf (Abb. 3 und 4). Es lässt sich feststellen, dass es im Laufe der Kultivierung der Sebozyten vermehrt zu DNA-Doppelstrangbrüchen kam und diese mit der Zeit zunahmen.

Experimentell-therapeutischer Ansatz

Durch die Behandlung mit 5‑Azacytidin und dem Histon-Deacetylase-Inhibitor Trichostatin A konnten eine Abnahme der Methylierung der FHIT-Promotorregion (Abb. 5) sowie eine Re-Expression von FHIT-Transkripten beobachtet werden (Abb. 6).

Abb. 5
figure 5

Methylierungsanalyse (Combined Bisulfite Restriction Analysis): Als experimentell-therapeutischer Ansatz sollte die Re-Expression von FHIT geprüft werden. Dazu wurden Zellen hoher Passage mit dem demethylierenden Agens 5‑Azacytidin und dem Histon-Deacetylase-Inhibitor Trichostatin A behandelt. Auswirkungen wurden durch Analyse des Methylierungsstatus geprüft. Das gelelektrophoretische Ergebnis verdeutlicht, dass sich durch die Behandlung der Sebozyten bereits methylierte DNA zum Teil wieder demethylieren ließ. M23 Marker M23, SZ95 P123 SZ95-Sebozyten der Passagezahl 123, Kontr. Kontroll-DNA SZ95, RE Verdau durch das methylierungssensitive Restriktionsenzym BstUI, + Zugabe des Restriktionsenzyms,  keine Zugabe des Restriktionsenzyms, 5μM A. mit 5 μM Azacytidin behandelte SZ95 P123 ohne bzw. nach BstUI-Verdau, 10μM A. mit 10 μM Azacytidin behandelte SZ95 P123 ohne bzw. nach BstUI-Verdau, +TSA mit 10 μM Azacytidin und 300 nm Trichostatin A behandelte SZ95 P123 ohne bzw. nach BstUI-Verdau, 247bp (U) unmethyliert-spezifisches PCR-Produkt, 191bp (M) methyliert-spezifisches PCR-Produkt

Abb. 6
figure 6

Reverse-Transkriptase(RT)-PCR nach der Behandlung der Sebozyten mit 5‑Azacytidin und Trichostatin A. M23 Marker M23, SZ95 P123 SZ95-Sebozyten der Passage 123, unb. unbehandelte, SZ95 P123 Kontr. Kontroll-DNA SZ95 P123, +5 mit 5 μM Azacytidin behandelte SZ95 P123, +10 mit 10 μM Azacytidin behandelte SZ95 P123, +10/300 mit 10 μM Azacytidin und 300 nM Trichostatin A behandelte SZ95 P12, blank Ansatz ohne PCR-Produkt

Durch die Ergebnisse in der Abb. 5 wird klar, dass sich durch die Behandlung der SZ95-Zellen mit der demethylierenden Substanz 5‑Azacytidin sowie in Kombination mit Trichostatin A bereits methylierte DNA wieder demethylieren ließ: Ein Teil der methylierten DNA, dokumentiert durch die Signalstärke der 191 bp-Bande (M), wurde durch die Behandlung in die unmethylierte Form umgewandelt, was deutlich wird anhand der zunehmenden Intensität der Bande von 247 bp (U) in Relation zum kleineren methylierungsspezifischen Produkt (M). Im Anschluss an diese Untersuchungen wurde eine Expressionsanalyse durch Reverse-Transkriptase-PCR durchgeführt, um die umgekehrte Proportionalität der FHIT-Expression abhängig von seinem Promotor-Methylierungsstatus zu verdeutlichen und eine Re-Expression des FHIT-Gens zu bestätigen [10].

Die Abb. 6 verdeutlicht die gelungene Re-Expression des FHIT-Gens durch die Behandlung mit 5‑Azacytidin. Am stärksten scheint dieser Effekt bei der Behandlung der Zellen mit 10 μM Azacytidin zu sein. Bei der Betrachtung der Demethylierungseffekte der COBRA-Analyse (Abb. 5) ergibt die Konzentration von 10 μM Azacytidin vergleichsweise ähnliche Wirkungen wie in Kombination mit Trichostatin A.

Diskussion

Epigenetische Inaktivierung von FHIT als früher Schritt in der Tumorgenese von Sebozyten

Zwei Aspekte mit klinischer Relevanz sollten als Fazit dieser Studie besonders hervorgehoben werden. Zum einen hat diese Analyse gezeigt, dass der den Promotor des FHIT-Gens inaktivierende Methylierungsmechanismus, der in TDK-Zellen von MRTES-Patienten bereits zuvor von uns beschrieben worden war, sich in der Sebozytenpopulation im Zuge der prolongierten In-vitro-Kultur bestätigen und durchsetzen konnte. Dieser Befund stützt sich auf 2 unabhängige Kultivierungsansätze der SZ95-Zellen. Darüber hinaus ergab die parallele Kultivierung menschlicher Vorhautfibroblasten auch bei sehr hohen Passagezahlen keinerlei Hinweise auf eine aberrante Hypermethylierung des FHIT-Genpromotors. Somit könnte dieser Methylierungsprozess des FHIT-Gens zelltypspezifisch gesteuert sein oder aber auch zelltypabhängig klonale Wachstumsvorteile mit sich bringen. Es ist anzunehmen, dass zunächst eine genomweite Hypermethylierung stattfindet, die nach dem Zufallsprinzip zur Inaktivierung verschiedener Tumorsuppressorgene führt. Trifft dieser epigenetische Inaktivierungsvorgang in Sebozyten auf das FHIT-Gen, so werden Folgeprozesse initiiert, in deren Verlauf diese Zellen zunehmend Mutationen akquirieren, die zusätzliche Wachstumsvorteile und letztlich eine positive Selektion beinhalten [2]. Eine von mehreren möglichen Folgeerscheinungen des Verlustes der Tumorsuppression von FHIT führt, wie bereits früher beobachtet [28], zu einem vermehrten Auftreten von DNA-Doppelstrangbrüchen (s. Abb. 3 und 4) und somit zu einer Störung der genomischen Integrität.

Beispiele für nachfolgende Mutationen, die vorgeschädigte Sebozyten weiter entarten lassen, ist die Ausschaltung der BRCA1/2-Gene, die essenzielle molekulare Bausteine für die Präzisionsreparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen durch homologe Rekombination liefern. Aber auch spezielle dominant-negative Mutationen an p53, des „Wächters des Genoms“, wurden in TDK nachgewiesen. Sie führen zu einer tolerierten Akkumulation multipler genetischer Veränderungen im zellulären Genom infolge inaktivierter Überwachungsmechanismen, die Reparaturfehler sowie eine gestörte Apoptose- und Zellzykluskontrolle einschließen [1].

Genetische Veränderungen in menschlichen Zellen durch In-vitro-Kultivierung

Als zweiter wichtiger Aspekt dieser Untersuchungen sei auf die latente Instabilität des zellulären Genoms aus genetischer und epigenetischer Sicht hingewiesen. Zellen in definierten synthetischen Medien stellen kein starres biologisches System dar. Lange galten in vitro kultivierte (Stamm‑)Zellen als unerschöpfliche Quelle für Forschungsmaterial mit therapeutischem Potenzial in der regenerativen Medizin, wobei angenommen wurde, dass sich hier ausnahmslos alle zellbiologischen Aspekte auf die Situation in vivo übertragen lassen. Mittlerweile gaben jedoch zahlreiche Studienergebnisse Anlass, den bedenkenlosen Umgang mit derartigen Zellen zu hinterfragen. Aufmerksamkeit erregte zuletzt der Befund, dass pluripotente, unter In-vitro-Bedingungen kultivierte (immortalisierte) Stammzellen Mutationen im Tumorsuppressorgen p53 in Form einzelner Basenaustausche erwerben können, welche die Tumorgenese begünstigen [2, 20]. So konnte durch serielle Mutationsanalysen bestätigt werden, dass der Anteil der Zellen mit einer Basensubstitution im Tumorsuppressorgen p53 mit laufender Passagierung unter standardisierten Wachstumsbedingungen innerhalb der Population zunahm [20]. Da TP53 die Regulation von apoptotischen Vorgängen vermittelt und somit entscheidend in den Zellzyklus eingreift, ist es möglich, dass derartige TP53-Mutationen zu einem selektiven Vorteil der so entstandenen Subklone führen [2]. Genetische Veränderungen, welche einen Selektionsvorteil mit sich bringen, sind die Hauptgründe für die Entstehung von Malignomen. Dahingehende Genmutationen können Zellen unter den streng selektiven Bedingungen, wie sie in der In-vitro-Kultur zu finden sind, einen Wachstumsvorteil geben [17]. Der Großteil aller malignen Tumoren ist klonalen Ursprungs, was bedeutet, dass der Tumor aus einer einzelnen Zelle hervorgegangen ist, welche durch die erworbene Mutation über einen Wachstums- und damit Selektionsvorteil verfügte [21]. Da das p53-Gen nicht nur dominant-negativ aktiviert werden kann, sondern stellvertretend für eines von zahlreichen klassischen Tumorsuppressorgenen steht, ergibt sich hier die Frage, inwieweit auch andere tumorsupprimierende Gene unter länger andauernder In-vitro-Kultur derartige Veränderungen erfahren [17]? Bereits frühere Studien verdeutlichten, dass sich selbst standardisierte In-vitro-Kulturbedingungen artifiziell auf menschliche Zellen auswirken und einen derartigen Selektionsstress ausüben können, welcher die Entstehung von Mutationen und malignen Transformationen begünstigen kann [2, 17]. Unsere Daten bestätigen in dem hier präsentierten In-vitro-Modell einer Sebozytenlinie, dass die Abschaltung des FHIT-Gens in Übereinstimmung mit Untersuchungen an Knock-out-Mäusen [6] ein sehr frühes und spezifisches Ereignis in der Tumorgenese von TDK ist. Bemerkenswerterweise erfolgte in Zellkultur die Inaktivierung von FHIT durch den epigenetischen Mechanismus der Promotor-Methylierung, dem jedoch durch Einsatz demethylierender Substanzen therapeutisch entgegengewirkt werden konnte.

Ausblick

Die Studie sieht sich als Beitrag zur Aufklärung der Tumorgenese von Talgdrüsenkarzinomen. Da sich das FHIT-Gen in einem Großteil von Talgdrüsenkarzinomen verändert zeigt, könnten FHIT-defiziente SZ95-Sebozyten als geeignetes präklinisches Modell für die Erforschung von individualisierten Therapieansätzen dienen [26].

Fazit für die Praxis

Talgdrüsenkarzinome treten am häufigsten am Oberlid als solitäre, noduläre Tumoren mit oft jahrelangem Bestehen in Erscheinung. Da morphologische Ähnlichkeiten zu chronisch entzündlichen Vorgängen des Lids bestehen, sind feingewebliche Untersuchungen zur Differenzialdiagnose indiziert. Ein diagnostiziertes TDK sollte mit Blick auf ein Muir-Torre-Syndrom ein internistisches Screening auf mögliche synchrone oder metachrone Neoplasien veranlassen.