Anamnese

Die Kultivierung von Korallen, darunter die Spezies Palythoa unter den Krustenanemonen, erlangte in den letzten Jahren eine immer größere Beliebtheit. Gründe dafür sind unter anderem die relativ einfache Züchtung und die Anspruchslosigkeit der Korallen selbst [1]. Von Relevanz für Ophthalmolog*innen in diesem Fall ist das Gift Palytoxin, welches in Korallen der Spezies Palythoa zu finden ist und zu den tödlichsten Toxinen zählt, welche der Menschheit momentan bekannt sind. Die tödliche Dosis („lethal dose“ [LD]) ist in Mäusen mit LD = 30 ng/kg beschrieben [2]. Das Toxin selbst kann nach Kontakt eine massive Inflammation der Augenoberfläche bis hin zur kornealen Perforation verursachen [3,4,5]. In dieser Kasuistik wird über den rezenten Fall einer ausgeprägten Keratopathie bei einem Patienten nach Kontakt mit Wasser aus einem Korallenaquarium berichtet.

Ein 44-jähriger Mann stellte sich in der Notaufnahme der Augenklinik vor. Er berichtete über gerötete, massiv juckende Augen und verschwommenes Sehen beidseits. Tags zuvor habe er sein Aquarium gereinigt, welches hochgiftige Krustenanemonen beherbergte. Hier sei es vermutlich zu einem Augenkontakt mit dem Wasser des Aquariums gekommen. In der Anamnese zeigten sich ansonsten keinerlei andere relevante Auffälligkeiten, abgesehen von regelmäßigem Kontakt mit Regenwasser, welches für die Kultivierung seiner Korallen verwendet wurde.

Zudem wurde im Rahmen des Anamnesegesprächs ein akut aufgetretener Schwindel angegeben. Da in der Literatur [6] auch über schwerwiegende systemische Komplikationen nach Kontakt mit dieser Art von Toxin berichtet wurde, erfolgte eine umgehende Vorstellung des Patienten in der internistischen Notaufnahme. Hier wurde der Patient observiert, jedoch konnte keine systemische Komplikation oder Gefährdung detektiert werden.

Befund

In der Spaltlampenuntersuchung zeigte sich eine ausgeprägte konjunktivale Injektion mit Stippung des Hornhautepithels beidseits sowie Descemet-Falten links ohne zelluläre Reaktion der Vorderkammer. Die korrigierte Sehschärfe lag dabei rechts bei 1,0 und links bei 0,8. Bei vorliegendem Befund wurden Ofloxacin-Augentropfen links 5‑mal täglich und konservierungsmittelfreie Benetzung beidseits rezeptiert.

Zwei Tage später stellte sich der Patient erneut in der Notaufnahme vor. Nun berichtete er über massive Schmerzen und eine ausgeprägte Sehverschlechterung links. Der Visus betrug nun links cc 0,05, und in der Untersuchung zeigten sich am linken Auge eine noch ausgeprägtere konjunktivale Injektion mit Chemosis, epithelialen Bullae, zentraler Hornhauterosio, ein stromales Hornhautödem sowie ein korneales Ringinfiltrat und Descemet-Falten (zu sehen in Abb. 1); nach wie vor keine Zellen in der Vorderkammer oder im Glaskörper, die Netzhaut unauffällig bei einem Augeninnendruck von 9 mm Hg. Die antibiotische Lokaltherapie wurde auf Moxifloxacin 6‑mal täglich links umgestellt.

Abb. 1
figure 1

OS (Linkes Auge): zweite Vorstellung in der Notaufnahme. Massive konjunktivale Injektion und Chemosis, Epithelbullae, zentrale Hornhauterosio, korneales Stromaödem und Descemet-Falten

Diagnose

Bei deutlicher Befundverschlechterung und bei häufigem Kontakt mit Regenwasser in der Anamnese wurden zusätzliche Erreger in der Differenzialdiagnostik mit berücksichtigt, darunter Pseudomonas oder Akanthamöben. Es wurden Abstriche und Abkratzpräparate ebenso wie eine konfokale Mikroskopie der Hornhaut durchgeführt. In den Kulturen zeigte sich kein Wachstum von Bakterien oder Pilzen, die PCR-Untersuchung auf Akanthamöben war negativ. In der konfokalen Mikroskopie zeigten sich keine Akanthamöbenzysten.

Therapie und Verlauf

Dennoch wurde aufgrund des ausgeprägten Befundes – und des Fehlens eine Antidots gegen Palytoxin [7] – eine breite medikamentöse Therapie fortgeführt: im Rahmen des stationären Aufenthaltes wurden Polyhexanid- und Brolene®-Augentropfen stündlich im Wechsel zusätzlich zu den bereits rezeptierten topischen Fluoroquinolonen verabreicht. Unter dieser Therapie kam es zu einer deutlichen Befundbesserung während des stationären Aufenthaltes. Somit wurde der Patient mit dieser Therapie vorläufig entlassen.

In der Kontrolluntersuchung nach 2 Wochen zeigte sich eine deutliche Verbesserung des Befundes mit deutlicher Reduktion des Hornhautödems am linken Auge bei einem Visusanstieg cc auf 0,2. Daher wurde die Therapie mit Polyhexanid und Brolene® beendet und eine topische Kortisontherapie mit Dexamethason-Augentropfen 5‑mal täglich begonnen. Im Verlauf zeigte sich jedoch die Persistenz des stromalen Ringinfiltrates sowie eines zentralen Epitheldefektes (zu sehen in Abb. 2). Daher wurden innerhalb der nächsten 6 Wochen 2 Amnionmembranaufnähungen durchgeführt. Hier erfolgte jeweils eine einschichtige bindehautfixierte Amnionmembrantransplantation in Tropfanästhesie.

Abb. 2
figure 2

OS: persistierender Epitheldefekt der Kornea vor den Amnionaufnähungen

Drei Monate später zeigte sich eine weitere deutliche Besserung des Befundes. Der Patient berichtete auch über eine deutliche subjektive Besserung, der Visus links betrug cc 0,8. In der Spaltlampenuntersuchung und in der optischen Kohärenztomographie der Hornhaut zeigten sich lediglich minimale residuale Vernarbungen in den oberflächlichen stromalen Schichten der Kornea (zu sehen in Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Kontrolluntersuchung nach 3 Monaten, minimale Residuen der kornealen Trübungen im Hornhaut-OCT

Diskussion, Fazit für die Praxis

  • Durch den wachsenden Trend zur Züchtung giftiger Korallen und bei steigender Nachfrage auch im deutschsprachigen Raum könnten Augenärzt*Innen zukünftig häufiger mit solchen Fällen konfrontiert werden.

  • Bei hinweisender Anamnese ist es auch in solchen Fällen sinnvoll, mögliche Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen und auszuschließen. Denn gegen Palytoxin ist zum aktuellen Zeitpunkt noch keine kausale Therapie vorhanden, jedoch gegen andere mikrobielle Erreger, welche ein ähnliches klinisches Erscheinungsbild zeigen können.

  • Bei Symptomen einer systemischen Reaktion auf Palytoxin (besonders respiratorische Symptome) sollte umgehende eine interdisziplinäre Abklärung erfolgen.

  • Auch bei ausgeprägten Augenoberflächenmanifestationen nach Kontakt mit Palytoxin kann langfristig ein gutes Outcome erreicht werden.