Anamnese und klinischer Befund

Eine 43-jährige Patientin wurde durch den hausinternen, internistischen Notfall aufgrund einer seit einigen Wochen persistierenden, schmerzfreien Schwellung des rechten Unterlides zugewiesen. Sie hatte bereits über zwei Wochen ein ihr unbekanntes Antibiotikum eingenommen und diverse antibiotische und steroidhaltige Salben appliziert, was zu keinerlei Verbesserung geführt hatte. In der medizinischen Anamnese ließen sich eine arterielle Hypertonie, Adipositas, Asthma und, wie sich allerdings erst später im Verlauf herausstellte, eine derzeit inaktive periorale Dermatitis erheben. Eine diabetische oder weitere dermatologische Grunderkrankungen bestanden nicht. Es wurde von keinem Trauma, früheren Entzündungsepisoden oder Infektionen der periokulären Dermis berichtet. In der Statuserhebung zeigte sich linksseitig ein unauffälliger ophthalmologischer und periokulärer Befund, rechtsseitig eine umschriebene Verdickung der Unterlidhaut mit zentral auf Druck hin geringem Austritt von Pus durch eine kleine Lazeration (Abb. 1a). Es zeigten sich klinisch keinerlei Anzeichen für eine postseptale Beteiligung, die Verdachtsdiagnose war ein subkutaner Abszess unklarer Ätiologie.

Abb. 1
figure 1

Fotoaufnahmen bei Erstvorstellung und 3 Monate später. a Erythematöse, noduläre Läsion mit Ausbreitung über das gerötete Hautareal hinaus (gestrichelte Linie). Der blaue Pfeil markiert die dermale Lazeration, aus der sich Pus entleerte. b Nahezu komplette Regredienz der Läsion. Lediglich zentral ließ sich hier noch eine kleine Verhärtung palpieren

Diagnostik und Prozedere

Es erfolgten ein bakterieller Abstrich und eine Sondierung über die Lazeration mit Spülung. Unter Berücksichtigung der Möglichkeit multiresistenter Keime wurde bereits vor Erhalt des mikrobiologischen Resultats nach Rücksprache mit einem Kollegen aus der Infektiologie bei bekannter Penizillinallergie eine Therapie mit Clindamycin per os begonnen. Der Abstrich ergab schließlich neben vielzähligen Leukozyten geringe Kulturen von Staphylococcus epidermidis und Propionibacterium acnes. Aufgrund dessen wurde in Annahme einer dermalen oberflächlichen Kontamination seitens der Mikrobiologie kein Antibiogramm durchgeführt.

Initial zeigte sich unter Clindamycin eine Befundverschlechterung. Hiernach und zum Ausschluss einer weiteren Abszedierung, eines malignen Prozesses und postseptaler Beteiligung wurde eine MRT durchgeführt. Zehn Tage nach Beginn der Clindamycin-Therapie bemerkte die Patientin schließlich eine Verbesserung. Jedoch musste aufgrund der Entwicklung einer Diarrhö die Behandlung gestoppt werden.

Im Verlauf erzählte die Patientin schließlich, dass sie vor Erstkonsultation erstmals eine kosmetische Behandlung mit Hyaluronsäure (HA) und Botulinumtoxin A (BoNT-A) hatte durchführen lassen. Infraokulär waren 2 Einheiten Vistabel® (Allergan Pharmaceuticals, Westport, Irland) auf 0,05 ml mit einer 31 G × 12 mm Mesorelle®-Kanüle (Biotekne SRL, Bologna, Italien) appliziert worden. Sie hatte dies nicht in Zusammenhang mit der Entzündung gebracht, da die Symptome erst 6 Wochen später aufgetreten waren und der unmittelbare Verlauf nach den Injektionen regelrecht gewesen war. Eine interdisziplinäre Neubeurteilung des Falls mit dem involvierten Radiologen führte durch dieses relevante Puzzleteil in der Anamnese zur Diagnose.

Wie lautet Ihre Diagnose?

Diagnose, Therapie und Verlauf

Nach diesem wichtigen Detail in der Anamnese der Patientin wurde zunächst vermutet, dass die HA ursächlich für den Entzündungsprozess gewesen sein könnte, da zwei der möglichen Late-onset-Komplikationen nach HA-Behandlungen Biofilm- und Granulombildungen sind, welche deutlich seltener nach BoNT‑A beobachtet werden [1, 2]. In unserem Fall jedoch bestätigte uns die dermatologische Praxis, in welcher die kosmetischen Eingriffe vorgenommen worden waren, dass bei dieser Patientin periokulär ausschließlich BoNT-A durch die auf kosmetische Eingriffe spezialisierte Dermatologin angewandt worden war.

Die Latenz von 6 Wochen kann einerseits durch das langsame Wachstum von den niedrig pathogenen Bakterien S. epidermidis und P. acnes erklärt werden, andererseits durch eine langsame, subkutane Granulombildung mit Ausdehnung bis in den Orbicularismuskel, wie sich in der MRT zeigte (Abb. 2).

Abb. 2
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MRT-Aufnahmen. a Kontrastmittelanreicherung der Entzündung im rechten Unterlid mit Ausdehnung von der Dermis durch das subkutane Fettgewebe bis in den Orbicularismuskel. Aufnahmen in der Sagittalebene vor (b) und nach (c) Kontrastmittelgabe zeigen keine postseptale Beteiligung. d Die niedrige T2-Signalintensität der Läsion ist kompatibel mit einer granulomatösen Entzündung

Unsere Patientin wurde zuletzt nach 10 Wochen anstelle von geplanten zwei Wochen verlaufskontrolliert, da sie aufgrund prolongierter Symptome nach COVID-19-Infektion zwischenzeitlich keine Termine wahrnehmen konnte. Obwohl in dieser Zeit keine Therapie mehr erfolgt war, bildete sich die Läsion kontinuierlich langsam zurück und war schließlich kaum mehr palpabel und sichtbar (Abb. 1b).

Diskussion

Die kosmetische Behandlung mit BoNT‑A stellt wohl die häufigste aller kosmetischen Eingriffe weltweit dar und wird generell als sicher angesehen. Eine sehr seltene Komplikation hierbei ist die Granulombildung. Unseres Wissens nach handelt es sich hier um den ersten veröffentlichten Fall eines superinfizierten Granuloms nach BoNT-A-Injektion, welches nicht mit Mykobakterien assoziiert war und welches nach initialer antibiotischer Therapie im weiteren Spontanverlauf eine deutliche Besserung zeigte.

Fallbeschreibungen in Bezug auf Granulombildung nach BoNT-A-Injektionen sind selten: Eine kürzlich erschienene Fallstudie stufte diese Komplikation als vermutlich unterdiagnostiziert ein [3]. Granulome nach BoNT-A-Injektionen treten mit einer großen Spannbreite an klinischer Latenz auf: zwischen zwei Tage und bis zu sechs Jahre nach BoNT-A-Injektion wurden beschrieben, die Diagnose wird oft mittels Biopsie gestellt [3]. Nur wenige Veröffentlichungen beschreiben purulente Granulome, wobei bei diesen, im Gegensatz zu unserem Fall, Mykobakterien nachgewiesen worden waren [4, 5].

Möglicherweise hat bei unserer Patientin der Gebrauch von steroidhaltigen Salben in der Vorgeschichte ebenfalls zur Befundverschlechterung beigetragen, da diese bei perioraler Dermatitis kontraindiziert sein können, weil sie eine granulomatöse Dermatitis verursachen können [6]. In Zusammenschau der Befunde sowie der gesamten Anamnese, gehen wir in diesem Fall von einer multifaktoriellen Pathogenese aus: infekt- und immunvermittelt.

Diagnose: Purulentes Granulom als Komplikation nach kosmetischer Behandlung mit Botulinum Neurotoxin A

Hinsichtlich des Therapieentscheids sind das auslösende Agens und das Vorliegen einer Superinfektion wichtig. Sofern eine Superinfektion vorliegt, muss in erster Linie eine Antibiotikatherapie erfolgen. Wenn ein Granulom aufgrund einer HA-Behandlung entstanden ist und kein Verdacht auf Superinfektion besteht, sind weitere Behandlungsmöglichkeiten, auch Wochen später noch, die Injektion von Hyaluronidase oder Triamcinolon [1, 7]. Letzteres kann auch bei nicht superinfizierten Granulomen nach BoNT‑A als Behandlungsoption evaluiert werden [3]. Nur in letzter Instanz wäre die chirurgische Sanierung eine Option. Da aber, wie in diesem Fall ersichtlich, eine spontane Regression möglich ist, kann nach Ausschluss oder Behandlung einer purulenten Komponente der Verlauf abgewartet werden. Wichtig ist, bei periokulären Läsionen explizit in der Anamnese nach möglichen kosmetischen Eingriffen zu fragen, da diese zeitlich dem Granulom lange vorausgegangen sein können. Eine Biopsie sichert die Diagnose, ist aber nicht zwingend notwendig, wenn eine Bildgebung ausreichend konklusiv ist.

Fazit für die Praxis

  • Die Behandlung mit BoNT‑A stellt wohl den häufigsten aller kosmetischen Eingriffe weltweit dar. Komplikationen sind zwar selten, können aber noch spät auftreten und sind wahrscheinlich unterdiagnostiziert.

  • Granulome können sowohl nach Unterspritzung der Haut mit HA als auch – seltener – durch BoNT‑A entstehen.

  • Bei Superinfektion des Granuloms ist eine antibiotische Therapie indiziert. Danach stehen zwar diverse Therapieverfahren zur Verfügung, jedoch ist auch eine spontane Regression möglich.