Anamnese

Ein 15-jähriges Mädchen stellte sich erstmalig zur Kontrolluntersuchung beim niedergelassenen Augenarzt vor. Die Patientin beschrieb, sie habe alle 3 Monate mal ein Piksen hinter den Augen verspürt, wäre ansonsten an den Augen beschwerdefrei und allgemeine Vorerkrankungen bestünden keine. Zum Zeitpunkt der Vorstellung war die Patientin von schlanker Statur, und die Medikamentenanamnese war leer. Bei der Untersuchung stellte der niedergelassene Kollege eine bilaterale Papillenschwellung fest, sodass er die Patientin noch am selben Tag in der Klinik für Ophthalmologie am USKH Campus Kiel notfallmäßig vorstellte.

Befund

Es bestanden an beiden Augen eine Emmetropie und ein Visus von 1,0 (cum correctione) mit normotoner Tensio. Der intraokulare Befund war reizfrei. Fundoskopisch präsentierten sich beidseits hyperämische, randunscharfe Papillen zudem wirkten die großen Gefäße opak verdeckt (Abb. 2). Ein relatives afferentes Pupillendefizit (RAPD) bestand nicht. In der Gesichtsfelduntersuchung (Gesamtfeld, 120-Pt.-Übersichtstest, Abb. 4) wurden beidseits nur wenige periphere Ausfälle detektiert. In der optischen Kohärenztomographie (OCT) der Papille konnte eine deutliche Prominenz im Sinne eines Papillenödems an beiden Augen verifiziert werden.

Diagnose und Therapie

Mit dem Verdacht auf Stauungspapillen entschieden wir uns zu einer kranialen Magnetresonanztomographie (MRT) noch am selben Abend. In der MRT zeigten sich beidseits erweiterte Optikusscheiden sowie eine inhomogene mittellinienüberschreitende Raumforderung im rechten Seitenventrikel von ca. 39 × 39 × 30 mm Größe. Ein durch „trapping“ erweiterter rechter Seitenventrikel mit einer Mittellinienverlagerung nach links um ca. 6 mm und eine exkavierte Hypophyse („empty sella“) deuteten auf einen chronisch erhöhten intrakraniellen Druck hin (Abb. 1). Es erfolgte eine umgehende stationäre Aufnahme in der neurochirurgischen Klinik. Am Folgetag wurde eine externe Ventrikeldrainage (EVD) angelegt. Drei Tage später erfolgte die operative Tumorexstirpation über eine rechts frontale osteoplastische Trepanation. Histologisch ergab sich die Diagnose eines subependymalen Riesenzellastrozytoms (kurz: SEGA), der als niedrigmaligner, hirneigener Tumor (WHO Grad I) eingestuft wird [1].

Abb. 1
figure 1

a Große mittellinienüberschreitende Raumforderung im asymmetrisch deutlich erweiterten rechten Seitenventrikel (Pfeilspitze). b „Empty sella“ (Pfeil)

Verlauf

Die Patientin stellte sich 1 Woche, 7 Wochen und 5 Monate nach Tumorexstirpation erneut in unserer Ambulanz zur Verlaufskontrolle vor. Die Abb. 23 und 4 zeigen den Verlauf der Papillenschwellung im Fundusfoto, der OCT sowie der korrespondierenden Gesichtsfelduntersuchungen. Interessanterweise nehmen an beiden Augen die Gesichtsfelddefekte postoperativ zunächst zu. Mit Blick auf den Verlauf nach 7 Wochen lässt sich eine deutliche Regredienz der Papillenödeme feststellen. Der Visus war bei der letzten Untersuchung beidseits 1,5 (sine correctione). Ophthalmologische Beschwerden beschrieb die Patientin nach erfolgter Operation nicht, ein RAPD bestand zu keiner Zeit.

Abb. 2
figure 2

Fundusfotos. Opak wirkende Gefäße bei der Erstvorstellung (Pfeile)

Abb. 3
figure 3

OCT der Papille

Abb. 4
figure 4

Gesichtsfelder (120-Pt.-Gesamtübersicht)

Diskussion

Ein Ödem des Sehnervs in Verbindung mit einem erhöhten intrakraniellen Druck (ICP) wurde erstmals 1853 von Türck und Coccius beschrieben. Im Jahr 1866 nannte von Graefe diesen Befund „Stauungspapille“, da er an eine Strangulation des Sehnervs durch einen skleralen Ring dachte [2]. Auch ein „papilledema“, der Begriff geht auf Parsons (1908) zurück, verweist auf eine durch einen erhöhten ICP hervorgerufene Papillenschwellung. Im Englischen bedeutet „papilledema“ somit Stauungspapille, während ein „optic disc edema“ ein Papillenödem beschreibt. Im Folgenden wird die Erkrankung als „Stauungspapille“ bezeichnet, der klinische Befund als „Papillenödem“.

Die Pathogenese der Stauungspapille ist ein mechanisches Phänomen. Grund ist der Anstieg von zerebrospinaler Flüssigkeit in den Myelinscheiden des Sehnervs und die folgende Stase des axoplasmatischen Flusses in den Sehnervenfasern. Liegt dauerhaft ein erhöhter ICP vor, kann es 1 bis 5 Tage dauern, bis sich ein Papillenödem manifestiert [2]. Die Rückbildung der Schwellung kann, wie bei unserem Fall, mehrere Monate dauern.

Ein erhöhter Hirndruck verursacht in den meisten Fällen Symptome. Die Patienten klagen in absteigender Häufigkeit über Kopfschmerzen, Doppelbilder, Visusminderung, Schielen, Augenbewegungsschmerzen, Nackenschmerzen und häufiges Blinzeln [3]. Auch Kopfneigung, Übelkeit, Schwindel, spinale Schmerzsymptomatik und Apathie können auftreten. In einer klinischen Studie mit Kindern, die an idiopathischer intrakranieller Hypertension (IIH) litten, wurde ein Prozentanteil von 31,3 % asymptomatischer Patienten ermittelt [4]. Eine intrakranielle Hypertension wird häufig erstmalig bei Routineuntersuchungen in der ophthalmologischen Praxis anhand von Papillenödemen als Zufallsbefund entdeckt. Die IIH, früher Pseudotumor cerebri, ist die häufigste Ursache für Stauungspapillen. Hierbei sind besonders junge Frauen betroffen, als größter Risikofaktor gilt Übergewicht. Das Auftreten von Stauungspapillen, resultierend aus einem Hirntumor, wird in der Literatur mit ca. 10–15 % angegeben [3, 5]. Bei Kindern sind Tumoren des Zentralnervensystems die zweithäufigste Entität nach Leukämien bei den Krebserkrankungen und somit die häufigste solide Tumorgruppe [6]. Aufgrund der potenziell tödlichen Grunderkrankung sollte bei Stauungspapillen eine zeitnahe kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT) zur ergänzenden Diagnostik erfolgen.

Klinisch wegweisend in diesem Fallbeispiel ist die opake Verdeckung der Gefäße, die auf eine stauungsbedingte Ursache deutet (Abb. 2). Des Weiteren zeigt sich, anders als beispielsweise bei der Drusenpapille, die physiologische Exkavation in der OCT gut erhalten (Abb. 3). Zur Differenzierung ist daher die OCT ein wichtiges diagnostisches Verfahren [7]. Erscheinen die Gefäße gut sichtbar, kommt differenzialdiagnostisch bei Kindern neben der Drusenpapille auch die Hyperopiepapille in Betracht. Darüber hinaus können kongenitale Überreste von hyaloidalem oder glialem Gewebe am Sehnerv, ein Sehnerveneintritt durch einen sehr schmalen Sklerakanal oder myelinisierte Nervenfasern eine Stauungspapille vortäuschen. Bei einer Optikusneuropathie, z. B. einer Papillitis oder ischämischen Optikusneuropathie, kommt es zu einer Funktionseinschränkung, die im Frühstadium einer Stauungspapille nicht zu beobachten ist. Chronifiziert die Stauungspapille, kann es jedoch zu Ausfällen kommen, die z. B. eine Optikusneuritis imitieren können. Bei unserer Patientin zeigen sich bei Erstvorstellung bereits Gesichtsfelddefekte, die auf eine chronische Stauungspapille schließen lassen können. Die Mitarbeit der Patientin während der Perimetrie war gut mit sehr geringer Fehlerquote.

Mithilfe der Ultraschallsonographie ist es möglich, die Papillenschwellung und tiefer gelegene Strukturen, wie z. B. Drusen, darzustellen. Eine aktuelle Studie aus den USA zeigt auf, dass eine durch einen unerfahrenen Notarzt durchgeführte Sonographie eine zu geringe Sensitivität besitzt, um Stauungspapillen im Notfall sicher diagnostizieren zu können [8]. Es wird also auch in Zukunft in der ophthalmologischen Verantwortung liegen, Stauungspapillen zu identifizieren und die richtigen Schritte einzuleiten.

Fazit für die Praxis

  • Stauungspapillen und kraniale Hypertension können asymptomatisch sein. Die meisten Patienten haben Beschwerden, das häufigste Symptom ist Kopfschmerz.

  • Die häufigste Grunderkrankung bei Stauungspapillen ist die idiopathische intrakranielle Hypertension, gefolgt vom Hirntumor, der insbesondere bei Kindern eine wichtige Differenzialdiagnose darstellt.

  • Aufgrund der potenziell tödlichen Grunderkrankung sollte v. a. bei beidseitigem Papillenödem nach Ausschluss einer Drusenpapille und Hyperopiepapille immer eine zeitnahe kraniale MRT erfolgen.