Anamnese

Ein 62-jähriger Patient wurde mit starken Schmerzen und einer zu dem Zeitpunkt seit 12 Tagen bestehenden Rötung und Schwellung der Augen notfallmäßig von seinem niedergelassenen Augenarzt an unsere Klinik überwiesen.

Die bisherige Behandlung durch den Hausaugenarzt umfasste Dexamethason, Neomycin und Polymyxin-B-Augentropfen 4‑mal täglich, Perfluorhexyloctan-haltige Tränenersatzmittel 4‑mal täglich sowie Retinolpalmitat Augensalbe zur Nacht.

Anamnestisch war eine weit fortgeschrittene Retinitis pigmentosa im Rahmen eines Refsum-Syndroms bei dem Patienten bekannt. Die Diagnose des Morbus Refsum war bereits in den 80er-Jahren gestellt worden. Eine Katarakt zeigte sich als Initialsymptom in den 70er-Jahren und wurde mit Vorderkammerlinsen in Kombination mit einer Iridektomie versorgt. Anschließend folgten die ersten Symptome der peripheren Neuropathie mit Gangschwierigkeiten. Symptome der neurosensorischen Hörminderung begannen in den 90er-Jahren. Eine kardiale Beteiligung des Morbus Refsum wurde verneint, regelmäßige kardiologische Kontrollen würden stattfinden. Nach Diagnosestellung erfolgten zunächst eine Plasmapherese und eine phytansäurearme Diät, diese hatte der Patient allerdings gegen ärztlichen Rat nicht mehr eingehalten.

Klinischer Befund

Der Visus am rechten Auge betrug Lichtschein, der Visus am linken Auge betrug Handbewegungen. In der Spaltlampenbiomikroskopie imponierte eine ausgeprägte Bandkeratopathie mit Ablagerung von Kalkschollen und eine diffuse Hornhaut-Endothel-Epithel-Dekompensation rechts mehr als links (Abb. 1). Die ausgeprägten Kalkschollen ließen sich auch in der optischen Kohärenztomographie (AS-OCT-CASIA 2; Tomey, Nagoya, Japan) eindeutig darstellen (Abb. 2). Des Weiteren zeigten sich Vorderkammerlinsen, eine Iridektomie sowie eine Irisatrophie beidseits. Der Augeninnendruck lag applanatorisch gemessen bei 15 mm Hg am rechten und bei 16 mm Hg am linken Auge. Ein Funduseinblick war hornhautbedingt sowie aufgrund einer mangelnden Reaktion auf Mydriatika nicht möglich, allerdings zeigten sich die Netzhäute sonographisch anliegend. Die Goldmann-Perimetrie (Marke V/4) zeigte ein konzentrisch eingeschränktes Gesichtsfeld mit einem Restgesichtsfeld von weniger als 10 Grad links (Abb. 3), rechts war die Perimetrie visusbedingt nicht möglich. Das Ganzfeldelektroretinogramm (Ganzfeld-ERG, durchgeführt nach ISCEV-Standard) zeigte die a‑ und b‑Wellen skotopisch und in den Mischantworten fast erloschen rechts mehr als links sowie die photopische Antwort beidseits pathologisch reduziert.

Abb. 1
figure 1

Spaltlampenfoto des linken Auges mit ausgeprägter Bandkeratopathie und der Ablagerung von dichten Kalkschollen (Pfeil)

Abb. 2
figure 2

Vorderabschnitt-OCT des linken Auges: dargestellt ist die Kalkscholle (Pfeil) im Rahmen der Bandkeratopathie

Abb. 3
figure 3

Manuell durchgeführtes Goldmann Gesichtsfeld (Marke V/4) des linken Auges des Patienten mit einem konzentrisch eingeschränkten Restgesichtsfeld von unter 10 Grad

Systemische Befunde des Patienten umfassten Cochleaimplantate, eine periphere Neuropathie und verkürzte Metatarsale beidseits (Abb. 4). Der Phytansäurespiegel zeigte einen Wert von 214 mg/l (Referenzbereich < 5 mg/l) im Rahmen eines Refsum-Syndroms.

Abb. 4
figure 4

Foto der verkürzten 4. Metatarsale

Therapie und Verlauf

Es erfolgte eine Therapieumstellung auf phosphatfreie Präparate mit Ofloxacin-Augentropfen 5‑mal täglich, Hyaluronsäure- und Perfluorhexyloctan-haltige Tränenersatzmitteln je 5‑mal täglich sowie Retinolpalmitat-Augensalbe zur Nacht. Des Weiteren vereinbarten wir Termine (nach 4 Wochen am rechten sowie nach 16 Wochen am linken Auge) zur Durchführung einer Touchierung mit Ethylendiamintetraacetat (EDTA) in Kombination mit einer phototherapeutischen Keratektomie (PTK) (AMARIS 1050RS Excimerlaser, SCHWIND eye-tech-solutions GmbH, Kleinostheim, Germany) mit einem Durchmesser von 10 mm und einem Abtrag von 100 µm rechts sowie 50 µm links jeweils ohne Maskierung, weil die verbleibende Oberfläche relativ glatt war.

Postoperativ zeigte sich spaltlampenbiomikroskopisch und in der Vorderabschnitt-OCT eine klare Hornhaut (Abb. 5 und 6). In der Pachymetrie (AS-OCT-CASIA 2; Tomey, Nagoya, Japan) zeigte sich eine Abnahme der Hornhautdicke von 903 µm präoperativ auf 719 µm postoperativ am rechten sowie von 802 µm präoperativ auf 601 µm postoperativ am linken Auge. Darüber hinaus kam es am linken Auge zu einem Visusanstieg auf 0,1 cum correctione (+6,50/−1,75/A 104°).

Abb. 5
figure 5

Spaltlampenfoto des linken Auges mit postoperativ klarer Hornhaut. Intraokulär sind die Vorderkammerlinse sowie die Iridektomie sichtbar

Abb. 6
figure 6

Vorderabschnitt-OCT des linken Auges postoperativ: dargestellt ist eine klare Hornhaut ohne Kalkablagerung

Diskussion

Das Refsum-Syndrom stellt eine seltene, autosomal-rezessiv vererbte motorisch-sensible Neuropathie dar, welche auf einer Störung des Phytansäurestoffwechsels beruht. Sie ist nach ihrem Erstbeschreiber Sigvald Refsum benannt, welcher die Erkrankung erstmalig 1946 unter dem Namen „Heredopathia atactica polyneuritiformis“ beschrieb [6]. Phytansäure, eine gesättigte, langkettige Fettsäure, wird ausschließlich über die Nahrung aufgenommen, kann durch einen Mangel an Phytanoyl-CoA-Hydroxylase nicht abgebaut werden und lagert sich folglich in Geweben ab [4, 10]. Die Prognose der Erkrankung ist unbehandelt schlecht, weshalb eine frühzeitige Diagnosestellung und eine strikte, phytansäurearme Diät zur Vermeidung von Erblindung, Taubheit und schweren neurologischen Komplikationen essenziell sind [3].

Eine atypische Retinitis pigmentosa (tapetoretinale Degeneration), ggf. mit Nachtblindheit und progressiver Gesichtsfeldverengung, ist bei Patienten mit Refsum-Syndrom in der Regel vorhanden und sollte v. a. in Zusammenhang mit verkürzten Metakarpalen und Metatarsalen differenzialdiagnostisch an eine Refsum-Erkrankung denken lassen.

Typische ophthalmologische Befunde schließen neben der Retinitis pigmentosa eine Irisatrophie, Katarakt, eine Pupillenverengung, eine verminderte Pupillenreaktion auf Mydriatika sowie eine eingeschränkte Lichtreaktion ein [7, 8].

Weitere typische systemische Befunde umfassen eine periphere Polyneuropathie, neurosensorische Hörminderung, zerebelläre Ataxie, Herzrhythmusstörungen und Ichthyose.

Eine Ichthyose beschreibt eine meist genetisch hervorgerufene Verhornungsstörung der Haut. Diese kann autosomal-dominant, autosomal sowie X‑chromosomal rezessiv vererbt werden und nichtsyndromal sowie syndromal auftreten. Die nichtsyndromale Ichthyose betrifft hauptsächlich die Haut, während bei syndromalen Ichthyosen auch weitere Organsysteme betroffen sein können. Das Refsum-Syndrom wird folglich zu der Gruppe der syndromalen Ichthyosen gezählt.

Es ist eine Vielzahl von Formen der Ichthyose bekannt, welchen verschiedene Defekte und somit verschiedene Pathomechanismen zugrunde liegen. In gesunder Haut sind Keratinozyten durch Zellkontakte verbunden und werden bei Abschuppung durch Enzyme abgebaut. An der Bildung der normalen Hautbarriere sind Proteine des Lipidstoffwechsels beteiligt. Eine Fehlaktivität dieser führt zu einer abnormalen Differenzierung und Proliferation der Epidermis. Charakteristischerweise zeigen sich eine Hyperkeratose und Schuppung [9].

Anton-Lambrecht und Kahlke setzten sich in einer Publikation von 1974 ausgiebig mit dem Pathomechanismus der Ichthyose der Refsum-Erkrankung auseinander und konnten auf eine Korrelation zwischen der Verhornungsstörung beim Refsum-Syndrom und der Ablagerung der Phytansäure schließen [1].

Bereits 1967 befassten sich Jay et al. mit der okulären Manifestation einer Ichthyose. Sie konnten epitheliale sowie tiefstromale Veränderungen bei Patienten mit Ichthyose nachweisen und berichten über einen Patienten mit einer beginnenden Bandkeratopathie im Rahmen einer Ichthyosis vulgaris [5].

Während in einer Publikation von Baum et al. eine bullöse Keratopathie bei Patienten mit Refsum-Syndrom bereits beschrieben wurde, gibt es nach unserem besten Wissen bisher keinen Fallbericht eines Patienten mit Bandkeratopathie und Ablagerung von Kalkschollen als Manifestation einer Ichthyose im Rahmen eines Refsum-Syndroms [2].

Eine zielführende Behandlungsoption stellt die EDTA-Touchierung in Kombination mit einer PTK dar, um sowohl die Kalkschollen zu entfernen, Schmerzen zu lindern und einen Visusanstieg zu erzielen.

Fazit für die Praxis

  • Das Refsum-Syndrom ist eine seltene, autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselerkrankung, welche auf einer Störung des Phytansäurestoffwechsels beruht.

  • Typische ophthalmologische Befunde schließen eine Retinitis pigmentosa, eine Irisatrophie und Katarakt ein, typische systemische Befunde umfassen eine periphere Polyneuropathie, neurosensorische Hörminderung, zerebelläre Ataxie, Herzrhythmusstörungen und Ichthyose.

  • Als Manifestation einer Ichthyose kann es beim Refsum-Syndrom zu einer Bandkeratopathie mit Ablagerung von Kalkschollen und einem dadurch noch weiter reduzierten Visus bis hin zu stechenden Schmerzen kommen.

  • Die EDTA-Touchierung in Kombination mit einer PTK stellt eine zielführende Behandlungsoption dar.