Anamnese

Eine 31-jährige Patientin stellte sich in der Poliklinik wegen seit ca. 4 Wochen zunehmender Sehverschlechterung am linken Auge vor. Zudem seien im gleichen Zeitraum frontal betonte Kopfschmerzen aufgefallen, morgens beginnend und mittags oft so stark, dass sie Schmerzmittel einnehmen müsste. Die Kopfschmerzen hielten manchmal mehrere Tage an. Es bestehe keine Migräne in der Vorgeschichte. Es lagen keine weiteren Allgemeinsymptome vor. Die Patientin hatte sich vor 4 Monaten mit einer Glasscherbe am rechten Auge verletzt und war aus diesem Grund in unserer Poliklinik vorbekannt. Der Visus des rechten, verletzten Auges habe sich seit dem Unfall nicht verändert. Die Patientin sei sonst gesund, nehme kein topisches Medikament und nur ein Kontrazeptivum als systemische Medikation.

Befund

Der Visus betrug rechts cum correctione (eigene Brille) 0,63 und war damit unverändert zur Untersuchung 4 Monate zuvor. Am LA wurde der Visus cum correctione (eigene Brille) mit 0,5 Gbn gemessen bei einem Vorvisus von 1,0. Während der monokularen Visustestung des linken Auges las die Patientin die Zahlen von rechts nach links und sagte, dass es so einfacher sei.

Die Pupillen waren isokor, es fiel ein minimaler relativer afferenter Pupillendefekt links auf.

An der Spaltlampe war der vordere Augenabschnitt bis auf die bekannte Hornhauttrübung nach lamellärem Hornhautschnitt des rechten Auges ohne weitere Auffälligkeit.

Fundoskopisch fiel eine geringe zirkuläre Papillenschwellung auf. Die Netzhaut und retinalen Gefäße waren unauffällig (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Fundoskopie

Die OCT zeigte eine überwiegend superior leicht verdickte peripapilläre Nervenfaserschicht (Abb. 2). Die Perimetrie ergab bitemporale Gesichtsfelddefekte, die am LA stärker als am RA ausgeprägt waren (Abb. 3).

Abb. 2
figure 2

OCT

Abb. 3
figure 3

Perimetrie

Bei Verdacht auf eine chiasmale Raumforderung wurde die Patientin stationär aufgenommen und eine cMRT veranlasst, die ein nicht frisch eingeblutetes Hypophysenmakroadenom (26 × 21 mm) zeigte (Abb. 4). Die Hormondiagnostik zeigte einen leicht erhöhten Prolaktinspiegel (35 μg/l [normal bis 21 μg/l]) und leicht erniedrigten Cortisolspiegel (103 nmol/l [Norm von 130–630 nmol/l]).

Abb. 4
figure 4

cMRT

Diagnose

Hypophysenapoplex eines Makroadenoms.

Therapie und Verlauf

Die Patientin wurde in der Augenklinik stationär aufgenommen. Eine cMRT erfolgte am Abend des Aufnahmetages. Am Folgetag wurde die Patientin in die neurochirurgische Universitätsklinik verlegt. Bei aktuell stabilem Befund und bereits vor mindestens 3 Wochen aufgetretenem Hypophysenapoplex wurde eine transsphenoidale Adenomresektion für den Folgetag geplant und komplikationslos durchgeführt. Drei Tage nach der Operation konnte die Patientin nach Hause entlassen werden. Eine Verlaufskontrolle 4 Wochen nach der Operation zeigte an beiden Augen ein freies Gesichtsfeld und randscharf begrenzte und im Netzhautniveau liegende Papillen.

Diskussion

Eine gefürchtete Komplikation von Hypophysenadenomen sind Einblutungen. Diese hämorrhagische Infarzierung (syn. Hypophysenapoplex), die in 10–15 % der Fälle stattfindet [1], führt zu einem schnellen intrakraniellen Druckanstieg, der Kopfschmerzen, Übelkeit und Sehstörungen verursachen kann. Diese lebensbedrohliche Erkrankung ist ein neurochirurgischer Notfall, der umgehend behandelt werden muss.

Ohne Einblutung ist die Diagnose eines Hypophysentumors aufgrund des langsamen Wachstums nicht immer leicht. Klinische Symptome werden durch den mechanischen Druck der Raumforderung auf umliegende Strukturen oder durch die Hypo- oder Hypersekretion von Hypophysenhormonen verursacht. Eine solche endokrine Fehlsteuerung kann Symptome z. B. einer Amenorrhö, Gynäkomastie oder Akromegalie auslösen.

Hypophysenmakroadenome können das Chiasma opticum komprimieren. Dies führt zu bitemporalen Gesichtsfelddefekten und bei längerem Vorliegen zu einer Optikusatrophie.

Ist der Sinus cavernosus betroffen, kann eine Beteiligung des III., IV. oder VI. Hirnnerven zu einer Einschränkung der ipsilateralen Augenmotilität führen, eine Affektion des V.1- oder V.2-Hirnnerven zu einer Hyposensibilität des versorgten Hautareals.

Bei langsam wachsenden Hypophysenadenomen sind die von Patienten bemerkten Sehstörungen häufig unspezifisch: Auch bei bitemporaler Hemianopsie wird oft keine Einengung des Gesichtsfeldes bemerkt, da die Funktion des jeweils fehlenden temporalen Gesichtsfeldanteils weitestgehend vom intakten nasalen Gesichtsfeldbereich des Partnerauges übernommen wird [2]. Hierbei besteht aber keine normalerweise vorhandene Überlappung von Bildteilen, die für ein stabiles Binokularsehen erforderlich ist. Eine vorbestehende Phorie kann daher zu dem Hemifield-Slide-Phänomen führen. Das bedeutet, dass sich die beiden Bildhälften vertikal oder horizontal verschieben, sodass Objekte verbreitert, verschmälert oder vertikal verschoben wahrgenommen werden.

Ein Hypophysenapoplex verursacht hingegen neben den oben genannten Allgemeinsymptomen akute Sehstörungen, die den Patienten meist rasch einen Augenarzt aufsuchen lassen.

Fazit für die Praxis

  • Ein eingeblutetes Hypophysenadenom ist ein lebensbedrohlicher neurochirurgischer Notfall.

  • Die frühe Diagnose von Hypophysenadenomen stellt eine Herausforderung im klinischen Alltag dar.