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Anamnese
Ein 81-jähriger Patient stellte sich mit einer seit 5 Wochen bestehenden rechtsseitigen paranasalen Raumforderung vor (Abb. 1). Der Mann berichtete über eine intermittierende Epiphora beider Augen (rechts > links). Weitere ophthalmologische Vorerkrankungen bestanden nicht. In der Allgemeinanamnese lagen eine Herzinsuffizienz (NYHA II) und ein rezidivierender Herpes zoster thoracalis vor. Tumorerkrankungen waren nicht bekannt. Eine B‑Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust) wurde vom Patienten verneint.
Befund
Der bestkorrigierte Visus des Patienten betrug rechts 0,4 und links 1,0. Hier war am rechten Auge eine Katarakt vorliegend bei Pseudophakie links. Der Augeninnendruck lag bei 12 mm Hg rechts und 9 mm Hg links. Sonst fanden sich intraokulär keinerlei Auffälligkeiten.
Im Bereich der rechten Tränensackgrube ließ sich ein derber Tumor tasten (Abb. 1a, b). Dieser war druckindolent und mit der Unterlage nicht verschieblich (Größe: vertikal 2,5× horizontal 1,8 cm). Es ließ sich kein Sekret aus dem Tränensack exprimieren. Die ableitenden Tränenwege (TNW) waren beidseits über das obere Tränenpünktchen mit leichter Latenz spülbar. Im konjunktivalen Farbstofftest wurde ein Spontanabfluss von rechts 5 min und links 3 min ermittelt.
Die Dünnschicht-Computertomographie (CT) der Orbita und Nasennebenhöhlen zeigte eine verdrängend wachsende Raumforderung des rechtsseitigen Tränensackes (Abb. 1c). Am Folgetag wurde eine inzisionale transkutane Biopsie in Lokalanästhesie vorgenommen.
Histologische Befunde
Histopathologisch zeigte sich eine zelldichte Infiltration durch diskohäsiv gelagerte mittelgroße Tumorzellen mit hyperchromatischen vergrößerten Zellkernen mit Ausbildung von Nukleolen und einer diffusen Infiltration der mitgefassten Muskulatur (Abb. 2a, b). Die immunhistochemische Ki67-Färbung bestätigte eine stark erhöhte Proliferationsrate bis fokal 70 % (Abb. 2c). Des Weiteren waren die Tumorzellen reaktiv gegenüber den B‑Zell-Markern CD20 (Abb. 2d) und CD79a mit Koexpression für CD10 und bcl6 (Abb. 2e, f), entsprechend einer reifen B‑Zell-Neoplasie, in erster Linie einem diffus-großzelligen B‑Non-Hodgkin-Lymphom, laut des Hans-Klassifikators einem GCB-Typ („germinal center B type“) zuzuordnen. In der Reaktion für CD3 und CD5 zeigt der Tumorverband locker untermischte reaktive T‑Lymphozyten.
Histologie und Immunhistologie. a 200-fache Vergrößerung, Hämatoxylin-Eosin-Färbung; hochgradige Infiltration ortständiger quergestreifter Muskulatur (Asterisk) durch eine atypische Zellpopulation (2 Asteriske). b 400-fache Vergrößerung, Hämatoxylin-Eosin-Färbung; zelldichte mittelgroßzellige Zellpopulation mit stark erhöhter Kern-Plasma-Relation und zahlreichen Kernteilungsfiguren (roter Asterisk). c 100-fache Vergrößerung, Ki67-Färbung (Mib1); nukleäre Färbung in bis zu 70 % der Tumorzellen als Ausdruck einer stark gesteigerten Proliferationsrate. d 100-fache Vergrößerung, immunhistochemische Färbung von CD20; starke membranöse Reaktion in allen Tumorzellen als B‑Zell-Marker. e 100-fache Vergrößerung, Immunhistochemie auf bcl6 („b cell lymphoma protein 6“); starke nukleäre Färbung in allen Tumorzellen als Surrogatmarker für eine Mutation im BCL6-Gen mit dem Resultat der Apoptoseinhibition. f 100-fache Vergrößerung, immunhistochemische Färbung von CD10; moderate membranöse Färbung in allen Tumorzellen
Weitere Maßnahmen
Aufgrund der histologischen Diagnose wurde eine Vorstellung im interdisziplinären Tumorboard und eine hämatoonkologische Mitbetreuung eingeleitet (Staging u. a. durch eine Ganzkörper-CT, kraniale Magnetresonanztomographie, Liquorpunktion und Knochenmarkpunktion). Hier ergab sich keine weitere Lymphommanifestation.
Nebenbefundlich zeigte sich ein unklarer Befund im Bereich des rechten Nebenhodens, welcher einer weiteren Biopsie zugeführt wurde (s. unten).
Diagnose
Es konnte ein diffus-großzelliges B‑Zell-Lymphom des Tränensackes mit isoliert extranodaler Lokalisation (Ann Arbor: IAE; Germinal Center B‑Cell Type) diagnostiziert werden.
Therapie und Verlauf
Die Biopsie des rechten Nebenhodens wurde wenige Tage später in Allgemeinanästhesie geplant. Bei bereits vorliegender Diagnose des Tränensacklymphoms wurde in diesem Rahmen eine prophylaktische Schienung der TNW durch 2 autostabile monokanalikulonasale Intubate vorgenommen, da eine Radiotherapie zu erwarten war. Die Histologie des Nebenhodens zeigte eine unspezifische Entzündung und bedurfte keiner weiteren Intervention.
Therapeutisch wurde eine kombinierte Immun- und Radiochemotherapie (IRCT) eingeleitet (R-CHOP-Schema: Rituximab, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednisolon). Die Bestrahlung wurde als fraktionierte Applikation mittels 18 Zyklen à 2,0 Gy durchgeführt.
Unter der laufenden IRCT kam es zur Luxation mit nachfolgendem Verlust beider TNW-Intubate, da der Patient aufgrund einer Sicca-Symptomatik vermehrt an beiden Augen gerieben hatte. Nach 2 Wochen beklagte er nun eine vermehrte Verschleimung des rechten Auges. Die diagnostische TNW-Spülung zeigte eine absolute mechanische postsakkale Stenose. Dakryoendoskopisch konnte eine weiche, jedoch vollständige Verklebung des Ductus nasolacrimalis bestätigt werden (Abb. 3). Nach transkanalikulärer dakryoendoskopischer Rekanalisierung wurden erneut 2 autostabile monokanalikulonasale Intubate in die TNW platziert.
Drei bzw. 6 Monate nach Abschluss der IRCT erfolgte die komplikationslose und vollständige Entfernung jeweils eines der Intubate. Die anschließende Tränenwegsspülung war glatt möglich. Der Patient war zu diesem Zeitpunkt seitens der TNW beschwerdefrei und zeigte einen seitengleichen Spontanabfluss von 3 min. Ein Tumorrezidiv ließ sich klinisch nicht vermuten. In den Magnetresonanztomographien des Kopfes 12 bzw. 18 Monate nach Therapieabschluss zeigte sich ebenfalls kein Anhalt für ein Lokalrezidiv.
Diskussion
Es ist bekannt, dass Chemotherapien zu zahlreichen okulären Nebenwirkungen führen können und dabei potenziell alle Abschnitte des Auges, von der Adnexe (inklusive Orbita) über das vordere Segment bis hin zum Hinterabschnitt einschließlich den N. opticus, affektieren. Prinzipiell sind alle die Schleimhaut schädigenden Agenzien denkbar, und es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen [7, 11].
TNW-Stenosen infolge von Bestrahlungen sind ebenso vertraut. Jeganathan et al. beschrieben ab einer Strahlendosis von > 65 Gy Stenosen, Entzündungen sowie dauerhafte narbige Veränderungen der Tränenpünktchen, der Kanalikuli sowie des Tränennasenganges [5]. Aber auch bereits geringere Strahlendosen, wie sie im Rahmen einer Radiojodtherapie durch in der Tränenflüssigkeit gelöstes 131I auftreten, können zu TNW-Stenosen führen [1].
Das diffuse B‑Zell-Lymphom ist weltweit das häufigste der Non-Hodgkin-Lymphome [6]. Es ist typischerweise schnell wachsend und hat seinen Ursprung meist in lymphatischen Organen wie Milz, Lymphknoten oder Knochenmark. Aber auch extralymphatische Gewebe können der Ausgangspunkt sein [6, 10]. Schmerzlose Lymphknotenschwellung, unklarer Gewichtsverlust, Nachtschweiß und Abgeschlagenheit sind die Leitsymptome dieser Erkrankung [6].
Neben den epithelialen Tumoren sind Lymphome der TNW als häufigste Malignome des Tränensackes zu nennen. Sie werden oftmals durch eine ausgeprägte Epiphora, welche aus einer sekundären Kompression der TNW resultieren, symptomatisch. Weiterhin finden sich indolente Raumforderungen der Tränensackgrube [8, 14]. Als Tumorkomplikation kann es jedoch auch zu kompressionsbedingten Tränenabflussstörungen und somit (sub)akuten Dakryozystitiden kommen, welche mit einem entzündungsbedingten Schmerzreiz einhergehen [15].
Die häufigsten Lymphome des Tränensackes sind das diffuse B‑Zell-Lymphom und MALT-Lymphome (extranodale Marginalzonen-B-Zell-Lymphome) [9, 13, 14]. Isolierte und multifokal systemische Formen sind zu unterscheiden. Die Angaben zum Vorkommen dieser gesonderten TNW-Beteiligungen variiert in den Literaturangaben. In den größeren Fallberichten zeichnet sich eine Häufigkeit von etwa 10–20 % ab [4, 8, 9, 13,14,15].
Die Behandlung eines isolierten TNW-Lymphoms beinhaltet eine Chemotherapie, eine Radiatio oder ggf. eine Kombination aus beidem. Die interdisziplinäre Patientenbetreuung ist dabei unerlässlich [3, 8, 10, 12, 14]. Eine prophylaktische Schienung wird sowohl bei Chemotherapie als auch Radiatio im Bereich der TNW empfohlen [2, 5, 7, 15]. De Smet et al. untersuchten das Auftreten einer sekundären TNW-Stenose nach Radiotherapie. Sie beobachteten eine postradiogene Epiphora bei 31 % ihrer Patienten ohne absichernde TNW-Schienung, wohingegen dieser Wert auf 6 % infolge einer prophylaktischen TNW-Intubation gesenkt werden konnte [2]. Für die Strahlentherapie eines Lymphoms des Tränensackes werden kumulative Dosen von 30–45 Gy empfohlen [3, 12].
Der Fall eines extranodalen B‑Zell-Lymphoms im Bereich des Tränensackes wurde hier dargestellt. Im Rahmen der IRCT kam es nach Verlust der prophylaktischen TNW-Schienung zu einer sekundären TNW-Stenose. Da die systemische Chemotherapie an beiden TNW Einfluss genommen hätte, ist von einer vornehmlich postradiogenen Stenose auszugehen, wenngleich eine zusätzliche Einwirkung durch die Chemotherapie nicht ausgeschlossen werden kann. Auch ein chirurgisches Trauma als Ursache der Stenose ist denkbar. Durch eine wiederholte TNW-Intervention mit Rekanalisierung und erneuter Schienung konnte eine potenziell finale Vernarbung der TNW vermieden werden.
Fazit für die Praxis
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Eine Stenose der Tränennasenwege kann als Komplikation nach oder während einer Chemotherapie oder Radiatio im Gesichtsbereich auftreten.
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Die prophylaktische Schienung der Tränennasenwege bietet eine Möglichkeit zur Vermeidung posttherapeutischer Stenosen. Dabei sollte der gesamte ableitende Tränenapparat durch entsprechende Silikonverweilsonden gesichert werden.
Literatur
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Popp, J., Viestenz, A., Kisser, U. et al. Prophylaktische Tränenwegsschienung bei Radiochemotherapie des Saccus lacrimalis. Ophthalmologie 119, 632–635 (2022). https://doi.org/10.1007/s00347-021-01402-8
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